Trüber Herbst in Griechenland (3/3)

Ein Artikel von Niels Kadritzke

Niels Kadritzke wirft in seiner dreiteiligen Serie einen sehr ausführlichen Blick auf die momentane Lage in Griechenland. Im dritten und letzten Teil beschäftigt er sich mit den erfolglosen Versuchen der Regierung Samars, die Staatseinnahmen zu erhöhen und deren nach wie vor hohes Korruptionspotential. Der erste Teil der Artikelserie erschien am Montag auf den NachDenkSeiten, der zweite Teil am Dienstag.

Warum die Steuerschuldner nicht konsequent verfolgt werden

Seit Beginn der Krise hat sich der Schwerpunkt der Haushaltssanierung immer stärker auf Ausgabenkürzungen verlagert. Während beim ersten Sparprogramm 2010 die geplanten Kürzungen und die Erhöhung der Einnahmen noch im Gleichgewicht waren, also jeweils rund die Hälfte der angestrebten Sanierungseffekte ausmachten, übertreffen seit 2011 die Einsparungen deutlich die angestrebten Mehreinnahmen. Das erklärt sich zum einen durch den Konjunktureinbruch, der auch das Aufkommen an direkten und indirekten Steuern einbrechen lässt und dazu führt, dass viele Firmen und Individuen die erhöhten Steuern in der Tat nicht mehr bezahlen können. Es liegt aber auch daran, dass der steuereintreibende Teil des Staates unfähig oder unwillig war und ist, die ausstehenden Steuerschulden einzutreiben und die Steuerhinterziehung wirksam zu bekämpfen.

Über das Defizit bei den Steuereinnahmen und seine Gründe habe ich seit Dezember 2010 immer wieder berichtet. Das heißt: Vor allem über die praktische Folgenlosigkeit der beschlossenen und verkündeten Maßnahmen zur strafferen Verfolgung der Steuersünder. Trotz mancher Initiativen sind die Summen, die der Fiskus bislang von den Sündern eingesammelt hat, unerheblich geblieben. Und obwohl das Finanzministerium seine Planziele für das Eintreiben von Steuerschulden von Jahr zu Jahr zurückgesteckt hat, liegt dieser Einnahmeposten auch dieses Jahr wieder unter dem Soll: Bis August beträgt der Fehlbetrag auf der Einnahmenseite etwa 2 Milliarden Euro, während bei den Ausgaben 4,8 Milliarden Euro mehr gespart wurden als vorgesehen (Angaben nach Ta Nea vom 21. September).

Ein wichtiger Faktor, der die Jagd nach den ausstehenden Steuergeldern behindert, ist die Verweigerungsmentalität vieler Finanzbeamter, deren Bereitschaft, sich „reformieren“, sprich umerziehen zu lassen, durch die Kürzung ihrer Gehälter nicht unbedingt gefördert wird. Um so wichtiger für die systematische Verfolgung von Steuerschuldnern und Steuerhinterziehern ist deshalb die „Abteilung für die Verfolgung von Wirtschaftsverbrechen“ (SDOE) beim Finanzministerium. Man sollte meinen, dass jede griechische Regierung höchstes Interesse haben muss, diese Spezialabteilung, deren „Rambos“ Angst und Schrecken unter den Steuersündern verbreiten sollen, zu stärken und zu unterstützen. Und zwar nicht nur, um die staatlichen Einnahmen zu erhöhen, sondern auch, um das Bekenntnis zu „sozialer Gerechtigkeit“ wenigstens symbolisch zu unterstreichen.

Erst recht sollte dies für die Regierung Samaras gelten, die der Bevölkerung entgegen ihrer Wahlversprechungen eine neue Sparrunde zumutet. Und die sich größte Mühe geben müsste, die Troika zu überzeugen, dass sie wenigstens einen Teil der Steuerschulden eintreiben kann. Dazu muss man folgendes wissen: In den Verhandlungen über das aktuelle Sparpaket haben es die Troika-Vertreter abgelehnt, den von Stournaras eingeplanten Einnahmeposten aus Steuerschulden in Höhe von 1,9 Milliarden Euro für die Jahre 2013/2014 und in von 3,9 Milliarden Euro bis zum Jahr 2016 anzuerkennen. Sie verwies dabei auf Erfahrungen der Jahre 2009 bis 2011, in denen die angekündigten Summen nur zu einem winzigen Bruchteil eingetrieben wurden. Im Finanzministerium wurden deshalb Pläne entwickelt, um die Zugriffsmöglichkeiten der SDOE zu verbessern und der Troika zu beweisen, dass die 3,9 Milliarden Einnahmen bis 2016 realisiert werden können.

