Empörung über das „Geschäftsmodell Zypern“ – warum erst jetzt und warum nur bei Zypern?

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Bundesfinanzminister Schäuble hat sich am 19. März abends und der SPD-Fraktionsvorsitzende Steinmeyer am 20. März im Morgenmagazin kritisch zum so genannten Modell Zypern geäußert. In der Tagesthemensendung gebrauchte Schäuble den Begriff Modell Zypern zur Charakterisierung der Politik eines Landes, das sein Geld zu einem beachtlichen Teil mit Finanzgeschäften verdient und zu diesem Zweck mit niedrigen Steuern und angenehmen rechtlichen Bedingungen um die – oft ausländischen – Anleger wirbt. Das „Modell“ Zypern gab und gibt es in Irland, in Luxemburg, in London, in der Schweiz, in den Steueroasen Großbritanniens und der USA – und das Modell war von deutschen Politikern von Merkel bis Steinbrück unter dem Begriff „Ausbau des Finanzplatzes Deutschland“ noch im letzten Jahrzehnt heiß ersehnt. Von der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD – wie jetzt von beiden kritisiert. Albrecht Müller.

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Bewunderung für London, Luxemburg, Irland usw.

Mit glänzenden Augen haben die jetzt als Zuchtmeister Zyperns auftretenden Herrschaften nach London geschaut. In den Hochzeiten des britischen Casinobetriebs in der City von London sind 10 % des britischen Inlandsprodukts auf den Finanzmärkten angefallen – „verdient und geschaffen“ worden, haben die Bewunderer dieses Modells damals gesagt.
Luxemburg hat über Jahrzehnte sein Geld mit dem verdient, was Zypern betrieben hat und betreibt.
Irland hat mit niedrigen Steuersätzen geworben und dies sogar nach der Rettung durch Europas Bankenrettung noch getan. Vom irischen Tiger war die Rede, obwohl dieser Tiger seine vermeintliche Stärke auch nur durch Anlocken von fremdem Kapital mittels niedriger Steuersätze und Deregulierung erreicht hat. Wenn man die angeblich hohen Wachstumsraten von den Verdiensten in den Finanzcasinos befreite, dann fiel die Stärke Irlands schon im letzten Jahrzehnt wie ein Kartenhaus zusammen. Konkret: die irische Bevölkerung hatte wenig von dem irischen Modell. (Das habe ich in meinem Buch „Die Reformlüge“ schon 2004 beschrieben) Aber bei uns, bei den neoliberalen Ideologen und den Freunden von Herrn Schäuble, Frau Merkel und Herrn Steinmeier wurde dieses Modell bewundert.

Warum haben die Verantwortlichen nicht früher das „Modell Zypern, Irland, Luxemburg, London usw.“ kritisiert? Warum sind sie nicht früher dagegen eingeschritten?

Das sind sehr berechtigte und wichtige Fragen. Ich habe keine fertigen Antworten. Aber es gibt ein paar Hinweise und Indizien:

