„Deutschland sucht den Steuer-Star“

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Von Ulrich Sedlaczek, München

Deutschland sucht den Steuer-Star“

so betitelte die Süddeutsche Zeitung vom 20/21.8.2005 einen Artikel über Paul Kirchhof. Seit Angela Merkel ihr Kompetenzteam vorstellte, hat dieser Bundestagswahlkampf einen neuen Star: Prof. Paul Kirchhof. Und er hat ein neues Thema: Kirchhofs Steuerkonzept. Der neue Star verkündet selbstbewußt , dass er Finanzminister werden und sein Konzept verwirklichen will. Dieses unterscheidet sich zwar in wesentlichen Punkten vom Wahlprogramm der Union. Macht nichts, erst mal die Wahlen gewinnen, dann wird man weiter sehen.

Das Steuerkonzept von Kirchhof hat einen großen Vorzug gegenüber anderen Vorschlägen aus den Reihen der Union: Es liegt in Form eines Gesetzentwurfs inklusive Begründung vor. Der Vorschlag zur Einkommens- und Körperschaftsteuer umfaßt 8 Seiten und 23 Paragraphen. Zur Begründung braucht Kirchhof jedoch auch etwa 300 Seiten. Veröffentlicht hat er dies 2003 in seinem Einkommensteuer Gesetzbuch.

Kirchhofs Grundgedanke ist die Vereinheitlichung der Besteuerung von Unternehmen und privater Einkommen. Eine einheitliche Steuer, mit einem Tarif, soll ein gerechtes System schaffen, in dem die Verlagerung von Einkommen zwischen der Unternehmenssphäre und dem Bereich persönlicher Einkommen keinen Sinn mehr ergibt. Deshalb wird die Körperschaftsteuer in die Einkommensteuer integriert und die Gewerbesteuer abgeschafft. In seinem Einkommensteuer Gesetzbuch erwähnt Kirchhof die Gewerbesteuer nicht. Es wird dort jedoch nirgends zwischen Einkommen aus Gewerbebetrieb und anderen Einkommensquellen unterschieden. In einem Interview für das Internetportal für Steuerberater STB Web vom Juni 2004 erklärt Kirchhof, dass dies logischerweise den Wegfall der Gewerbesteuer zur Folge hat. Diese Steuer brachte den Gemeinden im Jahre 2004 Einnahmen von über 28 Mrd. Euro. Schwer vorstellbar, dass die Kommunalpolitiker auch der Union auf dieses Geld einfach verzichten.

Der Körperschaftsteuersatz beträgt gegenwärtig 25%. Im integrierten Modell von Kirchhof muss dies auch der Spitzensteuersatz der Einkommensteuer sein. Dieser Spitzensteuersatz muss schon bei mittleren Einkommen ansetzen, um zu starke Steuerausfälle zu vermeiden. Menschen sind in der Sprache des Steuerrechts natürliche Personen. Für diese gibt es im Steuermodell von Kirchhof einen Grundfreibetrag von einheitlich 8000 € pro Jahr, auch für Kinder. Anstelle der bisherigen Arbeitnehmerpauschale und des Sparerfreibetrags gibt es eine Vereinfachungspauschale von 2000 € pro Erwachsenen. Um nach dem Gesamtfreibetrag von 10.000 € nicht gleich mit 25% Eingangssteuersatz zu schrecken, wird ein Sozialausgleichsbetrag eingeführt. Im Ergebnis bedeutet dieser, dass für Alleinstehende auf den Bereich von 10.001 bis 15.000 € ein Steuersatz von 15% angewandt wird, auf den Bereich von 15.001 bis 20.000 € ein Satz von 20%. Wer 20.000 € Jahreseinkommen hat, muss also 750€ + 1000 € = 1750€ Einkommensteuer zahlen.

Kirchhof erklärt, dass alle Menschen, die jetzt keine Steuervergünstigungen bekommen, von seinem Vorschlag finanziell profitieren. Dies ist falsch. Kinderlose Alleinstehende mit einem Jahreseinkommen von 10 000 bis 16 000 und Paare mit 20000 bis 28 000 Euro zahlen in seinem Modell auf jeden Fall mehr Einkommensteuer als im gegenwärtigen System. Erst oberhalb der genannten Grenzen gibt es rechnerische Entlastungen. Das Ergebnis für den Einzelnen hängt dann davon ab, inwieweit er von der von Kirchhof vorgesehenen Streichung von 163 steuerlichen Ausnahmetatbeständen betroffen ist. Die bekanntesten sind die Eigenheimzulage, die Pendlerpauschale, die Pauschalbesteuerung bei „Minijobs“ sowie die Steuerfreiheit von Zuschlägen für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit. Aber auch das Werkzeuggeld, die unentgeltliche Überlassung von Berufskleidung sowie Zuschüsse zu Betriebskindergärten sollen in Zukunft versteuert werden.