Um so interessanter ist ein Hintergrundsbericht über die Probleme bei der SDOE, der am 26. August in der Sonntagszeitung To Vima erschienen ist. Die Darstellung von Nikos Chasapopoulos stützt sich vor allem auf ein Interview mit Yiannis Diotis. Der frühere Vize-Generalstaatsanwalt war im Mai 2011 während der Papandreou-Regierung zum Chef der SDOE berufen worden, wurde aber am 11. August dieses Jahres überraschend abgelöst.
Die Auskünfte von Diotis sind in drei Punkten besonders brisant. Erstens beklagt er sich über massive Behinderungen seiner Arbeit durch die Regierung, vor allem durch die Verweigerung des nötigen Personals. Immer wieder habe er während seiner 15monatigen Dienstzeit eine Aufstockung seiner Arbeitsgruppe gefordert, aber man habe ihn stets nur mitleidig angesehen – und am Ende das nötige Personal verweigert, erzählte er der Vima. Dabei versuchte Diotis den Politikern klar zu machen, dass sich eine Verstärkung unmittelbar ausgezahlt hätte: Mit nur sechs mehr Mitarbeitern hätte er dem Fiskus allein durch die Kontrolle und Konfiszierung von Yachten (der Steuersünder) 140 Millionen Euro beschaffen können. Mangels Personal blieben bei der SDOE über 1000 „schwere Fälle“ (von Steuerschulden über 300 000 Euro) unbearbeitet.

Zweitens hatte Diotis ein fertiges Konzept entwickelt, wie die SDOE von einem nur ermittelnden zu einem vollziehende Organ umgewandelt werden kann, das zum Beispiel Immobilien und Privatyachten konfiszieren darf. Ihr jetziger Status zwingt die Ermittler, festgestellte Steuerschuldsummen den Finanzämtern zu melden, die die geschuldeten Summen samt Strafgebühren eintreiben soll. Was viel zu selten gelingt. So hat die SDOE in den Jahren 2010 und 2011 Strafbescheide in Höhe von über 5 Milliarden Euro erlassen, von denen die Finanzbehörden nur etwa 50 Millionen (also ein Prozent) einkassieren konnte. (Kathimerini vom 11. August).

Der dritte interessante Punkt betrifft die Umstände der Entlassung von Diotis: Am 11. August beriet der SDOE-Chef mit der Spitze des Finanzministeriums, wie seine Abteilung den Kampf gegen die Steuersünder effektivieren könnte. Zu Beginn dieser Sitzung erklärte Finanzminister Stournaras, der Rückstand bei den staatlichen Einnahmen sei das größte Problem bei der Haushaltssanierung. Und er forderte von der SDOE, endlich mehr Gelder von den Steuern schuldenden Unternehmen einzutreiben. Im Anschluss an die Sitzung, auf der unter anderem neue gesetzliche Regelungen für exekutive Befugnisse der SDOE gefordert wurden, erhielt Diotis von Stournaras genauere Anweisungen über die neue, aggressivere Strategie. Aber als er nach dieser Besprechung in sein Büro zurückkam, berichtete ihm seine Sekretärin, dass die Nachrichten seine Entlassung gemeldet hatten.

