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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (RS/WL)

Hier die Übersicht. Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert.

  1. Peter Schaar: Privatsphäre als Menschenrecht
  2. Rente mit 63 möglicherweise verfassungswidrig
  3. Abwärtstrend ungebrochen – Analyse: Tarifbindung und Reichweite der betrieblichen Interessenvertretung gehen weiter zurück
  4. Klage gegen das BMAS wegen Weigerung Informationen zu den Rechtsvereinfachungen weiterzugeben
  5. Elf Millionen Euro für null Tage Arbeit bei Schaeffler
  6. Verfassungsrichter zweifeln an Erbschaftsteuer
  7. Die Gongos von Brüssel – Schattenspiele sogenannter Nichtregierungsorganisationen
  8. Amerikanische Botschaft unterstützt Non-Profit-Organisationen mit 5000 – 20 000 Euro wenn sie sich für das Freihandelsabkommen engagieren
  9. Kritik nach Freisprüchen der Ex-HSH-Vorstände
  10. IMK: Sicherungsfonds für Bankenunion deutlich zu klein
  11. Der Super-Klick – Wie Hochfrequenzhandel funktioniert
  12. Staatlich finanzierter Neonazi und Kinderschänder
  13. Widerstand und Genozid: Der Krieg des Deutschen Reiches gegen die Herero (1904–1908)
  14. Kampfdrohnen der Zukunft
  15. “Personen zu Terroristen erklären, die es noch nicht sind, damit sie es nicht werden”
  16. Willige Partner: Bundeswehr-Training gegen Piraten in Westafrika
  17. Irak – Chronik eines Staatszerfalls
  18. Die Ukraine im Schraubstock – Der wirtschaftliche Hintergrund einer unsinnigen Ost-West-Konfrontation
  19. „Ein Tag der Schande“
  20. 100 Osnabrücker blockieren Zugang zu Flüchtlingsheim
  21. “Verklag’ mich doch!”

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Peter Schaar: Privatsphäre als Menschenrecht
    Die Umkehr zu einem verbesserten Schutz unserer Daten wird nicht von selbst kommen. Nur wenn die Überwachung und die von ihr ausgehenden Gefahren stärker ins Blickfeld der Öffentlichkeit und der politischen Debatte rücken, werden sich die Kräfte, die für immer neue Instrumente zur Registrierung und Steuerung unseres Verhaltens eintreten, zurückdrängen lassen. Das Ringen um den Datenschutz ist eine politische Auseinandersetzung. Das Recht steht nicht außerhalb der Gesellschaft, es ist vielmehr Resultat – und zugleich Triebfeder der Entwicklung. Die Verfassungsgerichtsentscheidungen zur Volkszählung, zur Rasterfahndung, zum großen Lauschangriff und zur Online-Durchsuchung sind das Ergebnis gesellschaftlichen Ringens um einen tragfähigen Interessenausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit und nicht bloß Ausdruck gelehrter Rechtsexegese.
    Heute können wir beobachten, dass die Kräfte in der Zivilgesellschaft stärker werden, die die Überwachung nicht mehr als Schicksal hinzunehmen bereit sind. Und auch das hermetische System geheimer Überwachung, das seit 2001 errichtet wurde, zeigt die ersten Risse. Die auf Snowden zurückgehenden Veröffentlichungen haben die Fundamente dieses Gebäudes erschüttert. Seine Grundmauern allerdings stehen nach wie vor. Der Kampf dagegen bleibt also weiter unabdingbar.
    Bei alledem darf derjenige nicht vergessen werden, dem wir die Kenntnis über die immensen Menschenrechtsverletzungen verdanken. Edward Snowden ist ein klassischer „Whistleblower“, also jemand, der laut pfeift, weil er mit Rechtsbrüchen und unmoralischem Handeln konfrontiert ist.
    Quelle: Blätter für deutsche und internationale Politik
  2. Rente mit 63 möglicherweise verfassungswidrig
    …die in letzter Minute aufgenommenen Ausnahmen bei der abschlagsfreien Rente ab 63 sind wahrscheinlich nicht mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags, das der Süddeutschen Zeitung  vorliegt…
    In dem Gutachten, das der rentenpolitische Sprecher der Grünen, Markus Kurth, beantragt hatte, geht es nun um die Ausnahme von der Ausnahme: Wird die Arbeitslosigkeit in den entscheidenden zwei Jahren durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers verursacht, wird diese Phase bei den 45 Beitragsjahren berücksichtigt. Nach betriebsbedingten Kündigungen gilt dies allerdings nicht. Genau dies dürfte jedoch “wohl gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3, Abs. 1 GG verstoßen”, heißt es in der juristischen Bewertung des Wissenschaftlichen Dienstes…
    So sei es problematisch, “dass kaum zu ergründen sein dürfte, wenn zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern missbräuchliche Absprachen über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach außen als betriebsbedingte Kündigungen wirken”.
    Quelle: SZ
  3. Abwärtstrend ungebrochen – Analyse: Tarifbindung und Reichweite der betrieblichen Interessenvertretung gehen weiter zurück
    Die Gewerkschaften haben sich zuletzt stabilisiert: Nach der IG Metall vermeldete im vergangenen Jahr auch ver.di erstmals steigende Mitgliederzahlen. Der Bedeutungsverlust organisierter Interessenvertretung von Beschäftigten ist damit allerdings nicht gestoppt. Das zeigt eine Analyse der Entwicklung der Tarifbindung und der Verbreitung von Betriebsräten, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit alljährlich veröffentlicht. Demnach ist die Mitbestimmung sowohl auf tariflicher als auch auf Betriebs­ebene weiter rückläufig. Über einen längeren Zeitraum betrachtet sind die Zahlen dramatisch.
    1996 galt in Westdeutschland noch für 70 Prozent der Beschäftigten ein Flächentarifvertrag, im Osten für 56 Prozent. 2013 traf dies im Westen nur noch für gut die Hälfte, im Osten für etwas mehr als ein Drittel zu. Wie die IAB-Wissenschaftler Peter Ellguth und Susanne Kohaut in den WSI-Mitteilungen berichten, ist die Tarifbindung auch im vergangenen Jahr weiter zurückgegangen – in beiden Landesteilen um jeweils einen Prozentpunkt. Und das trotz einer stabilen wirtschaftlichen Situation und sogenannten Organizing-Kampagnen der Gewerkschaften, also gezielten Maßnahmen zur Mitgliedergewinnung.
    Die Unterschiede sind nicht nur in Ost und West sehr groß, sondern auch zwischen den einzelnen Wirtschaftszweigen.
    Quelle: junge Welt

