„Mutter Camouflage“ – Wie Merkel mit der Opposition Hase und Igel spielt

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Camouflage bedeutet laut Wörterbuch Irreführung, Täuschung, Tarnung oder Schminke.
Schon seit längerer Zeit verfolgt die Kanzlerin die Machterhaltungsstrategie durch Camouflage. Sie neutralisiert politische Angriffe oder Alternativen zu ihrem Kurs, indem sie die Themen der anderen Parteien einfach klaut. So stellt die CDU etwa einem „gesetzlichen Mindestlohn“ eine „verbindliche Lohnuntergrenze“ entgegen. Die „Vorratsdatenspeicherung“ wird von der Union in „Mindestspeicherfristen“ umbenannt. Die „Solidarrente“ der SPD heißt bei Sozialministerin von der Leyen „Lebensleistungsrente“. Die Absage an eine „Frauenquote“ wird begrifflich zur „Flexiquote“ aufgehübscht. Und so weiter.
Eine Partei wie die SPD, die Deutschland laut ihrem Regierungsprogramm nur „besser“ und eben nicht „anders“ regieren will, oder – wie es im letzten Mitgliederbrief heißt – den anderen nur „einen Schritt voraus“ sein will, braucht sich nicht zu wundern, wenn Merkel mit ihr Hase und Igel spielt. Von Wolfgang Lieb.

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Es sind Täuschungen wie in Grimms Märchen vom Wettrennen zwischen dem Hasen und dem Igel: Immer wenn der Hase am Ende der Furche ankommt, ruft die Kanzlerin „Ick bün al dor!“ Da kann sich der Hase die Lunge noch so sehr aus dem Leib rennen. Zu nahezu jeder Forderung der Opposition, bei der die Kanzlerin befürchten muss, dass sie von einer Vielzahl von Menschen für richtig gehalten wird und sie sich Sorgen machen muss, dass ihr die Vorschläge von SPD und Grünen Zustimmung und letztlich vielleicht Wählerstimmen kosten könnten, legt sie und ihre Regierung ein Angebot vor, das scheinbar dem Konzept ihrer politischen Gegner entgegenkommt, ja sogar als noch besser und durchdachter dargestellt wird.

Die meisten konservativen Medien, die dieses Spiel durchschauen, machen diese Irreführung gerne mit, tun sie doch alles dafür, dass Merkel an der Macht bleibt. Viele Journalisten fallen aber einfach nur auf die Täuschung herein. Souffliert von der FDP, die damit ihr wirtschaftsliberales Profil schärfen möchte, wird ständig nachgeplappert, die Kanzlerin habe sich „sozialdemokratisiert“, sie sei „unideologisch pragmatisiert“, ja, Merkel sei „im Herzen Sozialdemokratin“ oder sie laufe als „Klimakanzlerin“ den Grünen den Rang ab.
(Siehe auch das Suchergebnis zum Suchwort „Sozialdemokratisierung“ auf den NachDenkSeiten)

Bei dieser Meinungsmache durch die Hauptmedien, aber vor allem auch weil weder die SPD noch die Grünen in den großen Linien der Politik – also bei der sog. „Sparpolitik“, in Sachen Agenda-Politik, gegenüber der Austeritätspolitik in Europa, noch in der Militärpolitik – eine wirkliche Alternative zum Kurs der Kanzlerin anzubieten haben, sondern nur auf einigen Feldern ein Stück weiter gehen wollen, als das was die Regierung zu bieten hat, scheint die Wahlstrategie von „Mutti“ aufzugehen. Sie bekommt in Umfragen mit weitem Abstand vor allen anderen Politikern die beste Note erteilt. Sie liegt bei der Kanzlerfrage mit weitem Abstand vor ihrem Herausforderer, sogar bei der Frage, wen die Befragten für „sozial gerechter“ halten, läuft Merkel ihrem Herausforderer Steinbrück den Rang ab. Mehr als zwei Drittel aller Befragten (unter den SPD-Anhänger sind es sogar 72 Prozent) sehen nur wenige oder gar keine Unterschiede bei den Programmen und Inhalten zwischen CDU/CSU und SPD.

