Island siegt im „Icesave-Prozess“

Jens Berger
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Es war ein überaus wichtiger Sieg, den der Staat Island an diesem Montag vor dem EFTA-Gerichtshof erzielt hat. Grob verkürzt bedeutet das Urteil [PDF – 130 KB], dass Island bei seinem Weg, die Bevölkerung, und nicht die Banken, zu retten, nicht nur alles richtig gemacht hat, sondern dass der „isländische Weg“ auch mit EU-Recht konform geht. Von den deutschen Medien wurde das Urteil weitestgehend ignoriert, nur der Süddeutschen war dieses wichtige Ereignis eine Randnotiz wert. Dafür findet das Thema jedoch großen Zuspruch in den Blogs und sozialen Netzwerken – leider wird dabei jedoch meist ein unzutreffendes Schwarz-Weiß-Bild gezeichnet. Zeit, dieses wichtige Urteil einmal differenziert zu analysieren. Von Jens Berger

Zur Vorgeschichte siehe: Jens Berger: Island – ein Fanal der Hoffnung in Zeiten der Krise

Zunächst einmal kurz zum Hintergrund des EFTA-Prozesses: Im Vorfeld der Finanzkrise bot die private isländische Landesbanki über ihren Internetableger Icesave auch Kunden in Großbritannien und den Niederlanden äußerst großzügig verzinste Sparkonten an. Zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs des isländischen Finanzsystems hatten britische und niederländische Kunden insgesamt Einlagen im Wert von 8,5 Mrd. US$ bei der Icesave. Diese Einlagen waren über die isländische Einlagensicherung mit bis zu maximal 20.000 Euro pro Anleger abgesichert. Im Oktober 2008 kollabierte das gesamte Bankensystem der Atlantikinsel, der staatliche Einlagensicherungsfonds erwies sich – was wenig überraschend war – als dramatisch unterfinanziert. Während Großbritannien die Icesave-Aktiva im eigenen Lande unter Gebrauch der Anti-Terrorismus-Gesetze konfiszierte, erklärte Island, dass der Einlagensicherungsfonds ausländische Sparer nicht entschädigen kann. Während Island die Landesbanki abwickelte, gingen Großbritannien und die Niederlande in Vorleistung und entschädigten selbst ihre Landsleute, die Einlagen bei Icesave hatten. Dabei gingen sie jedoch weit über die Garantie des isländischen Einlagensicherungsfonds hinaus und entschädigten die Sparer mit bis zu 50.000 Pfund bzw. 100.000 Euro. Die Mittel dafür wollten sich beide Länder von den Isländern zurückholen.

Zweimal verhandelten diese beiden Länder mit der isländischen Regierung einen Kompromiss, zweimal kam es zu einer Volksabstimmung und zweimal sprach sich das isländische Volk gegen eine Anerkennung der britischen und niederländischen Forderungen aus. Schlussendlich wollte die Europäische Freihandelsassoziation EFTA (Island ist kein EU-Mitglied) rechtliche Klarheit schaffen und brachte den Fall vor den Gerichtshof der EFTA. Die EFTA ist zwar nur lose mit der EU assoziiert, ihre Richtlinien entsprechen jedoch denen der EU und somit hat das Urteil, gegen das keine Berufung eingelegt werden kann, jedoch auch keine bindende Rechtskraft für die EU. Das Urteil hat jedoch hohe Signalwirkung und es ist eher unwahrscheinlich, dass Großbritannien und die Niederlande nun die letzte Möglichkeit ausschöpfen und den Europäischen Gerichtshof anrufen.

Worum ging es beim Prozess nicht?