Das war eine krasse Brüskierung nicht nur von Diotis, sondern auch von Stournaras. Der von Samaras hinter dem Rücken des Finanzministers ernannte Nachfolger an der Spitze der SDOE heißt Stelios Stasinopoulos und war bislang Leiter der Finanzbehörde in Messenien. Diese Provinz in der südlichen Peleponnes ist die Heimat und der Wahlkreis von Samaras. Was der Personalwechsel für die Arbeit des SDOE bedeutet, wird sich bald zeigen. Klar ist aber, dass der Ministerpräsident ab sofort die Ermittler in Sachen Wirtschaftsverbrechen, die auch für die Untersuchung politischer Korruptionsfälle zuständig ist, durch seinen Spezi Stasinopoulos direkt unter Kontrolle hat.

Dies ist weit mehr als eine schrullige Episode. Das Versagen der Steuerfahndung gehört zu den klassischen Symptomen einer tief verankerten Pathologie der griechischen Politik. Mir fällt dabei der fatalistische Satz ein, den der Athener Gesellschaftskritiker Petros Markaris in seinem letzten Kriminalroman (Peraiosi, deutscher Titel: „Zahltag“) der Tochter des Kommissars Kostas Charitos in den Mund legt. Die promovierte Juristin Katerina, die für ein Taschengeld in einem Rechtsanwaltsbüro arbeitet, erklärt ihren Eltern: „Wir machen uns hier doch alle was vor. Die einen tun so, als ob sie einen Job haben, andere tun so, als ob sie Reformen machen, wieder andere, als ob sie die Gesetze anwenden. Wir leben alle im Als-ob.“

Höhere Heizölsteuern – ein weiterer Fall von „moral hazard“

Eine weitere Als-ob-Geschichte liefert die Erklärung dafür, dass viele Griechen im kommenden Winter frieren werden. Neben den beschlossenen Kürzungen der Einkommen im öffentlichen Sektor und bei den Renten werden ab 15. Oktober fast alle griechischen Einkommensgruppen durch die drastische Erhöhung der Heizölsteuer hart getroffen. Im Vergleich mit dem Vorjahr wird der Liter Heizöl um ca. 40 Prozent teurer (ca 1,45 Euro statt 1,05). Für die durchschnittliche griechische Familie heißt dies, dass sie im kommenden Winter für eine warme Behausung statt 3000 Euro zwischen 4000 und 4500 Euro ausgeben muss. Was es für ärmere Familien und Rentner bedeutet, lässt sich leicht voraussagen. Sollte der Winter streng ausfallen, ist zumal im Norden des Landes mit vielen Erfrierungen zu rechnen.

Die drastische Erhöhung der Heizkosten resultiert aus einem politischen Beschluss: der „Harmonisierung“ der Steuern für Heizöl und Diesel-Kraftstoff. Bislang wurde Heizöl zum privaten Verbrauch – die weitaus üblichste Wärmequelle für Wohnungen – mit einem niedrigen Steuersatz von 60 Euro pro Kiloliter belegt, während ein Kiloliter Dieselkraftstoff mit 412 Euro besteuert wurde. Ab 15. Oktober beträgt der Steuersatz für Heizöl und Diesel einheitlich 329 Euro.

Was die griechischen Politiker zu dieser Steuerharmonisierung getrieben hat, ist ein klassischer Fall von „moral hazard“. Die enorme Differenz zwischen der Besteuerung von Heizöl und Fahrzeugdiesel war jahrelang ein unwiderstehlicher Anreiz für betrügerische Operation im großen Stil: Großhändler kauften Riesenmengen an Heizöl zum niedrigen Steuersatz und verkauften sie als Diesel weiter. Und zwar entweder an ahnungslose Kunden, denen die volle Dieselsteuer in Rechnung gestellt wurde, oder an wissende Abnehmer, mit denen man sich die Steuersummen, um die man den Staat geprellt hatte, brüderlich oder genossenschaftlich teilte. Ein Großabnehmer des derart verbilligtem Heizöl-Diesel war zum Beispiel der Berufsverband der Athener Taxibetreiber, aber auch viele Bauern fuhren ihre Traktoren mit Heizöl. Der einzige Kostenfaktor, der bei der Verwandlung der beiden Flüssigkeiten anfiel, war der Preis der Chemikalien, um das rot gefärbte Heizöl in grüngelb gefärbten Treibstoff umzuwandeln. Dazu braucht man allerdings große Lagervolumen, was ein Indiz dafür ist, dass der Steuerbetrug vor allem von Großhändlern organisiert wurde. Die Auslieferung des umgefärbten Kraftstoffs an die Tankstellen erfolgte dabei in der Regel nachts und durch Tanklaster mit gefälschten Nummernschildern.

