Austerität auf Französisch – Vom Einknicken eines Hoffnungsträgers

Jens Berger
Ein Artikel von:

Als im Mai der Sozialist François Hollande die französischen Präsidentschaftswahlen gewann und Merkels wichtigsten Verbündeten in der EU, Nicolas Sarkozy, aus dem Amt jagte, konnte man hoffen, dass der Widerstand gegen die Austeritätspolitik in ganz Europa Auftrieb erhalten würde, hatte Hollande im Wahlkampf doch angekündigt, er würde eine Neuverhandlung des Fiskalpakts – in Frankreich als “Merkozy-Pakt” verschrien – durchsetzen und nicht akzeptieren, dass dem Land ein Spardiktat aufgezwungen würde. Vor allem in den südeuropäischen Krisenstaaten, die tief in der durch die verordnete Sparpolitik verursachten Krisenspirale stecken, war die Hoffnung groß, im neuen französischen Präsidenten einen Verbündeten gewonnen zu haben, der die Forderung nach Lockerung oder gar Beendigung der untragbaren Austeritätspolitik unterstützen würde. Fünf Monate nach Hollandes Amtsantritt ist nun die Enttäuschung bei den Gegnern der Austeritätspolitik in- und außerhalb Frankreichs groß. Ein Gastartikel von Rolf Sawala.

Hollande ist bereits auf dem EU-Gipfel zum Fiskalpakt in Juni eingeknickt: Zwar hat er erreicht, dass der Pakt um einen sog. Wachstumspakt erweitert wurde: Aber der erweist sich bei näherem Hinsehen als Mogelpackung, bestehen doch die beschlossenen wachstumsfördernden Investitionen in Höhe von 130 Mrd. Euro im wesentlichen aus längst beschlossenen EU-Strukturhilfen und aus Kreditversprechen der Europäischen Investitionsbank für Public-Private-Partnerships, von denen fraglich ist, ob sie überhaupt von privaten Investoren abgerufen werden. Die Effekte dieser Maßnahmen für die Konjunktur dürften bei Null liegen. Die wesentliche Funktion dieses Mogelpakts war es denn auch, Hollande ohne Gesichtsverlust die Zustimmung zum Fiskalpakt zu ermöglichen, konnte er doch so darauf verweisen, er habe die einseitige Austeritätspolitik zurückgekämpft.

Sozialverträgliche Kürzungen?

In Frankreich macht sich nicht nur bei den Wählern der linken Opposition des Wahlbündnisses der „Linksfront“, sondern bis weit ins eigene sozialistische Lager hinein Ernüchterung breit. In den Umfragen ist die Popularität Hollandes abgestürzt. Nur noch 26% der Franzosen glauben, dass er die Krise, die er von seinem Vorgänger Sarkozy geerbt hat, besser lösen kann als dieser, und am vergangenen Sonntag fand in Paris die erste Demonstration gegen den Sozialisten Hollande statt, der den „Wechsel“ versprochen hatte. Zwar hatte Hollande zunächst rasch einige populäre Wahlversprechen in Angriff genommen: Die Rente mit 60 wurde für alle Versicherten ab 41 Beitragsjahren wieder eingeführt, der Mindestlohn wurde leicht angehoben, eine Extrasteuer für Reiche eingeführt. Aber im Laufe des Sommers verschlechterten sich die ökonomischen Rahmendaten rapide: Ende Juni hatte der französische Rechnungshof Alarm geschlagen und verschärfte Sparanstrengungen schon in diesem Jahr gefordert, weil er angeblich ein zusätzliches Haushaltsloch von 10 Mrd. Euro entdeckt hatte. Für 2013 forderten die Beamten Einsparungen von 33 Mrd. Euro, wolle Frankreich das Defizitkriterium des Stabilitätspakts von 3% des BIP, wie noch von Sarkozy versprochen, einhalten.

