Die „Deutschen Wirtschaftsnachrichten“ und ihre „Zwangsabgaben auf Sparguthaben“

Jens Berger
Ein Artikel von:

In ihrem aktuellen Monatsbericht [PDF – 1.2 MB] stellt die Bundesbank ein für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich progressives Gedankenspiel auf: Bevor ein Krisenstaat der Eurozone in den Staatsbankrott geht, könne er sich doch auch über eine Vermögensabgabe das benötigte Geld von den Reichen holen. Diese Idee hat zweifelsohne Charme. Seltsamerweise erreichten uns jedoch auch einige Leserzuschriften, die aufgrund dieser Meldung schwer verunsichert sind. Um griechische Reeder handelte es sich bei diesen Lesern nicht, sondern um Personen, die neben den NachDenkSeiten auch den Wirtschaftsteil der WELT und einen obskuren Blog aus dem AfD-Umfeld mit dem Namen „Deutsche Wirtschaftsnachrichten“ lesen. Von Jens Berger.

Die Idee, die Staatsverschuldung der europäischen Krisenstaaten über eine stärkere Besteuerung der Vermögen zu senken, ist alles andere als neu. In Deutschland wurde diese Idee vor allem durch den DIW-Ökonomen Stefan Bach bereits seit 2010 ins Spiel gebracht. Sowohl die Linkspartei, als auch die Grünen hatten die Vermögensabgabe in ihrem Wahlprogramm für die letzten Bundestagswahlen und auch innerhalb der SPD-Linken findet diese Idee viele Freunde. International ist die Vermögensabgabe schon länger ein Thema – der US-Ökonom Barry Eichengreen hat bereits 1991 in einer wissenschaftlichen Publikation untersucht, wie eine einmalige Vermögensabgabe zur Reduzierung der Staatsverschuldung umgesetzt werden kann. Auch auf den NachDenkSeiten wurde die Vermögensabgabe bereits kontrovers diskutiert.

Zum Thema siehe: Wolfgang Lieb – DIW für Vermögensabgabe als Beitrag zur Sanierung der Staatsfinanzen in Europa und Albrecht Müller – Der DIW-Vorschlag für „eine Zwangsanleihe oder eine Vermögensabgabe“ lenkt von Wichtigem ab. Es gibt bessere steuerliche Maßnahmen zur Stärkung der staatlichen Einnahmen.

Vor diesem Hintergrund ist es eigentlich unverständlich, dass ein kleiner Kasten (auf Seite 49) in einer im Oktober erschienenen Veröffentlichung des IWF [PDF – 4.8 MB] in Deutschland und in Österreich eine derartige Aufregung verursachen konnte.

Was war geschehen? Im IWF-Bericht „Taxing Times“ untersuchen die Autoren auf 95 Seiten, wie man mit fiskalischen Maßnahmen eine Alternative zur desaströsen Kürzungspolitik erreichen könnte. Ausgiebig wird dabei eine Erhöhung der Einkommens- und vor allem der Vermögensbesteuerung debattiert. Und schließlich wird in einem kleinen Info-Kasten zusätzlich in wenigen Zeilen eine einmalige Vermögensabgabe i.H.v. 10% des Nettoprivatvermögens als eine Art „ultima ratio“ zur Abwendung der katastrophalen Folgen eines Staatsbankrots vorgestellt. Wohlgemerkt: Es handelte sich dabei zum einen um ein Gedankenspiel und zum anderen um eine Vermögensabgabe und nicht um eine wie auch immer geartete Konfiszierung von Bankguthaben.

Dies alles hinderte die WELT-Autoren Daniel Eckert und Holger Zschäpitz, die auch ansonsten regelmäßig durch ihren nicht vorhandenen Sachverstand auffallen, nicht daran, zwei Wochen später vor einer „Sparer-Steuer“ zu warnen. Dies ist freilich grob manipulativ, da sich ein großer Teil der WELT-Leserschaft selbst als „Sparer“ versteht, aber nur die allerwenigsten zu der Gruppe der „Reichen“ gehören, die von einer Vermögensabgabe überhaupt betroffen wären. Hinzu kommt, dass der IWF und andere Befürwortern einer einmaligen Vermögensabgabe selbstverständlich nicht nur eine Abgabe auf das Geldvermögen ins Spiel gebracht haben, sondern eine Abgabe auf das Nettogesamtvermögen, also das Vermögen nach Abzug aller Schulden. Von alledem ist der WELT nichts zu lesen, dafür darf ein regelmäßiger Gast des WELT-Wirtschaftsteil unkommentiert seinen Senf zum Thema hinzugeben – Thorsten Polleit, „Chefökonom“ der Degussa. Polleit ist auch NachDenkSeiten-Lesern kein Unbekannter:

Polleits Arbeitgeber ist Deutschland größter Goldhändler, der fürstlich daran verdient, wenn Kleinsparer Angst vor der Zukunft des Euro haben und sich Goldbarren ins Depot legen. Wen kann es da ernsthaft wundern, dass Polleit bei jeder Gelegenheit den Untergang des Abendlandes beschwört und vor der „ganz sicher kommenden“ Hyperinflation warnt? Wes´ Brot ich ess, des´ Lied ich sing. Eigentlich haben Personen wie Polleit in seriösen Medien überhaupt nichts verloren. Da könnte man auch einen Vertreter der chinesischen Wettmafia als Fußballexperten interviewen.

