Der kleine Katechismus Teil 1 – Die Glaubensgrundsätze des neoliberalen Mainstreams

Ein Artikel von:

Matthias Burghardt, einer unserer Leser, schickte uns Teil 1 seines Breviers mit den Glaubensgrundsätzen zur Anleitung des rechten Glaubens an die neoliberale Heilslehre, die wir Ihnen nicht vorenthalten wollen.

DER ERSTE GLAUBENSGRUNDSATZ
PRIVAT GEHT VOR STAAT

Was heißt das?

Wir setzen wenig Vertrauen in den Staat und staatliches Handeln. Der Staat ist zu fett, er muss schlanker werden, d.h. staatliche Aufgaben müssen Schritt um Schritt in die Hände der Privatwirtschaft gelegt werden. Ist dies gelungen muss dann streng nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen gehandelt werden, um rasch Gewinne zu erzielen.

Wie verwirklicht man das?

Zunächst gilt es, das Vertrauen in den Staat, seine Institutionen, Behörden und Sicherungssysteme nachhaltig zu beschädigen. Dies kann durch vielfältige Aktionen erreicht werden. Sehr effektiv ist es beispielsweise, den Ärger der Bevölkerung über Fehlentwicklungen zu kanalisieren und die Schuld nicht den Eliten und ihren falschen politischen Entscheidungen, sondern einfach dem Staat anzulasten. Die tägliche Propaganda ist unabdingbar und muss möglichst in allen Massenmedien verbreitet werden.
Negative Berichterstattung, Halb- und Unwahrheiten, sowie maßlose Übertreibungen sind hilfreich. Die Propagandisten sollten aus allen gesellschaftlichen Gruppen und dem gesamten politischen Spektrum rekrutiert werden und ggf. an den Erfolgen der Privatisierung finanziell beteiligt werden. Neben der Pflege des unkritischen Mainstreams, (der aus folgsamen Gläubigen besteht, die sich gegenseitig in ihren Ansichten bestätigen), gilt es das Netzwerk in allen politischen Entscheidungsebenen weiter auszubauen, um die negative Propaganda durch falsche politische Entscheidungen erst möglich zu machen. Der Druck muss in jedem Fall verstärkt werden, denn eine Mehrheit der Bevölkerung bevorzugt, trotz aller Anstrengungen und Investitionen in Propaganda und Lobbyisten, noch immer die staatlichen Sicherungssysteme. Weiterhin muss die Strategie der ständigen Staatskritik um eine groß angelegte Täuschung über die tatsächlichen Auswirkungen der Privatisierungen ergänzt werden. Dennoch
lohnt sich ein offensives Vorgehen in Anbetracht der zu erwartenden Einnahmen, wenn es gelingt auch nur einen Bruchteil staatlichen Handelns in private Organisationen umzuleiten. Positiv muss gewertet werden, dass es gelungen ist, den privaten Altersversicherungen mit massiven Subventionen des verachteten Staates endich den Weg zu ebnen. Ein positiver Nebeneffekt ist, dass diese Privatvorsorge und ihre Subvention zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherungen geht und ihr damit geschadet
wird. Dieser kleine Erfolg ist ein guter Anfang und senkt auch die Hemmschwelle für andere Lebensbereiche, die bisher noch nicht
ökonomisiert werden konnten. Das Vertrauen der Mehrheit der Bevölkerung in die gesetzliche Rente ist trotz dieses Fortschritts immer noch ein großes Hindernis. Um der gesetzlichen Rente noch mehr Mittel zu entziehen, sollten alle Anstrengungen ausgeweitet werden, um eine gesetzliche Verpflichtung zur Privatvorsorge, also Rendite per Gesetz, zu realisieren. Erste Schritte sind gemacht, weitere müssen folgen.

Was ist hinderlich?

Die Folgen der Privatisierung, sei es nun in unserem Land oder anderen Ländern, müssen dringend ausgeblendet bleiben. Eine Betrachtung der privaten Alterssicherung in Chile, eine umfassende Analyse der Situation bei der privatisierten Bahn in Großbritannien, oder eine Beschäftigung mit der privatisierten Medikamentenkontrolle in den USA, die von der Pharmaindustrie gesponsert wird, sind unserer Sache ganz und gar nicht dienlich; belegen sie doch deutlich, dass die Abkehr vom Staat nicht nur
Altersarmut, sondern auch die Gefährdung von Leib und Leben mit sich gebracht hat. Stattdessen gilt es die Privatisierung weiter mit positiven Beriffen wie „dynamisch“, „wirtschaftlich“, „kostengünstig“ oder einfach „trendy und hip“ zu flankieren. Besonders gefährlich ist es, wenn darauf hingewiesen wird, dass auch die private Vorsorge oder privat erbrachte Dienstleistungen bezahlt werden müssen, mitsamt aller Kosten, die durch Ausgaben für Propaganda, Lobbyisten und Drückerkolonnen entstanden sind. Dieser Hinweis könnte dazu führen, dass auch unkritische Personen den Sinn von Privatisierungen hinterfragen und möglicherweise sogar zum Schluss kommen, dass verschiedene Aufgaben durch den Staat kostengünstiger, sorgfältiger und im Interesse der Versicherten oder der Auftraggeber erledigt werden. Glücklicherweise werben die staatlichen Institutionen, Behörden und solidarischen Versicherungen nicht für sich und ihre Vorzüge, zum Beispiel für ihre geringen Verwaltungskosten. Auch sonst haben sie kaum Möglichkeiten die täglichen Behauptungen unserer vielen Multiplikatoren vernehmbar zu wiederlegen. Aus dem politischen
Spektrum ist wenig Hilfe für den angeschlagenen Staat zu erwarten, da es uns erfolgreich gelungen ist das Misstrauen gegenüber dem Staat sogar in seinen eigenen Vertretern zu schüren, während alle Vorbehalte der politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Eliten uns gegenüber problemlos zerstreut werden konnten. Trotz allem Trommelfeuer gegen den Staat erkennt die Mehrheit der Bevölkerung leider mehr und mehr, dass die bereits erfolgten Privatisierungen keine Verbesserungen gebracht haben, siehe Liberalisierung des Strommarktes, Verkauf staatseigener Wohnungen oder Privatisierung von lokalen Versorgern, Bahn und Telekom. Umso schwieriger wird es für eine Fortsetzung des eingeschlagenen Weges zu werben. Hinweise auf diese Pleiten und Verwerfungen müssen deshalb zunächst als Verschwörungstheorien verunglimpft werden.

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