Hinweise des Tages

Jens Berger
Ein Artikel von:

Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (WL/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Rede von Ingo Schulze bei der 171. Montagsdemo gegen Stuttgart 21
  2. Mindestlohn-Debatte – Staat muss immer öfter Löhne aufstocken
  3. Lucas Zeise: Was die EZB noch tun wird
  4. Sahra Wagenknecht – Merkel zerstört die deutsch-französische Freundschaft
  5. The Debt We Shouldn’t Pay
  6. Am deutschen Wesen
  7. “Börsenboom” ohne Substanz
  8. Frust bei der Arbeit – Jeder Zweite ist unzufrieden mit seinem Job
  9. Gesetzesvorhaben: Regierung droht Finanzmanagern mit Gefängnis
  10. EU-Petition gegen Wasserprivatisierung nimmt letzte Hürde
  11. Kongo: Es wird eng auf dem Holzweg
  12. Blumen für einen Hungerlohn
  13. Rudolf Dreßler: Unbequeme Fragen
  14. EU verhängt Zölle auf chinesische Solarmodule
  15. Prechts pauschale Bildungsrevolution
  16. Bildungsfinanzierung im föderalen Magerstaat
  17. Die Inflationslüge

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Rede von Ingo Schulze bei der 171. Montagsdemo gegen Stuttgart 21
    »Schwimmen zwei junge Fische des Weges und treffen zufällig einen älteren Fisch, der in die Gegenrichtung unterwegs ist. Er nickt ihnen zu und sagt: »Morgen, Jungs. Wie ist das Wasser?« Die zwei jungen Fische schwimmen eine Weile weiter, und schließlich wirft der eine dem anderen einen Blick zu und sagt: »Was zum Teufel ist Wasser?« »Was zum Teufel ist Wasser?« ist eine Frage, die Ihnen womöglich vom Tenor her bekannt vorkommt. Was Tag für Tag verkündet und praktiziert wird, was alltäglich, was selbstverständlich ist, wird als gegeben und unveränderlich wahrgenommen, als alternativlos.
    Quelle: Ingo Schulze [PDF – 35 KB]
  2. Mindestlohn-Debatte – Staat muss immer öfter Löhne aufstocken
    Die Daten dürften die aktuelle Mindestlohn-Debatte befeuern: Immer mehr Menschen in Deutschland arbeiten in Voll- oder Teilzeit und sind sozialversichert – und benötigen dennoch Hilfe aus öffentlichen Kassen. Die neueste Statistik, die der “Süddeutschen Zeitung” vorliegt, zeigt auch: Verstärkt trifft es Singles.
    Immer mehr Menschen in Deutschland mit einem Vollzeit- oder Teilzeitjob verdienen zu wenig, um allein davon leben zu können. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer, die mehr als 800 Euro brutto im Monat nach Hause bringen, aber zur Sicherung des Existenzminimums die staatliche Grundsicherung (Hartz IV) benötigen, ist in den vergangenen vier Jahren kontinuierlich gestiegen. Dies geht nach Informationen der Süddeutschen Zeitung aus neuen Statistiken der Bundesagentur für Arbeit (BA) hervor.
    Die Daten dürften die aktuelle Mindestlohn-Debatte befeuern: Nach den BA-Angaben gab es 2012 im Jahresdurchschnitt etwa 323.000 Haushalte mit einem sogenannten Hartz-IV-Aufstocker, der ein sozialversicherungspflichtiges Bruttoeinkommen von mehr als 800 Euro bezieht. 2009 waren es noch etwa 20.000 weniger.
    Noch deutlicher ist der Anstieg bei den Singles mit einem entsprechenden Verdienst, wie eine Sonderauswertung der BA zeigt: Die Zahl dieser auf Hartz IV angewiesenen, alleinstehenden Vollzeit- oder Teilzeit-Jobber kletterte im gleichen Zeitraum um 38 Prozent auf zirka 75 600. Arbeitnehmer, die ihren Lohn aufstocken müssen, arbeiten vor allem im Handel, in der Gastronomie, im Gesundheits- und Sozialwesen sowie als Leiharbeiter. Insgesamt waren 2012 durchschnittlich etwa 1,3 Millionen Hartz-IV-Bezieher erwerbstätig, etwa genauso viele wie 2009. Knapp die Hälfte von ihnen hatten nur einen Mini-Job.
    Quelle: Süddeutsche Zeitung
  3. Lucas Zeise: Was die EZB noch tun wird
    Das ist der niedrigste Zins, den eine Notenbank in diesen Breiten den Banken für Kredit je in Rechnung gestellt hat. Es ist das Eingeständnis, daß Notstand herrscht. Alles, was die Notenbank bisher unternommen hat, um die Kreditvergabe, die Investitionen und die Endnachfrage anzukurbeln, hat wenig oder nichts gefruchtet. Unverändert treibt EU-Europa tiefer in die Rezession. Es ist die zweite Etappe der 2007 ausgebrochenen Weltwirtschaftskrise, die durch die sinnlos brutalen Sparauflagen für mittlerweile die Mehrheit der Euro-Länder noch verstärkt wird. Kanzlerin Angela Merkel trug vor ein paar Tagen im Wahlkampfmodus vor dem Sparkassentag Sinniges und Unsinniges zum Thema Zinsen bei. Sie beneide EZB-Präsident Mario Draghi nicht um seine schwierige Aufgabe. Erstens seien die Zinsen für die deutsche Volkswirtschaft angesichts ihrer Stärke eher schon zu niedrig, zweitens aber müsse die EZB für die armen Südländer mehr tun, als nur die Zinsen zu senken. Von wegen Aufschwung in Deutschland! Die Investitionen gehen zurück. Der Verbrauch stagniert, und sogar der Export zeigt Schwächen. Lediglich die Unternehmensgewinne bleiben auf Rekordniveau.