Über die Jahre hat dieser großformatige Steuerbetrug riesige Dimensionen angenommen. Angesichts der laufend steigenden Heizölumsätze (um bis zu 30 Prozent, selbst in milderen Winter) gingen die Steuerfahnder 2010 davon aus, dass der öffentlichen Hand pro Jahr bis zu 1,5 Milliarden Euro an Diesel-Steuern vorenthalten wurde (Ta Nea, 24. September 2010). Der Skandal war so offensichtlich, dass im Finanzministerium ein Kontrollystem namens „Iphaistos“ (für Altphilologen: Hephaistos, der Gott des Feuers) entwickelte, dessen Einführung von der konservativen Regierung Karamanlis für den 15. Febuar 2008 geplant war. Es beruhte auf dem Prinzip, dass die Großhändler für die vollen von den Raffinerien bezogenen Heizöl- und Diesel-Mengen zunächst die höhere Treibstoffsteuer abführen mussten. Erst wenn sie genau belegen konnten, wieviel Heizöl sie ausgeliefert haben, wurde ihnen die steuerliche Differenz zwischen Diesel- und Heizölsteuer zurück erstattet. Das war ein aufwendiges Verfahren, das mit Hilfe einer „elektronische Spurenkontrolle“ der Lieferungen und sporadischer Kontrollen der belieferten Heizöl-Bezieher funktionieren sollte.

Dieses Verfahren wurde seit seiner Einführung vom Großhandel, also von der Heizölsteuer-Mafia, systematisch torpediert. Anfang Februar 2008, also auf dem Tiefpunkt der Kälteperiode, drohten die Verbände der Heizöllieferanten einen Lieferstop für Heizöl an, falls die Regierung an dem „überbürokratisierten“ Ifaistos-System festhalte. Der „Streik“ wurde abgewendet, aber in der Folge verweigerten viele Großhandler die Installation der Überwachungstechniken (was nur mit geringen Strafen belegt wurde). Mit dieser Verweigerungsstrategie, die im Herbst 2010 durch die erneute Drohung mit einem Lieferstreik unterstrichen wurde, vermochten sie den Eindruck zu erzeugen, dass das ganze System „nicht praktikabel“ bzw. „gescheitert“ sei. In Ta Nea am 2. September 2010 war zu lesen: „Vertreter des Finanzministeriums stellen fest, dass das System Ifaistos, das erfunden wurde, um die Verteilung des Heizöls in allen einzelnen Etappen…zu verfolgen, seit seiner Einführung 2008 bis heute nie erfolgreich funktionieren konnte.“

Warum das System nicht „erfolgreich“ war, wurde Ende Januar 2012 in einem Bericht des kritischen TV-Magazins „Neue Akten“ (Nei Fakeli) enthüllt. Nach Aussage des damaligen Regierungsbeauftragte für Datensysteme, Andreas Drimiotis, wurden Verdachtsfälle, die seine Dienststelle aufgedeckt und gemeldet hat, vor Ort einfach nicht weiter untersucht. Die mangelnde Unterstützung auf unterer Ebene beklagte in derselben Sendung der Informatik-Professor Diomides Spinellis, ehemals Generalsekretär für Informationssysteme im Finanzministerium: „Es gab einen regelrechten Widerstand gegen die richtige Nutzung des Systems.“ Eifrige und loyale Ermittler hätten keine Unterstützung gefunden, deshalb seien viele Verdachtsfälle ohne substantielle Kontrolle einfach abgeschlossen worden (Kathimerini vom 31. Januar 2012).