Doch selbst dort, wo SPD und Grüne in ihren Wahlprogrammen im Detail Kontrapunkte zur Politik und zu den Programmen von CDU/CSU setzen, bestimmt die Kanzlerin mit ihrer geschmeidigen Gegenstimme die Melodie und den Takt.

Geht man den Themenklau der Reihe nach durch und entfernt die Schminke von den Lockreizen, so erscheint „Mutti“ Merkel als nichts anderes als eine Mutter Camouflage.

Benutzen wir einfach einmal einen Make-Up-Entferner und schauen uns an, was hinter den vermeintlichen Lockangeboten zum Vorschein kommt:

Mindestlohn vs. „verbindliche Lohnuntergrenze“

Die Forderung von SPD, Grüne und der Linkspartei nach einem gesetzlichen Mindestlohn versucht die CDU mit einer „allgemein verbindlichen Lohnuntergrenze“ für Bereiche ohne Tarifvertrag zu unterlaufen.

Dazu muss man wissen, dass nur noch etwa die Hälfte aller Beschäftigten in Deutschland überhaupt noch von einem Tarifvertrag erreicht wird. Im Osten verdient ein Viertel der Beschäftigten unter 8,50 Euro im Westen etwa jeder achte, wobei der Anteil der Frauen fast doppelt so hoch liegt, wie bei den Männern.

Die Höhe dieser „Lohnuntergrenze“ soll eine unabhängige, paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern besetzte Kommission festlegen, die Empfehlung soll dann vom Bundesarbeitsministerium für verbindlich erklärt werden.

Um vor allem die Gewerkschaften am Portepee zu packen, singt die CDU dabei das hohe Lied auf die Tariffreiheit und die Tarifpartnerschaft. Tarifverträge mit Löhnen unter der von dieser Kommission bestimmten Lohnuntergrenze sollen gültig bleiben. Allein die Tatsache, dass es zahlreiche Tarifverträge gibt, die unterhalb der von den von SPD und Grünen geforderten Höhe von 8,50 Euro (die LINKE verlangt mindestens 10 Euro) liegen, zeigt das ungleiche Kräfteverhältnis, das in vielen Wirtschaftssektoren zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften besteht. Wenn schon in tarifgebundenen Bereichen die Gewerkschaften nicht in der Lage sind, eine Mindestlohngrenze in dieser keineswegs opulenten Höhe (bei einer Vollzeitarbeit sind es zwischen 1.360 bis 1.428 Euro brutto im Monat nach dem Stundenlohnrechner 1.474 Euro) durchzusetzen, wie sollte das in einer paritätisch besetzten Kommission ohne das Drohmittel Streik besser gelingen.

Was wäre denn, wenn die Arbeitgeberseite bei ihrer Position bleibt und eine Lohnuntergrenze von 8,50 Euro ablehnt? Dann könnte die Kanzlerin ihre Hände in Unschuld waschen und sich vor der Verantwortung drücken.

Ein Lohnuntergrenze ohne vorgegebene Untergrenze, ist ein reines Täuschungsmanöver. Der Vorschlag der CDU brächte keine Verbesserung gegenüber dem Status quo, bei dem ja schon derzeit das sog. Mindestarbeitsbedingungssetz gilt.

Im Übrigen: Bei einem Mindestlohn geht es ja keineswegs nur um einen gerechten Lohn an der unteren Lohngrenze, sondern um die Auswirkungen auf das gesamte Lohngefüge, auf die Gesamtwirtschaft, auch um echte Wettbewerbsfähigkeit.

