„Pussy Riot“ rettet die Spiele

Jens Berger
Ein Artikel von:

Nachdem die mit Mikrophonen bewaffneten kalten Krieger des deutschen Medienkorps bereits bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Sotschi einen gehörigen Teil ihres Pulvers verschossen hatten, drohte es schon langweilig im Kaukasus zu werden. Wenn die Organisation funktioniert und es im Umfeld keine außergewöhnlichen Vorfälle gibt, so ist dies zwar schön für die Athleten und die Zuschauer, aber fürchterlich langweilig für die Medien. Da wirkte der heutige Auftritt und die vorprogrammierte Inhaftierung zweier Aktivistinnen, die in den deutschen Medien als „Pussy Riot“ bezeichnet werden, wie ein medialer Befreiungsschlag. Die ebenfalls bereits vorprogrammierten Schlagzeilen ließen nicht lange auf sich warten. Das ist eigentlich erstaunlich. Ginge es nicht um Russland, sondern um ein westliches Land, wären die „Menschrechtsaktivisten“ wohl „Chaoten“ und würden auch wohl kaum von der BILD-Zeitung hofiert. Von Jens Berger

Wenn sich Rudi Cerne während der Olympia-Direktübertragung nachdenklich ans Ohr fasst, um den Worten, die sein Produzent ihm gerade eben aus dem Off in den Kopfhörer flüstert, zu lauschen, wissen eingefleischte Zuschauer: Es ist etwas wichtiges passiert! Ist Angela Merkel nun etwa auch über die Edathy-Affäre gestolpert und zurückgetreten? Oder wurde Sigmar Gabriel dabei erwischt, wie er sich konspirativ über das Internet rosarote Schmalzkringel bestellt hat? Nichts von alledem. Rudi Cerne verkündete dem schockierten Publikum vielmehr, dass „Mitglieder der russischen Punkband Pussy Riot“ in Sotschi von der Polizei verhaftet wurden. Mehrfach wurde in den nächsten vier Stunden die Live-Übertragung unterbrochen, um über diesen Vorfall zu berichten. Dann waren die „Aktivistinnen“ wieder frei und inszenierten sich bestens gelaunt mit bunten Sturmhauben bekleidet vor der versammelten Weltpresse. In den meisten Online-Ablegern der großen Zeitungen war die Festnahme das Topthema des Tages. Was haben die deutschen Medien eigentlich an diesen „Aktivistinnen“ gefressen, dass sie ihnen eine derartige Bedeutung beimessen?

Pussy Riot, Sotchi

Pussy Riot sind bei nüchterner Betrachtung ein selbstgefälliges Künstlerkollektiv, das die Grenzen des guten Geschmacks meilenweit hinter sich gelassen hat. Mal veranstaltet man ein Gruppensex-Happening im Moskauer Museum für Biologie. Mal stopft man sich in einem Supermarkt Suppenhühner in die Geschlechtsorgane. Mal bespritz man Polizisten mit Urin. Mal zündet man Brandpulver bei einer Modenschau und brüllt „Fickt die Sexisten, die verfickten Putinisten“. Wichtig ist dabei vor allem, dass die Aktionen gefilmt und wenige Stunden später bei YouTube eingestellt werden. Ist das Kunst? Ist das politischer Aktivismus? Ist das einfach nur geschmacklos? Oder ist dies eine eher unreife Form des Narzissmus, Selbstdarstellung in Zeiten der Aufmerksamkeitsökonomie? In seinem äußerst lesenswerten Artikel „Lady Suppenhuhn“ beschäftigte FAZ-Autor Moritz Gathmann sich bereits vor zwei Jahren mit dem Thema und erkannte bei Pussy Riot sogar deutliche Parallelen zur ersten RAF-Generation.

