Die Reputation der Tafeln wird von Unternehmen zur Imagepflege und zur Gewinnsteigerung missbraucht

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Dank der Sozialgesetzgebung in Deutschland, vor allem seit Gründung der Bundesrepublik schien das Problem der Armut in Deutschland lange Zeit weitgehend überwunden zu sein. Aber aufgrund der „Reformen“ seit den 80er Jahren und verschärft seit der Jahrtausendwende führen Niedriglöhne, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Arbeitslosigkeit, Erwerbsunfähigkeit und Rentenkürzungen millionenfach in Armut. Seit der Agenda 2010 zahlt der Staat Sozialhilfeempfängern neben Miete und notdürftiger Gesundheitsversorgung nur eine geringe Alimentation in Höhe von derzeit 382 Euro, darin sind für Nahrungsmittel knapp 140 Euro enthalten. Die Zuwendung ist derart knapp gehalten, dass immer mehr Menschen in unserem Lande auf Tafeln, Suppenküchen und Kleiderkammern angewiesen sind.

Zunächst als kurzzeitige Nothilfe gedacht, sind Tafeln inzwischen geradezu zu einem Konzern herangewachsen, der von Unternehmen alimentiert zu sein scheint. Die Unternehmen nutzen die positive Bewertung ihres Tafel-Engagements, um ihr soziales Image aufzubessern. Vielfach gewinnt man den Eindruck, dass eher die in der Tafelbewegung engagierten Unternehmen die Profiteure sind als die Menschen, die gesellschaftlich an den Rand gedrängt wurden. Von Christine Wicht.

Selbst eine akademische Ausbildung ist längst kein Garant mehr für eine gesicherte Existenz. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse und das vor allem durch die Hartz-Gesetzgebung eingeleitete Lohndumping sind auf dem Vormarsch, sie haben dazu geführt, dass viele Menschen in Deutschland von ihrer Arbeit nicht mehr leben können.

1,2 Millionen Menschen bekommen Hilfe zum Leben. Die Absenkung des Rentenniveaus hat dazu geführt, dass zunehmend mehr Rentner nicht genug Geld zum Essen haben. Parallel zur Ausbreitung von Armut hat sich eine Tafellandschaft gebildet, zunächst als kurzzeitige Versorgung gedacht, haben sich die Tafeln mittlerweile als dauerhafte Institution etabliert. Ja, die Tafelbewegung ist inzwischen geradezu zu einem Konzern herangewachsen, der von Unternehmen alimentiert zu sein scheint.

Das Image der Wirtschaft hat in den letzten Jahren gelitten. Massenentlassungen trotz hoher Gewinne, Lohnsenkungen, Leiharbeit, befristete Arbeitsverhältnisse, bei exorbitanten Managergehältern und millionenschweren Abfindungen, Korruptionsskandale oder das Ausnutzen von Steuerschlupflöchern haben das Ansehen der Wirtschaft in der Öffentlichkeit geschädigt. Das Engagement bei den Tafeln ist für viele Unternehmen eine Chance ohne großen Kostenaufwand ihr soziales Ansehen wieder aufzumöbeln. Der Imagegewinn ist enorm.

Vielfach gewinnt man allerdings den Eindruck, dass eher die in der Tafelbewegung engagierten Unternehmen die Profiteure sind als die Menschen, die gesellschaftlich an den Rand gedrängt wurden.

