Pofalla rettet sich über die Zeit – Die Taktik des nichts dementierenden Dementis

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Letzte Woche behauptete der Geheimdienstkoordinator Ronald Pofalla der Ausspähungsskandal sei „vom Tisch“. Er dementierte dabei Vorwürfe, die gar nicht gemacht wurden. Bei seiner neuerlichen Anhörung vor der Parlamentarischen Kontrollkommission greift er Zweifel an seinen früheren Aussagen auf, die gar nicht mehr in Zweifel standen.

Wie undurchdringlich der Dschungel der ausländischen und deutschen Geheimdienstaktivitäten ist, belegen die über einhundert Fragen die der Grünen-Abgeordnete und parlamentarische Geheimdienstkontrolleur Hans-Christian Ströbele an die Bundesregierung gestellt hat.

So wichtig und richtig das Verlangen nach Aufklärung und nach einem besseren Schutz der Grundrechte durch die Bundesregierung ist, so wenig ist zu erwarten, dass die Regierung die Enthüllungen über den Überwachungsskandal vor der bevorstehenden Wahl noch aufklären wird und will. Merkels „Schattenmann“ versucht sich wie ein angeschlagener Boxer über die Zeit retten. Wenn es die politischen Kräfteverhältnisse nach der Wahl nicht erlauben sollten, wenigsten danach einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzurichten, dann dürfte auch dieser Überwachungsskandal politisch wieder „vom Tisch“ sein. Und die Geheimdienste werden unter dem Tisch weitermachen wie bisher. Denn die Regierenden in aller Welt werden angesichts der sich zuspitzenden Krise den Teufel tun, von der Überwachung ihrer Bürgerinnen und Bürger abzulassen. Von Wolfgang Lieb.

Man soll ja bekanntlich ein Thema nicht zu Tode reiten. Aber beim Thema Überwachung und dem konkreten Verdacht von systematischen Grundrechtsverletzungen, kann man nicht anders, als nach Antworten auf die von der Regierung offen gelassenen Fragen zu stellen. Das, zumal die regierungsoffiziellen Erklärungen mehr Fragen aufwerfen als Antworten anbieten. Das trifft auch auf das Pressestatement von Kanzleramtsminister Pofalla nach der Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums am 19. August 2013 zu.

Pofalla ist in der Woche zuvor nach der bei Politikern beliebten Abwehrstrategie vorgegangen, nämlich Vorwürfe zu dementieren, die gar nicht gemacht worden sind. Mit pauschalen Behauptungen versuchte er, die im Raum stehenden Enthüllungen über einen in seinem Umfang bisher einzigartigen Überwachungsskandal für erledigt zu erklären.

Dass ihm das nicht gelungen ist, belegt sein gestriges Pressestatement. Er behauptet zwar als Erstes, „dass sich an den Ergebnissen aus der vergangenen Woche… nichts geändert“ habe, dass er aber keine „Ergebnisse“ vorlegte, sondern nichts dementierende Dementis, versucht nun Pofalla damit herunter zu spielen, dass er vor den parlamentarischen Geheimdienstkontrolleuren nur noch „Detailaspekte Schritt für Schritt“ aufgeklärt habe und weiter aufklären wolle. Nach der angeblichen Beendigung des Geheimdienstskandals nun also erst die Aufklärungsversuche – eine merkwürdige Reihenfolge.

Auch in seiner neuerlichen schriftlichen Erklärung greift er Zweifel auf, die gar nicht mehr in Zweifel standen. Dass nämlich der BND – nach langem Verschweigen – zugeben musste, dass er selbst Daten aus der Auslandsaufklärung an die NSA lieferte, wird auch nicht dadurch zweifelsfreier, dass dies nun am 16. August noch einmal mit Amtssiegel schriftlich erklärt worden ist. Dass der BND Daten an die NSA geliefert hat, musste der deutsche Geheimdienst doch längst einräumen. Die entscheidende Frage ist aber doch, welche Daten und auf welcher Rechtsgrundlage hat der BND geliefert? Hat er dazu die Genehmigung des Kanzleramtsministers eingeholt? Wurden die Parlamentarische Kontrollkommission und die G10-Kommission über diese Datenlieferungen informiert? Konnten die Daten deutscher Staatsbürger dabei tatsächlich „herausgefiltert“ werden – wie Pofalla vorher erklärt hatte – und ging es tatsächlich nur um den einen entführten deutschen Journalisten, dessen Daten an die NSA weitergegeben wurden (Siehe auch „BILD geht über Leichen um die NSA-Affäre zu bagatellisieren“).

