Schafft die Fifa ab! (2/3)

Jens Berger
Ein Artikel von:

Im zweiten Teil unserer Mini-Serie zur Fußball WM in Brasilien beschäftigen wir uns mit der Vergabe der WM 2022 an das Emirat Katar, die ein schon fast groteskes Beispiel für die Korruption innerhalb des Fußballweltverbands darstellt und daher Auslöser einer längst überfälligen Debatte über die Rolle der Fifa sein könnte. Von Jens Berger

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Dieser Artikel ist der zweite Teil einer dreiteiligen Mini-Serie zur Fußball WM in Brasilien. Im gestern erschienen ersten Teil ging es um die Fifa und die von ihr praktizierte Korruption. Im morgen erscheinenden dritten Teil wird es vor allem um die WM in Brasilien und einen Ausblick in die Zukunft gehen.

Wenn man zynisch an die Sache herangeht, kann man wirklich nur hoffen, dass die obersten Fifa-Funktionäre bis auf die Knochen korrupt sind. Denn wenn man für einen Moment einmal das Gegenteil annehmen würde, hieße dies, dass sie die Fußball WM 2022 nach bestem Wissen und Gewissen an den Bewerber vergeben haben, der auf der Liste der ungeeigneten Austragungsorte für eine solche Veranstaltung ganz oben rangiert. Und das wäre dann wohl der ultimative Beweis für die nicht vorhandene Zurechnungsfähigkeit der Fifa. Aber dem ist freilich nicht so. Das Golfemirat, das aufgrund seiner Öl- und Gasvorkommen über eine schier unerschöpfliche Kriegskasse verfügt, hat sich die WM ganz profan gekauft. Und das ist auch hinlänglich bekannt. Großer Widerstand rührt sich jedoch bislang noch nicht. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, könnte sich dies jedoch noch in diesem Herbst ändern.

Der Königsmacher

Der kleine Wüstenstaat Katar hat zwar keine erwähnenswerte Fußballtradition, dafür verfügte er bis vor kurzem jedoch über einen Fußballfunktionär, der selbst für Fifa-Verhältnisse ungewöhnlich korrupt und daher auch ungewöhnlich erfolgreich ist. Dabei ähnelt das ehemalige Fifa-Exekutivkomiteemitglied Mohamed Bin Hammam auf den ersten Blick keinesfalls dem Klischee vom korrupten Fußballfunktionär. Bin Hammam stammt aus wohlhabendem Hause und ist selbst erfolgreicher und steinreicher Unternehmer und somit nicht auf Gefälligkeiten der finanziellen Art angewiesen. Klar – Bin Hammam gehört nicht zu den Geschmierten, er ist der König der Schmierer. Die Vergabe der WM nach Katar ist sein Meisterwerk, ein fulminantes Schurkenstück in Sachen Korruption.

Als die Wirtschaftsprüfer von PriceWaterhouseCoopers 2012 die Verbandsgeschäfte Bin Hammams durchleuchteten, fanden sie Belege für einen bunten Reigen an Straftaten – beginnend mit Geldwäsche, Bestechung und Steuerbetrug, bis hin zum Bruch verhängter Wirtschaftsembargos. Dieser Bericht führte schlussendlich dazu, dass Bin Hammam vor zwei Jahren zum zweiten Mal von der Fifa auf Lebenszeit für sämtliche Ämter gesperrt wurde. Das Blatt hatte sich gegen den Strippenzieher aus Katar gewendet, da er 2011 – ein Jahr nach der WM-Vergabe an Katar – gegen die „Omerta“ der Fifa verstoßen und die offene Rebellion gegen den Fifa-Boss Sepp Blatter gewagt hatte.

Blatters Karriere wäre ohne Hammam so wohl nie möglich gewesen. Nachdem sein früherer Förderer, der Adidas-Erbe Horst Dassler verstarb und sein „Versorgungswerk“ ISL, über das mindestens 160 Millionen Schweizer Franken als Schmiergeld an korrupte Funktionäre verteilt wurden, in den Konkurs ging, fand Sepp Blatter schnell einen neuen Förderer. Der 1996 ins Fifa-Exekutivkomitee aufgerückte Katari Mohamed Bin Hammam verfügte anscheinend über die Prokura, sich mit Hilfe der prall gefüllten Schatzkammern seines Jugendfreundes des Emirs von Katar, einen Namen in der Fußballfunktionärswelt zu machen. 1998 und 2002 „managte“ Bin Hammam den Wahlkampf Sepp Blatters. Zusammen jettete man im noblen Privatjet des Emirs durch Afrika und verteilte großzügig Handgelder für die Delegierten. Dank Blatters Protektion wurde Bin Hammam kurze Zeit später Chairman des Fifa-Entwicklungshilfeprogramms GOAL, über das er Zugriff auf ein weiteres Füllhorn an Bestechungsgeldern hatte.