„Solidarrente“ und „Garantierente“ vs. „Lebensleistungsrente“

Nach geltendem Recht soll das Rentenniveau bis 2030 auf 43 Prozent gesenkt werden. Niedriglöhner – d.h. rund ein Viertel der abhängig Beschäftigten – und 400-Euro-Jobber – etwa 7,4 Millionen Menschen – droht die reale Gefahr von Armut im Alter. Um den dramatischen Abfall der Altersrenten, der durch die Arbeitsmarkt- und Renten-„Reformen“ von Rot-Grün programmiert wurde, auffangen zu können, versprechen die Grünen eine „Garantierente“ und die SPD hat sich nach langem Ringen mit den Gralshütern der Riester-„Reformen“ auf eine sog. „Solidarrente“ verständigt.

Doch kurz vor der Veröffentlichung des SPD-Konzepts mit einer „Solidarrente“ preschte die Bundesarbeitsministerin mit ihrem Vorschlag der „Lebensleistungsrente“ vor.

Die Vorschläge von der Leyens, der SPD und der Grünen gehen von einer monatlichen Mindestrente von 850 Euro aus, ein Betrag, der etwas höher liegt als der Anspruch auf eine Grundsicherung von 758 Euro, der derzeit auch jemand zusteht, der keine langjährige Erwerbsbiografie hat. Die Linkspartei fordert eine „Solidarische Mindestrente“ in einer Höhe von 1.050 Euro.

Die „Solidarrente“ unterscheidet sich von der „Lebensleistungsrente“ im Wesentlichen dadurch, dass nach den Vorstellungen der SPD die Anhebung der Mindestrente aus Steuermitteln finanziert werden soll, während nach von der Leyens Vorstellungen die Rentenzuschüsse überwiegend aus der gesetzlichen Rentenversicherung erwirtschaftet– also vor allem von den Lohnabhängigen finanziert werden sollen. Als Voraussetzung für den Bezug einer „Lebensleistungsrente“ nennt nun die CDU in ihrem Wahlprogramm eine Rentenversicherungsdauer von 40 Jahren bei gleichzeitiger privater Vorsorge (z.B. Riester-Rente). Die SPD sieht eine Mindestversicherungszeit von (nur!) 35 Jahren vor und zusätzlich sollen Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II besser berücksichtigt werden.

Die Täuschung bei dem Vorschlag der „Lebensleistungsrente“ besteht darin, dass die Anspruchsvoraussetzungen (40 Jahre Rentenversicherung) und, schon gar das zusätzliche Kriterium einer kapitalgedeckten privaten Vorsorge wohl nur von ganz wenigen erfüllt werden dürften. Von Bekämpfung der drohenden Altersarmut also keine Spur. Gerade diejenigen die auf die „Lebensleistungsrente“ am meisten angewiesen wären, haben in aller Regel gar nicht die finanziellen Möglichkeiten, um privat für ihren Ruhestand vorzusorgen. Letztlich entpuppt sich die Bedingung einer privaten Vorsorge nur als ein Druckmittel zum Abschluss einer Riester-Rente und damit als Förderprogramm für die Versicherungswirtschaft.

Aber auch die Zugangshürden der „Solidarrente“ (40 Versicherungsjahre und 30 Beitragsjahre) sind bei weitem zu hoch, um angesichts der derzeitigen Arbeitsmarktsituation mit einem ausufernden Niedriglohnsektor drohende Altersarmut wirklich zu bekämpfen.

Fazit: Weder die SPD, noch die Grünen und schon gar nicht die CDU bieten ein überzeugendes Konzept zur Aufhaltung des dramatischen Abfalls der Altersrenten.

„Mietpreisbremse“ vs. „Preisbremse bei Neuvermietungen“

Dass vor allem in Ballungsräumen durch den Anstieg der Mieten Familien mit geringem Einkommen nach Abzug der Wohnkosten oft unterhalb der staatlichen Grundsicherung landen, ist inzwischen bei allen Parteien angekommen.

