Die Tragik hinter Schumachers Unfall

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Der 7-fache Formel-1-Autorennweltmeister Michael Schumacher ist in den französischen Alpen bei einem Skiunfall verunglückt und hat sich dabei ein schweres Schädel-Hirn-Trauma zugezogen, sein Zustand ist nach Auskunft der behandelnden Ärzte stabil, aber nach wie vor kritisch.
Das wäre die Nachricht, wenn eine andere Person des öffentlichen Lebens Opfer eines Unfalls geworden wäre. Nicht so bei „Schumi“. Seit letztem Sonntag füllen Berichte über den Schumacher-Unfall teilweise bis zur Hälfte (bei RTL gar zu zwei Dritteln) die Nachrichtensendungen.
Fragen, die sich angesichts des Medienrummels stellen. Von Wolfgang Lieb

Die Bild-Zeitung macht vier Sonderseiten.

Die Tragik hinter Schumachers Unfall

Focus sendet über Live-Ticker, Springers Welt füllt die ganze erste Seite und die Boulevard-Blätter sowieso. Selbst bei der FAZ ist der Unfall die erste Meldung auf Seite 1.

Die Bundeskanzlerin ist „außerordentlich (!) bestürzt“.

Auch ich habe ein Mitgefühl für Schumacher und seine Familie. Genauso wie ich ein Mitgefühl für die angeblich 3000 anderen Menschen habe, die während der Skisaison täglich Gehirnverletzungen erleiden. Ins Krankenhaus in Grenoble werden Verunglückte mit vergleichbaren Verletzungen im Stundentakt eingeliefert.

Werden alle genauso intensiv behandelt und betreut? Werden Spezialisten aus dem ganzen Land eingeflogen?

Sicher, Michael Schumacher ist prominent und das hat Nachrichtenwert, aber ist deshalb eine öffentliche Aufmerksamkeit angemessen, die größer ist, als wenn – sagen wir mal – der Papst oder der amerikanische Präsident oder ein Nobelpreisträger einen tragischen Unfall erlitten hätten. Der Nachrichtenwert scheint jedenfalls höher als der Anschlag in Wolgograd, bei dem vierzehn Menschen getötet wurden.

Ist es wirklich um so viel tragischer, wenn jemand verunglückt, der mit einem technisch überlegenen Rennwagen auf Rundkursen ein paar Sekunden schneller fährt als andere und dafür – laut Bild – 600 Millionen Euro und jährlich immer noch 10 Millionen von Mercedes Benz kassiert hat und aus Steuergründen in die Schweiz geflüchtet ist, als wenn ein Mensch wie Du und ich einen Unfall erleidet oder wenn irgendwo in der Welt jemand an Hunger stirbt?

Natürlich ist es so, dass einem ein Unglück eines Menschen näher geht, wenn man ihn kennt oder wenn er einem auch nur medial tausendfach präsentiert wurde. Aber nehmen wir wirklich Anteil am Schicksal eines Komapatienten? Sind „wir“ denn nun auch noch Komapatient?

Ist es nicht vielleicht so, dass hier vermeintliche oder tatsächlich Prominente von der Prominenz eines Berühmten profitieren wollen? Prominente bemitleiden sich sozusagen gegenseitig und wollen sich gerade damit von der Masse abheben?

Werden damit nicht gerade diejenigen, die nicht auf der Sonnenseite leben und die ihre Sehnsüchte auf Michael Schumacher projiziert haben, von ihrem Mitgefühl von Menschen weggeführt, die eben nicht in der Medien- und Sensationswelt „verkauft“ werden, sondern womöglich sogar in ihrer unmittelbarer Nachbarschaft dahinvegetieren?
Ist das nicht die Tragik hinter Schumachers Unfall?

Aus einem Unglück eines Prominenten könnten Lehren für Nicht-Prominente gezogen werden und das würde jeden Medienaufwand legitimieren, doch ist dieser aufklärerische Aspekt allenfalls ein untergeordnetes Beiwerk des derzeitigen Medienrummels?

Geht es hier nicht eher schlicht um Schau- oder Sensationslust als um Anteilnahme?

Auf Seiten der Medien also eher um Auflage, Einschaltquoten und Klicks zwecks Vermarktung?

Die Millionen von Fans von Michael Schumacher sind doch aus ihrem Alltag gerade auch mittels des Nervenkitzels des Spiels mit dem Tode bei den Autorennen entflohen. Warum also jetzt die Faszination, wenn ein ganz alltägliches Unglück auf einer Skipiste passiert?
Wird dadurch der Held wieder menschlich? Sollen wir daraus lernen, dass auch ein Millionen-Vermögen nicht vor Unglück schützt, dass wir in der Intensiv-Station also doch alle gleich sind?

Oder wollen die Massen vielleicht nicht einfach nur wieder „einkassieren“, was sie an Werbegeldern für Schumacher beim Einkauf der von ihm beworbenen Waren bezahlt haben?
Ist Schumi selbst im Unglück nur ein Werbeträger?

Ist Schumacher ein Nietzscher Zarathustra, ein Übermensch also, auf den man als Durchschnittsmensch Allmachtphantasien projizieren kann, die von dem Gedanken der Gleichheit und der Würde jedes einzelnen Menschen und damit von der Idee der Gerechtigkeit ablenken soll. Zählt ein schwer verletzter Promikopf wirklich mehr als alle anderen Köpfe?

Auch ich wünsche Schumacher, dass er wieder gesund wird. Aber das
wünsche ich auch jedem und jeder anderen auch.

Rubriken:

Medienkritik Wertedebatte

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