Tafellandschaft

Eigenen Angaben zufolge unterstützten die Tafeln im Jahr 2012 Woche für Woche rund 1,5 Millionen Menschen mit Lebensmittelspenden: die meisten „Kunden“ der Tafeln sind Alleinerziehende, Rentner mit geringen Altersbezügen, Arbeitslose und Geringverdiener. Knapp ein Drittel der Tafel-Nutzer waren Kinder und Jugendliche. Die Dunkelziffer der Personen, die eigentlich der Hilfe der Tafeln bedürften, diese aber vor allem aus Gründen der Scham nicht nutzen, schätzt nicht nur die Tafelbewegung weitaus höher ein. Als vorübergehende karitative Hilfe gedacht sind die Tafeln nun seit fast 20 Jahren in Deutschland aktiv. Ende Dezember 2012 zählte der „Bundesverband“ 906 Tafeln in Deutschland, 17 mehr als im Jahr zuvor. Mehr als die Hälfte (59 Prozent) der Tafeln sind Projekte in Trägerschaft der großen Wohlfahrtsverbände bzw. gemeinnütziger Organisationen (AWO, Caritas, Diakonie, Deutsches Rotes Kreuz, Arbeitslosenverbände, Stiftungen etc.). 41 Prozent sind eingetragene Vereine. Die Armenhilfe durch Tafeln ist gesellschaftlich anerkannt und genießt hohes Ansehen. Die Medien loben die bundesweiten Aktionstage, auf denen sich Unternehmen für ihr Sponsoring feiern lassen. Gern werden auch Politiker als Gastredner zu solchen Anlässen eingeladen. So trat dort etwa auch der ehemalige Vizekanzler und Bundesminister Franz Müntefering auf, um über die Bedeutung des ehrenamtlichen Engagements zu referieren (Jahresbericht 2012). Gerade Franz Müntefering, der die Agenda 2010 und die Rente mit 67 bis heute am vehementesten verteidigt. „Nur wer arbeitet, soll auch essen“, so erklärte er als Arbeits- und Sozialminister Hartz IV, und ausgerechnet er referiert bei der Tafelbewegung. Die auf die Tafeln Angewiesenen werden den Gastredner Müntefering wohl nicht gehört haben, sie sind auch nicht dabei, wenn sich die Tafeln für ihre Logistik feiern. Anwesend sind vielmehr die Firmen, welche die Tafeln sozusagen pro bono und zur Demonstration ihres sozialen Engagements unterstützen.

Pro bono

Das bedeutet eine kostenlose Leistung zum Wohle der Öffentlichkeit zu erbringen. Doch ganz so altruistisch ist das Engagement der Firmen, die sich bei der Tafel ins Zeug legen nicht, denn die Aktivitäten zielen vor allem darauf ab, sich einen positiven sozialen Anstrich zu geben. Das ist auch weitgehend gelungen, denn das Image der Tafeln ist äußerst positiv besetzt und wer sich für die Tafeln einsetzt, tut – so die allgemeine Meinung – Gutes.

Zu diesen Menschenfreunden gehört beispielsweise die Unternehmensberatung McKinsey, die den Tafeln beim Aufbau der logistischen Struktur für die Sammlung und Verteilung der Lebensmittel beratend zur Seite stand.

Auch Coca-Cola hat erkannt, dass es dem Marketing förderlich ist, wenn Mitarbeiter bei der Essensausgabe bei verschiedenen lokalen Tafeln ihr soziales Engagement unter Beweis stellen.

Die Metro Cash & Carry, zu deren Firmengruppe Real und Galeria Kaufhof gehören, unterstützt seit vielen Jahren die Arbeit der Tafelbewegung nicht nur mit Lebensmitteln, die Metro-Gruppe unterstützte auch finanziell den strukturellen Aufbau der Tafelbewegung.

Die Mercedes Benz Vertriebs GmbH fördert die deutschen Tafeln seit 1998, damals mit einer einmaligen Spende von 100 gebrauchten Fahrzeugen des Typs Mercedes-Benz Vito samt Service-Vertrag. Seit dem Jahr 2000 erlässt der Hersteller von Premium-Autos den Tafeln beim Kauf eines Mercedes-Benz Sprinter oder Vito einen großen Teil der Kosten.

Die ADAC-Schutzbrief Versicherungs-AG stellt den Mitglieds-Tafeln des Bundesverbands Deutsche Tafel e.V. seit Jahren einen kostenlosen Fuhrparkschutzbrief mit Pannenhilfe zur Verfügung, die ADAC-Rechtsschutz Versicherungs-AG für speziell auf die Tafel zugelassene Fahrzeuge eine kostenfreie Verkehrsrechtschutzversicherung.