    Woran liegt es, daß Unternehmer und Verbraucher in Spanien dreimal so hohe Zinsen zahlen müssen wie Unternehmer und Verbraucher in Deutschland? Die Frage berührt den Kern der Euro-Krise. Die Länder der Währungsunion treten gemäß den Euro-Verträgen als Wettbewerber um die Gunst des Kapitals auf. Die Schwachen müssen, wie es am Finanzmarkt unter Banken und Kaufleuten üblich ist, hohe Zinsen zahlen, die Starken erhalten Kredit jederzeit und zu günstigen Konditionen. Einige Notenbanker sinnen tatsächlich auf Abhilfe. Die Zentralbank könnte den Finanzmarkt bei der Kreditschöpfung ein klein wenig umgehen, könnte selbst zinsgünstige Darlehen an Kleinunternehmer in den Krisenländern anbieten. Das wäre vermutlich zu sozialistisch. Deshalb würde man, ganz so wie es jetzt staatliche Förderbanken wie die KfW tun, den privaten Geldhäusern solche zinsgünstigen Kredite billig refinanzieren. Noch müssen neoliberale Dogmatiker und Praktiker über diesen Vorschlag streiten. Doch erzwingt die aktuelle Misere, das wüste Walten des freien Finanzmarktes ein ganz klein wenig einzuschränken.
    Quelle: Junge Welt

    Anmerkung Orlando Pascheit: Natürlich ist zu bedenken, dass die Massenkaufkraft in den Krisenländern durch die Auflagen der Troika bishin zu Lohnkürzungen massiv einbrach und die Unternehmen darauf nicht mit Investitionen reagieren – egal wie niedrig die Kreditzinsen liegen. Dennoch ist davon auszugehen, dass viele KMU auch in der Peripherie funktionieren und dafür auch Kredite nachfragen. Ohne den EZB-Niedrigzins gäbe es wahrscheinlich noch weniger Kredit für die Wirtschaft des Südens, da die Banken von anderen Banken oder auch Kunden kein Geld mehr geliehen bekommen. Allerdings erhält jedes neunte kleine oder mittelständische Unternehmen in der Eurozone laut EZB kein Bankdarlehen. Um den Kreditzugang für diese Unternehmen zu erleichtern, ist der Vorschlag Zeises durch bedenkenswert. Mit dem Hinweis auf die sehr erfolgreiche KfW zeigt er m.E. einen Weg auf, der den kaum zu kontrollierende Umweg über die privaten Banken vermeidet. Zumal sich der Bankensektor der europäischen Peripherie nach wie vor in der Restrukturierung befindet. So könnte die Europäische Investitionsbank (EIB) bzw. der Europäische Investitionsfonds (EIF) verstärkt zinsgünstige Kredite an kleine und mittlere Unternehmen der Europeripherie anbieten, welche von der EZB billig refinanzieren würden.

    ergänzende Anmerkung JB: Zeises Idee mag nett sein, leider ist sie jedoch nicht sonderlich realistisch. Die KfW hat mehr als 5.000 Mitarbeiter und verfügt über jahrzehnte gewachsene Strukturen. So was kann man nicht kurzfristig aus dem Boden stampfen. Die EZB hat überhaupt keine Mitarbeiter, die Kreditanträge von KMU prüfen könnten und – so banal es klingt – noch nicht einmal eine Filiale, bei der spanische Unternehmer ihre Kreditwünsche mit den Bankern besprechen könnten. Selbst wenn es den politischen Willen gäbe, die EZB mit einer europaweiten Förderbank zu ergänzen, wäre dies ein sehr langfristiges Unterfangen. Machen wir uns aber nichts vor. Der „Bundesbank-Flügel“ innerhalb der EZB ist bereits gegen jegliches Mandat, das über die reine Liquiditätsverwaltung und Inflationsbekämpfung hinausgeht. Es wäre also eine echte „Notenbankrevolution“ nötig, um Zeises Vorschläge umzusetzen. Eine solche „Notenbankrevolution“ setzt jedoch – vor allem in Deutschland – eine 180°-Wende voraus. Und wenn es eine 180°-Wende geben sollte, wäre auch ein Ende der Austeritätspolitik und der Beginn einer koordinierten Konjunkturpolitik möglich. Dann würde die Wirtschaft wachsen und eine europaweite Förderbank wäre u.U. nicht einmal notwendig, da das Kreditausfallrisiko sinken würde und der Bankensektor wieder Kredite zu vernünftigen Konditionen vergeben könnte.