    Dazu: Für jeden zweiten Beschäftigten gilt ein Branchentarifvertrag

    Quelle: IAB [PDF – 188 KB]

  4. Klage gegen das BMAS wegen Weigerung Informationen zu den Rechtsvereinfachungen weiterzugeben
    Der Vorsitzender des Erwerbslosenverein Tacheles verklagt das Bundesarbeitsministerium auf Herausgabe von Informationen zu den geplanten Änderungen des Zweiten Sozialgesetzbuches (SGB II). Bundesregierung will Rechtsverschärfungen bei den Hartz IV-Gesetzen unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorbereiten und damit faktisch das Informationsfreiheitsgesetz außer Kraft setzen. (…)
    Anhand der Vorschläge der Arbeitsgruppe soll bis Ende dieses Jahres ein Gesetzesentwurf vorgelegt und nächstes Jahr beschlossen werden.
    Harald Thomé, Vorsitzender des Erwerbslosenvereins Tacheles, hat am 15. Dezember 2013 einen Antrag auf Weitergabe aller im Bundesarbeitsministerium (BMAS) vorhandenen Informationen zu den geplanten Rechtsänderungen im SGB II gestellt. Nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) hat jeder Bürger Anspruch auf Herausgabe von in Bundesbehörden vorhandenen Informationen. Diesen Informationsanspruch verweigert das BMAS und führt aus, dass damit die geheime Diskussion über die geplanten Rechtsänderungen gestört werden könnte.
    Thomé ist allerdings der Meinung, dass es bei Gesetzesänderungen keinen Geheimhaltungsanspruch der Regierung gibt. „Staatliches Handeln muss für Bürger/innen, NGO, Wohlfahrts- und Sozialverbände, aber auch für die Parteien und eine politisch interessierte und kritische Öffentlichkeit transparent sein. Denn nur so sind rechtlich bedenkliche und möglicherweise verfassungswidrige Pläne im Vorfeld erkennbar und angreifbar“, führt Thomé seinen Informationsanspruch aus.
    Trotz umfangreicher Begründung wurde das Informationsbegehren vom BMAS mit Bescheid vom 26.05.2014 abgelehnt. Gegen den Ablehnungsbescheid hat Thomé stellvertretend für die interessierte Öffentlichkeit mit Datum vom 25.06.2014 Klage eingereicht.
    „Mit der Klage soll die intransparente und undemokratische Verfahrensweise des BMAS thematisiert und wenigstens für die Zukunft festgestellt werden, dass die Regierung keinen Anspruch auf Geheimhaltung im Vorfeld von Gesetzesvorhaben hat“, fasst Thomé das Motiv der Klage zusammen. Er kündigt ferner an, dass er die Klage durch alle Instanzen verfolgen möchte. „Denn es kann nicht sein, dass die öffentliche Debatte im Vorfeld gravierender Rechtsänderungen mit allen Mitteln verhindert werden soll“, so Thomé.
    Quelle: Tacheles e.V.
  5. Elf Millionen Euro für null Tage Arbeit bei Schaeffler
    Während sich die Parteien in Deutschland bis zuletzt um den Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde zankten und Wirtschaftsverbände dagegen Sturm liefen, zeigt ein Vorgang beim Autozulieferer Schaeffler, wie die Kohle in oberen Etagen großer Unternehmen zum Teil verpulvert wird. So bekommt der Beinahe-Chef Klaus Deller des fränkischen Konzerns – sozusagen für null Tage Arbeit! – elf Millionen Euro. Eine Summe, für die ein normaler Arbeitnehmer mit einem Jahresgehalt von 50.000 Euro 220 Jahre lang schuften müsste.
    Quelle: T-Online
  6. Verfassungsrichter zweifeln an Erbschaftsteuer
    Die Erbschaftsteuer birgt zu viele Schlupflöcher für Unternehmen, moniert das Bundesverfassungsgericht. Es sieht so aus, als könne Karlsruhe das Gesetz in Teilen kippen. Aber was kommt dann?..
    Reinhard Gaier fragte, warum die vielen Vergünstigungen der Erbschaftsteuer eigentlich auch auf große Aktiengesellschaften mit einzelnen Großaktionären anwendbar seien – wo doch das erklärte Ziel des Gesetzgebers die Förderung von Familienunternehmen gewesen sei. Ferdinand Kirchhof, Vizepräsident des Gerichts, wollte wissen: Ist eine gesetzliche Vorschrift noch zu halten, wenn sie gleichsam zur “Gestaltung” einlade – also zur legalen Umgehung der Steuerpflicht, und zwar ohne eine Herde von Steueranwälten einzuschalten. Und Johannes Masing erkundigte sich nach der Rechtfertigung für die Steuerprivilegien – die ja umso nachdrücklicher ausfallen müsse, je umfangreicher die Vergünstigungen seien.
    Verfassungsrechtlich heikel sind dabei nicht die Entlastungen selbst, sondern eine mögliche Ungleichbehandlung, wie der zuständige Berichterstatter Michael Eichberger gleich zu Beginn anklingen ließ: Die Frage sei, ob eine weitgehende Begünstigung der Unternehmen die Erben anderer, nicht in Betrieben konzentrierten Vermögen benachteilige – hoher Vermögen, wohlgemerkt, denn das normale Eigenheim ist ohnehin von den Freibeträgen abgedeckt.
    Quelle: SZ

