Replik zu Gegenargumenten von Prof. Sinn – nach ifo Standpunkt Nr. 63

Ein Artikel von Karl Mai

Von Karl Mai, Halle, den 05.04.2005.

Anfang März veröffentlichte die Internetseite des ifo-Instituts eine spezielle Zusammenstellung von Gegenargumenten – aus der Feder von Prof. Sinn – auf die Argumente der „Reformgegner“. Damit wurde zunächst deutlich, dass man die Argumente dieser Gegner nicht weiter ignorieren kann und es angezeigt ist, dass sich der neoliberale Doyen des Wissenschaftlerkreises der „Neuen Sozialen Marktwirtschaft“ höchst selbst damit beschäftigt.

Nachstehend wollen wir exakt den angeprangerten 14 Argumenten der „Reformgegner“ (Thesen) und den vorgetragenen Gegenargumenten von Prof. Sinn (Anti-Thesen) punktweise folgen, um jeweils einen eigenen kritischen Kurzkommentar (Replik) danach beizufügen. Es versteht sich, dass Prof. Sinn unter „Reformgegner“ die Gegner von jenen alltäglich lancierten neoliberalen „Reformen“ versteht, die öffentlich als wahre Totengräber des „Sozialstaats“ wahrgenommen werden.

These 1: Uns geht es gut. Die Behauptung, Deutschlands Wirtschaft hätte ein Problem, ist aus der Luft gegriffen.

Anti-These 1: Deutschland hat eine Massenarbeitslosigkeit und ist das Land in Mittel- und Westeuropa, das seit 1995 mit Abstand am langsamsten wuchs. Wir sind Schlusslicht.

Replik 1: These 1 stammt in dieser generellen Aussage gar nicht von „Reformgegnern“, hier wird eine Aussage getroffen, die als Popanz dazu dient, leicht widerlegt zu werden. In Wirklichkeit leugnen die „Reformgegner“ keineswegs vorhandene Probleme in der deutschen Binnenwirtschaft, sondern lediglich die Nützlichkeit oder Zweckmäßigkeit von einseitig neoliberalen Wirtschaftsrezepten der Angebotsökonomie. Daher verfehlt die Anti-These 1 ihre logische Gegenwirkung.

These 2: Das langsame Wachstum ist eine kaum vermeidbare Implikation der deutschen Vereinigung.

Anti-These 2: Wenn die neuen Länder zum Westen aufschließen, muss Gesamtdeutschland schneller wachsen, nicht langsamer. Selbst Westdeutschland für sich genommen ist seit 1995 langsamer gewachsen als jedes andere Land in Mittel- und Westeuropa und Ostdeutschland noch langsamer.

Replik 2: These 2 stammt nicht von sozialpolitisch motivierten Gegnern der neoliberalen „Reformen“, sondern von jenen Demagogen, die die deutsche Vereinigung nur als auszehrenden wirtschaftlichen Aderlass der Westdeutschen verunglimpfen, ohne hierfür logische und hinreichend stichhaltige Fakten beibringen zu können. [1] Die Anti-These 2 jedoch „rennt offene Türen ein“, ohne realistische Wege aufzuzeigen.

These 3: Wer in andere europäische Länder wie z.B. das beim Sozialprodukt angeblich führende Irland oder Finnland reist, sieht mit bloßen Augen, dass die Wirtschaft noch nicht so entwickelt ist wie die deutsche.

Anti-These 3: Was man sieht, ist der Kapitalstock in Form von Immobilien, der aus dem Sozialprodukt vergangener Jahrzehnte aufgebaut wurde. Die Statistik von heute zeigt das Deutschland von morgen.

Replik 3: Es gibt gar keine „Reformgegner“, die die Wirtschaft in Irland oder Finnland visuell für entwickelter halten würden als die deutsche Wirtschaft, nur um daraus Argumente gegen „Reformen“ ableiten zu wollen. „Reformgegner“ erkennen aber durchaus an, dass das Einkommen je Kopf in Irland oder Finnland höher ist als das gesamtdeutsche, wie dies auch die Statistik für 2003 ausweist. Der Unterschied zwischen den Ländern führt zurück auf Fragen der Finanzpolitik dieser Staaten.

These 4: Beweisen nicht die Rekordgewinne der Unternehmen wie Siemens, E. ON oder BASF, dass die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähig ist?