    siehe dazu auf den NachDenkSeiten (auch wenn der Titel es nicht unbedingt vermuten lässt): Der SPIEGEL und die Altersvorsorge – eine publizistische Bankrotterklärung

    passend dazu: Geldabwurf aus dem Helikopter: Suche nach neuen monentären Instrumenten
    Die enorme Ausweitung der Bilanzen der grossen Zentralbanken ist ein Phänomen, das Kommentatoren der Finanzmärkte immer wieder fasziniert. Die Resultate dieser monetären Expansion sind umstritten. Man kann argumentieren, dass sie (zusammen mit anderen Eingriffen wie insbesondere den Rettungsmassnahmen in der Euro-Zone) eine noch heftigere Intensität der Finanzkrise verhindert hat. Auch sei sie hilfreich gewesen, um negative, die wirtschaftliche Entwicklung bremsende Folgen der zur Sanierung der Staatshaushalte eingeleiteten Sparpolitik aufzufangen. Aber sie setzt die Finanzmärkte ausser Kraft, führt zu Fehlbewertungen von Aktien und Anleihen und nützt vor allem Banken. Während Zentralbanken in anderen Ländern wie den USA und Japan die monetäre Expansion fortsetzen, konzentriert sich die Europäische Zentralbank (EZB) auf andere Instrumente. Auf gewisses Interesse ist aber die Bemerkung von EZB-Präsident Mario Draghi gestossen, ein negativer Zinssatz für Einlagen der Geschäftsbanken bei der Notenbank sei «technisch machbar». Theoretisch würde ein Negativzins die Geschäftsbanken veranlassen, parkiertes Geld abzuziehen und für die Kreditvergabe bereitzustellen. Negative Zinssätze für Einlagen bei der EZB können aber auch kontraproduktive Folgen haben.
    Quelle: NZZ

  4. Sahra Wagenknecht – Merkel zerstört die deutsch-französische Freundschaft
    “Angela Merkel hat den Motor der europäischen Integration abgewürgt. Die von ihr diktierten Lohn- und Sozialkürzungen zerstören die deutsch-französische Freundschaft und verschärfen die Krise. Statt die französische Regierung zu unsozialen ‘Reformen’ zu nötigen, müsste Deutschland die Agenda 2010 zurücknehmen und die Binnennachfrage ankurbeln”, kommentiert Sahra Wagenknecht den deutsch-französischen Wirtschaftsrat, der heute in Berlin tagt. Die Erste Stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE weiter:
    “Sowohl der deutsche Aktienindex DAX als auch die Massenarbeitslosigkeit in der Eurozone haben ein Allzeithoch erreicht. Wenn die Bundesregierung keinen anderen wirtschaftspolitischen Kurs einschlägt, werden die wachsenden Ungleichgewichte Europa zerreißen. Nötig wären die Rücknahme der Hartz IV-Reformen, ein flächendeckender Mindestlohn von zehn Euro in der Stunde, sowie ein großes Zukunftsinvestitionsprogramm, finanziert durch eine Millionärssteuer auf Vermögen. Außerdem müssten die europäischen Kürzungsdiktate beendet, der Finanzsektor streng reguliert und verbindliche Regeln gegen Lohn- und Steuerdumping erlassen werden. Zu einem neoliberalen Europa unter deutscher Vorherrschaft, in dem die Bevölkerung ausgepresst wird, damit Banken gerettet werden können, kann DIE LINKE hingegen nur Nein sagen.”
    Quelle: Sahra Wagenknecht
  5. The Debt We Shouldn’t Pay
    At the heart of the argument about how to revive a depressed economy is the question of debt. When political leaders and economists debate the subject, they refer mostly to public debt. To conservatives, the economy’s capacity for recovery is impaired by too much government borrowing. These escalating obligations, they claim, will be passed along to our children and grandchildren, leaving America a poorer country. Liberal economists, such as Paul Krugman and Joseph Stiglitz, have replied that only faster growth rates and higher gross domestic product will reduce the relative weight of past debts. Budget austerity, in their view, will shrink demand and slow growth, making the debt burden that much heavier. As important as this debate is, there’s something missing. Public debt was not implicated in the collapse of 2008, nor is it retarding the recovery today. Enlarged government deficits were the consequence of the financial crash, not the cause. It was private speculative debts—exotic mortgage bonds financed by short-term borrowing at very high costs—that produced the crisis of 2008. The burden of private debts continues to hobble the economy’s potential. In the decade prior to the collapse of 2008, private debts grew at more than triple the rate of increase of the public debt.