Inzwischen haben sich die konjunkturellen Hiobsbotschaften gehäuft: Die Arbeitslosigkeit hat im September die drei Millionen-Marke überschritten, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei fast 25%. Gerade erst hat der Autobauer Peugeot kurz vor Eröffnung des Pariser Automobilsalons die Schließung eines Werkes und die Entlassung von 8000 Beschäftigten angekündigt. Die Wirtschaft stagniert seit neun Monaten und dürfte im dritten Quartal geschrumpft sein, und für das kommende Jahr hat die Regierung ihre Erwartung für das Wirtschaftswachstum von 1,2 auf 0,8% reduziert – Ökonomen halten das noch für zu optimistisch. Frankreich steht am Rande der Rezession.

Das ist die Lage, in der die Regierung von Premierminister Ayrault am vergangenen Freitag den Haushaltsentwurf 2013 in die Nationalversammlung eingebracht hat. Er sieht Einsparungen in nie gekannter Größenordnung, nämlich in Höhe von 30 Mrd. Euro vor. Damit soll das Haushaltsdefizit von 4,5% in diesem Jahr auf 3% im kommenden Jahr zurückgeführt werden – trotz Rekordarbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise. Die sozialistische Regierung will so das noch von Sarkozy gegenüber seinen EU-Partnern gegebene Versprechen einlösen. Premierminister Ayrault sprach bei der Vorlage des Haushaltsentwurfs von einem „Kampfbudget“, mit dem die Schuldenspirale durchbrochen werden soll.

Man muss der Regierung Ayrault zugute halten, dass der Löwenanteil der vorgesehen Einsparungen durch Steuererhöhungen zu Lasten von wohlhabenden Haushalten und Großunternehmen erbracht werden soll, die mit jeweils 10 Mrd. Euro zur Kasse gebeten werden. So wird der Spitzensteuersatz für Einkommen über 150.000 Euro von 42 auf 45% angehoben. Einkommen über 1 Mill. Euro werden darüber hinaus für zwei Jahre mit einer Solidaritätsabgabe von 75% belegt. Das sind zweifelsohne Maßnahmen, von denen man in Deutschland nur träumen kann, ebenso wie von der beschlossenen Anhebung der Vermögenssteuer und der Angleichung der Besteuerung von Kapitaleinkommen und Arbeitseinkommen. Ayrault und sein Finanzminister Moscovici werden denn auch nicht müde zu beteuern, dass der neue Haushalt sozial gerecht sei und dass 90% der Haushalte von den Steuererhöhungen nicht betroffen seien. Die von den Unternehmen aufzubringenden 10 Milliarden treffen in erster Linie Großunternehmen, so die eingeschränkte steuerliche Abzugsfähigkeit von Kapitalaufwendungen und die Begrenzung der Steuerbefreiung beim Verkauf von Unternehmensanteilen. All das trägt klassische sozialdemokratische Handschrift. Die zehn Milliarden, die der Staat bei seinen Ausgaben einsparen soll, sollen auch nicht durch Kürzungen erbracht werden, sondern durch Einfrieren der Staatsausgaben. Wie von Hollande im Wahlkampf versprochen, sollen sogar trotz der Deckelung der Ausgaben 11.000 neue Stellen im Schuldienst, bei der Polizei und der Justiz geschaffen werden, dafür werden aber, um die „Sparziele“ zu erreichen, in anderen Ressorts im kommenden Jahr über 12.000 Stellen wegfallen. Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst müssen sich darüber hinaus darauf einstellen, dass ihre Gehälter im kommenden Jahr eingefroren werden, denn die globale Lohnsumme für den öffentlichen Dienst soll nur um 0,25% steigen.