    Anmerkung WL: Es kann also so kommen, wie bei der Vermögenssteuer, auch da stellte das Verfassungsgericht eine Ungleichbehandlung von Geld- und Immobilienvermögen fest und hat das zugrundeliegende Gesetz für verfassungswidrig erklärt. Statt dass der Gesetzgeber das Gesetz an die Rechtsprechung angepasst hat, hat er gar nichts unternommen, so dass das Gesetz außer Kraft ist. Genauso könnte es auch bei der Erbschaftssteuer kommen. Das Gericht erklärt die Ungleichbehandlung für verfassungswidrig, d.h. ungültig und der Gesetzgeber tut nichts, um das Gesetz an die Rechtsprechung anzupassen. Siehe Jens Berger „Irrungen, Wirrungen, Erbschaftssteuer“.

  7. Die Gongos von Brüssel – Schattenspiele sogenannter Nichtregierungsorganisationen
    Nach monatelangen Geheimverhandlungen versprach die Europäische Kommission Ende März, den Mauscheleien um das Transatlantische Freihandelsabkommen Tafta/TTIP ein Ende zu setzen. Man gelobte Transparenz, die vor allem durch “öffentliche Konsultationen”1 hergestellt werden solle. Über eine Website, auf der jeder seine Meinung äußern kann, wurden die Bürger Europas in zwanzig Sprachen aufgefordert, sich bis zum 6. Juli 2014 auf einem Fragebogen zu zwölf Themenbereichen des Abkommens, das gegenwärtig verhandelt wird, zu äußern.
    Die Konsultation rief wenig Begeisterung hervor. Sie betrifft nämlich nur einen Bereich des Abkommens, nämlich den “Investorenschutz” und das Investor State Dispute Settlement (ISDS), ein Rechtsinstrument zur Beilegung von Streitfällen zwischen Staaten und ausländischen Investoren.(2) Zudem beziehen sich die Fragen, die zu beantworten sind, lediglich auf technische Einzelheiten. Widerspruch gegen Freihandel, gegen Privatisierungen oder TTIP selbst ist nicht vorgesehen.(3) Es sei eher die Karikatur einer Konsultation, die einem undemokratischen Prozess einen demokratischen Anstrich verleihen soll, meinte dazu die französische Attac…
    Kaum war die Anwesenheit der NGOs institutionalisiert, drohte bereits ihre Vereinnahmung. Schon 2008 warnte der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Siim Kallas, vor “falschen NGOs”. Die Regierungen delegieren seit vielen Jahren einen Teil ihrer Arbeit an Organisationen, die von ihnen finanziert werden und diskret ihre Interessen vertreten…
    Es gibt noch andere Formen der Tarnung, wie zum Beispiel Astroturfing…
    Quelle: Le Monde diplomatique
  8. Amerikanische Botschaft unterstützt Non-Profit-Organisationen mit 5000 – 20 000 Euro wenn sie sich für das Freihandelsabkommen engagieren
    Support U.S.-EU free trade? The embassy in Berlin wants you!
    Some folks in Europe — farmers, consumer groups, enviros, privacy advocates and others — have strongly opposed the U.S.-EU Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) that’s now being negotiated.
    So the U.S. embassy in Berlin is enlisting treaty-supporting Germans — even offering cold, hard cash. That’s right, the embassy’s public affairs section has launched project “T-TIP: Get Informed! Get Involved.” The section is “soliciting proposals” and offering grants of between $5,000 and $20,000 to German non-profits, “non-governmental organizations, think tanks and academic institutions” to get out the real “facts and figures” and to “combat misinformation.”
    Quelle: The Washington Post
  9. Kritik nach Freisprüchen der Ex-HSH-Vorstände
    Überraschendes Urteil: Das Hamburger Landgericht hat heute Vormittag die sechs ehemaligen Vorstandsmitglieder der HSH Nordbank freigesprochen. Unter anderem war dem früheren Finanzchef Dirk Jens Nonnenmacher und Ex-Chef Hans Berger Untreue in einem besonders schweren Fall vorgeworfen worden. Zudem waren der frühere Kapitalmarkt-Vorstand Jochen Friedrich und Nonnenmacher wegen Bilanzfälschung angeklagt. Die Staatsanwaltschaft kann gegen das Urteil Revision beim Bundesgerichtshof einlegen…
    In der Urteilsbegründung heißt es, die Angeklagten hätten ihre Pflichten nicht vorsätzlich verletzt, als sie in Zeiten der aufziehenden Finanzkrise per Eilentscheid eine umstrittene Transaktion beschlossen. Fehlentscheidungen der Angeklagten hätten nicht die “Grauzone in Richtung Strafbarkeit” überschritten, sagte der Vorsitzende Richter Marc Tully.
    „Wir betreten hier juristisches Neuland”, hatte Richter Tully zu Beginn des Prozesses erklärt. Erstmals wurde ein spekulatives Finanzgeschäft einer deutschen Bank in der Finanzkrise vor einem Strafgericht verhandelt. Der Prozess sollte klären, wie weit die Verantwortung der Vorstände reicht, ob sie mit Vorsatz fremdes Vermögen veruntreut und grob pflichtwidrig gehandelt haben.
    Dass die ehemaligen Vorstandsmitglieder mit den riskanten Geschäften durchaus ihre Pflichten verletzt haben, sieht das Gericht trotz des Freispruchs. Die Manager seien bei ihrer Unterschrift unter die mangelhafte Kreditvorlage unzureichend informiert gewesen – “und zwar sowohl formell wie auch sachlich-inhaltlich”.
    Ökonom Carl-Christian Freidank von der Universität Hamburg schätzte den Freispruch im Gespräch mit NDR Info als überraschend ein. “Offensichtlich konnte sich der Richter nicht durchringen, hier einen Vorsatztatbestand zu sehen, sondern nur einen Fahrlässigkeitstatbestand. Damit war die Untreueunterstellung vom Tisch.” Freidank zufolge ist das vom Urteil ausgehende Signal nicht gut für die deutsche und internationale Corporate Governance, die Grundsätze der Unternehmensführung.
    Quelle: NDR.de