Eine Ausnahme will Kirchhof allerdings beibehalten. Spenden und Beiträge für gemeinnützige Zwecke und für Parteien sollen weiter steuerfrei sein. Soviel zum Thema Besitzstandswahrer. Paul Kirchhof, Vater von 4 Kindern, hat sich als Richter am Bundesverfassungsgericht und danach in der Öffentlichkeit immer wieder für die finanziellen Belange von Familien mit Kindern stark gemacht. Auf dem ersten Blick scheint sein Einkommensteuerentwurf in dieser Tradition zu stehen. Der Freibetrag von 8000 € pro Kind liegt deutlich über den jetzigen Freibeträgen von knapp 6000 €. Allerdings begrenzt der niedrige Spitzensteuersatz von 25% die maximale steuerliche Entlastung auf 2000 €. Dies ist nur etwas mehr als das jetzige Kindergeld von 1848 € jährlich und weniger als die gegenwärtige maximale Steuerersparnis von über 2400 €. Man muss kein Haushaltsexperte sein, um abzuschätzen, dass mit Pendlerpauschale, Nachtzuschlägen, Eigenheimzulage usw. nicht die Steuerausfälle ausgeglichen werden können, die sich aus der Senkung des Spitzensteuersatzes von 42% auf 25% ergeben würden. Aber das sind ja angeblich noch die vielen Steuerschlupflöcher für die Reichen, die Kirchhof angeblich schließen will, um die Steuerausfälle auszugleichen.

Welche Regelungen sieht Kirchhof also für Kapitaleinkommen vor? Diese Frage läßt sich gegenwärtig nur unzureichend beantworten. Kirchhofs „Einkommensteuer Gesetzbuch“ enthält keine Aussagen zu den Vorschriften zur Gewinnermittlung (Bilanzierung) bei Unternehmen. Diese sind erst von seinem Bilanzsteuergesetzbuch zu erwarten, das in Kürze erscheinen soll. Die bisher bekannten Vorschläge Kirchhofs zur Besteuerung der Unternehmensgewinne bei Kapitalgesellschaften sehen folgendermaßen aus:

  • Die Gewerbesteuer wird abgeschafft.
  • Die Körperschaftsteuer bleibt bei 25%. Das Steuerkonzept der Union sieht eine Senkung auf 22% vor.
  • Dividenden sind steuerfrei, da die Gewinne ja schon mit dem allgemeinen Steuersatz von 25% belastet wurden.
  • Veräußerungsgewinne von Unternehmensanteilen (z.B. Aktien) sind unabhängig von Spekulationsfristen zu versteuern. Dabei kann eine Pauschalierung vorgenommen werden. Dabei werden 90% des Veräußerungspreises als Kostenpauschale vermutet, wenn der Steuerpflichtige nicht höhere Kosten nachweist. Wer Aktien für 1000 Euro verkauft muß also maximal 100 Euro versteuern. Hat er mehr als 900 Euro für diese Aktien bezahlt, muss er nur den tatsächlichen Gewinn versteuern.

Hier werden also im Vergleich zum gegenwärtigen Recht keine Steuervergünstigungen abgebaut, sondern, insbesondere durch die völlige Steuerbefreiung von Dividenden, neue geschaffen. Auch für eine Kostenpauschale von 90% für Veräußerungsgewinne gibt es keine sachliche Begründung. Auch dies ist eine neue Steuersubvention.

Veräußerungsverluste aus Aktiengeschäften können nach Kirchhof nur mit Veräußerungsgewinnen verrechnet werden, nicht mit Einkommen aus anderen Quellen. Dies ist schon nach geltenden Recht so.

Große Einkommen haben sich in der Vergangenheit vor allem mit Verlusten aus Vermietung und Verpachtung und aus Beteiligung an Schiffen, Medienfonds, Windparks usw. arm gerechnet. Die rotgrüne Bundesregierung hat von 1999 bis 2003 versucht dies durch Begrenzungen der Möglichkeiten zur Verlustverrechnungen zu erschweren. Ab 2004 wurden diese Begrenzungen teilweise durch das sogenannte Korb II-Gesetz abgelöst, dem auch die Union zugestimmt hat. Verluste aus Vermietung- und Verpachtung können danach wieder unbegrenzt mit anderen Einkünften verrechnet werden. Auch im Einkommensteuer Gesetzbuch Kirchhofs finden sich dazu keine Einschränkungen.