Nun sollte man eigentlich annehmen, dass derartig geschmacklose Aktionen von den traditionell ja eher konservativen deutschen Medien – wenn überhaupt – nur mit einem abfälligen Stirnrunzeln quittiert werden. Doch weit gefehlt. Vor allem das von Pussy Riot so bezeichnete „Punk-Gebet“ in der Christ-Erlöser-Kathedrale erfreute sich bei den deutschen Medien so großer Beliebtheit, dass es noch heute auf der Seite von bild.de redaktionell eingebunden wird. Auch das ist höchst erstaunlich. Was würde die BILD denn schreiben, wenn eine deutsche Punk-Aktivisten-Combo im Kölner Dom unmelodisch herumschrammeln würde und dabei Angela Merkel und den Papst mit äußerst vulgären Ausdrücken verunglimpft? Würde BILD-Chef Kai Diekmann diese deutsche Aktivistengruppe, nennen wir sie einmal „Mösenaufstand“, persönlich durch die Springer-Zentrale führen? Würden diese deutschen Aktivisten mit Preisen überhäuft? Würden sie zum Rahmenprogramm der Berlinale eingeladen, auf dem roten Teppich gefeiert und von den deutschen Journalisten in den Himmel gelobt werden? Wohl kaum. Wahrscheinlich würde die BILD, die ja immerhin Herausgeber der VOLKS-Bibel ist, stattdessen boshaft gegen derartiges Rowdytum geifern und den Niedergang des Abendlandes verkünden.

Noch nicht einmal in Russland gilt die Gruppe, deren Aktionen ohnehin für den „internationalen Markt“ gedacht sind, als ernsthafte Regierungsgegner. Der Oppositionelle Alexei Nawalny schrieb dazu: „Wir stehen vor einer unbestreitbaren Tatsache: Dumme Hühner, die einen Akt geringfügigen Rowdytums begangen haben, um Publicity zu bekommen“. Wenn man Nawalny in einem Punkt rechtgeben kann, dann in diesem.

Dass Nadeschda Tolokonnikowa und Maria Aljochina, die in Sotschi festgenommen wurden, gar keine Mitglieder von Pussy Riot sind, da sie von der Gruppe herausgeworfen wurden, weil sie sich – nach Angaben von Pussy Riot – „von den Idealen der Gruppe entfernt haben“, spielt für die deutschen Medien ohnehin keine Rolle. Pussy Riot ist nun einmal eine bekannte Marke geworden und einen sechssilbigen russischen Namen kann sich doch kein Mensch merken. Dabei kann man durchaus Respekt vor den beiden Damen haben. In puncto Selbstvermarktung spielen die hauptberuflichen Aktivisten-Darstellerinnen in der Champions League und erinnern dabei frappierend an deutsche Dschungelcamp-Promis aus der Regionalliga, bei denen auch niemand weiß, warum sie eigentlich prominent sind. Als ernsthafte Regierungskritiker oder gar Menschenrechtsaktivisten sind die beiden Damen jedenfalls nur mit sehr viel Phantasie zu bezeichnen. Oder mit sehr viel Ideologie, schließlich sagen Tolokonnikowa und Aljochina ja immer wieder so wunderbar zitierbare deftige Sprüche ins Mikrophon, mit denen man Russland im Allgemeinen und Putin im Speziellen ins „rechte“ Licht rücken kann.

Der ganze Medienzirkus um Pussy Riot ist nichts anderes als die Fortführung der allgegenwärtigen Anti-Russland-Kampagne. Tolokonnikowa und Aljochina wollten nach eigenen Angaben in Sotschi vor den Kameras der Weltpresse ein Lied mit dem Namen „Putin lehrt dich, deine Heimat zu lieben“ vorführen. Wer die vorherigen Aktionen der Combo kennt, ahnt Schlimmes. Muss man sich nun über die Festnahme aufregen? Keinesfalls. Auch in Deutschland ist es durchaus üblich, dass auch gegen „echte“ Aktivisten bei Großveranstaltungen ein Platzverbot verhängt wird – vor allem dann, wenn sie einschlägig vorbestraft sind. Das interessiert die deutschen Medien freilich nicht im Geringsten. Stattdessen veröffentlicht man lieber die Juxbilder der beiden Damen, die sie in der Polizeiwache aufgenommen haben. Hauptsache man kann mit dem Material die Anti-Russland-Kampagne fortsetzen.

Die bittere Pointe der Geschichte: Wäre Russland das Land, als dass es in den deutschen Medien dargestellt wird, wären die beiden hauptberuflichen Aktivsten-Darstellerinnen wahrscheinlich schon längst in einem nicht-öffentlichen Verfahren verurteilt und auf Nimmerwiedersehen in einem Straflager verschwunden. So können sie sich weiterhin in den Scheinwerfern der Kameras sonnen. Sie sollten nur nicht auf die Idee kommen, jemals den Westen oder die katholische Kirche zu kritisieren.

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