    Anmerkung WL: Siehe dazu: Jens Berger, „HSH-Nordbank-Prozess – nur die Spitze des Eisbergs“. Der von den HSH-Nordbank-Managern eingefädelte Omega Deal bescherte der Bank – und schlussendlich dem Steuerzahler – einen Verlust von rund 500 Millionen Euro und dieser Deal war nur die Spitze des Eisbergs.
    Zur Krisengeschichte der HSH Nordbank siehe Tagesschau.de.
    Es habe sich nicht um „gravierende und evidente Pflichtverletzungen“ gehandelt. Wenn sich Bankvorstände sich bei Entscheidungen in dreistelliger Millionenhöhe „unzureichend“ – wie das Gericht feststellte – informiert haben, dann ist das keine strafrechtlich relevante Pflichtverletzung. Dieses Urteil stärkt den Zockern den Rücken, sie brauchen sich nur nicht zureichend informieren, dann können sie sich dem Strafrecht entziehen.

  10. IMK: Sicherungsfonds für Bankenunion deutlich zu klein
    Die Bankenunion soll den europäischen Finanzsektor sicherer machen. Die geplanten Sicherungsfonds sind allerdings deutlich zu klein. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Untersuchung des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung…
    Die Bankenunion werde aus drei Komponenten bestehen, erläutern die Ökonomen. Zum einen ist ein einheitlicher Aufsichtsmechanismus geplant. Die Europäische Zentralbank (EZB) wird nach derzeitigem Stand 128 “bedeutende” Banken der Euroländer überwachen. Im Oktober 2013 wurde bereits eine umfassende Überprüfung der Bankbilanzen gestartet, um einen reibungslosen Einstieg in die Bankenunion zu gewährleisten.
    Ein einheitlicher Abwicklungsmechanismus soll der EZB oder nationalen Überwachungsbehörden Eingriffe ermöglichen, wenn Banken in Schwierigkeiten geraten. Die Aufpasser können überschuldete Institute beispielsweise zwingen, Geschäftsbereiche zu veräußern. Oder sie können anordnen, dass Anteilseigner oder Gläubiger sich an einer Rekapitalisierung beteiligen. Falls diese Instrumente nicht ausreichen, soll ein Abwicklungsfonds bereitstehen, dessen Vermögen die Banken selbst aufbringen müssen. Dafür sollen sie abhängig von ihrer Größe und ihrem Geschäftsrisiko Abgaben leisten. Bis 2023 soll der Fonds ein Gesamtvolumen von 55 Milliarden Euro erreichen.
    Eine einheitliche Einlagensicherung haben die EU-Staaten bereits 1994 eingeführt. Im Rahmen der Bankenunion sind auch weiterhin nationale Fonds vorgesehen, um Summen bis 100.000 Euro pro Kunde und Institut abzusichern. Dafür sollen bis 2024 über Bankenabgaben Mittel in Höhe von 0,8 Prozent der versicherten Einlagen zusammenkommen.
    Die IMK-Wissenschaftler sehen die Bankenunion zwar als Schritt in die richtige Richtung, weisen aber auf einige Probleme hin. Besonders die derzeit laufende Bewertung von Bankbilanzen könnte sich nach ihrer Einschätzung als “offene Flanke” erweisen. Klarheit über Altlasten sei eine zentrale Voraussetzung für das Gelingen der Bankenunion. Die Bestandsaufnahme dürfe also auf keinen Fall politisch weichgespült werden. Für den Fall, dass Schieflagen offenbar werden, wäre mit zusätzlichem Finanzierungsbedarf zu rechnen. Das IMK empfiehlt daher, einen zusätzlichen Sonderfonds für Altlasten durch eine gesamteuropäische Bankenabgabe zu finanzieren. Die Höhe der Abgabe sollte größenabhängig und so bemessen sein, dass Großbanken langfristig Vermögenswerte veräußern und damit schrumpfen müssen. Das systemische Risiko durch Banken, die “too big to fail” sind, könne so begrenzt werden. In diesem Zusammenhang wären zudem effektive Grenzen für Schulden und für die Geschäftstätigkeit sinnvoll.
    Am Abwicklungsmechanismus kritisieren Lindner, Soemer und Theobald vor allem das Volumen des geplanten Fonds. Schon die Krise einer einzigen Großbank könnte die vorgesehenen 55 Milliarden Euro aufzehren: Die maximal mögliche Hilfe in Höhe von 5 Prozent der Bilanzsumme würde selbst nach einer vorgesehenen Beteiligung der Gläubiger (Bail-In) allein bei der Deutschen Bank 74 Milliarden Euro betragen. Und dabei seien die Folgewirkungen noch gar nicht eingerechnet, warnen die Autoren. Auch ein Vergleich mit den Vorschriften für amerikanische Banken deute auf eine zu geringe Ausstattung hin: Abwicklungsfonds und Einlagensicherungsfonds zusammen entsprächen in Europa nur 1,8 Prozent der versicherten Gelder, in den USA seien es dagegen 2 Prozent.
    Auch was die Befugnisse der Überwacher bei Schieflagen angeht, stünden die USA besser da: Die amerikanischen Behörden hätten bei bestimmten Problemlagen ausdrücklich das Recht, Dividenden oder Managergehälter zu kürzen oder Zahlungen an Gläubiger zu stoppen. Eine vergleichbare Konkretisierung der Eingriffsrechte fehle bislang im Regelwerk der Bankenunion.
    *Fabian Lindner, Nicolas Soemer, Thomas Theobald: Chancen und Risiken der Europäischen Bankenunion
    Quelle: IMK Policy Brief, Mai 2014. Download