    Quelle: New York Review of Books

    Anmerkung Orlando Pascheit: Die etwas späte Rezension des Buches von David Graeber, “Schulden: Die ersten 5000 Jahre”, durch Robert Kuttner ist vor allem deshalb interessant, weil hier ein amerikanischer Journalist schreibt, was auf den Nachdenkseiten zwar Konsens ist, aber in der veröffentlichten Republik bzw. in Europa kaum: “Nicht die Staatsschulden verantworteten den Kollaps von 2008, noch die die Verzögerung der Erholung heute. Höhere öffentliche Schulden waren die Folgen der Finanzkrise, nicht die Ursache. Tatsächlich spricht viel dafür, dass staatlichen Defizite eine schwächelnde Wirtschaft vor einer tieferen Rezession bewahrt haben.” Über Gewichtung der folgenden Aussage mag man streiten, aber sie verweisen in die richtige Richtung: “Es waren die privaten, spekulativen Schulden – exotische Hypothekenpapiere, finanziert durch kurzfristige Schulden –, welche die Krise von 2008 hervorbrachten.” – Das Buch von Graeber ist durchaus lesenswert und fand Beachtung von konservativer Seite bis ganz links – siehe z.B. die Rezension von Frank Schirrmacher in der FAZ oder auf Wildcat.

  6. Am deutschen Wesen
    Eine aktuelle Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung bestätigt den finanziellen Nutzen des Euro für Deutschland. Der Analyse zufolge kann die Bundesrepublik dank der EU-Einheitswährung in den nächsten zwölf Jahren einen volkswirtschaftlichen Profit von rund 1,2 Billionen Euro erwarten, auf den sie mit der D-Mark verzichten müsste. Insbesondere könne sie hoffen, im Jahr 2025 ein um bis zu 170 Milliarden Euro höheres Bruttoinlandsprodukt zu schaffen als ohne die europäische Währung. Gleichzeitig weisen Kritiker – zum wiederholten Male – darauf hin, dass der maßgeblich nach deutschen Plänen geformte Euro zwar der Bundesrepublik Vorteile garantiert, diese aber strukturell nicht auf alle Länder der Eurozone übertragbar sind. So urteilt der Wirtschaftswissenschaftler Mark Blyth in der renommierten US-Fachzeitschrift Foreign Affairs, es sei schlicht unmöglich, dass alle EU-Staaten das lukrative deutsche Exportmodell nachahmten – es gebe dann ja nicht genügend Käufer. Scharfe Kritik hat zuletzt auch der französische Publizist Luc Rosenzweig geäußert. Mit dem Amtsantritt der rot-grünen Bundesregierung im Jahr 1998 habe die Bundesrepublik begonnen, ihre Interessen international hart und ohne Rücksichten durchzusetzen – bis hin zu den aktuellen Spardiktaten, schreibt Rosenzweig und vergleicht das aktuelle Auftreten Berlins mit der Machtpolitik des Deutschen Kaiserreichs.
    Quelle: German Foreign Policy
  7. “Börsenboom” ohne Substanz
    Seit Tagen sind die Wirtschaftsredaktionen nun schon aus dem Häuschen. Beispielhaft dafür zuletzt Spiegel online: Börsenboom: Dax springt auf neues Rekordhoch. Leider, leider nur hat – anders als vielleicht in den USA, die eine ganz andere, auf Ausgabenüberschüsse, stimulierende Wirtschaftspolitik verfolgen – dieser “Boom” so gar keine Substanz. Denn, was sollen die deutschen Unternehmen denn mit all ihrem Geld machen? Für produktive Investitionen, die eine dauerhafte Wertsteigerung versprechen und dem “Boom” Substanz verleihen würden, spricht in Deutschland so rein gar nichts zur Zeit. Denn dank der maßgeblich von Deutschland erzwungenen Ausgabenkürzungen und der auf diesen fußenden Rezession in der Eurozone und dank “maßvoller” Lohnabschlüsse auch hierzulande, ist es auch nicht gut bestellt um den Auslastungsgrad der deutschen Industrie, der sich angesichts schleppender Nachfrage nach unten bewegt. Die Auslastung liegt bereits unter dem Niveau des Rezessionsjahres 2003, in dem Deutschland ein negatives reales Wirtschaftswachstum von -0,3 Prozent auswies. Sie sinkt bereist das sechste Quartal in Folge.
    Quelle: Wirtschaft und Gesellschaft
  8. Frust bei der Arbeit – Jeder Zweite ist unzufrieden mit seinem Job
    Die Bezahlung ist lausig, der Abteilungsleiter ein Soziopath und das Arbeitsklima niederschmetternd: 48 Prozent der deutschen Arbeitnehmer hadern mit ihrem Job. Eine andere Stelle wollen die meisten aber trotzdem nicht suchen.
    Jeder zweite Arbeitnehmer in Deutschland ist unzufrieden mit seinem Job.
    Und nur 30 Prozent würden ihren Freunden empfehlen, beim eigenen Arbeitgeber anzufangen. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungsinstitut YouGov im Auftrag des Personalvermittlers Manpower hervor.
    Im Vorjahr hatten noch 63 Prozent der befragten Arbeitnehmer gesagt, sie seien “insgesamt zufrieden mit den Arbeitsbedingungen”. In der aktuellen Umfrage sagen dies nur noch 52 Prozent. Trotz der wachsenden Unzufriedenheit planen aber nur 43 Prozent der Befragten in diesem Jahr einen Jobwechsel – vier Prozentpunkte weniger als 2012. Die Auftraggeber der Studie sehen dies als Beweis für die wachsende Unsicherheit der
    Arbeitnehmer: In Zeiten von Entlassungen und Sparprogrammen halte man eher an einem ungeliebten, aber sicheren Job fest.