Bin Hammam bildete damit das Rückgrat von Blatters Macht. Er sorgte in Afrika und Asiens für die nötigen Delegiertenstimmen und kaufte über seinen guten Freund Jack Warner die Stimmen der Delegierten aus der Karibik. Gegen diesen Stimmenblock waren sämtliche vorhandene und potentielle Konkurrenten Blatters chancenlos. Was genau zum Zerwürfnis zwischen Bin Hammam und Blatter geführt hat, ist unbekannt. Fest steht jedoch, dass Bin Hammam sich 2011 mit seinem gekauften Netz an Delegiertenstimmen zusammen mit Jack Warner gegen Blatter erhob und selbst für das Amt des Fifa-Präsidenten kandidierte. Wie es der Zufall so will, tauchten kurz nach der Nominierung Bin Hammams Belege auf, mit denen bewiesen werden konnte, dass er und Warner in den Jahren zuvor Delegiertenstimmen für Blatter kauften. Bin Hammam und Jack Warner wurden daraufhin von der Fifa auf Lebenszeit gesperrt und Blatter, der natürlich von nichts wusste, wurde ohne Gegenkandidaten auch 2011 erneut zum Fifa-Präsidenten gewählt.

Gekaufte WM? Alles andere wäre sehr überraschend

Wer über ein Netzwerk wie Bin Hammam verfügt, kann seinen Einfluss natürlich auch – gegen ein nennenswertes Entgelt – für andere Entscheidungen einsetzen. Daher können die jüngst aufgetauchten Dokumente, mit denen die Sunday Times Anfang diesen Monats beweisen konnte, dass Bin Hammam die Stimmen für die WM-Vergabe an Katar gekauft hat, nicht überraschen. Nachdem zwei Mitglieder des Fifa-Exekutivkomitees bereits im Vorfeld wegen Korruptionsangeboten (sie boten ihre Stimme zum Kauf an) bei der WM-Vergabe gesperrt wurden, musste Katar noch 12 Stimmen für sich gewinnen. Bei einem Gremium, in dem fast alle Vertreter direkt oder indirekt mit Korruptionsvorwürfen belastet sind, ist dies eine machbare Aufgabe, wenn man denn nur über das nötige Schmiergeld verfügt.

Offenbar hat Bin Hammam die gesamte Fifa-Funktionärswelt mit Geld überschüttet – angefangen beim Präsidenten des liberianischen Fußballverbandes, der bereits für 10.000 Dollar zu kaufen war, bis hin zu Jack Warner, der nie fehlen darf, wenn es um Schmiergelder geht, und der den Dokumenten zufolge stolze zwei Millionen Dollar von Bin Hammam bekommen haben soll. Am Ende konnte Katar im letzten Wahlgang gegen die USA sogar 14 Stimmen sammeln – davon auch mindestens vier von Vertretern des europäischen Fußballverbands UEFA. Mittlerweile sind acht der damals 22 stimmberechtigten Fifa-Funktionäre wegen belegter Korruptionsvorwürfe zurückgetreten. Was nicht heißen soll, dass die übrigen 14 Funktionäre nicht korrupt wären.

Was kostet ein Kaiser?

