Der SPIEGEL und die Inflation

Jens Berger
Ein Artikel von:

Immer wenn man denkt, es geht nicht schlimmer, weiß der SPIEGEL einen in steter Regelmäßigkeit vom Gegenteil zu überzeugen. Vom Online-Ableger des ehemaligen Nachrichtenmagazins ist man in Sachen Niveau-Limbo ja schon einiges gewohnt. Mit der Titelgeschichte „Vorsicht Inflation!“ – Unterzeile „Die schleichende Enteignung der Deutschen“ – hat die alt-ehrwürdige Print-Mutter der boulevardesken Online-Tochter im Wettbewerb um den schlechtesten Wirtschafts-Artikel jedoch nun den Kampf angesagt. Von Jens Berger

Als Journalist hat man es nicht leicht, wenn die Chefredaktion anruft und sagt, man solle doch mal einen echten Knaller zum Thema „Inflation“ schreiben, so dass die Leser einem das Blatt förmlich aus der Hand reißen. Seit Einführung des Euro liegt die Inflationsrate in Deutschland bei bescheidenen 1,6% und auch für die nähere Zukunft sehen selbst die Inflationswarner der EZB noch nicht einmal ein Inflationswölkchen am Horizont. Dass passt natürlich so ganz und gar nicht ins Bild der schreibenden Zunft, schließlich hat man doch über Jahre hinweg von den Personen, die man selbst zu Koryphäen hochgeschrieben hat, gehört, dass auf eine Geldpolitik der quantitativen Lockerung, wie sie nun schon seit Beginn der Finanzkrise von den großen Notenbanken verfolgt wird, auch zwingend eine Inflation folgen muss. Nun könnte es freilich ja auch sein, dass diese „Koryphäen“ falsch liegen, aber dann müsste man sich als Journalist ja schlussendlich auch eingestehen, dass man selbst jahrelang von Scharlatanen benutzt wurde und die Leser mit Unwahrheiten in die Irre geführt hat. Da nicht sein kann, was nicht sein darf, hat sich der SPIEGEL nun „folgerichtig“ entschieden, in die Vorneverteidigung zu gehen und seinen Lesern zu erklären, warum sie bereits jetzt durch die EZB-Politik „schleichend enteignet werden“. Man kann sich bereits denken, was dabei herausgekommen ist.

SPIEGEL: Vorsicht, Inflation

Wir basteln uns eine Inflation

Es gibt zwei Bereiche, in denen in letzter Zeit in der Tat höhere Preissteigerungen feststellbar sind – bei den Kosten für Energie und bei verschiedenen Anlageprodukten. Selbst der SPIEGEL hat es erwartungsgemäß nicht geschafft, einen „Ökonomen“ aufzutreiben, der einen schlüssigen Zusammenhang zwischen dem Persilschein, den die Stromoligopolisten durch die Privatisierung erhalten haben, und der EZB-Politik herzustellen. Bei der „Preisrallye“ am Ölmarkt sieht es kaum besser aus. Die spekulationsbedingten Preissteigerungen sind nun einmal nur schwerlich mit Mario Draghis Anleihenkaufprogrammen in Verbindung zu bringen. Für die Hauptfaktoren, die dafür sorgen, dass die Verbraucherpreise in Deutschland überhaupt den EZB-Schwellenwert von 2,0% tangieren, ist demnach selbst mit größten intellektuellen Verdrehungen kein Zusammenhang mit der EZB-Politik herzustellen.