    Die Ursachen für die Unzufriedenheit sind vielfältig. Mit Abstand am häufigsten genannt wurde schlechte Bezahlung: 24 Prozent aller Befragten streben eine Beschäftigung an, bei der sie mehr verdienen. 15 Prozent möchten mehr Anerkennung für ihre Leistung bekommen. Dass ihnen ihre aktuelle Tätigkeit keinen Spaß macht, sagen elf Prozent. Weitere Gründe für Frust am Arbeitsplatz sind, dass es den Mitarbeitern an Abwechslung mangelt (zehn Prozent), das Arbeitsklima schlecht ist (ebenfalls zehn Prozent), dass die Befragten lieber in einer anderen Region oder einem anderen Land arbeiten würden (neun Prozent) oder mit ihren Vorgesetzten nicht klar kommen (fünf Prozent).
    Quelle: SPIEGEL
  9. Gesetzesvorhaben: Regierung droht Finanzmanagern mit Gefängnis
    In der Banken- und Versicherungsbranche geht die Angst vor einem Gesetzespaket um, mit dem die Bundesregierung Risiken für die Finanzmärkte durch waghalsige Geschäfte von systemrelevanten Geldinstituten eindämmen will. Nicht nur die Pläne zur Trennung von Spareinlagen und Börsenspekulationen bringen Unruhe. Besondere Sorge bereitet ein ganz neuer Straftatbestand, der die Vorstände von Kreditinstituten, Finanzdienstleistern und Versicherern mit fünf Jahren Gefängnis bedroht, wenn sie ihr Unternehmen in eine Schieflage manövrieren. „Die Grenzen des Rechtsstaats werden überschritten, wenn das Gesetz so kommt, wie es derzeit geplant ist“, sagte Wolfram Wrabetz, Vorstandsvorsitzender der Helvetia International AG, der F.A.Z. Die Strafvorschrift baue auf den Bestimmungen zum Risikomanagement im Aufsichtsrecht auf, den sogenannten „MaRisk“ und „Solvency II“: „Diese sind aber so komplex, dass man nie hundertprozentig sicher sein kann, dass alle Anforderungen lückenlos erfüllt werden.“ Dass der Gesamtvorstand hafte und nicht nur das zuständige Vorstandsmitglied, führe zu einer Kollektivschuld, kritisierte Wrabetz. Noch deutlicher äußern sich hinter vorgehaltener Hand die Chefjustitiare weiterer großer Banken und Versicherer. So „hypersensibel“, wie Staatsanwälte heutzutage im Wirtschaftsstrafrecht seien, sei in einer Krise ständig mit Durchsuchungen und Anklagen zu rechnen, heißt es dort – schließlich sei „Großwildjagd“ auf Vorstände inzwischen populär. …. Sollte das Gesetz so in Kraft treten, wollen mehrere Unternehmensleiter dem Vernehmen nach beim Bundesverfassungsgericht eine Beschwerde einlegen.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Man würde schon ganz gerne den Text der Vorlage kennen. Was heißt denn “in eine Schieflage manövrieren”? Ist hier Fahrlässigkeit oder gar Absicht gemeint? Solches nachzuweisen, dürfte, wie die amerikanischen Erfahrungen zeigen, nicht einfach sein. – Abgesehen davon ist Ganze natürlich nicht mehr als ein Schachzug im Wahlkampf. Immerhin wird damit die Möglichkeit solcher Gesetze einmal ausgesprochen.

  10. EU-Petition gegen Wasserprivatisierung nimmt letzte Hürde
    Mindestzahl an Unterschriften in acht Mitgliedsländern erreicht
    Am Freitag gab die Europäische Bürgerinitiative (EBI) Right 2 Water bekannt, dass sie die für eine offizielle Anerkennung notwendige Mindestzahl an Unterschriften in acht Ländern erreichte. Die für eine Behandlung ihres Anliegens durch die EU-Kommission zusätzlich notwendige Gesamtmindestzahl von einer Million Unterschriften hatte die EBI bereits im Februar überschritten.
    Insgesamt haben mittlerweile fast eineinhalb Millionen Europäer unterzeichnet. Der weitaus größte Teil dieser Unterschriften kommt aus Deutschland und Österreich. Die restlichen sechs Länder in denen die jeweils unterschiedlich hohe Mindestzahl an Unterschriften erreicht wurde, sind Belgien, Slowenien, die Slowakei, Luxemburg, Litauen und Finnland. Besonders wenig Unterschriften gibt es bislang anteilsmäßig in Griechenland, Großbritannien und überraschenderweise auch in Frankreich, wo große Probleme mit privatisierten Wasserwerken auftraten. Bei den deutschen Initiatoren führt man dieses Missverhältnis unter anderem auf französische Gewerkschaften zurück, die auch Interessen des Veolia-Konzerns verteidigen.