Pofalla hatte in der vorigen Woche, als er alle Vorwürfe vom Tisch räumen wollte, kein Wort über die Ausspähprogramme namens PRISM (amerikanisch) und Tempora (britisch) verloren. Nun musste er einräumen, dass erst noch „Kontakt“- oder „Arbeitsgruppen“ eingerichtet werden sollen, die „Detailaspekte zu den Vorgängen und der Deklassifizierung“ rund um diese Ausspähtechniken erörtern sollen. Die „notwendigen Fragen der Aufklärung“ könnten – so Pofalla – aber erst „in den nächsten Wochen und Monaten“ beantwortet werden – also gewiss erst nach der Wahl. Pofalla rettet sich wie ein angeschlagener Boxer über die Zeit.

Pofalla rühmte erneut das angestrebte „No-Spy-Abkommen“ zwischen BND und NSA. (Offenbar ist mit dem britischen Geheimdienst ein solches Abkommen nicht in Sicht.) Auf die sich schon nach schlichter Logik aufdrängende Frage, warum es einer „Nicht-Spionier-Vereinbarung“ von Spionagediensten bedarf, wenn doch nach der Grundaussage des Geheimdienstkoordinators gar nicht spioniert worden ist und deutsche Gesetze und Bestimmungen angeblich eingehalten worden sind, geht Pofalla erneut nicht ein. Genau so wenig wie er auf die Frage keine Antwort gibt, warum nun gerade die Geheimdienste über ein solches Abkommen verhandeln und nicht die dafür verantwortlichen Regierungen. Können Geheimdienste überhaupt die Staaten bindende Abkommen abschließen?
Und welchen Wert haben eigentlich noch Erklärungen amerikanischer Geheimdienste, die laut Washington Post selbst im eigenen Land tausendfach Datenschutzregeln verletzten und deren oberster Chef James Clapper seine wahrheitswidrige Aussage vor dem amerikanischen Senat als die „am wenigsten falsche“ bezeichnet hat. Ist also die Versicherung der NSA „in Darmstadt und Wiesbaden findet keine Beschaffung statt“ nicht gleichfalls eine am wenigsten falsche?

Pofalla weist erneut auf das „Memorandum of Agreement“ hin, das der damalige SPD-Kanzleramtschef Steinmeier nach den Anschlägen vom 11. September 2001 getroffen hat, und versucht damit zum wiederholten Male den Ball ins Feld der SPD zu schlagen. Er will diese Vereinbarung jetzt sogar den Mitgliedern des Kontrollgremiums einsehbar machen. Er weicht damit jedoch – wohl gezielt – der Frage aus, welche sonstigen (ältere oder jüngere) Vereinbarungen es sonst noch für das Agieren der ausländischen Geheimdienste „auf deutschen Boden“ und nach „deutschen Bestimmungen“ gibt oder gegeben hat. Welche Bestimmungen sind das? Wann und welche der offenbar zahlreichen rechtlichen Grundlagen für die Kooperation von deutschen und ausländischen Geheimdiensten aufgehoben wurden und welche jenseits des „Memorandums“ (was für eine Form von Recht?) noch fortgelten? Gab es tatsächlich nur die „68er-Vereinbarung“ mit den USA, Großbritannien und Frankreich, die aufgehoben wurde? Das ist doch nach allem was der Historiker Josef Foschepoth in den Akten gefunden hat äußerst unwahrscheinlich.

Die Frage, ob und wie weit dieses „Memorandum“ Überwachung durch die NSA erlaubte, wird Steinmeier selbst besser aufklären können, aber er durfte ja bisher nach dem Willen der Regierungsmehrheit vor der Kontrollkommission nicht aussagen.