  • An diesen Modellen haben die eigenen Banken und sonstige Spezies verdient. In Irland zum Beispiel war die Münchner HRE tätig. In deren Aufsichtsrat saß der im neoliberalen Speck angesiedelte Hans Tietmeyer. Die HRE war insgesamt nicht sehr viel mehr als eine Bad-Bank mit Casinobetrieb.
  • Luxemburg ließ man gewähren, weil dort ideologische und politische Freunde saßen. Mit Ministerpräsident Juncker sogar ein ziemlich fähiger Mann. Aber der Respekt vor seinen Fähigkeiten sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er offenbar die völlig falsche Person für die Leitung der Eurogruppe war. Denn von ihm hätten Initiativen ausgehen müssen, um Modelle wie das zyprische Modell überhaupt nicht entstehen zu lassen. Dagegen konnte Euro–Gruppenchef Juncker aber nicht vorgehen, weil er dann gegen das eigene luxemburgische Geschäftsmodell hätte einschreiten müssen.
  • Dass man jetzt im Falle Zypern tätig wird, hat vermutlich viel damit zu tun, dass man jetzt die untergründig vorhandene Aggression gegen die „Russen“ nutzen kann. Das ist emotional betrachtet zumindest was Deutschland betrifft ein Rückgriff auf den in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts betriebenen Antikommunismus. Man spürt diese unterschwellige Aggression in vielen Kommentaren deutscher Medien. Mit der Sache selbst hat dies heute überhaupt nichts zu tun. Aber es ist eben populär, das russische Kapital mit einer Sonderabgabe zu belegen.
  • Damit wird zumindest in Bezug auf Deutschland noch eine parteipolitische Seite des Vorgehens offensichtlich. In Deutschland ist es populär, endlich die angeblichen Sünder, im konkreten Fall die Zyprioten und Russen, zu bestrafen. Man muss sich in dem oben verlinkten Beitrag der Tagesthemen vom 19. März dazu nur die Häme im Gesicht von Tom Buhrow und die abfällige Argumentation im Kommentar von Rolf Dietrich Krause anschauen und anhören.
  • Auf deutscher Seite spielt vermutlich auch eine Rolle, dass man mit der gespielten Verachtung und Aggression gegen Zypern zugleich verdecken kann, wie kritisch die Lage hierzulande ist: bei uns ist der Bankensektor und der Sektor der Finanzwirtschaft insgesamt auch überdimensioniert. Auch bei uns gab es einen beachtlich ausgeweiteten Casinobetrieb. Wir haben ein Konversionsproblem. Darauf habe ich in einem etwas grundsätzlichen Beitrag zur Finanzkrise am 7. Januar 2009 hingewiesen. Siehe hier „Den Kapitalmarkt effizienter gestalten. Konversion ist angesagt“.
  • In jenem Beitrag ist auch die Finanzcasinotätigkeit beschrieben, die de facto durch die hohen Aktienkursschwankungen indiziert werden. Wenn die Kurse innerhalb weniger Jahre um das vierfache steigen und wieder abstürzen, dann ist das auch ein deutliches Anzeichen für einen Casinobetrieb. Auch wir betreiben heute eine Art zyprisches Modell. Und jeden Abend berichtet die ARD unter Freuden von den Ergebnissen der Spekulation. Dieser Ableger des zyprischen Geschäftsmodells wird hierzulande selbstverständlich nicht kritisiert, weil die Banken, die Börsen, die Investmentbanker und andere Freunde der agierenden Politiker davon profitieren.

Das Totalversagen der Europäischen Kommission und anderer internationaler Einrichtungen

Wenn man der Frage nachgeht, warum die Geschäftsmodelle von Zypern, Luxemburg, Irland, London und anderer mehr nicht rechtzeitig untersagt und bekämpft worden sind, dann landet man unwillkürlich in Brüssel. Brüssel, die europäische Kommission und speziell die Verantwortlichen für den Euroraum hätten schon vor langem, also vor zehn und vor 20 Jahren gegen Geschäftsmodelle wie dem zyprischen einschreiten müssen. Wo sind sie geblieben?

Brüssel hätte auch schon lange gegen die Basis der jetzigen Krise, das Auseinanderdriften der Wettbewerbsfähigkeit der Länder der Eurozone intervenieren müssen. Die Verantwortlichen haben es nicht getan. Das ist Ausdruck ihrer Unfähigkeit und ihrer mangelnden Aufmerksamkeit. Dass diese Leute heute innerhalb der Troika als Ratgeber und Kontrolleure auftreten, ist ausgesprochen grotesk. Die Verantwortlichen in Brüssel sind zusammen mit jenen aus Berlin die Hauptverantwortlichen für die Konzeptionslosigkeit, mit der Europa von Krise zu Krise stolpert.

Wir brauchen in Europa dringend eine politische Einheit, die zur umsichtigen, langfristigen konzeptionellen Planung fähig ist

Wenn man wie ich in mehreren Funktionen, unter anderem als Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt, mit erlebt hat, wie zum Beispiel die Ostpolitik strategisch geplant und umgesetzt worden ist, dann steht man mit Staunen vor der jetzigen Planlosigkeit. Einen Egon Bahr, der damals an der Seite von Willy Brandt die Entspannungspolitik und damit das Ende der Konfrontation zwischen Ost und West ausgedacht hat, gibt es heute nicht.

Es gibt auch jene nicht, die zusammen mit dem damaligen Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller die Währungspolitik des Jahres 1969 und die damalige Aufwertung der D-Mark bedacht und geplant haben.

Es gibt nicht einmal jene, die noch ein Bewusstsein dafür haben, dass man den Ruf unseres Landes und seiner Bürgerinnen und Bürger nicht leichtfertig verspielen darf, wie das heute mit jeder zweiten Äußerung von Bundeskanzlerin Merkel oder Finanzminister Schäuble geschieht.

Dass es keine konzeptionelle Kraft mehr gibt, liegt nicht in der Natur der Sache. Es ist das Ergebnis einer Entwicklung, die Politikerinnen und Politiker fördert, die nur danach schauen, was populär ist und ihre Wiederwahl sichert.

Diese Entwicklung ist fatal. Es ist höchste Zeit, dagegen anzugehen.

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