    Quelle: Telepolis
  11. Kongo: Es wird eng auf dem Holzweg
    Frieden in der Demokratischen Republik Kongo erfordert vieles. Man muss in der Lage sein, Probleme zu erkennen und durch Interessenausgleich zu lösen. Man muss das Wohl der Bevölkerung fördern, nicht die eigene Geltungssucht. Man muss Zurückhaltung bei der Wahl der Mittel walten lassen. In all diesen Punkten legen die auf Waffengewalt fixierten Rebellen der Bewegung 23. März (M 23) und in noch viel höherem Maße die auf ihre Autorität fixierte Regierung von Präsident Joseph Kabila erhebliche Defizite an den Tag. So ist es nur logisch, dass die kriselnden Friedensgespräche jetzt tatsächlich zusammenzubrechen scheinen. Erschwerend kommt allerdings hinzu, dass alle Seiten dafür jetzt die UNO verantwortlich machen können. Die Ende März vom UN-Sicherheitsrat beschlossene Entsendung einer “Interventionsbrigade”, die die M 23 und andere bewaffnete Gruppen jagen und entwaffnen soll, ist in der aktuellen Situation komplett kontraproduktiv. Die UNO müsste den schwächelnden Friedensprozess voranbringen, nicht untergraben. Jetzt aber haben beide Seiten einen Grund, sich auf Krieg vorzubereiten, statt auf Frieden. Nach zwanzig Jahren des gesellschaftlichen Zerfalls, in denen jede Familie im Ostkongo Krieg erlitten hat, ist das Phänomen der “bewaffneten Gruppen” integraler Bestandteil von Politik und Gesellschaft geworden. Man kann diesen Zustand nicht durch Hinzufügen weiterer Bewaffneter beenden.
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: Der Nichtfachmann dürfte in den 3 Kongokriegen den Überblick über die Parteiungen und Interessengruppen, die weit über die Grenzen des eigentlichen Landes reichen (z.B. Ruanda und Uganda), längst verloren haben. Festzuhalten bleibt, dass die DR Kongo seit dem ersten Kongokrieg 1996/1997 von einer mit Unterbrechungen bis heute andauernden Serie von Kriegen heimgesucht wird. Vor allem der bewaffnete Konflikt im Ostkongo dauert in unterschiedlicher Intensität bis heute an. Festzuhalten bleibt auch, dass die internationale Gemeinschaft sich um diesen Kriegsschauplatz viel zu wenig kümmert. Die DR Kongo ist an Fläche der zweitgrößte und an Bevölkerung der viertgrößte Staat Afrikas (70 Mio. Einwohner). Im Mittelpunkt westlicher Berichterstattung stehen die Massenvergewaltigungen von Frauen und Mädchen sowohl durch Rebellentruppen wie auch durch die Armee. Hinzuweisen wäre aber auch darauf, dass eine große Zahl der Opfer, in einem Artikel auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung wird die Zahl der Opfer der Kongokriege wird auf 4 bis 5,4 Mio. geschätzt, nicht direkte Gewaltopfer waren, sondern in der Folge der zerstörten Lebensgrundlage durch die Kriege starben. Was bleibt den Überlebenden, nachdem marodierende Truppen z.B. das Dorf abgefackelt haben? Seit über einem Jahrzehnt ist die UNO mit Soldaten und zivilen Experten vor Ort und kann nicht einmal die humanitäre Hilfe der NGOs absichern, geschweige denn die Menschenrechtssituation im Lande verbessern. Menschenrechtsverbrechen wie auch die illegale Ausfuhr von Rohstoffen erfolgen immer wieder unter den Augen der UN-Soldaten. Man sollte von den USA, der EU sowie der UNO mehr erwarten. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon äußerte letzten Donnerstag die Hoffnung, die neue Eingreiftruppe biete einen neuen Ansatz, “um die tief liegenden Ursachen der Instabilität im Osten der Demokratischen Republik Kongo anzugehen”. Dabei wird ignoriert, dass zu den tief liegenden Ursachen auch die Reformunwilligkeit der Regierung Kabila und das dazugehörige Klientelsystem gehören, welche wie auch andere Gruppierungen vor allem an der Ausbeutung reichen Bodenschätze des Landes interessiert sind.

  12. Blumen für einen Hungerlohn
    Die Firma Dümmen aus Nordrhein-Westfalen verkauft hierzulande Millionen Geranien. Arbeiterinnen in El Salvador erhalten dafür angeblich nur 30 Cent pro Stunde. Maik Pflaum spricht bestens Spanisch. In Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen war der 43-Jährige schon häufig in Lateinamerika. Lange hat er persönlich mit Arbeiterinnen der Dümmen-Plantage Las Mercedes in El Salvador geredet. Für das deutsche Unternehmen pflegen, beschneiden und verpacken sie kleine Pflanzen, die unter anderem von hiesigen Gärtnereien und Baumärkten verkauft werden. Wer jetzt Geranien in seinen Blumenkasten pflanzt, hat gute Chancen, welche aus Dümmens Treibhäusern zu bekommen. Millionen Stecklinge produzieren die 1.000 meist weiblichen Beschäftigten in Las Mercedes pro Jahr. Pflaums Angaben zufolge erhalten viele 3,50 US-Dollar am Tag, was auf etwa 40 US-Cent pro Stunde hinausläuft. Das entspricht 2,69 Euro beziehungsweise 30 Eurocent. Der Lohn für einen Monat summiere sich auf 105 Dollar brutto, bei hoher Akkordleistung auch auf 150 Dollar. El Salvador ist ein armes Land. Aber auch dort kostet das Leben Geld. Den Grundbedarf einer vierköpfigen Familie bezifferte die staatliche Statistikbehörde für 2009 auf 762 Dollar pro Monat.