Zu den im offiziellen Sprachgebrauch als nicht korrupt geltenden Funktionären zählt auch Franz Beckenbauer, der bei der WM-Vergabe an Katar für die UEFA im Fifa-Exekutivkomitee saß. Für wen der Tausendsassa, der ebenfalls ein Zögling von Horst Dassler („Der Erfinder der modernen Sportkorruption“) ist und als „Partner“ des Fußballvermarkters Sky und des Axel-Springer-Verlags über stattliche Nebeneinkünfte verfügt, bei der WM-Vergabe gestimmt hat, ist unbekannt. Fest steht jedoch, dass Beckenbauer unter fragwürdigen Umständen vor und nach der Vergabe als Gast von Bin Hammam im Emirat weilte. Einer Befragung der Fifa-Ethikkommission über die Zusammenhänge dieser Reisen ist Beckenbauer bislang nicht nachgekommen – angeblich ist sein Englisch zu schlecht, um den Fragebogen des Chefermittlers Michael Garcia auszufüllen. Ja, is’ denn heut’ scho’ Weihnachten? Beckenbauer hat sich auch nicht entblödet, vor laufenden Kameras zu sagen, er habe auf den WM-Baustellen in Katar noch keinen Sklaven gesehen. Nichts sehen, nichts hören und nichts sagen – das lohnt sich zumindest für Beckenbauer, der mit einem geschätzten Vermögen von 150 Millionen Euro zu den 500 wohlhabendsten Deutschen gehört.

Für wen Beckenbauer bei der zeitgleich stattfindenden Vergabe der WM 2018 gestimmt hat, dürfte indes klar sein. Russland holte die WM und wenige Monate später verpflichtete der vom Staatskonzern Gazprom dominierte Verband russischer Gasproduzenten Franz Beckenbauer – gegen ein ordentliches Salär, versteht sich – als neuen „Sportbotschafter“ – Gerhard Schröder lässt grüßen. Wäre es nicht so tragisch, man könnte laut lachen.

Der DFB, der sich selbst gerne als Vorreiter im Kampf gegen Korruption im Fußball geriert, ließ sich bei der WM-Vergabe von einem millionenschweren Schwadroneur vertreten, der dafür bekannt ist, sich für größere Geldbeträge vor so ziemlich jeden Karren spannen zu lassen, und der bis heute nicht belegen kann oder will, für wen er – im Auftrag des DFB – bei der WM-Vergabe eigentlich gestimmt hat. Wer selbst derart Dreck am Stecken hat, kann sich auch den mahnenden Zeigefinger in Richtung Katar sparen. Es ist eine Schande, dass ein derartiges Verhalten in einem deutschen Verband möglich ist, der immerhin fast sieben Millionen Mitglieder vertritt.

Die Fifa geht über Leichen

Über die Arbeitsbedingungen auf den Fifa-Baustellen in Katar ist schon viel geschrieben worden. In den letzten zwei Jahren sind alleine 450 indische Bauarbeiter ums Leben gekommen – von den Kollegen aus Nepal stirbt im Schnitt jeden Tag ein Bauarbeiter. Experten gehen davon aus, dass bis zur Fertigstellung der Stadien und der Infrastruktur weitere 4.000 Arbeiter ihr Leben lassen müssen. Das Schicksal der „Habenichtse“ aus der Dritten Welt ist der Fifa nicht einmal eine Randnotiz wert. Abzuwarten bleibt, wie viele Fußballfans aus den Industrieländern das sonnige Wüstenwetter mit Temperaturen bis zu 50 Grad Celsius hinraffen wird. Die haben dann zumindest die Chance, als Randnotiz in die offizielle WM-Geschichte einzugehen.

Arbeiter werden in Katar wie Sklaven gehalten. Sie müssen ihre Papiere bei ihrem Arbeitgeber abgeben und dürfen ohne die Papiere weder das Land verlassen, noch einen neuen Job annehmen – auch dann nicht, wenn sie überhaupt nicht bezahlt werden und in unhygienischen Massenunterkünften eingepfercht werden. Wenn dies keine moderne Sklaverei ist, was ist dann überhaupt Sklaverei? Die Fifa sieht diese Missstände – wie so oft – mit Besorgnis. Doch hinter der kritischen Fassade steckt nichts.

Warum Katar?