Vermeintlich anders sieht es bei den Preissteigerungen für Anlageprodukte aus. Es ist nicht abzustreiten, dass wir momentan Zeuge einer echten „Asset Inflation“ sind – nicht nur die Preise für bestimmte Immobilien, auch die Preise für Edelmetalle und Kunstwerke steigen unaufhörlich. In einer tiefen wirtschaftlichen Krise wäre alles andere auch erstaunlich. Zu den Nebeneffekten einer Wirtschaftskrise gehört nun einmal, dass sowohl von den Privathaushalten wie von den Unternehmen weniger Kredite nachgefragt werden, und wo weniger investiert wird, gibt es naturgemäß auch weniger realwirtschaftliche Investitionsmöglichkeiten. Banken genießen mittlerweile die Vertrauenswürdigkeit eines Hütchenspielers und leihen sich noch nicht einmal mehr untereinander Geld, warum sollten Privatleute ihnen dann Geld leihen? Im klassischen Anlagesektor bleibt da eigentlich nur die festverzinste Staatsanleihe übrig. Anleihen aus Staaten, die als sicher und solvent gelten, sind momentan derart gefragt, dass in vielen Fällen sogar reale Negativzinsen verlangt werden können. Und da die europäische Politik sich beharrlich weigert, die Sicherheit von Anleihen der südeuropäischen Staaten zu garantieren, gelten diese zu recht als unsicher. Dies führt dazu, dass Vermögende ihre freien Geldmittel auch aus Mangel an Alternativen in sogenannte „Sachwerte“ stecken und die Preise für diese Anlagen nach den Regeln von Angebot und Nachfrage steigen.

Dabei ist die Erklärung doch eigentlich sehr einfach

Mit der EZB-Politik hat diese „Asset Inflation“ jedoch herzlich wenig zu tun. Zumindest mir ist kein Fall bekannt, in dem eine spanische Bank die Kredite aus dem LTRO-Fenster der EZB dafür verwendet hätte, einen echten Rubens fürs Portfolio zu erwerben. Auch der SPIEGEL scheint trotz sicherlich intensiver Recherche hier keinen Zusammenhang gefunden zu haben. Daher interpretiert er die steigenden Preise für Anlageprodukte als „Schutz vor Inflation“ und liegt damit noch nicht einmal sonderlich falsch. Natürlich hat ein Vermögender kein gesteigertes Interesse daran, sein Geld zu horten und damit einen ziemlich sicheren Inflationsverlust von rund 2% pro Jahr hinzunehmen. Das ist alles sehr verständlich, hat jedoch nichts mit abstrakten Geldmengen oder gar der EZB-Politik zu tun. Die „Asset Inflation“ ist eine Folge der Krise und keine Folge der EZB-Politik. Um diese Form von Inflation, die Otto Normalverbraucher überhaupt nicht tangiert, zu bekämpfen, gäbe es ein „einfaches“ Rezept. Man muss „nur“ dafür sorgen, dass die Haushalte wieder mehr Güter nachfragen, die Konjunktur anspringt und wieder mehr Kredite nachgefragt werden. Dann können die Vermögenden ihr Geld wieder renditeorientiert verleihen und müssen es nicht in Goldbarren und Gemälde stecken. Aber dieser simple Zusammenhang stellt für die SPIEGEL-Redaktion offenbar ein Buch mit sieben Siegeln dar.

Der SPIEGEL schreibt stattdessen bereits in der Überschrift etwas von „kalter Enteignung“. Da die These der Enteignung durch Inflation ja nicht durch Zahlen zu untermauern ist, schreibt der SPIEGEL dann auch von einer „stillen“, einer „schleichenden“ Enteignung. Da diese Enteignung ja still und schleichend ist, muss man sie offenbar auch nicht nachweisen. Stattdessen macht man lieber das ganz große Fass auf und überschreibt den Artikel als „die Geschichte einer perfiden(sic!) Umverteilung von unten nach oben(sic!)“ Da stellt sich unweigerlich doch die Frage, wer hier was von unten nach oben umverteilt? Natürlich, die Politik der letzten zwei Jahrzehnte war und ist auf eine Umverteilung von unten nach oben ausgelegt. Aber selbst einem SPIEGEL-Redakteur dürfte doch klar sein, dass es für die Umverteilung vollkommen unerheblich ist, ob ein Rubens nun 100.000 oder eine Million Euro kostet und zu welchem Preis ein Goldbarren gehandelt wird. Zu einer Umverteilung kommt es erst dann, wenn beispielsweise die steigenden Immobilienpreise dafür sorgen, dass auch die Kaltmieten steigen. Eine solche Steigerung wäre jedoch Bestandteil der offiziellen Inflationsmessung und ist überdies in der Breite nur im normalen Maßstab feststellbar. Von einer perfiden Umverteilung kann hier wirklich nicht die Rede sein, da gibt es vor allem bei der sehr realen Praxis der fortgesetzten Bankenrettung auf Steuerzahlerkosten eine wesentlich perfidere Umverteilung von unten nach oben.