Dass laut Pofalla die relevanten deutschen Internetknotenpunktbetreiber und Verbindungsnetzbetreiber in einem Gespräch mit der Bundesnetzagentur bekräftigt haben, dass sie die Vorgaben des Telekommunikationsgesetzes einhalten, hört sich beruhigend an, doch was ist mit den ausländischen Unternehmen? Und wie sind die deutschen Betreiber davor geschützt, dass sie durch Geheimdienste angezapft werden?

Fragen über Fragen bleiben. Das Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission Hans-Christian Ströbele und die Fraktion der Grünen haben weit über hundert Fragen an die Bundesregierung gestellt.

Mit dieser Anfrage soll aufgeklärt werden, „welche Kenntnisse die Bundesregierung und Bundesbehörden wann von den Überwachungsvorgängen durch die USA und Großbritannien erhalten haben und ob sie dabei Unterstützung geleistet haben. Zudem soll aufgeklärt werden, inwieweit deutsche Behörden ähnliche Praktiken pflegen, Daten ausländischer Nachrichtendienste nutzen, die nach deutschem (Verfassungs-)recht nicht hätten erhoben oder genutzt werden dürfen oder unrechtmäßig bzw. ohne die erforderlichen Genehmigungen Daten an andere Nachrichtendienste übermittelt haben.

Außerdem möchte die Fraktion mit dieser Anfrage weitere Klarheit darüber gewinnen, welche Schritte die Bundesregierung unternimmt, um nach den Berichten, Interviews und Dokumentenveröffentlichungen verschiedener Whistleblower und der Medien die notwendige Sachaufklärung voranzutreiben sowie ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Verletzung ihrer Grundrechte durch fremde Nachrichtendienste nachzukommen.“

Wenn man die Fragen dieser „Kleinen Anfrage“ liest, dann kann man erkennen, wie undurchdringlich der Dschungel der Geheimdienstaktivitäten und der rechtlichen Grundlagen ist und wie wenig die parlamentarische Kontrolle bisher Licht in dieses Dunkel bringen konnte.

So wichtig und richtig dieses Verlangen nach Aufklärung und nach einem besseren Schutz der Grundrechte durch die Bundesregierung ist, so wenig ist zu erwarten, dass die Regierung die Verdachtsmomente über den möglicherweise bisher größten Überwachungsskandal vor der bevorstehenden Wahl noch aufklären wird. Wenn es die politischen Kräfteverhältnisse nach der Wahl nicht erlauben sollten, wenigsten danach einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzurichten, dürfte wie bei der Parlamentsdebatte um „Amerikas großes Ohr“ im Jahr 1989 oder wie bei der Untersuchung des Echolon-Affäre 2001 durch das Europaparlament schon früher auch dieser neuerliche Abhörskandal wieder politisch „vom Tisch“ sein. Und die Geheimdienste werden unter dem Tisch – vielleicht eine Weile ein bisschen vorsichtiger – weitermachen wie bisher. Und mit weiteren angeblich durch Geheimdienstinformationen ermittelten Terrorwarnungen dürfte die Sicherheitsparanoia weiter vorangetrieben werden.

Wie sehr sich die Regierungen gegen eine Trockenlegung des Geheimdienstsumpfes stemmen, belegen die massive Verfolgung von Whistleblowern, wie etwa Edward Snowden, durch die US-Regierung, das Festsetzen des Partners des Enthüllungsjournalisten Glenn Greenwald auf dem Londoner Flughafen oder der massive Eingriff der britischen Regierung in die Pressefreiheit, indem sie die Büros der Zeitung „The Guardian“ durchsucht und die Vernichtung von Computern und Festplatten erzwungen hat.

Angesichts der weltweiten wirtschaftlichen Krisensituation und vor dem Hintergrund, was die Regierungen Bürgerinnen und Bürgern an Opfern für die Bewältigung der Krise noch alles abverlangen werden, wird die wachsende Angst auch der westlichen Regierungen vor der eigenen Bevölkerung und deren Drang das Volk durch Überwachung unter Kontrolle zu halten, immer größer. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach Sinn und Zweck der Geheimdienste und ihrer Überwachungstätigkeiten ganz neu.

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