Sich-Links-Fühlende und neoliberal Tickende huldigen dem gleichen Glauben: wir können nichts machen.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Es lohnt sich, den Text von Robert Kurz, „Fieber, Schwund der Realökonomie“, im letzten „Freitag 33“ und einen Text in der „Welt am Sonntag“ (20.8.) von Flora Wisdorff über „Deutschlands neues Proletariat“ hintereinander zu lesen. Die Parallelen sind beachtlich.

Transnationalisierung und Globalisierung, neue Kommunikationsinfrastrukturen und die Welle der mikroelektronischen Rationalisierung, technischer Fortschritt und Dienstleistungsgesellschaft – alles wird so dargestellt, als sei das gänzlich neu und als seien wir nur Opfer von strukturellen Veränderungen und als hätte die Politik keinen Entscheidungsspielraum mehr. Robert Kurz spricht von der bevorstehenden „neuen Qualität der strukturellen Massenarbeitslosigkeit“. Alles ist neu, so die Vorstellung. Um das Jahr 2000 oder irgendwann in den 90ern muss es den großen Bruch gegeben haben. Die Zeitenwende. Komisch, in Ländern wie Schweden nicht oder jedenfalls nicht so.
Makropolitik, also eine aktive Beschäftigungspolitik gibt es in den Köpfen der Linken und der Rechten in gleicher Weise sowieso nicht. „Die Sehnsucht nach Arbeitsplatzinvestitionen wird zur gefährlichen Ideologie“, schreibt der linke Kurz, wie die meisten seiner Aussagen ohne jede schlüssige Begründung. Dafür um so mehr Jargon. Auch das verbindet. Logischerweise stellt die Autorin der „Welt am Sonntag“ fest, es sei parteiübergreifender Konsens, dass es jetzt der Niedriglohnsektor richten soll. Wie denn? Auch nur Jargon.
Kurz tut so, als gäbe es Standardisierung und Automatisierung in den Verwaltungsbereichen der Industrie erst jetzt. Der Betrieb, in dem ich meine kaufmännische Lehre machte, führte die EDV anfangs der 70er ein. Von anderen Betrieben weiß ich, dass sie seit langem nicht mehr mit Nadel und Lochkarten arbeiten.
Interessant auch, wie bei Kurz das „Übernahmefieber“ als nicht beeinflusst von politischen Rahmensetzungen dargestellt wird. Kein Wort zu der von Schröder und Eichel eingeführten Steuerfreiheit für die bei Übernahmen erzielten Gewinne. Und deshalb natürlich kein Wort dazu, dass dies kein Fieber ist (dann wäre ja die schöne Headline kaputt) und dass man etwas gegen das angebliche Fieber tun könnte: die Steuerfreiheit zurücknehmen und bessere Regeln und Kontrollen gegen das Unwesen der sogenannten Heuschrecken einführen.

Ergänzend kann man sich auch noch Kurt Becks Wegweisung „Leistung muss sich wieder lohnen“ [PDF – 27 KB] in „Welt am Sonntag“ vom 20.8. gönnen. Auch bei ihm hat alles wenig mit Politik zu tun. Und die Lohnnebenkosten müssen gesenkt werden. Eine sehr originelle Idee.

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