Anti-These 4: Nicht die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, sondern die Wettbewerbsfähigkeit der Arbeiter ist das Problem. Die Unternehmen retten sich meist durch eine Produktionsverlagerung in Niedriglohnländer (Basar-Effekt). Dort entstehen die Gewinne, mit denen sie die inländischen Verluste abdecken. Wer nicht ins Ausland geht, hat Probleme. Mit 30.000 Pleiten pro Jahr hat Westdeutschland gerade die Rekordmarke überschritten.

Replik 4: Im globalen Wettbewerb stehen nicht die Arbeiter, sondern die Unternehmen. Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen ist im Export gegeben, was auch die Lohnstückkosten als internationaler Indikator des Wettbewerbs ausweisen. Für einzelne Arbeiter gibt es keinen solchen vergleichbaren Problemindikator auf dem Arbeitsmarkt. Anti-These 4 aber schiebt die hohe Zahl der Pleiten vor, um den Jobexport zu begründen – statt die Frage der stagnierenden Binnenkonjunktur aufzuwerfen.

These 5: Zeigen nicht die Daten des Statistischen Bundesamtes, dass Deutschland keine Basar-Ökonomie ist und dass noch genügend Wertschöpfung stattfindet?

Anti-These 5: Nach diesen Daten führt ein zusätzlicher Euro Export postwendend zu 55 Cent an Importen. Dennoch steigt die Wertschöpfung im Export wie in jedem Land, das sich spezialisiert. Aber sie fällt in anderen Sektoren zu schnell. Der Nettoeffekt wird durch die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts gemessen, und die ist, wie erwähnt, die niedrigste weit und breit.

Replik 5: Die Anti-These 5 geht gar nicht auf die Aussage der These 5 ein, sondern sie verlagert statt dessen das Kriterium der Effektivität von der nationalen Wertschöpfung auf die nationale Wachstumsrate des Bruttoinlandprodukts – die bekanntlich konjunkturabhängig ist. Hier wurde ein anderer Streitpunkt unterschoben.

These 6: Ist Deutschland nicht Exportweltmeister?

Anti-These 6: Nein, wir waren im Jahr 2004 mit 9 % Abstand hinter den USA Vize. Weltmeister sind wir nur, wenn man die Dienstleistungsexporte abzieht. Zur Exportstärke trägt die Aufwertung des Euro bei, durch die selbst die deutschen Exporte in den Euroraum bei der Umrechnung in Dollars vergrößert werden. Außerdem werden die Exporte durch den Basar-Effekt aufgebläht. Ein Prozent Zunahme der Wertschöpfung im Export erhöht das Exportvolumen um 1,36 %.

Replik 6: Die extrem überschüssige Exportleitung Deutschlands (per Saldo) ist nicht generell statistisch manipuliert oder aufgebauscht, auch wenn einige Effekte dies suggerieren. Es bleibt genug realer Leistungsüberschuss, um die erstrangige Wettbewerbsfähigkeit der Exportwirtschaft zu erhärten. Außerdem ist es korrekt, die deutschen Exporte zu Wechselkursen auf Dollarbasis mit anderen Exporten statistisch zu vergleichen, denn dies kann die Relationen zwischen den Exportländern gar nicht verschieben.

These 7: Aber wir haben einen Rekordüberschuss in der Leistungsbilanz. Beweist das nicht die Wettbewerbsfähigkeit?

Anti-These 7: Definitionsgemäß ist dieser Überschuss ein Maß für den Kapitalexport Deutschlands. Die Ersparnisse, die in Deutschland nicht in Investitionen umgesetzt werden, fließen als Kredite ins Ausland, und Ausländer kaufen dafür Waren in Deutschland. Besser wäre es, die Ersparnisse würden zu inländischen Investoren fließen, die damit Bauleistungen oder Maschinen in Deutschland kaufen, denn dann würden hier neue Arbeitsplätze entstehen.

Replik 7: These 7 zielt auf die Frage der Wettbewerbsfähigkeit, jedoch geht die Anti-These 7 gar nicht auf diese Fragestellung ein, sondern schiebt die Frage nach inländischen Investitionen vor. Letztere Frage wird aber von „Reformgegnern“ in ihrer aktuellen Bedeutung gar nicht negiert, sondern vielmehr hervorgehoben. Auch die Interpretation der Lohnstückkosten im internationalen Vergleich wird umgangen.