    Die Firma Dümmen stellt die Angelegenheit mithilfe der von ihr engagierten Kommunikationsfirma Steinkühler-Com so dar: In der Tat betrage “das Basisgehalt 105 Dollar”. Mit Zuschlägen würden die Beschäftigten jedoch “durchschnittlich 140 Dollar” erhalten. Im Übrigen verwende Kritiker Pflaum den falschen Maßstab. Das offizielle “Existenzminimum in El Salvador” betrage gegenwärtig “pro Familie 126 Dollar”. Der Lohn der Arbeiterinnen würde insgesamt also deutlich über dieser Grenze liegen. “Falsch”, entgegnet Pflaum. Der Warenkorb, den Dümmen heranziehe, beschreibe kein Existenzminimum, sondern nur die notwendigen Kosten für wenige Grundnahrungsmittel. Der erweiterte Warenkorb von über 700 Dollar hingegen enthalte auch die für Unterkunft, Gesundheit, Kleidung und Bildung nötigen Ausgaben.
    Quelle: taz
  13. Rudolf Dreßler: Unbequeme Fragen
    Warum muss sich die Sozialdemokratische Partei fragen lassen, ob ihr von einem Bundesparteitag einstimmig beschlossenes Wahlprogramm mehr ist als linke Rhetorik? Warum fragen sich politisch Interessierte, was der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück im Blick hat, wenn er sagt, seine Partei wolle »für ein neues soziales Gleichgewicht bei guter wirtschaftlicher Entwicklung sorgen«?
    Die Erinnerung an sozialdemokratische Regierungsergebnisse und der ständige rhetorische Stolz auf diese Resultate sind Ursache für diese Fragen. Es darf nicht verwundern: Wer ein neues soziales Gleichgewicht ankündigt und das alte, selbst geschaffene Ungleichgewicht immer wieder lobt, hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Dieses Glaubwürdigkeitsproblem legt sich wie Mehltau auf alle Aktivitäten, die so etwas wie Kampagnenfähigkeit in den Vorwahlkampf bringen sollen.
    Quelle: Neues Deutschland
  14. EU verhängt Zölle auf chinesische Solarmodule
    Im Durchschnitt soll sich der Zoll auf 46 Prozent belaufen. Letztlich wird der Zollsatz für jedes einzelne Unternehmen individuell festgelegt. Im Einzelfall könne er auch spürbar über die 46 Prozent hinausgehen, hieß es. Offiziell verkündet und inkrafttreten wird der Zoll wohl erst am 5. Juni, wenn die Frist für die Anti-Dumping-Untersuchung der Kommission abläuft. Das Verfahren gegen China gilt angesichts des Importvolumens von 21 Milliarden Euro für Solarprodukte als größter Dumping-Fall der europäischen Geschichte. Besonders deutsche Unternehmen, die früher als Weltmarktführer in diesem Bereich galten, leiden schon seit langem unter der billigeren Konkurrenz aus China. Die EU folgt mit der Verhängung der Zölle den Vereinigten Staaten, die schon seit Frühjahr vergangenen Jahres Anti-Dumping-Zölle von mehr als 30 Prozent auf Solarpaneele großer Anbieter wie Suntech oder Trina Solar erheben. Die Zölle gelten zunächst sechs Monate. Um im Anschluss daran dauerhafte Anti-Dumping-Zölle für einen Zeitraum von dann fünf Jahren festlegen zu können, benötigt die Kommission die Zustimmung der Mitgliedstaaten.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Man darf gespannt sein, wie China reagiert. Häufig antwortete China seinerseits mit Zöllen auf bestimmte Produkte. Natürlich wissen alle, dass China trotz WTO-Beitritt alle Möglichkeiten von offener bis versteckter Protektion nutzt, geistige Eigentumsrechte ignoriert, die Arbeitsbedingungen der Arbeiterschaft missachtet und selbst schlichteste Umweltstandards vor sich herschiebt, um Ihre Industrie weltmarktfähig zu machen. Solange in der Kosten-Nutzen-Analyse der westlichen Industrie, meist des Großkapitals, die Profite im Absatzmarkt China überwiegen, interessiert das hierzulande oder in den USA und Japan kaum. Andererseits, wenn Deutschland schlüsselfertige Maschinenparks an China, Korea oder Taiwan verkauft, damit dort Solaranlagen produziert werden können, dürfen wir uns nicht wundern, dass wir gerade in der Massenproduktion von Solarmodulen beachtliche Marktanteile wenn nicht gar den Markt verlieren. China hat die Übernahme der gesamten solaren Wertschöpfungskette in seinem letzten Fünf-Jahres-Plan festgeschrieben. China hat von Japan und Südkorea gelernt, wie man vom Plan zum Markt gelangt.