Die BC Direct Group GmbH ist ein Direktmarketingunternehmen mit den Schwerpunkten Beratung, Druck und Lettershop. Das Unternehmen druckt, verpackt und versendet Mailings für den Bundesverband – von der Weihnachtspost bis zum Verbandsmagazin “Feedback”.

Die Spedition Emons mit Sitz in Köln, transportiert für die Tafeln kostenlos große Mengen an Warenspenden durch das Bundesgebiet.

Greive Sozialsponsoring & Marketing vermittelt den lokalen Tafeln kostenlose Fahrzeuge ihrer Wahl – finanziert durch Sponsorenwerbung. Die Fahrzeuge gehen mit der Übergabe ins Eigentum der Tafeln über.

Die Frankfurter Werbeagentur HUNDET89 East gestaltet pro bono Plakate, Werbeanzeigen, Schilder und Urkunden für die Öffentlichkeitsarbeit des Bundesverband Deutsche Tafel e.V.

Das Unternehmen INFCO stellt den Tafeln im Rahmen seines Projektes WORLDWIDE RESPONSIBILITY in einem Kreislaufverfahren unentgeltlich Transportbehälter für Obst und Gemüse (so genannte RPCs – Reusable Plastic Container) zur Verfügung.

Die Hamburger Agentur Kirchhoff Consult AG unterstützt den Bundesverband seit Jahren bei der Erstellung – insbesondere mit dem Layout – der Verbands-Zeitschrift “Feedback”, beim Jahresbericht und beim Programmheft zum jährlichen Bundestafeltreffen.

Der Verlag unterstützt den Bundesverband in Form von kostenlosen Anzeigen in den Verlags-Medien „Lebensmittel Praxis“, „Küche“, „Convenience Shop“. Zusätzlich kann sich der Bundesverband auf vom Verlag initiierten Branchen-Veranstaltungen kostenlos dem Fachpublikum präsentieren.

Die Mitglieder der deutschen Lions Clubs sammeln seit vielen Jahren Spenden für die Tafeln, mit deren Hilfe unter anderem Transport-Fahrzeuge für die Tafeln finanziert werden. Die “jungen Lions”, die Leos, unterstützen den Bundesverband und einzelne Tafeln bei Aktionen und Veranstaltungen vor Ort.

Die Münchener Anwälte Müller-Boré beraten den Bundesverband in Rechtsfragen zu vergünstigten Konditionen, insbesondere zum Thema Markenrecht.

Die Procter & Gamble Germany GmbH spendet den Tafeln regelmäßig große Mengen an Waren des täglichen Bedarfs, z.B. Zahnbürsten, Zahnpasta und andere Hygieneartikel.

Die Sodexo Services GmbH engagiert sich im Rahmen ihres internationalen Programms „Stop Hunger” seit Jahren für die Tafeln und unterstützt den Bundesverband finanziell.

Die Stiftunglife unterstützt in Kooperation mit den Lions Clubs Tafeln in ganz Deutschland beim Kauf von Kühlfahrzeugen. Jede Spende fließt zu 100 % in das Projekt ein. Bis Januar 2012 hat die Initiative 260 Tafel-Fahrzeuge im Wert von rund 2 Millionen Euro finanziert.

Die Werner & Mertz GmbH mit ihren Marken Tana, Erdal und Frosch unterstützt die Tafeln seit Sommer 2009 mit kostenfreien Schulungen in Fragen der Reinigung und Hygiene. Das Unternehmen spendet zudem Reinigungssets bzw. stellt den Tafeln seine Produkte zu Sonderkonditionen zur Verfügung.

Die Mitarbeiter der Telekom AG verzichteten im Dezember 2010 auf firmeninterne Weihnachtsgeschenke. Von den damit ersparten Geldern spendete das Telekommunikations-Unternehmen 138.000 Euro an die Tafeln, die mit der Spende Kühlfahrzeuge finanzierten.