These 8: Länger zu arbeiten bringt nichts. Inklusive der Überstunden arbeiten wir ohnehin schon 42,5 Stunden.

Anti-These 8: Der Durchschnitt der tariflichen Arbeitszeit liegt bei 38 Stunden. Es kommt darauf an, bei gleichem Lohn länger zu arbeiten. Eine entlohnte Mehrarbeit bringt den Unternehmen keine Kostenentlastung.

Replik 8: Entscheidend sind die durchschnittlichen tatsächlichen Arbeitszeiten, die in Deutschland für 2002 mit 39,9 Stunden (nach EU-Angaben) noch über denen von Frankreich, Italien, Niederlanden, Dänemark und Finnland lagen.

Unbezahlte wöchentliche Mehrarbeit gegenüber der gültigen gesetzlichen Arbeitszeit bringt nur dann eine Kostenentlastung und gleichzeitig entsprechende Gewinnerhöhung, wenn die Produkte auch zu bisherigen Marktpreisen verkauft werden. Da die Massenkaufkraft durch die relative Lohnsenkung je Arbeitsstunde aber nicht ansteigt, ist die Marktrealisation auf dem Binnenmarkt ganz oder partiell problematisch. Entsteht hinreichender Wettbewerbsdruck, muss vom Mehrgewinn ein Preisverfall bestritten werden, d.h. die Kostenentlastung verpufft mehr oder weniger gewinnseitig.

These 9: Wenn länger gearbeitet wird, werden nur noch mehr Menschen entlassen. Man muss die wenige Arbeit gerechter verteilen und kürzer arbeiten.

Anti-These 9: Die Verkürzung der Arbeitszeiten in Deutschland hat nachweislich zur Zunahme der Massenarbeitslosigkeit beigetragen (J. Hunt, Quarterly Journal of Economics). Den festen Arbeitskuchen gibt es nicht. Wenn die Menschen pro Tag länger arbeiten, arbeitet auch der Kapitalstock (Gebäude und Maschinen) länger. Es gibt einen sofortigen Wachstumsschub, und im zweiten Schritt werden die Unternehmen mehr Leute einstellen, weil es vor den Werktoren noch Menschen gibt, die erst nach der Verlängerung der Arbeitszeit so viel erzeugen, wie sie kosten.

Replik 9: Es gibt empirische Untersuchungen für Deutschland, die den logischen und faktischen Zusammenhang von Arbeitszeitverkürzungen und zusätzlichen Jobs bestätigen. [2] Danach sind lt. IAB infolge der Arbeitszeitverkürzung zwischen 1970 bis 1986 ca. 980.000 Arbeitsplätze entstanden. Das DIW hatte für die Zeit von 1985 bis 1991 eine Zunahme der Beschäftigten um ca. 1 Mio. infolge der tatsächlichen Arbeitszeitverkürzung mittels einer Simulationsrechnung festgestellt.

Anti-These 9 negiert zunächst den positiven Effekt der Arbeitszeitverkürzung auf dem Arbeitsmarkt, die in These 9 überhaupt nicht behandelt wird, ohne hierfür logisch stichhaltige Gründe anzugeben. Jede Verkürzung der Wochenarbeitszeit bei Verzicht auf Lohnausgleich schafft Platz für Neueinstellungen ohne Lohnkostenerhöhung. Dies ergibt aber kein unternehmensseitiges Motiv für eine größere Entlassungswelle. Erfolgt ein teilweiser Lohnausgleich, entsteht immer noch ein anteiliger Mehrgewinn. Auch dies zwingt nicht zu Entlassungen, sofern der Mehrgewinn realisiert werden kann. Danach stellt Antithese 9 auf den Effekt der Arbeitszeitverlängerung ab, ohne einzugestehen, dass hierdurch zunächst kein direktes Motiv für neue Jobs entstehen kann. Sinkende Stundenlöhne sind allein keine hinreichende Voraussetzung für neue Jobs, denn diese erfordern auch eine zusätzliche Ausstattung mit Sachkapital für Arbeitsplätze, und entstehende Mehrproduktion erfordert zusätzliche Massenkaufkraft für ihren Absatz auf dem Binnenmarkt.

These 10: Statt länger zu arbeiten brauchen wir technischen Fortschritt, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und die deutschen Arbeitsplätze zu sichern. Deshalb muss der Staat die Innovationen fördern.