Es leuchtet ferner nicht ein, warum der SPIEGEL eine „Asset Inflation“ überhaupt als „Enteignung“ bezeichnet. Wenn beispielsweise der Preis für einen Rubens oder einen Goldbarren in die Höhe steigt, wird niemand enteignet. Zu einem Handel gehören auch immer zwei Parteien, eine die kauft, eine die verkauft. Wenn eine Blase entsteht, die später platzt, müssen diejenigen hohe Verluste verbuchen, die bei zu hohen Kursen gekauft haben. Dies könnten schon wenig später genau diejenigen sein, die SPIEGEL und Co. jetzt in solche Anlageformen treiben. Dann wird aus der Enteignung, auch wenn dieses Wort nicht sonderlich passend ist, eine selbsterfüllende Prophezeiung.

Tückische Tricks

Laut SPIEGEL hat die „schleichende Inflation eine betäubende Wirkung“, da man sie schlichtweg nicht merkt. Sie ist „noch verhalten, aber unübersehbar und tückisch“. Selten hat man so einen Unsinn in einer deutschen Zeitung gelesen. Zu echter Höchstform läuft der SPIEGEL jedoch auf, wenn er sich am Spin versucht, die „Asset Inflation“ doch irgendwie auf die EZB-Politik zu schieben. Da liest man dann Folgendes:

Der Trick funktioniert so: Die Zentralbank kauft Anleihen des Staates und drückt die Zinsen auf diese Weise unter die Inflationsrate. Das bedeutet: Die Geldentwertung ist größer als der Zuwachs aus Zinsen, die Realzinsen werden negativ. Anders gesagt: Die Inflation frisst das Vermögen. Oder noch schlichter: Wer spart, ist der Dumme.

Diese Erklärung ist freilich selbst sehr schlicht … und falsch. Die EZB kauft über ihr Anleihenkaufprogramm nur Anleihen der Staaten, die aufgrund des hohen Zinses ein Problem mit der Staatsfinanzierung haben. Deutsche Staatsanleihen wurden und werden von der EZB nicht gekauft. Man könnte sich nun trefflich darüber streiten, wer dafür verantwortlich ist, dass die Zinsen für deutsche Staatsanleihen derart niedrig sind. Heiße Kandidaten wären die Banken, die durch ihre Zockerei im Finanzcasino als sicherer Schuldner ausgefallen sind, und die „Euro-Rettungspolitik“, die dafür sorgt, dass nur sehr wenige Staaten als sichere Schuldner gelten – das EZB-Anleihenkaufprogramm für die niedrigen Zinsen bei deutschen Staatsanleihen verantwortlich zu machen, ist schon tolldreist und fern jeglichen ökonomischen Sachverstands.

Pimco – der große Einflüsterer im Hintergrund

Auf wessen Mist der ganze Inflations-Artikel des SPIEGEL gewachsen ist, erkennt man schnell, wenn man zwischen den Zeilen liest. Gleich mehrfach wird zur „Untermauerung“ der eigenen Thesen ein gewisser Herr Bosomworth vom Anleiheninvestor Pimco zitiert. Man muss Herrn Bosomworth schon ein echtes Kompliment machen – selten hat es ein PR-Agent verstanden, die Medien derart an der Nase herumzuführen. Pimco gehört zu den ganz großen Spielern auf dem Anleihenmarkt. Welche Positionen Pimco hält, ist nicht bekannt. Die Aussagen der Pimco-Verantwortlichen legen jedoch nahe, dass Pimco sehr massiv gegen Euro-Anleihen spekuliert. Wäre es anders, wären Bosomworths Äußerungen im höchsten Maße geschäftsschädigend. Nun wäre es sicher falsch, Herrn Bosomworth einen Vorwurf zu machen, er macht schließlich auch nur seinen Job. Anders sieht es bei den verantwortlichen SPIEGEL-Journalisten aus. Deren Job sollte es eigentlich nicht sein, für Pimco PR zu betreiben und auf Dummenfang zu gehen.

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