TNT Express ist einer der weltweit führenden Anbieter von Business-to-Business-Expressdienstleistungen. Für die Tafeln transportiert das Unternehmen seit Herbst 2010 kostenlos Warenspenden-Paletten – inzwischen von drei Standorten aus – durch das Bundesgebiet. Das Verteilernetz soll nach und nach noch weiter ausgebaut werden.

Die Trefz Logistik & Spedition GmbH verschickt seit 1997 vom schwäbischen Schwieberdingen aus Informationsmaterial – Faltblätter, Plakate, das Magazin Feedback etc. – des Bundesverbands an sämtliche lokalen Tafeln. Im November 2007 versandte die Spedition in diesem Rahmen das 100.000ste kostenlose Paket.

Vergölst Reifen und Autoservice räumt den Tafeln Rabatte auf seine Produkte und Dienstleistungen ein. Dazu zählen Reifen, Fahrzeugreparaturen sowie ein 24-Stunden-Reifenpannen-Service für Nutzfahrzeuge.

Die Viessmann Kältetechnik AG bietet den Tafeln Sonderkonditionen bei Lieferung und Montage von Kühl- und Gefrierzellen.

Viele andere „Sponsoren“ wären noch zu nennen.

Soziales Engagement als unternehmerisches Kalkül

Was in der Gesellschaft als selbstlos und mitfühlend wahrgenommen wird ist, ist allerdings in den meisten Fällen unternehmerisch wohl kalkuliert. Kaum ein Wirtschaftsunternehmen verschenkt etwas, der Einsatz ist meist erheblich geringer als er scheint. Gegenzurechnen sind vor allem die Marketingeffekte und der Reputationsgewinn. Presseberichte über Tafelaktionen liefern kostenlose Werbung, nach dem Motto „Tue Gutes und rede darüber“. Aber neben diesem werblichen Nutzen gibt es auch ganz handfeste betriebswirtschaftliche Gewinne. Tafelspenden sind steuerlich absetzbar, Lebensmittelspenden sparen zudem oft Entsorgungsgebühren.

Aus der Armenhilfe ist ein Geschäft geworden. Beispielsweise treten Künstler auf Benefizveranstaltungen auf, doch die Halle, die Security, das Catering, die Werbeagenturen etc. arbeiten nicht etwa umsonst, nur der oder die Künstler treten unentgeltlich auf. Ein Großteil der Einnahmen wandert in die Taschen der Veranstalter. Wohltätigkeit ist gut für das Image, sie füllt Hallen. Die zahlenden Besucher haben das Gefühl mit ihrer (teilweise teuren) Eintrittskarte ein gutes Werk zu tun. Für viele Firmen ist das soziale Engagement inzwischen ein wichtiges Aushängeschild.

So schicken einige Firmen ihre Angestellten zu einem Aktionstag zur Tafel, sie sollen dort für einen Tag Essen austeilen. Die Firma wirbt dann (auf Kosten der Mitarbeiter) mit einem „Social day“. Solche Aktionen gleiten oftmals geradezu in eine Art Armutstourismus ab: etablierte Bürger machen mal einen Ausflug in die Parallelgesellschaft der Bedürftigen.

Auch Discounter haben erkannt, dass sie mit der Tafel ihr Ansehen aufwerten und dabei sogar noch den Umsatz steigern können. Auf breiter Basis gibt es eine Zusammenarbeit zwischen gemeinnützigen Organisationen und solchen Unternehmen.

Der Netto-Markendiscounter zählt sich zu den wichtigsten Förderern der bundesweiten Tafeln. Hehre Worte über gesellschaftliche Verantwortung sind auf der Netto-Website zu lesen und natürlich, dass der Discounter Bedürftige bundesweit mit Lebensmitteln versorgt. Kunden werden mit der „Kaufe-ein-Teil-mehr-Aktion“ angehalten, ein Teil mehr für Bedürftige zu kaufen. Mit der Aktion „Kaufen, Sparen und Gutes tun“ sollen Netto-Kunden angereizt werden, gleich zwei Artikel von Unilever kaufen konnten, 30 Cent des Kaufpreises erhält die Tafel. Dass der Discounter damit seinen Umsatz erhöht, ist eine willkommene Begleiterscheinung. Die Spende kommt allerdings nur von den Kunden, aber Netto profitiert werblich davon, dadurch dass die Presse lobend von der Aktion berichtet.