Gegenwind von rechts und links

Wie zu erwarten war, laufen Konzerne und Wohlhabende Sturm gegen die geplanten Steuererhöhungen. Die bürgerliche Opposition schäumt und fordert, dass der Staat, statt die Steuern zu erhöhen, seine Ausgaben stärker zurückfahren solle. Das war nicht anders zu erwarten. Auch die Ankündigung des reichsten Franzosen, wegen der Steuerhöhungen die belgische Staatsangehörigkeit annehmen zu wollen, hat in der Presse weitgehend Häme ausgelöst. Aber dennoch: auch das eigene Lager nimmt den Haushaltsentwurf nur zähneknirschend hin. Denn es erscheint mehr als fraglich, ob die Regierung, wie von Ayrault beteuert, es schaffen wird, die Neuverschuldung wie vorgesehen abzubauen, ohne das Wirtschaftswachstum abzuwürgen. Ein Einfrieren der Staatsausgaben mitten in einem krisenhaften Kontext kann nicht ohne Auswirkung auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage bleiben. Die 30 Milliarden, die insgesamt durch Steuererhöhungen und Einfrieren staatlicher Ausgaben zusammenkommen sollen, entsprechen immerhin 1,5% des französischen BIP – das ist mehr als das Doppelte der Größenordnung, mit der die deutsche Bundesregierung in den Jahren vor der Finanzkrise den Bundeshaushalt zu sanieren versuchte – mit fatalen Folgen für das Wachstum. Französische Ökonomen warnen daher fast einhellig davor, dass derartige Einschnitte das Land unweigerlich in die Rezession führen würden. Das Erreichen der 3%-Grenze halten Ökonomen aller Lager angesichts des schwachen Wachstums für unrealistisch, so dass neue zusätzliche Sparmaßnahmen beschlossen werden müssten. Frankreich wird damit, so die Kritik, in eine ähnliche Sparfalle geraten wie Griechenland und Spanien. Doch die Regierung Ayrault hat alle Forderungen, die Reduzierung des Defizits zeitlich zu strecken, zurückgewiesen und will um jeden Preis schon im kommenden Jahr die Neuverschuldung auf 3% drücken. Zu groß ist die Angst bei den regierenden Sozialisten, dass bei einem Abrücken von den strengen Sparzielen die Finanzmärkte das Land mit ähnlich hohen Strafzinsen wie Griechenland und Spanien in die Knie zwingen würden.

Mag man beim Budget 2013 immerhin noch das Bemühen der Regierung anerkennen, die Kosten der Haushaltssanierung vor allem den „Reichen“ aufzubürden und damit negative Folgen auf das Wachstum so gering wie möglich zu halten, auch wenn diese Folgen kaum zu vermeiden sein werden, so ist vollends fraglich, wie das beim Fiskalpakt gelingen soll, der dem Land eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild aufzwingt und dessen Beratung diese Woche im Parlament begonnen hat. Der grüne Koalitionspartner hat deshalb bereits angekündigt, dem Fiskalpakt nicht zustimmen zu wollen – und sich dafür die Schelte Daniel Cohn-Bendits zugezogen, der aus Protest seine Mitgliedschaft bei den französischen Grünen ruhen lassen will. Allerdings ist die sozialistische Regierung auf die 20 Stimmen des grünen Koalitionspartners in der Nationalversammlung nicht angewiesen. Auch wenn noch einige Abgeordnete der eigenen Partei sowie die Fraktion der „Linksfront“ dem Fiskalpakt ihre Zustimmung verweigern, wird die Mehrheit für die Ratifizierung mehr als ausreichend sein, denn die bürgerliche Opposition wird den von Sarkozy ausgehandelten Pakt auf jeden Fall passieren lassen. Zwar setzt die Regierung, wie der Parteisprecher der Sozialisten erklärte, alles daran, um eine eigene „linke Mehrheit“ für den Fiskalpakt zu erreichen, aber am wichtigsten, so der Sprecher, sei es, dass der Pakt überhaupt angenommen wird.

Demonstrationen für einen Volksentscheid

Angesichts der Mehrheitsverhältnisse in der Nationalversammlung streben die Gegner des Fiskalpakts nunmehr an, die Ratifizierung durch eine Volksabstimmung zu verhindern. Mehrere zehntausend Menschen, mehr als 80.000 nach Angaben der Veranstalter, demonstrierten am Sonntag unter dieser Forderung in Paris. Aufgerufen zu der Demonstration hatte ein Aktionsbündnis von insgesamt 60 Organisationen unter Führung der „Linksfront“, deren Kandidat Jean Luc Mélenchon im 1. Wahlgang der Präsidentschaftswahlen auf 11,1 % der Stimmen gekommen war. Im Aufruf zur Demonstration hieß es: „Dieser Vertrag zwingt ganz Europa zur Austerität und zur Unterwerfung unter das Finanzkapital. Nicht mehr die vom Volk gewählten Regierungen bestimmen dann die Haushaltspolitik der Staaten, sie wird vielmehr dem Diktat der EU-Kommission unterworfen.“