Anti-These 10: Für die Wirtschaft ist die Verlängerung der Arbeitszeit dasselbe wie ein technischer Fortschritt, der die Produktivität der Menschen und des Kapitals vergrößert. Alle Effekte auf den Wirtschaftsablauf sind identisch. Gegen die Förderung von Grundlagenforschung spricht nichts. Nur wirkt die Arbeitszeitverlängerung viel schneller.

Replik 10: Technischer Fortschritt erhöht die Produktivität je geleistete Arbeitsstunde. Dies erfordert Investitionen ins Sachkapital, schafft also neue Nachfrage dafür. Der Impuls für die Wirtschaft daraus wird gegenwärtig in Deutschland gleichsam von der Politik „herbeigebetet“. Bloße Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit dagegen basiert auf der bestehenden Ausrüstung der Arbeitsplätze. Es wächst nicht die Stundenproduktivität, sondern nur die Produktivität je Beschäftigten, und der Mehrgewinn entsteht durch relative Lohnsenkung je Arbeitsstunde. Impulse zum technischen Fortschritt werden nicht direkt ausgelöst, sondern eher verzögert. Die Effekte auf den Wirtschaftsablauf sind also nicht identisch.

These 11: Wer soll denn die zusätzlichen Produkte kaufen, wenn länger gearbeitet wird und keiner zusätzlich Geld verdient?

Anti-These 11: Die Unternehmen verdienen dann sehr wohl zusätzliches Geld. Die Steigerung der Unternehmensgewinne und damit die Zunahme der Kaufkraft der Unternehmer ist bis auf den letzten Cent identisch zum Wert der Mehrproduktion. Die Unternehmer werden das Geld nicht horten, sondern selbst für den Kauf von Investitionsgütern ausgeben oder anderen leihen, die es dann für den Kauf solcher Güter ausgeben.

Replik 11: Die zusätzlichen Gewinne sind nicht identisch mit dem Wert der Mehrproduktion, weil dieser Wert der Mehrproduktion (BIP) stets auch Sach- und Lohnkostenbestandteile enthält. Aber jede Mehrproduktion muss erst einmal auf dem Markt realisiert werden, bevor ein Mehrgewinn verfügbar ist. Ohne „Mehrlohn“ ist auch der Mehrgewinn nicht vollständig realisierbar. Der Mehrgewinn wird oftmals weder im eigenen Unternehmen reinvestiert noch „ausgeschüttet“, sondern in spekulative Geldanlagen geleitet. Demgegenüber würde eine Zunahme der lohnabhängigen Masseneinkommen in höherem Grade sofort konsumtiv verwendet.

These 12: In den neuen Bundesländern gibt es viele Arbeitslose, obwohl die Löhne noch so viel niedriger sind als im Westen. Beweist das nicht, dass es auf die fehlende Nachfrage ankommt?

Anti-These 12: Die Arbeitslosigkeit hängt von den Löhnen und der Produktivität ab. In den neuen Ländern sind die Löhne viel schneller gewachsen als die Produktivität. Die Nachfrage übersteigt die eigene Erzeugung dank der riesigen staatlichen Transfers und dank eines gewissen Zustroms an Finanzkapital um bald die Hälfte. Noch nie hat es eine Großregion gegeben, in der es einen ähnlich großen Nachfrageüberhang gab.

Replik 12: Satz 2 in These 12 stammt nicht von „Reformgegnern“. Daher trifft die Anti-These 12 nicht ins Ziel. Außerdem: in der Verarbeitenden Industrie Ost liegen die Lohnstückkosten offiziell inzwischen (für 2003) um 5,9 %-Punkte günstiger als in Westdeutschland, 3 d.h. die Lohnhöhe in diesem Wirtschaftszweig ist hier gemäß der speziellen regionalen Zweig-Produktivität auf Stundenbasis mindestens „angemessen“. (Dagegen wird die gesamte ostdeutsche Produktivität auf Basis BIP methodisch abweichend ermittelt.)

Der in Anti-These 12 erwähnte „Nachfrageüberhang“ entsteht u. a. für Arbeitslose und Rentner aus den Sozialtransfers, d. h. also aus den Langzeitwirkungen der Vereinigungsökonomie hinsichtlich der extremen ostdeutschen Arbeitslosigkeit und ihren fiskalischen Folgen.

These 13: Ist nicht die Produktivität im Osten schon so hoch wie im Westen.