Um sich der Bedeutung des Urteils klarzuwerden, ist es zunächst einmal wichtig, sich zu vergegenwärtigen, wobei es beim Prozess und beim Urteil nicht ging. Es ging zunächst einmal nicht darum, ob die Kunden der Icesave entschädigt werden. Die Kunden wurden bereits entschädigt, nur halt nicht durch Island, sondern durch Großbritannien und die Niederlande. Es ging auch nicht darum, ob Großbritannien und die Niederlande ein Anrecht auf die Entschädigungen des isländischen Einlagensicherungsfonds haben. Der Einlagensicherungsfonds hat keine Mittel, aus denen die Ansprüche beglichen werden könnten. Beide EU-Staaten haben dennoch rechtliche Ansprüche, das stellt auch Island überhaupt nicht in Frage. Island hat vom ersten Tag an bis heute diese Ansprüche bedient. Bis heute konnten die Forderungen, die sich an den isländischen Einlagensicherungsfonds richten, zu 93,5% bedient werden. Islands Regierung hat immer versprochen, dass diese Forderungen komplett bedient werden. Es geht nicht um die Forderungen als solche, sondern darum, wer sie wann in welcher Höhe und zu welchen Bedingungen bedient.

Weder der Prozess, noch das Urteil, haben ferner irgendetwas mit der Frage zu tun, wer für die Verluste des isländischen Bankencrashs aufkommt. Die überwiegende Mehrheit dieser Verluste war nie Gegenstand irgendwelcher Schadensersatz- oder Garantieforderungen. Dazu zählen Zertifikate isländischer Banken und Schuldverschreibungen, also Anleihen, die von den isländischen Banken aufgelegt wurden und Kredite an isländische Banken – alleine bei den Anleihen geht es hierbei um stolze 85 Mrd. US$. Wie groß die Abschreibungen sind, die vor allem Banken und Hedgefonds aus den USA und der EU vornehmen mussten, ist nicht bekannt. Gegen diese Summe sind die Forderungen Großbritanniens und der Niederlande jedoch vergleichsweise überschaubar. Zertifikate, Kredite, Anleihen und andere Finanzprodukte sind jedoch keine Einlagen und daher – nomen est omen – ohnehin nicht durch den Einlagensicherungsfonds geschützt. Wer solche Produkte erwirbt, muss sich privat gegen einen Ausfall absichern. Dies werden im Falle Island nur die wenigsten Finanzinstitute getan haben. Es stand jedoch nie zur Debatte, dass Steuerzahler, egal aus welchem Land, für diese Verluste haften.

Und worum ging es dann?

Gegenstand der Verhandlung am EFTA-Gerichtshof waren vielmehr zwei voneinander zu trennende Fragen.

  1. Muss ein Staat auch im Falle eines Zusammenbruchs des Finanzsystems für die Versprechungen der Einlagensicherung geradestehen?
  2. Darf ein Staat bei der Abwicklung einer Bank seine eigenen Staatsbürger bevorzugt behandeln?

Da Island sich ohnehin dazu bereiterklärt, die Forderungen zu bedienen, war dies auch nie Gegenstand der Verhandlung. Gegenstand war jedoch, gegen welche isländische Institution die Forderungen überhaupt zu richten sind. Und dies ist auch für die Isländer ein sehr wichtiger Punkt. Nach Ansicht der Briten und Niederländer sind die Forderungen an den Einlagensicherungsfonds und in letzter Konsequenz an den isländischen Staat zu richten, der rechtlich bindend für die Einlagensicherung haftet. Nach Ansicht der Isländer haftet für die Forderungen der Rechtsnachfolger der Landesbanki, zu der Icesave gehörte. Dieser Rechtsnachfolger ist eine Abwicklungsanstalt, die die „toxischen Papiere“ der Landesbanki abwickelt. So toxisch waren die Papiere jedoch offenbar gar nicht, so dass die Abwicklungsanstalt bereits 93,5% der abgesicherten Einlagen an die Gläubiger überweisen konnte.