  15. Prechts pauschale Bildungsrevolution
    Der Philosoph, Publizist und Medienliebling Richard David Precht schlägt in seinem Buch „Anna, die Schule und der liebe Gott“ eine Revolution des Bildungssystems vor. Seine Ideen greifen aber viel zu kurz. Mit seinen spitzen Aussagen trifft er die Falschen. Einem Philosophen sollte man eigentlich größeres Denkvermögen zutrauen.
    Quelle: Was bildet ihr uns ein?
  16. Bildungsfinanzierung im föderalen Magerstaat
    Die öffentlichen Bildungsausgaben in Relation zum BIP sind in Deutschland rund 20% geringer als in den meisten anderen Industrieländern. Im Vergleich zu Skandinavien beträgt der Abstand sogar teilweise mehr als 50% …
    Ein wichtiger Baustein in der Architektur dieses Versagens ist im föderalen Staatsaufbau Deutschlands zu suchen: Die Bundesländer verfügen seit der Föderalismusreform über (fast) alle Kompetenzen im Bildungssystem, gleichzeitig können sie ohne Zustimmung der Bundesebene keine zusätzlichen Steuereinnahmen generieren. Letzteres erwies sich als Achillesferse: Es gab weder ein Verfahren noch eine Vereinbarung, wie die Finanzierung der zusätzlichen Bildungsausgaben sichergestellt werden sollte …
    Nach den Berechnung von Piltz (2011) besteht ein zusätzlicher jährlicher Finanzbedarf von rund 56,8 Milliarden Euro sowie ein einmaliger Investitionsbedarf von ca. 45,3 Milliarden Euro, der durch die öffentlichen Haushalte finanziert werden muss …
    Mit dem Versprechen, mehr Geld für die Bildung bereitzustellen, bei gleichzeitigem Kürzungsdruck durch die Schuldenbremse, sind auch die Parteien gezwungen, in ihren Wahlprogrammen Vorschläge zur Gegenfinanzierung anzubieten. Offeriert werden dabei vor allem von CDU und FDP – aber auch von SPD und Grünen – die klassisch neoliberalen Ansätze: die so genannte Aufgabenkritik, Entbürokratisierung und Privatisierung. Bei der »Aufgabenkritik« geht es in erster Linie um die Reduzierung der bisher vom Land wahrgenommenen Aufgaben …
    Die kosmetischen Korrekturen am Steuersystem, die von SPD und Grünen vorgeschlagen werden, sind viel zu gering. Es bedarf deutlich umfangreicherer Finanzmittel, um das deutsche Bildungssystem auf den internationalen Standard anzuheben …
    Quelle: Axel Troost
  17. Die Inflationslüge
    Mein Buch ist da: Die Inflationslüge, erschienen bei Droemer Knaur, 140 Seiten, 7 Euro. Für alle Leser des Blogs ein kleiner Auszug daraus:
    “Am 13. Oktober 1931 gibt Reichskanzler Heinrich Brüning im Berliner Reichstag eine Regierungserklärung ab. Brüning betreibt eine eiserne Sparpolitik. Er hebt die Steuern an und kürzt staatliche Leistungen, er kürzt Löhne und Gehälter. Die Generalaussprache im Reichstag aber hat praktisch nur ein Thema: die Inflation. Der Abgeordnete Johann Leicht von der Bayerischen Volkspartei dankt Brüning dafür, dass er »unter keinen Umständen einer neuen Inflation die Wege ebnen« werde. Joseph Joos von der Zentrumspartei meint: »Legen Sie uns die härtesten Maßnahmen auf, aber lassen Sie das nicht zu.«
    Das war im Jahr 1931, wohlgemerkt. Damals waren in Deutschland bereits 4,5 Millionen Menschen ohne Arbeit – und die Preise sanken um 8,1 Prozent. Für den Historiker Knut Borchardt ist klar, dass »in der Weltwirtschaftskrise in Deutschland eine Inflationsangst verbreitet war, die den Handlungsspielraum der wirtschaftspolitischen Instanzen eingeschränkt hat«. Diese Angst hat zum Beispiel dazu geführt, dass beschäftigungspolitische Maßnahmen bewusst knapp dimensioniert wurden, um nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, sie schürten die Inflation.
    Zwei Jahre nach Brünings Rede war die Weimarer Republik am Ende. Nicht die Hyperinflation der zwanziger, sondern die schwere Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre hat Hitler an die Macht gebracht. Die Demokratie in Deutschland ist heute gefestigt, dennoch zeigen die Debatten der damaligen Zeit, wie gefährlich die Furcht vor Inflation sein kann. Sie gehört zu den Konstanten der deutschen Wirtschaftspolitik – und sie ist in Zeiten einer Krise, die die Europäische Zentralbank (EZB) wie in diesen Tagen wieder zu außergewöhnlichen Maßnahmen zwingt, von erheblicher Bedeutung für die Zukunft des Kontinents. Jedenfalls ist die Inflation heute wie damals ein Dauerthema. Um ihr Erspartes in Sicherheit zu bringen, kaufen die Bundesbürger heute Gold und Immobilien, als gäbe es kein Morgen mehr, selbst feuchte Kellerlöcher gehen zu Höchstpreisen weg.
    Quelle: ZEIT Herdentrieb

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