Der Bundesverband Deutsche Tafel e. V. konnte im letzten Jahr auf Geldspenden in Höhe von rund 2,3 Millionen Euro zurückgreifen. Allein rund 1,5 Millionen Euro, stammen aus den Erlösen des Lidl-Pfandspenden-Projektes, bei dem die Kunden des Discounters ihr Flaschenpfand an die Tafeln spenden. Lidl drückt Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards in aller Welt und beutet auch die eigenen Beschäftigten aus. Die in die Kritik geratenen Beschäftigungsbedingungen, die Behandlung der Mitarbeiter/innen und die (bis vor kurzem bezahlten) Niedriglöhne scheinen den Tafelbetreibern nicht so wichtig zu sein. Was sich als karitative Aktion darstellt, ist eher ein Lockmittel für ein bestimmtes Käufersegment auf das der Discounter abzielt. Es sind doch gerade Discounter wie Lidl, die von den Ärmeren und Armen profitieren wollen. Wachsende Armut treibt den Discountern doch immer mehr Kunden zu.

Nicht nur Lidl sondern auch Aldi Süd, Combi-Markt, Edeka, Extra-Baumarkt, die zur Bünting-Gruppe gehörende Famila-Warenmarktkette, Globus-SB-Warenhäuser, Kaufland, Marktkauf gehören zu den regelmäßigen Unterstützern der Tafeln, auch der Baumarkt toom spendet Flaschenpfand.

Als Lebensmittelhersteller spenden die Maggi GmbH und Wagner Tiefkühlprodukte GmbH regelmäßig große Mengen ihrer Produkte an die Tafeln. Ebenso stellt der Konzern Kraft Foods den Tafeln regelmäßig Marken-Lebensmittel, z.B. Frischkäse, Nudeln und Kaffee, zur Verfügung. Auch REWE, Netto, Kaiser’s und Penny haben ähnliche Kampagnen zur Profilierung und Umsatzsteigerung gestartet, in welchen Kunden Wechselgeld oder gleich ein Produkt der Hausmarke direkt an Bedürftige spenden kann.

Der Fahrzeugfonds, mit dem der Bundesverband die Tafeln bei der Anschaffung von Transportern unterstützt, wurde von der NRW-Bank mit 20.000 Euro ergänzt. Viele Speditionen transportieren Sachspenden für die Tafeln zu vergünstigten Konditionen, manche auch kostenfrei. Bundesweit sind rund 5.000 Tafel-Fahrzeuge, nebenbei als Werbeträger, im Einsatz.

Die Tafeln greifen auf ca. 50 000 ehrenamtliche Helfer zurück. Viele arbeiten – wohl gemerkt umsonst – nicht selten 40 Stunden und mehr in der Woche, darunter sehr viele Frauen. Außerdem stellt der Bundesfreiwilligendienst den Tafeln insgesamt 5.000 Arbeitsstunden zur Verfügung. Der Dienst dauert mindestens sechs, höchstens 18 Monate und steht Frauen und Männern ab 16 Jahren offen. Auch Rentner, Arbeitslose und Teilzeitkräfte können den BFD ableisten. Die Bundesfreiwilligen erhalten für ihr Engagement ein „Taschengeld“ von bis zu 330 Euro. Für den Staat ist es natürlich günstiger Bundesfreiwillige zu rekrutieren, statt die Sozialhilfe zu erhöhen oder die Armut zu bekämpfen.

Der zur Bertelsmann-Gruppe gehörende TV-Senders Super RTL hat im letzten Jahr 12. 000 Euro Spielzeug-Pakete für die Tafeln gesammelt.In der Vorweihnachtszeit hat der Sender zum fünften Mal unter dem Aktionstitel „Kinder helfen Kindern“ gebrauchtes, gut erhaltenes Spielzeug für bedürftige Kinder zusammengetragen (Jahresbericht 2012 [PDF – 9.8 MB]) und hat damit viele Stunden Sendezeit quotenträchtig gefüllt.