Während die CDU bisher eine Mietpreisbremse entschieden abgelehnt hat, reagierte die Kanzlerin ohne Absprache mit dem Präsidium und dem Vorstand ihrer Partei Anfang Juni dieses Jahres auf einen Vorstoß von Kanzlerkandidat Steinbrück. Er wolle eine gesetzliche Regelung schaffen, wonach Mieterhöhungen auf Bestandsmieten auf 15 Prozent begrenzt werden sollen und Neumieten nicht mehr als 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen dürften [PDF – 92.9 KB] . Daraufhin kündigte Merkel zu aller Überraschung an, eine Preisbremse bei Neuvermietungen ins Wahlprogramm ihrer Partei aufnehmen zu wollen.

Im Wahlprogramm selbst stellt sich jedoch die Ankündigung der Kanzlerin als reines Propagandamanöver. Eine künftig von der CDU geführte Bundesregierung will nämlich alles so belassen, wie es ist, und schiebt die Verantwortung auf die Länder ab. Die Länder sollen – wie schon jetzt – die Möglichkeit behalten, in Gebieten mit knappem Wohnraum, die Grenzen für Mieterhöhungen innerhalb von drei Jahren von 20 auf 15 Prozent zu senken. Zusätzlich soll den Ländern die Möglichkeit eröffnet werden, in angespannten Märkten die Mieterhöhungen in Zukunft auf 10 Prozent oberhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete zu beschränken.

Das hört sich bei oberflächlichen Betrachtung und im Hinblick auf die genannten Prozentzahlen an, wie das Aktionsprogramm der SPD, nimmt aber eine künftige CDU-geführte Bundesregierung gerade nicht in die Pflicht.

Ihre Partei hat also die großspurige Ankündigung der Kanzlerin wieder einkassiert. Es ist erstaunlich, dass dies von den Medien kaum registriert worden ist. Aber Hauptsache Merkel hat das Thema für sich besetzt. Dass sie nur weiße Salbe ausgegeben hat, interessierte niemand weiter.

Von der Vorratsdatenspeicherung zu „Mindestspeicherfristen“

Die CDU und die CSU (dort vor allem der Datenfetischist Hans-Peter Uhl) waren schon immer für die Vorratsdatenspeicherung. Der Begriff ist schon als solcher ein beschönigendes Tarnwort. Denn Vorratsdatenspeicherung heißt in die Praxis übersetzt, eine flächendeckende und vor allem verdachts- oder anlasslose Überwachung von Telekommunikationsdaten. CDU/CSU waren auch für die Ratifizierung der EU-Richtlinie 2006/24/EG über die Vorratsdatenspeicherung. Deren fristgemäße Umsetzung wurde in der zurückliegenden Legislaturperiode nur von der Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger blockiert.

Zugegeben, die SPD hat sich in der Vergangenheit auch nicht gerade als Vorkämpferin gegen die Netzüberwachung hervorgetan. Nicht zu vergessen: Es war die frühere Justizministerin und das jetzige Mitglied in Steinbrücks Kompetenzteam, Brigitte Zypris, die die EU-Richtlinie 2007 schon einmal in deutsches Recht umgesetzt hatte. Ihr Gesetz wurde vom Bundesverfassungsgericht gekippt.

Auch Steinbrücks Kompetenzbeauftragte für „Vernetzte Gesellschaft und Netzpolitik“, Gesche Joost, eiert bei diesem Thema nur herum.

Nachdem aber (wenigstens bisher) Steinbrück die Enthüllungen von Edward Snowden über die Ausspähung ausländischer Geheimdienste zum Wahlkampfthema zu machen versuchte und der mögliche künftige Innenminister Oppermann sogar erklärt hat, dass die EU-Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung „keinen Bestand mehr haben“ dürfe, gingen auch CDU/CSU in die Defensive. Sie rückten vom Begriff der Vorratsdatenspeicherung ab und nannten diese im Wahlprogramm in „Mindestspeicherfristen“ um.

Die meisten Medien fielen auf diesen sprachlichen Trick herein und meldeten einen „Kurswechsel der Union“. Ein Irrtum von dem sich inzwischen etwa das ZDF und einige andere Medien (erfreulicherweise) wieder distanzieren mussten.