Die Demonstration in Paris war aber nicht nur Protest gegen den Fiskalpakt, sie war auch gleichzeitig Protest gegen den sozialistischen Präsidenten, der sicher von der großen Mehrheit der Demonstranten gewählt worden war. So hieß es im Aufruf weiter:

„Im Januar 2012 wollte der Präsidentschaftskandidat François Hollande noch das Finanzkapital bekämpfen, das er als eine Bedrohung für die Demokratie bezeichnete. Stattdessen hat er jetzt diesen Vertrag unterschrieben, der im Nachhinein Nicolas Sarkozy Recht gibt! Dafür haben wir nicht Sarkozy aus dem Amt gejagt. (…) Dieser Pakt verschärft die Folgen der weltweiten Wirtschaftskrise. Es werden die Bürgerinnen und Bürger sein, die die Folgen der Bankenspekulation bezahlen müssen.“

In einer gemeinsamen Erklärung unterstützten führende Vertreter der europäischen Linken die Demonstranten, darunter Alexis Tsipras vom griechischen Parteienbündnis Syriza, José Luis Centella, der Vorsitzender der spanischen Kommunisten, und Bernd Riexinger, Co-Vorsitzender der „Linken“.

Wie realistisch aber ist die Perspektive, die französische Zustimmung zum Fiskalpakt mittels einer Volksabstimmung, wie von den Demonstranten gefordert, zu verhindern? Die französische Verfassung kennt – anders als die deutsche – durchaus das Instrument der Volksabstimmung. Schon zweimal gab es in Frankreich eine Volksabstimmung über die Gestaltung der EU: der Maastricht-Vertrag wurde nur mit knapper Mehrheit angenommen, der Lissabon-Vertrag über die europäische Verfassung wurde in einer Volksabstimmung abgelehnt. Grundsätzlich ist also eine Volksabstimmung durchaus ein denkbarer Weg, den Fiskalpakt zurückzuweisen, zumal die Bevölkerung in Frankreich – anders als die vom neoliberalen Mainstream der Medien geprägte deutsche Öffentlichkeit einer einseitigen Sparpolitik zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger kritischer gegenübersteht. Austerität ist in Frankreich ein negativ besetzter politischer Begriff. Während die Diskussion in Deutschland vor allem um die Frage der deutschen Haftung für Schulden anderer Staaten kreist und viele Menschen sich darüber ereifern, dass die „Südländer“ nicht genug sparen, wird in den französischen Medien die Diskussion um die verhängnisvollen Folgen der Austeritätspolitik sehr viel offener geführt. Dennoch erscheint Skepsis geboten, was die Erfolgsaussichten eines Referendums über den Fiskalpakt angeht:

Die französische Verfassung, die dem Staatspräsidenten generell eine starke Stellung einräumt, sieht keine Möglichkeit vor, ein Referendum etwa durch ein Volksbegehren zu erzwingen. Die Entscheidung über eine Volksabstimmung liegt also allein beim Präsidenten – und es ist kaum vorstellbar, dass Hollande sich darauf einlässt. Zwar ist der Fiskalpakt für die Zukunft Europas und Frankreichs von so entscheidender Bedeutung, dass die Forderung nach einer Volksabstimmung sich gut begründen lässt. Aber Hollande möchte die öffentliche Diskussion über den Fiskalpakt so schnell wie möglich beenden und wird deshalb alles daran setzen, mit einem Parlamentsbeschluss vollendete Tatsachen zu schaffen. Die gleiche Logik, die ihn dazu gebracht hat, aus Angst vor der Reaktion der Finanzmärkte dem Fiskalpakt entgegen seinen ursprünglichen Wahlversprechen zuzustimmen, wird ihn auch davon abhalten, sich auf die Unwägbarkeit einer Volksabstimmung einzulassen. Die hinter den Demonstranten in Paris stehenden Organisation hoffen zwar, in den kommenden Wochen die Öffentlichkeit soweit zu mobilisieren, dass Hollande sich dem Druck beugt und ein Referendum zulässt, doch erscheint dies wenig realistisch. Und selbst wenn dies gelänge: nach letzten Umfragen sind derzeit 64% der Franzosen für die Verabschiedung des Fiskalpakts – sicherlich weniger als in Deutschland, aber eben doch genug. Im Zweifel würde also vermutlich auch bei einer Volksabstimmung das bürgerliche Lager dem von noch von ihrem Präsidenten ausgehandelten Pakt zu einer Mehrheit verhelfen.

