Hauptsache Bayern

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Wohl in keinem anderen Bundesland gibt es eine so starke Identifikation mit dem eigenen Land wie in Bayern. Die CSU hat es schon immer und bei dieser Landtagswahl wieder einmal verstanden dieses „Mia san Mia“-Gefühl politisch für sich zu nutzen. Mit 47,7 % der abgegebenen Stimmen hat es der bayerische Ableger der CDU einmal mehr geschafft, die absolute Mehrheit der Mandate im bayerischen Landtag zu erreichen.

Wenn man die Aussagen der Parteien am Wahlabend verfolgt hat, kann einem für die letzte Woche vor der Bundestagswahl nur noch Angs und Bange werden. Von Wolfgang Lieb.

Der Bayerische Landtag heißt bezeichnenderweise nach seinem Erbauer König Max II. „Maximilianeum“, das Vertrauen in die Erbmonarchie scheint sich im „Freistaat“ auf die CSU übertragen zu haben. (Um den höfischen Kult zu erleben, muss man nur einmal ein Feuerwehrfest miterlebt haben, bei dem der bayerische Ministerpräsident auftritt.)

Mit Ausnahme eines Absturzes um über 17% bei der Wahl 2008, wonach eine Koalition mit der FDP notwendig wurde, hat im Land mit der „weiß-blauen“ Flagge, die Partei mit den weiß-blauen Farben seit 1962, also seit einem halben Jahrhundert die absolute Mehrheit und die Regierung gestellt.

Die Bayern gelten zwar als anarchisch und sie „granteln“ gerne, doch genauso wie sie der katholischen Kirche die Treue halten, so offenbar auch ihrer CSU. Schließlich ist nach Seehofer Bayern dank der CSU „die Pforte zum Paradies“. Wer in Bayern etwas werden möchte oder wenn er etwas verändern will, muss – jedenfalls außerhalb Münchens und vielleicht noch Nürnbergs – in die CSU eintreten oder sich zumindest an diese Partei und ihre Regionalfürsten wenden. Die Wahlkreiskarte in Bayern ist bis auf winzige rote Einsprengsel in München eben pechschwarz.

Notorische politische Volten des Ministerpräsidenten, Abhalfterungen von Parteifreunden, Verwandtschaftsaffären, Filzokratie, Bankenskandale, der Justizskandal um den Fall Mollath, familiäre Fehltritte, Steuervergehen der Oberschicht usw. mögen zwar ein „Raunzen“ auslösen, aber in der Wahlurne schwenken die Bayern wieder auf ihre CSU ein. Die anderen Parteien gelten eben als auch nicht besser.

Diese Stimmungslage der Bayern ist kein Zufall. Sigmund Gottlieb der Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks hat nicht erst am Wahlabend bewiesen, unter fast allen Fernsehjournalisten am unverhohlensten seine Parteipräferenz für die CSU zu zeigen und auch fast im gesamten Programm des Senders dafür zu sorgen, dass die anderen Parteien Minderheiten bleiben. Die gesamte Medienlandschaft in Bayern ist – bis auf einige linksliberale Tupfer in der Süddeutschen Zeitung und in den Nürnberger Nachrichten – fast so schwarz wie die Wahlkreiskarte.

Da mag im mittelfränkischen Nürnberg die Arbeitslosenquote bei 7,4 % liegen, doch 88 % der Bayern halten die wirtschaftliche Lage im Vergleich zu anderen Bundesländern für besser. Womit sie nach den üblichen ökonomischen Daten im Landesdurchschnitt nicht einmal falsch liegen, doch die Bayern schreiben diese Erfolge so direkt der CSU und Seehofer zu, wie kaum anderswo.

Kaum eine andere Landsmannschaft in Deutschland ist so stolz auf ihr Land wie die Bayern. Da kommt es natürlich gut an, wenn z.B. der frühere Generalsekretär der CSU und jetzige Finanzminister Söder das Absingen der Bayernhymne oder „Kruzifixe statt Kopftücher“ in den Schulen fordert oder wenn er in chauvinistischer Manier das „Seil kappen“ will an dem die Griechen hängen. Auch die PKW-Maut für ausländische Autofahrer ist (merkwürdigerweise) gerade im Tourismusland Bayern höchst populär (66 % sind dafür). Einen vergleichbaren Populismus bedient der Bayerische Ministerpräsident mit seiner Klage gegen den Finanzausgleich zwischen den Bundesländern.
Hauptsache Seehofer garantiert, dass Bayerns Interessen durchgesetzt werden (62% sind dieser Meinung). Und für die Bayern zählt schon seit Franz-Josef-Strauß-Zeiten eben vor allem Führungsstärke und insbesondere da galt Seehofer seinem Gegenkandidaten Ude mit 74 zu 14 Prozent als haushoch überlegen.