Aber die Botschaft von der Abkehr von der Vorratsdatenspeicherung hatten CDU und CSU schon mal gestreut. Und das war schließlich das Wichtigste. Dass es sich bei dem schönen neuen Wort „Mindestspeicherfristen“ nur um einen Etikettenschwindel handelt, gibt Innenminister Friedrich unumwunden zu: “Dieser Begriff ist besser, denn bei Vorratsdatenspeicherung wird man merkwürdig angeschaut.” Im Wahlprogramm heißt es dagegen klipp und klar: „CDU und CSU wollen…eine entsprechende Richtlinie der Europäischen Union in nationales Recht umsetzen.“ Das geht jedoch nur, „wenn man sämtliche Verbindungsdaten sämtlicher Kommunikation für mindestens sechs Monate anlasslos speichert“ – also über die Vorratsdatenspeicherung.

Aber diese Täuschung der Unionsparteien kann die SPD schon deshalb nicht mehr zum Thema machen, weil der „rote Sheriff“ Otto Schily der Kanzlerin zur Seite gesprungen ist und law and order (und die Vorratsdatenspeicherung gleich mit) zu „sozialdemokratischen Werten“ erklärt hat.

Frauenquote vs. Flexi-Quote

Die SPD will „eine 40-Prozent-Geschlechterquote für Aufsichtsräte und Vorstände börsennotierter und mitbestimmter Unternehmen verbindlich festlegen“ (Regierungsprogramm S. 51 [PDF – 1 MB]).
Die Grünen wollen die volle Parität. Da musste die CDU etwas dagegenstellen, schließlich sind Frauen wahlentscheidend.

Angela Merkel ließ ihre Sozialministerin von der Leine. Ursula von der Leyen durfte unter großem öffentlichem Rummel für eine gesetzliche Frauenquote je nach Unternehmen von bis zu 30 Prozent kämpfen. Es wurde ein regelrechtes „Kabinettstückchen“ zwischen der Sozialministerin und der eigentlich zuständigen Frauenministerin inszeniert. Einige CDU-Frauen drohten im Parlament gar für einen Antrag des Bundesrats für eine gesetzliche 40-Prozent-Quote zu stimmen, den die Opposition eingebracht hatte.

Kristina Schröder trat – wie die große Mehrheit ihrer Partei – für eine sog. „Flexi-Quote“ ein. Was nun wirklich nicht mehr als eine hohle Phrase ist, denn nicht anders als bisher sollen sich die Unternehmen selbst Ziele für ihren Frauenanteil setzen dürfen. Merkel flüchtete sich – ohne für eine ihrer Ministerinnen Partei zu ergreifen – mal wieder ins Vage und warnte, dass sie sich die „systematische Frauen-Benachteiligung nicht mehr lange ansehen werde“.

Der dramatisch inszenierte Theaterdonner endete mit einem sog. „Kompromiss“:

„Mit einer verpflichtenden „Flexi-Quote“ werden wir von den börsennotierten oder mitbestimmungspflichtigen Unternehmen fordern, eine verbindliche Frauenquote für Vorstand und Aufsichtsrat festzulegen. Diese soll öffentlich ausgewiesen werden und darf nicht nachträglich nachunten berichtigt werden. Zugleich werden wir gesetzlich regeln, dass ab dem Jahr 2020 eine feste Quote von 30 Prozent für Frauen in Aufsichtsratsmandaten von voll mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen gilt.“

(Regierungsprogramm S. 63 [PDF – 683 KB])

Diese Scharade bedeutet in Wirklichkeit: Warme Worte, wie schon seit Jahren, ansonsten lässt man den Dingen weitere 7 Jahre ihren Lauf und danach wird man sehen.

Die Hauptsache wurde jedoch erreicht: Mit diesem „mehrfach gebogene Kompromiss“ (FAZ) ist einem für die Wählerinnen nicht ganz unwichtiges Wahlkampfthema der SPD die Spitze genommen.

Gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften

Ein ähnliches Täuschungsmanöver versuchte die CDU mit der Gleichstellung der „Homo-Ehe“.