Anti-These 13: Nein, je Erwerbstätigen lag das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2004 bei 72 %. Dabei ist die Null- Produktivität der Arbeitslosen nicht einmal mitgerechnet. Die Produktivität im Sinne des Bruttoinlandsprodukts je Person im erwerbsfähigen Alter liegt bei 59 % des Westniveaus. Die Monatslöhne liegen schon in der Nähe von 80%.

Replik 13: These 13 ist keine Aussage speziell von „Reformgegnern“, die sie jedoch gewiss für falsch halten würden. Die in der Anti-These 13 gezeigte Differenzierung zwischen Ost und West ist summarisch gesehen nicht korrekt, weil die Produktivitätsmessung im Sektor Staat, im Sektor Verkehr und im Dienstleistungssektor zwischen Ost und West auf besonderen statistischen Kriterien beruht, die das Gesamtergebnis zu Gunsten West verzerren. Darüber hinaus gibt es erhebliche regionale Strukturunterschiede zwischen der ost- und westdeutschen Industrie, die hinsichtlich der Produktivitätshöhe permanent von Nachteil für Ostdeutschland wirksam sein müssen und deren Effekt absehbar fortexistiert.

These 14: Die Wirtschaftspessimisten sind wegen der schlechten Stimmung, die sie verbreiten, selbst am Verlust der Arbeitsplätze schuld.

Anti-These 14: Wenn der Patient der Operation zustimmen soll, muss man ihm die Wahrheit sagen, auch wenn das seine Stimmung vermiest. Opium sollte man nur geben, wenn die Krankheit hoffnungslos ist.

Replik 14: Die Stimmung wird nicht durch „die Wahrheit“, sondern durch die neoliberale Interpretation der Wahrheit vermiest. Die absolute Wahrheit ist auf der Basis einer einseitig interessengeleiteten Wirtschaftsdeutung der Neoliberalen so wenig erreichbar, wie eine andere Galaxis. Außerdem: die „Wirtschaftspessimisten“ organisieren nicht den Jobexport ins Ausland, sondern nutzen die schlechte Stimmung aus ihrer angeblichen „Wahrheitsdiagnose“ für weiteren Sozialabbau im Vorfeld von Jobexport.

Autor der vorstehenden zitierten Thesen und Anti-Thesen: Hans-Werner Sinn, Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft, Präsident des ifo Instituts. Erschienen unter dem Titel “Die Irrtümer der Reformgegner”, Süddeutsche Zeitung, Nr. 62, 4. März 2005, S. 24.)

Nachbemerkung von Karl Mai

Der kritische Leser der vorstehenden 14 Gegenargumente (Anti-Thesen) wird zunächst enttäuscht sein, dass die angeblich irreführenden Thesen der „Reformergegner“ weder einen inhaltlich-logischen Zusammenhang noch eine akribische Vorstellung von den Auffassungen dieser Gegner vermitteln: sie sind willkürlich ausgewählt und teilweise sogar unsinnig formuliert sowie darauf abgestellt, den Vorwand für abschmetternde Gegenargumente abzugeben. Weder hierin noch in seinen vorgeblichen Widerlegungen bzw. Klarstellungen sind bei Prof. Sinn logisch-sachliche Erkenntnisgewinne abzuholen. Seine Bemühungen erwecken eher den Eindruck, dass lästige und lässige Ausführungen zu vorgeblichen Thesen von „Reformgegnern“ die Würde des „Doyen deutscher Neoliberaler“ stören.

Doch im Vorstehenden kann jeder Leser selbst beurteilen, wie arm die logischen Argumente der Apologeten des neoliberalen „Reformkurses“ eigentlich sind. Die jeweils angefügten Detail-Repliken sollen dies nur erleichtern.


[«1] Siehe ausführlich hierzu: Verlautbarung der Autorengruppe aus der AG “Alternative Wirtschaftspolitik”: “Intervention: Gegen die Zwangsperspektive des ostdeutschen Zurückbleibens – Für forcierte Mobilisierung endogener Entwicklungspotentiale Ost” [PDF – 212 KB], vom 15.11.2004, Pkt. 3

[«2] Einen Überblick hierzu gibt das “Memorandum ‚96” (S. 144/45) der AG “Alternative Wirtschaftspolitik”. Siehe auch: Heinz-J. Bontrup, “Arbeit, Kapital und Staat”, PapyRossa 2005, S. 66 f.

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