Widerstand der Ökonomen

Es sieht also ganz danach aus, dass Frankreich der zehnte Staat sein wird, der den Fiskalpakt ratifiziert (zum Inkrafttreten reicht ein Quorum von 12 Staaten). Der Rückhalt Präsident Hollandes im eigenen Lager aber dürfte damit schwer angeschlagen sein. „Jetzt kommt der Wechsel “ lautete Hollandes Wahlslogan, der an Barrack Obamas „Yes, we can“ vor vier Jahren erinnert. Und ganz ähnlich wie Obamas Gesundheitsreform, seine Umweltschutzpläne und seine Pläne zur Bankenregulierung im geballten Trommelfeuer von Lobbyeinflüssen, konservativen Medien und Blockadepolitik der republikanischer Hardliner stecken blieben oder weitgehend verwässert wurden, droht jetzt Hollande bei der Umsetzung seiner Wahlversprechen zu scheitern, zwar nicht wie Obama am Widerstand der Gegner, dafür aber an der Unmöglichkeit, das Land aus der Krise zu führen, wenn er sich durch den Fiskalpakt zu fiskalpolitischer Handlungsunfähigkeit zwingen lässt. Das Land aus der Krise zu sparen, das gelingt weder in Griechenland, Portugal, Spanien noch Italien, und es wird auch in Frankreich nicht gelingen. Davor warnen auch mehr als 120 französische Ökonomen in einem Manifest, das am Tag, an dem der Fiskalpakt in die Nationalversammlung zur Beratung eingebracht wurde, in der Tageszeitung Le Monde erschien (Übersetzung im Anhang). Allein, die Hoffnung ist gering, dass ihr Aufruf ein Umdenken bei Politikern bewirkt, die sich der Logik der Finanzmärkte unterwerfen.

Anhang: Aufruf eines Kollektivs von mehr als 120 Ökonomen, veröffentlicht in Le Monde vom 2. Oktober 2012.

Seit 2008 sieht sich die Europäische Union einer nie gekannten Wirtschaftskrise ausgesetzt. Anders als neoliberale Ökonomen glauben machen wollen, ist diese Krise keine Staatsschuldenkrise. Spanien und Irland sind heute den Attacken der Finanzmärkte ausgesetzt, obwohl diese Länder stets die Maastricht-Kriterien eingehalten haben. Der Anstieg der Staatsverschuldung ist eine Folge des Einbruchs der Steuereinnahmen(hervorgerufen teilweise durch Steuergeschenke an die Reichen), der staatlichen Hilfe für private Banken sowie der Inanspruchnahme der Finanzmärkte, um diese Schulden zu exzessiven Zinssätzen zu bedienen.

Die Krise entspringt auch dem völligen Fehlen einer Regulierung des Kredits und der Kapitalströme zu Lasten der Beschäftigung, der öffentlichen Dienstleistungen und der Produktion. Sie wird von der Europäischen Zentralbank (EZB) am Laufen gehalten, die bedingungslos die privaten Banken unterstützt und jetzt von den Staaten eine „strikte Konditionalität“ der Austeritätspolitik fordert, damit sie ihre Rolle als „Kreditgeber der letzten Hand“ wahrnimmt. Diese Krise wird des weiteren verschärft durch innereuropäisches Steuerdumping und durch das Verbot für die EZB, den Staaten direkt Kredite zur Finanzierung von Zukunftsausgaben zu gewähren – im Gegensatz zu anderen Zentralbanken auf der Welt wie etwa der amerikanischen Federal Reserve. Schließlich wird die Krise auch verschärft durch die extreme Schwäche des EU-Haushalts und seine Deckelung auf die lächerlich niedrige Schwelle von 1,24% des BIP.