aus: Jens Berger – FAZ-Ökonomenranking – ein Armutszeugnis für die Massenmedien

Dass Polleit die Steilvorlage der WELT nutzt, um wieder einmal vor der drohenden Inflation zu warnen und Sätze wie „Vor dem Staat ist nichts sicher“ abzusondern, ist nicht verwunderlich. Verwunderlich ist jedoch, wie diese unterirdische WELT-Story ihre Bahnen zog. So fasste beispielsweise die österreichische Zeitung „Die Presse“ die WELT-Story unter der apokalyptischen wie unsinnigen Überschrift „IWF will alle Sparer enteignen“ auf und das Blog „Deutsche Wirtschaftsnachrichten“ kommentierte den Sachverhalt mit der ebenso effekthascherischen wie falschen Aussage: „IWF-Studie drängt auf rasche Enteignung der Sparer in Europa“. Aus dem kleinen Kasten im IWF-Bericht wird bei den „Deutschen Wirtschaftsnachrichten“ eine „Handlungsanweisung“ gemacht, aus der angedachten Vermögensabgabe für Krisenstaaten eine „flächendeckende Enteignung“. Das ist schon ziemlich starker Tobak. Wer zu den Glücklichen zählt, die dieses vom österreichischen Medienunternehmer Michael Meier herausgegebene Blog nicht kennen, sollte wissen, dass es sich hierbei um eines der wenigen libertären (also „ultrawirtschaftsliberalen“) Medien im Lande handelt, das als eine publizistischer Arm der AfD gelten kann. Inhaltlich und stilistisch liest dich das Blog meist wie ein „aufgesexte“ Version des Wirtschaftsteils der WELT, angereichert mit unzulässigen Zuspitzungen, hanebüchenen Fehlinterpretationen, marktradikaler Propaganda und einem Hauch von Verschwörungstheorie. Dies scheint bei einem Teil des Publikums gut anzukommen.

So ist es auch keineswegs überraschend, dass aus dieser Ecke auch der Monatsbericht der Bundesbank eigenwillig interpretiert und umgedeutet wird. Unter der reißerischen Überschrift „Bundesbank stimmt Zwangsabgabe auf Sparguthaben zu“ wird die Geschichte einer „Zwangsabgabe“ und einer „Schuldensteuer auf Sparguthaben“ weitergesponnen. Was zwischen den Zeilen beim Leser hängen bleibt, ist, dass der Staat seine Bürger – und hier vor allem die Sparer – enteignen will. Da mag es vielleicht nicht verwundern, dass Lieschen Müller aus Angst um ihr Erspartes nun gegen eine Maßnahme wettert, die nicht für sie, sondern für die Vermögenden in den Krisenstaaten angedacht ist.

Diese Methode hat System. Wer gegen eine stärkere Beteiligung der Wohlhabenden an den Folgekosten der Krise argumentieren will, wäre schlecht beraten, bei der Bevölkerungsmehrheit im Namen der Wohlhabenden auf die Tränendrüse zu drücken. Das Mitgefühl mit millionenschweren griechischen Reedern oder steinreichen spanischen Bauunternehmern dürfte nicht sonderlich groß sein. Erfolgversprechender ist es da schon, die Mehrheit glauben zu machen, sie selbst sei das eigentliche Opfer einer Vermögensbesteuerung. Die Methode hat auch Tradition. Schon lange ist es Ziel einer Politik, die sich vor allem für die Interessen der Wohlhabenden einsetzt, die Bevölkerungsmehrheit mit ins Boot zu holen. Satirisch zugespitzt hat dies Klaus Staeck in seinem 1972 erstellten Plakat „Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen“. Die dazugehörenden Mechanismen hat Ulrike Herrmann in ihrem Buch „Hurra wir dürfen zahlen – der Selbstbetrug der Mittelschicht“ seziert.

So alt die Methode ist, so neu sind die Mechanismen, derer sich libertäre Blogs wie die „Deutschen Wirtschaftsnachrichten“ bedienen. Hier wird – ähnlich wie bei den NachDenkSeiten – durchaus harsche Kritik an der Struktur des Finanzsystems geübt. Die „Banken“ sind bei den Argumentationsmustern der Autoren stets die Bösen, die das Volk mit Hilfe einer willfährigen Politik auspressen. Daran ist ja auch ein Stück weit Wahres. Es gibt jedoch entscheidende Unterschiede zu den NachDenkSeiten. Bei Blogs á la „Deutsche Wirtschaftsnachrichten“ bleiben „die Banken“ und „das Finanzsystem“ stets anonym, so als agieren sie im luftleeren Raum ohne Verbindungen zu den Privatpersonen, deren Reichtum sie mehren – gerne wird auch der Eindruck erweckt, dass es sich beim „Finanzsystem“ um eine angloamerikanische Maschinerie handelt, die „uns Deutschen“ das Geld wegnehmen will. Auch dieses Argumentationsmuster ist sehr alt.

Und nun wollen also „Wall Street“ und „City of London“ Lieschen Müller an die Spargroschen? Blödsinn. Es ist vielmehr so, dass ein sehr kleines aber sehr wohlhabendes Klientel große Angst davor hat, mit einem Teil seines Vermögens für die Folgekosten eben jenen Finanzkapitalismus herangezogen zu werden, dem es seinen Wohlstand verdankt. Und libertäre Dummköpfe bei der WELT und obskuren Blogs erledigen für diese Klientel die Kärrnerarbeit. Daher kann unser Rat nur lauten: Seien Sie kritisch und bleiben Sie kritisch! Vor allem dann, wenn Sie für Interessen eingespannt werden sollen, die nicht Ihre Interessen sind.