    Quelle: Infografik zum Download im Böckler Impuls 12/2014

  11. Der Super-Klick – Wie Hochfrequenzhandel funktioniert
    Mit dem Flash Crash von 2010 geriet der Hochfrequenzhandel erstmals ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Diese neue Art des Aktienhandels war dermaßen angewachsen, dass der Aktienhandels zum Großteil nicht mehr von Menschen abgewickelt wurde, die mit anderen Käufe und Verkäufe vereinbarten, sondern von Computern ganz ohne menschliche Beteiligung (von deren Programmierung einmal abgesehen). 2008 geschahen bereits 65 Prozent der Transaktionen an den Wertpapierbörsen der USA auf diese Weise. Die Kauf- und Verkaufsorders von leibhaftigen Maklern machten nur ein Drittel der Börsenumsätze aus.
    Die Computer vollzogen (und vollziehen) die Transaktionen innerhalb von Tausendstelsekunden, wobei sie winzige Preisdiskrepanzen ausnutzten, um einen garantierten Profit zu erzielen. Über die genauen Details wusste kaum jemand Bescheid – das heißt: nur die Leute, die damit viel Geld verdienten und allen Grund hatten, ihre Kenntnisse für sich zu behalten.
    Der Faktor Geschwindigkeit ist so entscheidend, weil die neuen Finanztechniken ganz gezielt winzigste, nur für Bruchteile von Sekunden existierende Preisdifferenzen ausnutzen – und nicht nur ausnutzen, sondern gelegentlich auch erzeugen.
    Quelle: Le Monde diplomatique
  12. Staatlich finanzierter Neonazi und Kinderschänder
    Ein ganz spezieller Vertreter der Neonaziszene soll in der kommenden Woche im Prozess gegen Beate Zschäpe vor dem Münchner Oberlandesgericht aussagen. Tino Brandt arbeitete jahrelang als gut dotierter V-Mann des Verfassungschutzes und zugleich als Zuhälter in der Kinder-Sex-Szene.
    Am 15. Juli soll der ehemalige thüringische Neonaziführer und NPD-Spitzenfunktionär Tino Brandt als Zeuge beim NSU-Prozess in München aussagen. Brandt (Jahrgang 1975) war in den 90er-Jahren und um die Jahrtausendwende die Schlüsselfigur des Thüringischen Heimatschutzes (THS), aus dem der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) hervorging. Zeitgleich stand der Hardcore-Neonazi als V-Mann in Diensten des aufgrund seiner zahlreichen Skandale berüchtigten Thüringischen Landesamts für Verfassungsschutz (TLfV). Im Auftrag des Inlandsgeheimdiensts suchte der Spitzel Kontakt zu dem seit Ende Januar 1998 flüchtigen Jenaer NSU-“Trio”. Seit Ende Juni sitzt Brandt in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, einen minderjährigen Knaben sexuell missbraucht und später an Freier vermittelt zu haben. 
    Quelle: Kontext:Wochenzeitung

    Hinweis: Auch in dieser Woche wieder interessante Beiträge in Kontext:Wochenzeitung u.a.:

    • Volles Rohr gegen Häußler: Im Wasserwerferprozess vor dem Stuttgarter Landgericht rückt ein alter Bekannter in den Mittelpunkt. Ex-Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler erweist sich immer mehr als Mastermind des Einsatzes im Schlossgarten.
    • Die Macht und wir: Peter Grohmann und Gangolf Stocker: Der eine erhält Morddrohungen und die Staatsanwaltschaft schweigt. Den anderen verfolgt die Justiz unerbittlich, als Versammlungsleiter von S-21-Demonstrationen. Wie passt das zusammen?
    • Der Konkursverwalter: Er sollte retten, was nicht mehr zu retten war. Prinz Max von Baden wollte ein ehrenhaftes Kriegsende und wurde stattdessen zum Abwickler der deutschen Monarchie. Teil XIII unserer Serie “Der Weltkrieg im Südwesten”.
    • Der Acker muss weg: Lahr will 2018 eine Landesgartenschau ausrichten. Dazu fehlt ihr allerdings noch der Acker von Werner Grafmüller. Der Pensionär will nicht verkaufen. Jetzt droht ihm die Zwangsenteignung. Eine Premiere im Südwesten.
    • Der Pseudo-Joschka Fischer von Heidelberg: Heidelberg war einst eine Metropole der 68er. Marx, Mao, Lenin oder Bakunin standen bei den Studenten-Rebellen hoch im Kurs. Unter ihnen war Michael Buselmeier, der heute ein Konservativer ist.
    • Der Berg, den sie Menschenfresser nannten: Zu Tausenden sind Deutsche und Franzosen im Ersten Weltkrieg am Hartmannweilerkopf elendiglich krepiert. Der hohe Blutzoll verschaffte dem Berg den Namen “Menschenfresser”. Eine filmische Schaubühne.
    • Kontext-Wetterer Peter Grohmann begibt sich voll in den Fußball-Wahnsinn.