Es geht um die Herstellung einer Win-Win-Situation

Die Bertelsmann-Stiftung, die sich die Förderung des ehrenamtlichen Engagements auf die Fahne geschrieben hat, schreibt in einem Leitfaden mit dem Titel „An einem Strang ziehen“ – Gemeinnützige Kooperationen mit Wirtschaftsunternehmen [PDF – 341 KB]:

…dass es allerdings darauf ankommt, dass alle Beteiligten von der Kooperation profitieren: die Gemeinnützigen, die Unternehmen und natürlich die Nutznießer, also im Falle der Tafel die Menschen.

Dieser Leitfaden richtet sich an Stiftungen und andere gemeinnützige Organisationen, die die Wirkung ihrer Projekte durch Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen erhöhen wollen. Des Weiteren richtet sich der Leitfaden an Unternehmensstiftungen, die Orientierung bei der Gratwanderung zwischen Gemeinnützigkeit und Wirtschaftlichkeit suchen und an Unternehmen, die damit beauftragt sind, die gemeinnützigen Aktivitäten des Unternehmens zu planen und umzusetzen.

Weiter heißt es in dem Leitfaden:

…Viele gemeinnützige Organisationen erkennen, dass ihnen die Wirtschaft wichtige Impulse geben kann. Viele Ansätze und Methoden der Unternehmensführung werden mittlerweile auf gemeinnützige Organisationen übertragen, die oft selbst zu Unternehmern werden und wirtschaftliche Zweckbetriebe aufbauen. Die sich verwischenden Grenzen zwischen den Sektoren sind zeitgemäß. Sie entsprechen der Erkenntnis, dass sich heute kaum noch ein soziales oder kulturelles Problem in unserer komplexen Gesellschaft im Alleingang lösen lässt. Dies gilt insbesondere für grenzüberschreitende Fragen wie Umwelt, Klimawandel oder Hunger. Aber auch viele Probleme auf der lokalen Ebene können nur dauerhaft gelöst werden, wenn die verschiedenen Akteure innerhalb einer Gemeinde an einem Strang ziehen…

Diese Aussagen zeigen deutlich, dass es bei diesem zivilgesellschaftlichen Engagement um die Herstellung einer sog. Win-Win-Situation geht.

Hauptgewinner sind die Spender

Es wurde ein neuer Markt geschaffen, der inzwischen prächtig floriert. Die Tafelnutzer sind zwar auch Gewinner dieser „Kooperation“, die Hauptgewinner sind aber eher die selbsternannten „Spender“.

Der Begriff zivilgesellschaftliches Engagement wird inzwischen geradezu inflationär gebraucht. Er wird mit Kampagnen und Veranstaltungen positiv besetzt (z.B. Social day, Ehrenamtmessen). Die Bürger sollen sich in ihrer Freizeit unentgeltlich engagieren, um dadurch den Rückzug des Sozialstaates zu überdecken. Ganz im Sinne von Peter Sloterdijks „Revolution der gebenden Hand“ sollen Vermögende und Unternehmen (steuerlich) entpflichtet werden und sich nach eigenem Gutdünken freiwillig selbstverpflichtend sozial engagieren. So findet eine Verschiebung von ehemals staatlichen Aufgaben hin zu privaten Initiativen statt, um beim Staat Personalkosten einzusparen und die öffentlichen Haushalte zu entlasten.