Die Fifa interessiert sich nicht für mittellose Arbeiter aus der Dritten Welt, solange dies die Interessen der Sponsoren nicht berührt. Wenn dies einmal der Fall ist, zeigt die Fifa jedoch, was möglich ist. So mussten sowohl Brasilien (dort verbot ein Gesetz den Alkoholkonsum in Sportstadien) als auch Katar (dort ist der Verzehr von Alkohol generell streng limitiert) ihre Gesetze ändern, sodass der Fifa-Sponsor Budweiser sein „Bier“ bei der WM verkaufen kann. Das Leben von Tausenden Indern und Nepalesen lohnt sich jedoch nicht, um beim Gastgeberland zu intervenieren. Auch homosexuelle Fans haben bei der Fifa keine echte Lobby. In Katar werden Homosexuelle mit Gefängnisstrafe bis zu fünf Jahren oder Peitschenhieben bestraft. Fifa-Präsident Blatter meinte dazu lapidar, er könne homosexuellen Fußballfans bei der WM in Katar nur empfehlen, auf sexuelle Handlungen während der WM zu verzichten. Nun ja, wäre ein Schwulenverband offizieller Fifa-Sponsor, hätten Blatter und Co. schon dafür gesorgt, dass derart mittelalterliche Gesetze während der WM ausgesetzt werden.

Es gibt tausend Gründe, warum Katar kein geeigneter Austragungsort ist. Doch diese Gründe interessieren die Fifa-Oberen nicht besonders. Entscheidend ist, dass der arabische Raum ein „Wachstumsmarkt“ ist und die Sponsoren Wachstumsmärkte lieben. Und noch entscheidender ist, dass der Emir über Mohamed bin Hammam die Delegierten ganz profan eingekauft hat. Der Weltfußball ist heute eine käufliche Ware.

Gegenwind für Katar

Es ist jedoch längst nicht geklärt, ob Katar die WM 2022 wirklich austragen wird. Innerhalb der Fifa hat sich bereits Widerstand formiert. Dabei geht es freilich nicht um die Menschenrechte oder um die skandalösen Bedingungen auf den Fifa-Baustellen. Es geht vielmehr darum, dass Mohamed bin Hammam in Ungnade gefallen ist und zum Abschuss freigegeben wurde und hinter den Kulissen mit Dolchen unter der Toga darum gekämpft wird, wer 2015 nächster Fifa-Präsident wird. Der Katari Bin Hammam hat den Machtkampf mit Sepp Blatter nicht überlebt und ist weg vom Fenster. Sein „Nachfolger“ im Fifa-Exekutivkomitee ist Salman bin Ibrahim Al Chalifa, seines Zeichens Mitglied der Königsfamilie von Bahrain. Bahrain und Katar sind sich in einer Hassliebe als erbitterte Konkurrenten im Golf verbunden und Katar hat sich dort durch seine offene Unterstützung der Muslimbrüder in der arabischen Welt keine Freunde gemacht. Außerdem weiß Al Chalifa, dass die Fifa wohl nie wieder ein großes Fußballturnier (es muss ja nicht gleich die WM sein) an den Golf vergeben wird, wenn Katar die WM austrägt. Und bekanntlich verfügt auch das Königshaus von Bahrain über eine Kriegskasse, die der Katars kaum nachsteht.
Dunkle Wolken ziehen auch aus einer anderen Ecke auf. Es ist bekannt, dass der UEFA-Präsident Michel Platini Ambitionen hegt, Sepp Blatter 2015 als Fifa-Präsidenten zu beerben. Platini hat sich – anders als Blatter – offen für Katar ausgesprochen und die WM im Wüstenstaat damit unvorsichtigerweise zu seinem Projekt gemacht. In diesem Zusammenhang ist auch Blatters Äußerung aus dem Mai dieses Jahres zu verstehen, dass es „sicher ein Fehler war“, die WM nach Katar zu vergeben. Diese Äußerung hatte nichts mit Katar zu tun, sondern war ein offener Angriff auf Platini.

Im Herbst diesen Jahres wird nun der Untersuchungsbericht des von Blatter beauftragten US-Juristen Michael Garcia vorliegen, der schon den New Yorker Gouverneur Eliot Spitzer zu Fall brachte. Garcias Aufgabe war es, die Rechtmäßigkeit der WM-Vergabe an Katar zu untersuchen und man braucht wohl nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, wie Garcias Bericht aussehen wird. Die gesamte Situation ist hoch grotesk. Es könnte sein, dass sich im Herbst der Pate Blatter zum Kämpfer gegen Korruption aufschwingt und – gestützt auf den Garcia-Bericht – Katar die WM wieder aberkennt, um seinen Konkurrenten Platini auszubooten. Unter der Fifa ist der Fußball nicht nur zu einer käuflichen Ware geworden. Er wurde auch zu einem schmutzigen Geschäft.

Mehr dazu im morgen erscheinenden dritten Teil der Mini-Serie.

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