Damit kein falscher Eindruck aufkommt: Ich bin gerne in Bayern und fühle mich unter Bayern wohl. So viele Bayern sind es ja auch gar nicht, die sich mit der CSU so ganz identifizieren. Bezogen auf die Gesamtheit der Wahlberechtigten sind es ja nur etwas über 30 Prozent, die für die CSU abgestimmt haben. „Tiefe Verankerung in der bayerischen Bevölkerung“, wie sie Seehofer für seine Partei reklamierte, sieht jedenfalls anders aus. Die anderen Parteien wurden natürlich noch viel weniger gewählt, als ihre Prozentanteile ausweisen, aber wenn Seehofer am Wahlabend die zweitschlechteste Wahlbeteiligung mit 63,9% als „phantastisch“ und „als Gewinn für die Demokratie“ bezeichnet und wenn er dann noch behauptet „jeder Zweite hat uns gewählt“, dann muss man schon mal auf diese Realitäten hinweisen dürfen. Im Übrigen hat die CSU mit weniger als der Hälfte der Stimmen nur deshalb eine so satte Mehrheit der Parlamentsmandate (101 von 180), weil knapp 14 % der abgegebenen Stimmen nach dem bestehenden Wahlrecht schlicht unter den Tisch fallen. Und zu viel Hoffnung sollte Seehofer auf das „große Vertrauenskapital“ für seine CSU auch nicht setzen, wenn fast die Hälfte der Bayern eine Alleinregierung dieser Partei für schlecht hielt.

Was das selbsternannte „Bürgerliche Lager“ anbetrifft, so hat dieses sich nicht wesentlich verbessert. Die CSU hat 4,3 Prozent dazu gewonnen, die FDP hat 4,7 Prozent verloren, das lag wohl nicht an der Stärke der CSU, sondern an der Schwäche der FDP.

Christian Ude der Herausforderer von der SPD konnte einem nur leidtun, dass er sich aus seiner Münchner Hochburg aufs flache Land hinauswagte. Er war dort von vorneherein chancenlos. Ude ist zwar weitaus beliebter als seine Partei (36 % hätten im vielleicht bei einer Direktwahl die Stimme gegeben), aber die SPD hat sich von ihrem Absturz bei der Wahl 2003 (ein paar Monate nach der Verkündung der Agenda 2010) nie wieder erholt. Die Zunahme um gerade einmal 2 % – mit der sich Ude tröstete – auf 20,6 % kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nach den Wahlen 2003 und 2008 das drittschlechteste Wahlergebnis für die SPD in Bayern war. Manche werden sich kaum noch daran erinnern, dass die Sozialdemokraten in den 60-iger Jahren schon einmal deutlich über 30 Prozent lagen. Wenn fast zwei Drittel der Bayern sagen, die SPD „hat mit Hartz IV und der Rente mit 67 ihre Prinzipien aufgegeben“ und 52 % meinen, dass Sozialdemokratie „keine Partei mehr für die kleinen Leute“ (Infratest dimap) ist, dann ist es nicht erstaunlich, wenn 50% der Arbeiter CSU wählen. Und bekanntermaßen geht der Rest, derjenigen, die zum Wählerpotential der SPD gezählt werden, sowieso nicht mehr an die Wahlurne.

Dass die Grünen gegenüber den Voraussagen und gegenüber ihrem vorherigen Wahlergebnis auf 8,6 % etwas zurückfielen, erstaunt eigentlich nicht, wenn man nur an die Demagogie des CSU-Generalsekretärs Alexander Dobrindt gegenüber der Anregung der Grünen, einmal in der Woche vegetarisch zu essen, im Weißwurstland denkt. Wenn Lüge und abgrundtiefe Polemik gegen „Veggie Day“ und gegen Steuererhöhungen für Höchstverdiener schon im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Einkehr halten, mag man sich gar nicht vorstellen, wie es bei der CSU in den Bierzelten hergegangen ist.