    Kontext:Wochenzeitung am Samstag als Beilage zur taz

  13. Widerstand und Genozid: Der Krieg des Deutschen Reiches gegen die Herero (1904–1908)
    Jürgen Zimmerer
    Entgegen weit verbreiteter Annahmen, wie man sie auch im Zuge des hundertjährigen Gedenkens an den Beginn des Ersten Weltkrieges gerade immer wieder lesen und hören kann, waren die Jahrzehnte vor 1914 keine Friedenszeit, das Deutsche Kaiserreich keine Friedensmacht. Seit der Gründung eigener Kolonien in den Jahren 1884/1885 wurden immer wieder koloniale Kriege ausgefochten, da die Schutzgebiete meist mühsam militärisch erobert und lokaler Widerstand gegen die Fremdherrschaft von Anfang an mit militärischer Gewalt gebrochen werden musste.
    Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung
  14. Kampfdrohnen der Zukunft
    Bewaffnete Drohnen sind Teil einer radikalen Veränderung des Militärischen. Die meisten Befürworter unterschätzen das dramatisch.
    Die Debatte über “bewaffnungsfähige” Drohnen hat mit dem klaren Ja zur Beschaffung von Verteidigungsministerin von der Leyen vor dem Bundestag am vergangenen Mittwoch einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Alles ging plötzlich sehr schnell. Nur zwei Tage zuvor hatte der Verteidigungsausschuss zum ersten Mal Experten – darunter auch mich – in eine öffentliche Sitzung eingeladen, um Argumente zu hören und zu bewerten.
    Quelle: TAZ
  15. “Personen zu Terroristen erklären, die es noch nicht sind, damit sie es nicht werden”
    Frankreichs Regierung plant Gesetzesverschärfungen, um Anschläge von Heimkehrern aus dem Dschihad in Syrien zu verhindern
    Wirtschaftspolitisch kommt die sozialdemokratische Regierung in Frankreich nicht in Tritt, es hagelt Kritik von allen Seiten, auch innerhalb des PS gibt es Streit. So will man sich sicherheitspolitisch keine Blöße geben. Laut Le Monde kursiert derzeit ein Gesetzesentwurf aus dem Innenministerium, der sich insbesondere mit der Gefahr der Rückkehrer aus der Dschihad-Kampfzone Syrien befasst. Die Maßnahmen, die dort vorgeschlagen werden, gehen sehr weit.
    Quelle: Teleposis
  16. Willige Partner: Bundeswehr-Training gegen Piraten in Westafrika
    Die Bundeswehr wertet zur Zeit ihre Operationen in Westafrika aus. Im Fokus steht die erstmalige Beteiligung der deutschen Kriegsmarine an dem Manöver “Obangame Express” im Golf von Guinea. Deutschland stellte für die von der US-Armee organisierte multinationale Übung den größten außerafrikanischen Flottenverband. Ziel war es, die Seestreitkräfte der Anrainerstaaten in der Bekämpfung von Piraten, Aufständischen und Schmugglern zu schulen. Dabei kamen auch Ausbilder des neu formierten “Seebataillons” der Bundeswehr zum Einsatz. Die Truppe ist auf das Entern fremder Schiffe (“Boarding”) spezialisiert; ihre Angehörigen verfügen über umfangreiche Kampferfahrung. Entsprechend hart wurde trainiert: Die Übung beinhaltete unter anderem, den nicht kooperationsbereiten Besatzungsmitgliedern der geenterten Schiffe mit ihrer sofortigen Erschießung zu drohen. Gleichzeitig hatte das Manöver der deutschen Kriegsmarine zufolge eine “logistische Dimension”. Geprobt wurde die Versorgung maritimer Kampfverbände mit Treibstoff und Lebensmitteln auf hoher See – zur Steigerung der “Durchhaltefähigkeit” in ausländischen Gewässern.
    Quelle: German Foreign Policy
  17. Irak – Chronik eines Staatszerfalls
    Der Vormarsch der Isis-Kämpfer ist der Anfang vom Ende des Staates Irak. Und die Quittung für das fatale Versäumnis der Regierung Maliki, die nichtschiitische Bevölkerung in das Staatsgebilde nach dem Zusammenbruch des Baath-Regimes zu integrieren.
    Der Aufstieg einer dschihadistischen sunnitischen Kraft im Nordwesten des Irak ist eine spektakuläre Entwicklung – im wahrsten Sinne des Wortes. Aber sie zeigt auch, welch üble Posse die Regierung in Bagdad lange aufzuführen pflegte: Jedes Mal, wenn der terroristische Bösewicht, der im Irak sozusagen ständig im Schrank sitzt, auf die Bühne sprang, tat Ministerpräsident Nuri al-Maliki überrascht. Dann schrie er Zeter und Mordio und rief seine Freunde zu Hilfe, die den Übeltäter wieder aus dem Haus schaffen sollten. Dabei war er es selbst gewesen, der den Dschihadisten die Tür geöffnet und sie stark gemacht hat. Seine Freunde wussten das auch, vorneweg die Iraner. Weil diese aber wiederum ein eigenes Interesse bei diesem Spiel verfolgten, haben sie stets mitgemacht, während sich für ihren Mann Maliki mit dem Terror eine willkommene Möglichkeit bot, die eigenen Fehler zu verschleiern.
    Den sunnitischen Dschihadisten, die unter dem Namen Islamischer Staat im Irak und in (Groß-)Syrien, abgekürzt Isis,(1) operieren, ist es im Juni 2014 gelungen, mit Mossul die (je nach der zitierten Statistik) zweit- oder drittgrößte Stadt des Irak fast kampflos einzunehmen. In dem Tempo, in dem sich der irakische Sicherheitsapparat auflöste, fielen weitere Städte in dieser vorwiegend von Sunniten bewohnten Region. Die irakische Armee ließ viel Gerät zurück, darunter von den USA gelieferte Militärfahrzeuge, zudem machten die Dschihadisten zahlreiche Gefangene, die meist willkürlich inhaftiert wurden, und auch sonst reiche Beute: zum Beispiel fast eine halbe Milliarde US-Dollar, die sich in einer Außenstelle der irakischen Zentralbank fanden. Inzwischen haben sich weniger radikale bewaffnete Gruppen Isis angeschlossen, die einen – vermutlich übertrieben – großen Anteil an deren Erfolg für sich reklamieren. Unter den Einwohnern, die nicht geflohen sind, feiern einige den Vormarsch von Isis als „Befreiung“, als „Aufstand“ oder sogar als „Revolution“….
    Quelle: Le Monde diplomatique
  18. Die Ukraine im Schraubstock – Der wirtschaftliche Hintergrund einer unsinnigen Ost-West-Konfrontation
    Die politische Krise in der Ukraine lässt sich auch als ein dramatisches Resultat einer finanziellen Krise begreifen, die sich in den letzten Monaten des Jahres 2013 zuspitzte. Begonnen hatte sie bereits im Juli 2010, als die Regierung in Kiew sich in einem Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) verpflichtete, als Gegenleistung für einen Kredit in Höhe von 15,5 Milliarden US-Dollar, die Energiepreise im Inland zu verdoppeln und das Rentenalter von 55 auf 60 Jahre zu erhöhen – obwohl die Lebenserwartung in der Ukraine zehn Jahre niedriger liegt als der europäische Durchschnitt. Im Mai 2011 hat der IWF seine Zahlungen jedoch eingefroren, weil sich Kiew gegen die Erhöhung der Gaspreise gesträubt hatte.
    In dieser Situation versuchte man die Flucht nach vorn: Über den Konsum sollte die Wirtschaft angekurbelt werden, und der Konsum wurde finanziert durch eine höhere private Verschuldung und eine Steigerung der Sozialausgaben um 16 Prozent. Dagegen blieb die Wertschöpfung der heimischen Industrie gering: Mehr als zwei Jahrzehnte nach der ukrainischen Unabhängigkeit hatte die Produktion immer noch nicht wieder das Niveau der sowjetischen Ära erreicht…
    Ende Oktober 2013 entsandte der IWF ein Expertenteam in die Ukraine, das präzise Bedingungen stellte: Kiew müsse den Wechselkurs der Hrywnja freigeben, die Staatsausgaben senken und „die von den Privathaushalten zu zahlenden Preise für Gas und Heizung erhöhen und einen Zeitplan für weitere Erhöhungen beschließen, bis die Kosten gedeckt sind“.(1) Andernfalls werde das IWF-Hilfsprogramm nicht unterzeichnet, wodurch der Ukraine 10 bis 15 Milliarden Dollar verloren gehen würden. Die EU-Kommission kündigte an, sie werde 840 Millionen Dollar zuschießen, wenn das Abkommen zustande komme.
    Die Folgen einer drastischen Erhöhung der Energiepreise sowohl für die Bevölkerung als auch für die Industrie im Donbass ließen den ukrainischen Präsidenten zögern. Noch in derselben Woche konferierte er mit seinem Amtskollegen Putin in Sotschi. Sicher haben sie schon damals über eine Alternative zum IWF-Plan gesprochen. Am 21. November setzte Präsident Janukowitsch die Ratifizierung des Assoziierungsabkommens mit der EU aus. Diese plötzliche Kehrtwende war der Auslöser der Proteste auf dem Maidan.
    Der russische Vorschlag wurde in seinen wesentlichen Zügen erst am 17. Dezember enthüllt: Er stellte einen Kredit von 15 Milliarden Dollar in Aussicht, eine Verbilligung der Gaslieferungen an die Ukraine um ein Drittel und günstigere Konditionen für die Abzahlung der Naftogaz-Schulden gegenüber Gazprom – ohne jegliche Auflagen.
    Damit hatten IWF und EU zunächst das Nachsehen. Nach dem Umsturz und der Amtsenthebung von Janukowitsch am 22. Februar wandten sich allerdings die neuen Machthaber erneut an den IWF. Und am 27. Juni wurde der zweite Teil das Assoziierungsabkommens mit der EU unterschrieben. Dieses Hin und Her wird verständlich, wenn man sich klar macht, wie die ukrainische Wirtschaft mit dem Weltmarkt verflochten ist. Das Land exportiert seine Rohstoffe und Halbfertigprodukte nach Europa und Asien, die Fertigwaren seiner verarbeitenden Industrie dagegen nach Russland….
    Quelle: Le Monde diplomatique