Im Bericht der Abteilungsleiter (Steuer) der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder zur Bewertung der verschiedenen Steuerreformkonzeptionen vom 16.2.2004 findet sich auf Seite 41 jedoch folgende Zusatzinformation zu Kirchhofs Konzept:
„Bei vermieteten oder betrieblich genutzten Gebäuden sollen zukünftig Abschreibungen, Schuldzinsen und Erhaltungsaufwendungen nicht mehr abziehbar sein, während die Kaltmiete besteuert wird.“ Dies würde sicher dazu führen, dass für Privatpersonen eine Kapitalanlage in vermietete Immobilien nicht mehr lohnend ist und entsprechende Verlustverrechnungen unterbleiben. Eine wirtschaftlich nachvollziehbare Begründung für eine solche Regelung dürfte jedoch nicht möglich sein. Die langfristige Folge wären auf jedem Fall stark steigende Mieten und eine starke Einschränkung von Erhaltungsaufwendungen bei Gebäuden. Mieter wird dies ebensowenig freuen wie die Bauwirtschaft und die Bausubstanz vieler Häuser würde rasch verfallen.

Eine tatsächliche Einschränkung gibt es bei den diversen Beteiligungsfonds, die in Form ein Kommanditgesellschaft (KG) organisiert sind. Wer hier sein Geld anlegt, tritt diesen Gesellschaften als Kommanditist bei, der nur mit seiner Einlage haftet und nicht mit seinem gesamten persönlichen Vermögen. Kirchhof will nun eine Verrechnung von Verlusten nur für Gesellschafter zulassen, die persönlich unbeschränkt haften.

Allerdings ist dieser Vorschlag nicht wirklich neu. Mit den sogenannten Korb II-Gesetz wurde ab 2005 die Verlustverrechnung für Kommanditisten bereits auf die Höhe der geleisteten Einlage begrenzt. Vorher waren Verlustzuweisungen von 200% und mehr möglich. Im Mai 2005 legte Finanzminister Eichel als Folge des Jobgipfels einen Vorschlag zur Reduzierung der Körperschaftsteuer vor. Zur Gegenfinanzierung sah er u.a. eine fast vollständige Unterbindung der Verlustverrechnungen aus diesen Steuersparmodellen vor. Das daraus resultierende Mehraufkommen bezifferte er mit 2,5 Milliarden Euro. Kirchhofs Entwurf deckt sich in diesem Punkt also im Ergebnis mit der Beschlußlage der rotgrünen Bundesregierung. Wie er damit die Senkung des Spitzensteuersatzes auf 25% finanzieren will, bleibt sein Geheimnis. Nach dem Berechnungen der Abteilungsleiter Steuern würde Kirchhofs Entwurf im Jahre nach seinem Inkrafttreten zu Steuerausfällen bei der Einkommens- und Körperschaftsteuer von ca. 43 Milliarden Euro führen. Dazu kämen der Wegfall der Gewerbesteuer mit 28 Mrd. Euro, also über 70 Mrd. Steuern weniger bei gleichzeitig steigender Belastung für geringe und viele mittlere Einkommen.

Langfristig errechneten die Steuerexperten jährliche Steuerausfälle von ca. 11 Mrd. Euro. Dies ist der Saldo aus 61 Mrd. Mindereinnahmen durch die Tarifsenkung und 50 Mrd. Mehreinnahmen durch Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und sonstige Maßnahmen. Zur Frage, wie diese Mehreinnahmen errechnet wurden heißt es kurz und bündig. „Die hierfür angesetzten Mehreinnahmen berücksichtigen die von Prof. Kirchhof verwendeten Datengrundlagen.“ Da Kirchhofs „Bilanzsteuergesetzbuch“ erst nach der Bundestagswahl veröffentlicht wird, weiß heute nur er wie diese Zahlen zu Stande kommen. Auch läßt sich nicht beurteilen, ob die vorgeschlagenen Maßnahmen z.B. bei Vermietungseinkommen ökonomisch sinnvoll sind. Spätestens seit RTL Deutschland den Superstar suchen ließ, wissen wir, dass die Qualitätsanforderungen für Stars manchmal nicht sehr hoch sind. Bei RTL hilft abschalten, bei den Steuern nicht.