Wäre das Gericht der britisch-niederländischen Argumentation gefolgt, hätte Island nicht nur einen Rechtsbruch begangen, sondern wäre auch für die Zinsen aus diesen Forderungen in Haftung zu nehmen. Bei der gesamten Frage geht es nämlich auch um den Zeitpunkt der Rückzahlung der Forderungen. Sinn und Zweck eines Einlagensicherungsfonds ist es, Forderungen sofort zu begleichen. Eine Abwicklungsanstalt hat jedoch das Recht, Forderungen nach eigenem Ermessen zeitlich gestaffelt zu begleichen. Dies ist in diesem Falle von besonderer Bedeutung. Die Aktiva der Landesbanki waren zu einem sehr großen Teil inländische Forderungen. Doch wer hätte der Bank im Herbst 2008 diese Forderungen abgekauft? Und vor allem: zu welchem Preis? Dadurch, dass die Landesbanki ordnungsgemäß abgewickelt wurde, kam die Abwicklungsanstalt erst in die Situation, die Forderungen überhaupt begleichen zu können.

In diesem Punkt ist Gericht voll und ganz der isländischen Argumentation gefolgt. Auch im Punkt der Diskriminierung – und das ist überraschend – ist der EFTA-Gerichtshof der isländischen Argumentation gefolgt. Island hat die Einlagen der Isländer ohne Abschlag in neue Banken (also „Good Banks“) übertragen, während ausländische Sparer an den viel zu gering bemessenen Einlagensicherungsfonds verwiesen wurden. Dadurch ist jedoch auch die „Insolvenzmasse“ deutlich geschrumpft, was dazu führte, dass ausländische Bürger nicht nur schlechter gestellt wurden, sondern dass zudem ihre Forderungen schlechter und niedriger bedient wurden.

Dieser Punkt war für die isländische Regierung von besonderer Bedeutung. Hätte sich hier die britisch-niederländische Argumentation durchgesetzt, wäre die Forderungssumme merklich in die Höhe geschnellt. Dann müsste Island nämlich nicht in Höhe der isländischen Einlagensicherung (max. 20.000 Euro), sondern in voller Höhe haften. Anstatt 650 Mrd. ISK (3,7 Mrd. Euro) hätte Island dann für 1.150 Mrd. ISK (6,6 Mrd. Euro) haften müssen – dies entspricht 66% des isländischen BIP und wäre, trotz aller wenig glaubwürdigen Zusicherungen der isländischen Regierung, wohl auch nicht durch die Abwicklungsanstalt finanzierbar.

Was bedeutet dieses Urteil für Europa?

Schlussendlich bedeutet das Urteil das, was wir eigentlich schon immer wissen: Ein Zusammenbruch des Finanzsystems ist eine höhere Gewalt (Force Majeure) und ein Einlagensicherungsfonds muss nicht so bemessen sein, dass er in diesem Falle seine Versprechungen einhält. Aufgabe eines Einlagensicherungsfonds ist es lediglich, in normalen Zeiten seinen Aufgaben nachzukommen. Dies entspricht auch voll und ganz dem gesunden Menschenverstand. Oder glaubt irgendwer ernsthaft, dass die Bundesregierung im Falle eines Zusammenbruchs des deutschen Finanzsystems tatsächlich sämtliche Bankeinlagen absichern kann? Wichtig ist jedoch, dass dies nun auch höchstrichterlich so gesehen wird.

Noch wichtiger ist der Teilaspekt, dass Regierungen ihre eigenen Staatsbürger bei der Einlagensicherung bevorzugt behandeln dürfen. Für Irland kommt dieses Urteil zu spät, aber vor allem für Zypern stellt sich genau diese Frage in diesen Tagen. Vielleicht ist dies auch der Grund dafür, dass Russland heute angekündigt hat, die zypriotischen Banken zu retten. Was für Island die Briten und Niederländer waren, wären im Falle eines Crashs die Russen für Zypern. Und nach dem Urteil des EFTA-Gerichtshofs hätte Zypern die Russen nicht mit mehr Geld entschädigen müssen, als es die zypriotische Einlagensicherung vorhält. Die Forderungen der Russen wären nicht an den Staat Zypern, sondern stattdessen an die Abwicklungsanstalten der zypriotischen Banken zu richten gewesen – und da diese Banken überaus aktiv in Griechenland investiert sind, wären hier sicher sehr hohe Abschreibungen notwendig. Island hat es da besser.

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