Die Diskreditierung und am Ende die Abschaffung des Ifaistos-Systems ist für Spinellis eindeutig das Resultat von „politischen Interventionen“ zugunsten der Großlieferanten, nachdem klar geworden war, „dass die effektive Anwendung des Systems den Betrügerbanden das Handwerk gelegt hätte“. Das Hauptinteresse des Finanzministeriums war angesichts der Sparzwänge allerdings, die Einnahmeverluste aus dem Heizölsteuer-Betrug auszugleichen. So kam es zu dem Beschluss, einfach die Heizölsteuer der Dieselsteuer anzupassen – zu Lasten der griechischen Verbraucher. Letzten Endes ist also die Unfähigkeit, den „moral hazard“ für die Steuerbetrüger durch ein Kontrollsystem zu beseitigen, dafür verantwortlich, dass die Bevölkerung bei ständig schrumpfenden Einkommen auch noch mit drastisch erhöhten Heizölkosten belastet wird.

Das abermalige Versagen der politischen Klasse

Das Versagen beim Eintreiben der Steuerschulden und das Versagen im Kampf gegen eine betrügerische Heizöl-Mafia sind nur zwei exemplarische Beispiele für die Unfähigkeit der griechischen Bürokratie und der politischen Klasse, notorische Schwachstellen im Funktionieren des Staates zu beseitigen, die den Zustand der öffentlichen Finanzen unmittelbar beeinflussen. Denn die Gelder, die der Fiskus nicht eintreiben kann, werden unter dem Sparkuratel der Troika der breiten Bevölkerung abgepresst, in Form von höheren Steuern und von – häufig linearen – Lohn- und Rentenkürzungen.

Es ist nicht nur die schiere Belastung durch die scheinbar endlose Folge von Sparbeschlüssen, die den Großteil der Bevölkerung in die Verzweiflung treibt. Es ist auch die Unfähigkeit einer abgenutzten politischen Klasse, die elementaren Aufgaben wahrzunehmen, die ein bürgerlicher Staat nun einmal zu erledigen hat. Diese politische Klasse bringt nicht einmal mehr symbolische Aktionen zustande, die den Bürgern eine minimale Bereitschaft zu politischen Kulturwandel andeuten könnte.

Dazu ein frisches Beispiel: Der ND-Politiker Vyron (Byron) Polydoras nutzte den einzigen Tag, an dem er als Präsident des nach den Wahlen im Mai 2012 sofort wieder aufgelösten Parlaments amtierte, um seiner Tochter eine feste und gut bezahlte Anstellung in seinem Präsidentenbüro zu verschaffen. Diese Geschichte kam erst im August ans Licht. Aber trotz des Image-Schadens für die Partei des Ministerpräsidenten Samaras wurde Polydoras nicht aus der Nea Dimokratia ausgeschlossen. Wahrscheinlich ahnten seine Kollegen, das der sorgende Vater nicht bereit war, den einsamen Sündenbock abzugeben. Polydoras hat inzwischen ein Buch verfasst, in dem er andeutet, was er auszuplaudern imstande wäre. In der Presse wurde folgende Passage zitiert: 2009 habe ein wichtiger Minister in seinem Ministerium mehreren Leuten „nach dem reinen Leistungsprinzip“ eine Dauerposition verschafft, die „ein gemeinsames Leistungsmerkmal hatten, dass sie nämlich aus dem Wahlbezirk des unbestechlichen Ministers stammen“. Polydoras schreibt weiter, derselbe „tadellose Politiker“ habe 2012 „nunmehr in anderer Funktion“, mehr als 15 Leuten derselben lokalen Herkunft in der Parlamentsverwaltung untergebracht.

Die anonyme Drohung des Polydoras ist gut gezielt. Anfang 2009 waren mehrere Minister neu in die Karamanlis-Regierung berufen wurden. Die angedeutete Enthüllung könnte als etliche der damaligen Frischlinge betreffen. Aber wen Polydoras speziell im Visier hat, das ist in Athen ein überaus offenes Geheimnis, obwohl keine Zeitung es schreiben würde. Gemeint ist der heutige ND- und Regierungschef Antonis Samaras, den Karamanlis damals zum neuen Kulturminister berufen hatte. In dem Zusammenhang erinnert man sich in Athen an die Geschichte, die Anfang 2009 kurz nach dem Amtsantritt von Samaras die Runde machte: Wenn man das neu eröffnete Akropolis-Museum besuchte, war nicht zu überhören, dass sich beim Bedienungspersonal des stark frequentierten Museum-Restaurants auf einmal der Dialekt von Kalamata breit machte. Kalamata ist die Hauptstadt von Messenien, und Messenien ist der Wahlbezirk von Samaras.(Zur Klarstellung nebenbei: Natürlich kümmert sich ein Minister nicht um die Posten von Kellnern in einem Museums-Restaurant, aber die lokalen Spezis, die er in seine Umgebung beruft, haben ihrerseits ihre lokale parteipolitische Klientel zu bedienen).