François Hollande, der sich während der Präsidentschaftskampagne verpflichtet hatte, den Fiskalpakt neu zu verhandeln, hat keinerlei Veränderung bewirkt und hat sich dazu entschlossen, die Austeritätspolitik fortzusetzen, die von seinen Vorgängern begonnen wurde. Das ist ein tragischer Fehler. Die Ergänzung durch einen Pseudo-Wachstumspakt mit lächerlichen Summen verbrämt lediglich (?) eine von Merkel und Sarkozy durchgesetzte Schuldenbremse, die jegliche staatliche Finanzierung von Zukunftsausgaben verhindert und zu einem Programm drastischer Einsparungen bei allen öffentlichen Aufgaben führt.

Indem dieser Vertrag die Möglichkeit der Staaten, ihre Volkswirtschaften anzukurbeln, mehr als je zuvor einschränkt und indem er einen ausgeglichenen Haushalt vorschreibt, führt er unweigerlich in die Rezession und verschärft automatisch die bestehenden Ungleichgewichte. Staaten, die unter dem Zusammenbruch der Binnennachfrage leiden, müssen ihre staatlichen Ausgaben noch stärker zurückfahren. In mehreren EU-Staaten, die sich bereits in der Rezession befinden, bedroht diese Logik noch zusätzlich ihre Produktion und ihren Arbeitsmarkt – und damit ihre Steuereinnahmen, wodurch sich die Defizite am Ende noch vergrößern. So prognostiziert das Konjunkturforschungsinstitut OFCE aufgrund der Austeritätspolitik bereits jetzt 300.000 zusätzliche Arbeitslose in Frankreich für 2013. Auf mittlere und längere Sicht wird dadurch der soziale und ökologische Wandel, der beträchtliche Investitionen erfordert, in Frage gestellt.

Im Namen einer angeblichen „europäischen Solidarität“ schreibt der Fiskalpakt in Wirklichkeit die staatliche Garantie für große private Vermögen fest. Er meißelt automatische Austeritätsmaßnahmen in Stein, die die vom Volk gewählten Abgeordneten absegnen müssen, und erzwingt auf diese Weise Haushaltsentscheidungen, die von einer nicht vom Volk gewählten Instanz diktiert werden.

Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), eine antidemokratische Institution par excellence, darf Kredite zu etwas geringeren Zinsen (5%) gewähren. Aber diese Kredite sind an die Durchführung einer drastischen Austeritätspolitik gebunden, die den Bürgern aufgezwungen wird! Die staatliche Bürgschaft für private Investoren ermuntert die Spekulation, statt ihr das Genick zu brechen, indem man ihr die öffentlichen Schulden entreißt. Es gilt uneingeschränkt festzuhalten: Austerität ist zugleich ungerecht, unwirksam und antidemokratisch.

Alternativen sind möglich. Die Zukunft Europas erfordert eine demokratische Debatte über die Auswege aus der Krise. Eine koordinierte Ausweitung der Produktion, der Beschäftigung und der öffentlichen Dienstleistungen in Europa wäre heute möglich.

Damit die EU eine solche Politik in Angriff nimmt, ist es dringend erforderlich, die europäischen Institutionen zu reformieren und zu demokratisieren. Ein Europäischer Fonds für soziale und ökologische Entwicklung unter demokratischer Kontrolle könnte diese Dynamik entfalten. Weiterhin könnte die EU eine Finanzkontrolle einrichten.

Die sozialen und ökologischen Herausforderungen sind immens. Es ist möglich, die düstere Bilanz der neoliberalen Politik in Frankreich mit 5 Millionen Arbeitslosen und 10 Millionen Armen aufzubrechen. Um sich dafür die Mittel zu verschaffen, muss man die Zwangsjacke der Finanzmärkte ablegen und sich nicht von ihnen abhängig machen. Deshalb lehnen wir die Ratifizierung des Vertrags über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (Fiskalpakt) ab!

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