Der verstorbene Bertelsmann-Konzernpatriarch Reinhard Mohn, dessen Bertelsmann-Stiftung im Übrigen maßgeblich an der Agenda 2010 beteiligt war, sieht in seinem Buch „Menschlichkeit gewinnt“, die „Bürgergesellschaft“ als Ausweg aus der Situation in der sich nach seiner Meinung der Staat befindet: mit seinem riesigen Heer an Angestellten sei er völlig damit überfordert, die ihm zugewiesenen Aufgaben zu bewältigen (S. 110). Mohn sieht den gesellschaftspolitischen Einsatz als unentgeltliche Variante für staatliche Leistungen, wer anders denkt, wird von Mohn aufgeklärt: „Eine Bezahlung für ihren Einsatz stellt eine Gewohnheit des Denkens in der Vergangenheit dar“ (S. 111).

Es wird inzwischen für alles Mögliche gesammelt, aktuell für Flutopfer, an Schulen werden Staffelläufe für einen guten Zweck veranstaltet. Schüler können auf diese Weise auf ehrenamtliche Leistungen trainiert werden. In glamourösen Fernsehshows, in Zeitungen, Radiosendern, insbesondere um Weihnachten, wird für soziale Zwecke gesammelt was das Zeug hält. Spender lassen sich feiern, es werden regelrechte Spenderwettbewerbe inszeniert.

Die wichtigste Aufgabe der Tafelbewegung müsste sein, sich selbst wieder abzuschaffen

Nichts gegen ehrenamtliches Engagement, aber wenn damit die Debatte in den Hintergrund gedrängt wird, was politisch geändert werden müsste, damit z.B. auch durch Um(fair)teilung genug für alle Menschen und deren elementare Lebensbedürfnisse zur Verfügung steht, dann ist das ein böses Ablenkungsmanöver auf Kosten der Benachteiligten in dieser Gesellschaft.

Auch bei der Tafelbewegung geht es längst nicht mehr nur um soziales Engagement, es geht darum, dass Armut zum Geschäft gemacht wird. Zur Glaubwürdigkeit der Tafelbewegung müsste es gehören, dass gerade eine Organisation, die täglich mit Hunger und Not von Menschen konfrontiert ist, sich lautstark und genauso engagiert, wie sie die Einwerbung von Spenden betreibt, sich dafür einsetzt, dass Armut auf der politischen Ebene bekämpft wird, statt einfach hinzunehmen, dass sich die Armut in der Gesellschaft verfestigt. Und daraus noch eine Erfolgsgeschichte für die eigene Institution macht.

Häufig wird damit argumentiert, dass die Lebensmittel ohne Tafel auf dem Müll landen würden, deshalb seien die Tafeln eine sinnvolle Einrichtung. Es wird dabei jedoch höchst selten darauf hingewiesen, welche „Reformen“ zur zunehmenden Armut beigetragen haben, die die Tafelbewegung von einer Nothilfeeinrichtung erst zu einem dauerhaften Konzern anwachsen ließen. Es wird in den Hintergrund gedrängt, dass gerade auch Firmen, die heute die Tafeln unterstützen, durch ihre politische Einflussnahme, aber vor allem durch maßloses Gewinnstreben und die Einführung von Geschäftsmodellen, die auf Armutslöhnen basieren, und darüber hinaus durch die Ausnutzung von Steuerschlupflöchern auch ihren Teil zur Ausbreitung von Armut in Deutschland beigetragen haben.

Die Tafelbewegung wird erst dann wieder zu einer karitativen Einrichtung die in einzelnen Notfällen hilft, wenn die Menschen in Arbeit kommen und vor allem auch wieder von ihrer Arbeit und damit auch von ihrer Rente leben können, wenn sie grundsätzlich eine staatliche Absicherung für unverschuldete Not haben. Aber dafür müssten die Firmen Löhne und Gehälter zahlen, die vor Armut trotz Arbeit und vor Altersarmut schützen, und eben nicht nur spenden, in der Erwartung, dass damit ihre Lohnpolitik und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen mit einem sozialen Anstrich überdeckt wird.

So paradox es erscheinen mag: Die wichtigste Aufgabe der Tafelbewegung müsste sein, sich selbst wieder abzuschaffen. Aber dazu ist das Beharrungsvermögen, auch von ursprünglich informellen Institutionen wohl zu groß. So wurde ein sozialer Skandal zu einem Erfolgsmodell.

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