    Hinweis: In der Juli-Ausgabe von Le Monde diplomatique finden Sie darüber hinaus wieder interessante Artikel, u.a.

    • Säen und ernten
      von Mathias Greffrath
    • Die Mutter allen Kapitals
      Piketty und der blinde Fleck in der westlichen Wahrnehmung von Chandran Nair
    • Weg von Spanien
      Katalonien zwischen Selbstbestimmung und Wohlstandsseparatismus von Michael Ehrke
    • Neue Herren in Kirkuk
      Rivalitäten und Bündnisse nach dem Anschluss der Erdölregion an Kurdistan von Allan Kaval
    • Der Verschrotter
      Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi muss reformieren und hat keinen Plan von Raffaele Laudani
    • Besatzer im eigenen Land
      Propaganda und Wirklichkeit im befriedeten Norden von Sri Lanka von Cédric Gouverneur
    • Putsch Nummer 12
      Thailands Eliten verspielen die Zukunft des Landes von David Camroux
    • Unter Geiern
      Argentinien stößt nach Jahren der Hoffnung an seine alten wirtschaftlichen Grenzen von José Natanson

    Le Monde diplomatique ab heute im Kiosk am Freitag als Beilage zur taz

  19. „Ein Tag der Schande“
    Wie Shinzo Abe die pazifistische Nachkriegsordnung Japans auf den Kopf stellt.
    Vorhaben wie das Geheimhaltungsgesetz aus dem Jahr 2012, die Aufhebung des Verbotes von Waffenexporten, die Aushöhlung des Art. 9 der Verfassung und der Neustart von Kernreaktoren laufen der öffentlichen Meinung völlig zuwider.
    Die Neuinterpretation des Art. 9 durch Abe ändert alles. Denn der Premierminister hat das verfassungsrechtliche Verbot der Kriegsführung ausgelöscht und damit die pazifistische Nachkriegsordnung des Landes auf den Kopf gestellt. Die jedoch ist zu einem Kernpfeiler japanischer nationaler Identität geworden. ..
    Die meisten Japaner lehnen die Neuinterpretation des Art. 9 und die Abkehr vom Pazifismus ab, denn dieser ist ein Kernpunkt der nationalen Identität. Darüber hinaus umgeht die Abschaffung des Artikels per Dekret die etablierten Wege für Verfassungsänderungen. Diese sehen in beiden Parlamentskammern eine Zweidrittelmehrheit vor und eine Mehrheit in einem nationalen Referendum. Die Neuinterpretation wird daher als Hinterzimmer-Trick wahrgenommen, der nicht nur etablierte Prozesse umgeht, sondern auch demokratische Prinzipien missachtet und die Verfassung ad absurdum führt. Abe wird dabei als nächtlicher Einbrecher porträtiert, der das Herz und die Seele der pazifistischen Verfassung Japans raubt.
    Quelle: Internationale Politik und Gesellschaft
  20. 100 Osnabrücker blockieren Zugang zu Flüchtlingsheim
    Mehr als 100 Menschen haben sich am frühen Montagmorgen erfolgreich gegen die Abschiebung eines jungen Pakistani zur Wehr gesetzt. Das Bündnis gegen Abschiebung hat damit die neunte Abschiebung eines Flüchtlings verhindert.
    Schon vor dem Sonnenaufgang waren über 100 Demonstranten der Aufforderung des Bündnisses gegen Abschiebung gefolgt. Sie blockierten die Zugänge zum Flüchtlingsheim an der Bremer Straße.
    Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung
  21. “Verklag’ mich doch!”
    Ob Mindestlohn oder Elternzeit – US-Präsident Obama ist dafür bekannt, manche Entscheidung allein zu treffen. Doch für viele republikanische Kongressmitglieder ist nun das Maß voll. Ihr Sprecher, Boehner, will deshalb jetzt gegen Obama klagen.
    Quelle: Tagesschau

    Anmerkung RS: „Obama ist dafür bekannt, manche Entscheidung allein zu treffen„ So ein Schwachsinn! Obama ist doch dafür bekannt, um jeden Preis den Konsens zu suchen, und dabei auch ohne Not seine eigene Ziele zu untergraben. Erst in letzter Zeit hat er – endlich! – erkannt, dass dies angesichts der Blockadehaltung der Republikaner im Kongress aussichtslos ist.

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