Die zweite „bürgerliche Mitte“, die Freien Wähler, blieb mit 9,0% drittstärkste Partei, aber deutlich hinter den eigenen Erwartungen zurück.

Die FDP mit 3,3%, die Linke mit 2,1% und die Piraten mit 2,0% blieben deutlich unter der Fünf-Prozent-Hürde und sind im bayerischen Landtag nicht vertreten.

Wenn man den Wahlabend in den beiden öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern verfolgt hat, kann einem für die letzte Woche vor der Bundestagswahl nur noch Angs und Bange werden.

Bis auf ein paar gescheiterte Versuche der Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Steffi Lemke, kam der gesamte Abend ohne politische Inhalte aus. Die Journalisten beschäftigten sich fast ausschließlich nur noch mit Koalitionsspekulationen und die Parteigranden versuchten sich als „Spin-Doktoren“ die aus den Wahlergebnissen ihrer Parteien noch den letzten verzweifelten Versuch machten, Wasser auf die Mühlen ihrer jeweiligen Parteien zu lenken.

Die CDU sah natürlich einen „Schub“ bzw. „Schwung“ für die Bundestagswahl, aber ihr Generalsekretär Hermann Gröhe zeigte sich erkennbar ängstlich vor einer Zweitstimmenkampagne des derzeitigen Koalitionspartners und sichtlich besorgt darüber, ob die Bayern eine Woche später wie für den bayrischen „Drehhofer“ auch ihr Kreuz für die uckermärkische „Mutti“ machen werden. Das größte Lob eines konservativen Bayern für einen Politiker ist schließlich „A Hund isser scho!“ Und Merkel ähnelt politisch eher einer hinterhältigen Schlange als einem durchtriebenen Hund.

FDP-Chef Rösler fabulierte von einem „Weckruf“ und es gehe am kommenden Sonntag darum, „Freiheit in Deutschland zu wählen“. Er sagte das mit einer Miene als stünden wir kurz vor einer Diktatur. In der letzten Woche vor der Bundestagswahl werden wir von der FDP nur noch eine „Rot-Rot-Grün-Kampagne“ und das Buhlen um die Zweitstimme bei CDU-Wählerinnen und –Wählern erleben. Um das Alleinstellungsmerkmal seiner Partei zu betonen verstieg sich Generalsekretär Patrick Döring sogar zu der Aussage, dass Seehofer „der beliebteste Sozialdemokrat“ in Bayern gewesen sei.

SPD-Kanzlerkandidat versuchte, das sicherlich enttäuschende Ergebnis für seine Partei damit für sich zu vereinnahmen, dass er meinte, die Wahl habe die schlechten Meinungsumfragen widerlegt. Dabei lagen die Abweichungen sämtlicher Umfragen im gesamten letzten Jahr in Bayern maximal um die zwei Prozent vom tatsächlichen Ergebnis – es gab sogar Umfragen in jüngster Zeit, bei denen die SPD sogar bessere Stimmungswerte erreichte.
Den Wähleraustausch von der FDP zur CSU und die absolute Mehrheit für Seehofer versuchte Steinbrück damit schön zu reden, dass die Bayern-Wahl nun die dreizehnte Landtagswahl gewesen sei, bei der Schwarz-Gelb nicht „zum Zuge“ kam. Es ist zwar richtig, dass CDU und FDP nur noch in Hessen (jedenfalls bis zum kommenden Sonntag) und in Sachsen eine Länderregierung stellen, aber aus einer absoluten Mehrheit für Schwarz in Bayern eine gute Aussicht für Rot-Grün in Berlin zu machen, lässt sich auch mit „achttausendfünfhundert Umdrehungen“ nur schwer schaffen.

Das deutlich erkennbare Schüren der Angst durch FDP und CDU vor Rot-Rot-Grün am gestrigen Abend sollte der SPD eigentlich endgültig gezeigt haben, dass auch die tausendste Absage an die Linkspartei nichts hilft. Dennoch hatten sowohl die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles und in der danach folgenden Talk-Show der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel nichts Wichtigeres zu tun. Leichter als auf diese „Rote-Socken-Kampagne“ immer wieder hereinzufallen, kann man es Kanzlerin Merkel eigentlich 6 Tage vor der Wahl nicht machen.

Anmerkung: Die statistischen Angaben habe ich den Ergebnissen der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF und von infratest dimap für die ARD entnommen.