Weil eine große Mehrheit für diese Gleichstellung ist und die anderen im Bundestag vertretenen Parteien sowieso auch, musste sich – zumal nach dem Verfassungsgerichtsurteil zum Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare – auch die CDU diesem Thema stellen.

Diesmal durften Finanzminister Schäuble und einige Bundestagsabgeordnete der CDU mit einer Finte antäuschen und ihre Partei zu einer Angleichung der Rechte gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften mit der (traditionellen) Ehe aufrufen. Und schon lauteten die Schlagzeilen wieder: „CDU steht vor Kurswechsel bei Homo-Ehe“.

Als der Widerstand vom konservativ-katholischen Flügel ihrer Partei dann doch zu groß wurde, setzte die Kanzlerin auf ihre bekannte Verzögerungstaktik: Man wolle vor der Wahl keine Entscheidung treffen und im Übrigen das anstehende weitere Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten.

Im Regierungsprogramm heißt es dürr und nichtssagend: Die Diskriminierung anderer Formen der Partnerschaft, auch gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften, lehnen wir ab. (S. 60)

Steuererhöhungen vs. Verlängerung des Solidaritätszuschlags

Vehement polemisiert die Kanzlerin und ihre Partei gegen die Pläne zur Steuererhöhung für besonders hohe Einkommen, und eine höhere Besteuerung von Kapitalgewinnen, wie sie Grüne, SPD und die LINKE fordern. Sie will sogar mit der Forderung nach Steuersenkungen in den Wahlkampf ziehen.

Merkel fordert jedoch gleichzeitig ein Festhalten am Solidaritätszuschlag für die ostdeutschen Länder bis 2019 und danach sollen nach ihrer Meinung mit einem Soli Investitionen in ganz Deutschland finanziert werden.

Dass von den derzeit 14 Milliarden Steuereinnahmen aus dem Solidaritätszuschlag 4 Milliarden gar nicht im Osten sondern in der Bundeskasse landen, verschweigt die Kanzlerin lieber. Und dass der derzeitige Soli-Satz von 5,5 Prozent der Einkommen-, Kapitalertrag- und Körperschaftsteuerschuld alle Steuerzahler und eben nicht nur die wirklich Reichen belastet, das kehrt sie unter den Teppich.

Eine Verlängerung des Soli bedeutet also eine Steuererhöhung für alle und nicht nur eine Steuererhöhung für die oberen 95 Prozent der hohen Einkommensbezieher oder auf leistungsloses Einkommen durch Erbschaften (allein in diesem Jahr werden 250 Milliarden Euro vererbt). Eine Wiedereinführung der Steuer auf die ständig steigenden Vermögen lehnt die Kanzlerin ohnehin ab.

„Klimakanzlerin“ außer Diensten

Man könnte noch zahllose weitere Beispiele für die Camouflage der Kanzlerin aufzählen, so lässt sich ja Merkel gerne als „Klimakanzlerin“ feiern. „Nichtstun bedeutet, dass es uns insgesamt viel, viel teurer kommt“, sagte Merkel im Mai 2013 auf einer internationalen Klimakonferenz. Tatsächlich hintertreibt sie die Treibhausgas-Emissionsziele auf europäischer Ebene und die CO2-Emissionen steigen erstmals wieder in Deutschland. Oder sie redet in Berlin vom Klimaschutz und setzt sich in Brüssel im Interesse der Oberklassen-Hersteller persönlich gegen die Einführung schärferer Abgas-Höchstwerte für Autos ein. Oder sie stemmt sich in der Europäischen Kommission gegen eine Reform des wirkungslosen Emissionshandels.

Regulierung der Finanzmärkte: Fehlanzeige

Merkel fordert anlässlich des kürzlichen Besuchs beim Papst öffentlichkeitswirksam weitere Anstrengungen zur Regulierung der Finanzmärkte. Doch ihre bisherigen Ankündigungen haben sich als folgenlose Rhetorik erwiesen. Dort wo Merkel um eine Regulierung nicht herumkam, also etwa beim Verbot von „Leerverkäufen“, bei einer gewissen Kontrolle des „Hochfrequenzhandels, hat sie die Kontrolle im Wesentlichen denjenigen überlassen, die gerade zu kontrollieren wären, nämlich den Bankern oder der örtlichen Börsenaufsicht.