Eine Regierung der nationalen Misere

Die heutige griechische Regierung wird also von einem Politiker geführt, der es nicht wagt, einen Parteifreund abzustrafen, der wegen Vetternwirtschaft den Volkszorn auf sich gezogen hat, weil dieser Parteifreund mit Enthüllungen über die Vetternwirtschaft des Regierungschefs drohen kann. Auch dies ist mehr als eine komische Episode. Denn die neue Regierung ist immerhin aus der Wahl vom 17. Juni hervorgegangen, die von den Euro-Partnern Griechenlands zur Richtungsentscheidung über das weitere Schicksal des Landes ausgerufen wurde. Das Ergebnis dieser Wahl, meint ein griechischer Kollege im Gespräch, erscheint im Rückblick wie die Ausgeburt einer politischen Schizophrenie: „Dieselben Parteien, die uns den ganzen Mist eingebrockt haben, posieren jetzt als ‚Regierung der nationalen Rettung’. Und das mit dem Segen unserer europäischen Mentoren und Tugendwächter, die den Griechen dringend nahegelegt haben, ausgerechnet die Parteien zu wählen, die sie selbst als Urheber unserer Misere benannt haben!“

Der Stimmungsaufschwung, der auf die Wahl vom 17. Juni folgte, ist längst in sich zusammengebrochen. Das zeigen die letzten Resultate der letzten Umfragen, die in der ersten Septemberhälfte gemacht wurden. Das neue Sparprogramm lehnen rund 90 Prozent der Befragten ab. 79 Prozent sind mit der Regierung unzufrieden. Bemerkenswert ist dabei, dass sogar 85 Prozent mit der Opposition (also mit der Linkspartei Syriza) unzufrieden sind. Insgesamt erklärt eine deutliche Mehrheit der Befragten (54 Prozent), dass sie keiner der politischen Parteien vertrauen. Wenn allerdings die Griechen demnächst wählen müssten (was nicht zu erwarten ist), würde nach den aktuellen Umfragen die Nea Dimokratia wieder knapp vor der Syriza liegen, während die ND-Koalitionspartner Pasok und Dimar schwächer abschneiden würden als vor drei Monaten. Klar im Aufwind befindet sich dagegen die faschistische Partei Chrysi Avghi, die der Pasok den Rang als drittstärkste Partei ablaufen würde. Auch dies ist ein Zeichen an der Wand, das die europäischen Partner Griechenlands ernsthaft zur Kenntnis nehmen sollten.
Diese Umfragen, aber auch das Misstrauen gegen die Syriza werde ich in einem kommenden Beitrag zu erklären versuchen. Hier bleibt mir nur eine elegische Nachbetrachtung: Wer dieser Tage in Athen herum wandert, wird früher oder später an einer Brandmauer oder auf einer leeren Reklamefläche einen gezackten Schriftzug entdecken, der aus einem einzigen Wort besteht. Das Wort liest sich „lathos“, was „Fehler“ heißt. Aber das Graffiti enthält selbst einen Fehler: als vorletzter Buchstabe steht statt des einfachen O (Omikron) ein Ω (Omega, der Schlussstein des griechischen Alphabets; das Foto ist zu betrachten unter der Adresse: i-jukebox.gr).

Das Graffiti ist als aktuelle philosophische Aussage gemeint. Selbst das Wort Fehler ist bei uns fehlerhaft, will es sagen. Es gibt kein richtiges Leben im falschen, würde ein deutscher Adornist die Botschaft übersetzen.

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!