Das „Scheibchenmodell“ als Wahlstrategie

Man mag einwenden, dass alle aufgezählten Täuschungsmanöver nicht das „Große Ganze“ oder den grundsätzlichen politischen Kurs der Kanzlerin betreffen. Wie es einer Politikerin gelungen ist, „derart konsequent auf Kosten der Mehrheit zu handeln und zugleich die Sympathie dieser Mehrheit zu gewinnen“, darüber hat Stephan Hebel in seinem Buch „Mutter Blamage“ ausführlich berichtet.

Doch Merkel und ihre Berater wissen, dass bei Wahlen wenige Prozentpunkte über Sieg und Niederlage entscheiden. Die Technikerin des Machterhalts hat das sog. „Scheibchenmodell“ der Wahlstrategen nur zu gut verstanden. Das „Scheibchenmodell“ besagt, dass es im Wahlkampf um die Wurst geht. Das heißt, um zu siegen, man muss Scheibchen um Scheibchen aus den verschiedensten relevanten Wählergruppen für die eigene Partei gewinnen. Merkel weiß, dass es bei Wahlentscheidungen wichtig ist, jeweils bei ganz unterschiedlichen Wählergruppen zu punkten, also bei Arbeitnehmern und Gewerkschaftern mit den Themen “Mindestlohn“ oder der „Lebensleistungsrente“, bei der Masse der Mieter mit den Mietpreise, bei den Frauen oder bei den Homosexuellen mit der Gleichstellung, bei den Steuerzahlern mit Steuersenkungen usw.

Um in den jeweiligen durchaus bedeutsamen Wählergruppen die notwendigen Stimmen zu fangen, ist es Merkel offensichtlich mit großem Erfolg gelungen, mit Irreführung, Täuschung, Tarnung und mit viel Schminke den anderen Parteien die Themen zu stehlen. Und wahrscheinlich hat Heribert Prantl Recht, dass es nicht nur in der Rentenpolitik, sondern auf all den hier beschriebenen Feldern „trotz des Boheis…der gemacht wird, nur tausend Leute in Deutschland gibt, die hier die Differenzen zwischen Union und SPD buchstabieren können.“

Zum Wechsel fehlt eine wirkliche Alternative

Dass diese Wahlkampfstrategie aufzugehen scheint, hat natürlich damit zu tun, dass SPD und Grüne keine grundsätzliche Alternative zur Fortsetzung des Agenda- und Austeritätskurses für Deutschland und Europa zu bieten haben. Und das „Einparteiensystem mit vier Flügeln“ (Oskar Lafontaine) grenzt jedes grundsätzliche alternative Konzept aus und in den Medien findet nicht einmal eine Debatte darüber statt. So werden etwa die z.B. die gegenläufigen Vorstellungen der Linkspartei schlicht ausgeblendet oder einfach nur unisono verteufelt. So dass, eine Diskussion um eine wirkliche Alternative für einen Wechsel fehlt.

Eine Partei, wie die SPD, die Deutschland laut ihrem Regierungsprogramm nur „besser“ und eben nicht „anders“ regieren will, bzw. die – wie es im letzten Mitgliederbrief heißt – den anderen nur „einen Schritt voraus“ sein will und „sich mehr traut“, braucht sich nicht zu wundern, wenn Merkel mit ihr Hase und Igel spielt.

Mutter Camouflage kann also dem 22. September mit Zuversicht entgegensehen.

Anmerkung: Mit der Überschrift „Mutter Camouflage“ spiele ich auf den Titel des Buches von Stephan Hebel „Mutter Blamage“ an, der wiederum „Mutter Courage“ aus dem Theaterstück Bertolt Brechts als Gegenfigur zu Merkel heranzieht.

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