Wir basteln uns eine „Stalin-Keule“

Jens Berger
Ein Artikel von:

Wie Albrecht Müller bereits gestern anmerkte, hat die Agitation gegen die durchgesickerte Kritik des ARD-Programmbeirats gegen die Ukraine-Berichterstattung der ARD bereits begonnen. Mit dem gestern Abend erschienenen Artikel „Putins langer Arm reicht bis in Gremien der ARD“ übertrifft Springers WELT jedoch die schlimmsten Vorahnungen, wie weit die Agitation in den deutschen Medien überhaupt gehen kann. WELT-Redakteur Ulrich Clauß dreht darin am ganz großen Rad und vergleicht die Kritik des Programmbeirats sogar mit den „stalinistischen Geheimprozessen“. Wer heutzutage noch alle Sinne beisammen hat und die einseitige Berichterstattung der großen Medien kritisiert, ist somit nicht nur ein „Putin-Versteher“ oder „Kreml-Troll“, sondern sogar ein Handlanger Stalins. Geht es nicht noch dümmer? Von Jens Berger.

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„Ein Dolchstoß aus den eigenen Reihen“ sei die Kritik des Programmbeirats. Die Zuschauer, die sich über die einseitige Berichterstattung beschwert haben, gehörten „ganz offensichtlich koordinierten Protestwellen“ an. Von wem sollen sie denn koordiniert worden sein? Klar, von Putin! Es sei schließlich „vielfach dokumentiert“, dass „vom Kreml finanzierte Heerscharen“ an der Beeinflussung der deutschen Öffentlichkeit arbeiteten“. Zu diesem ebenso unverschämten wie abstrusen Vorwurf, hatten die NachDenkSeiten bereits vor zwei Wochen ausführlich Stellung bezogen. Wenn man Herrn Clauß – was sich vorzustellen sehr schwer fällt – auch nur einen Moment ernst nimmt, müssten ja dann auch die NachDenkSeiten und ihre kritischen Leser „vom Kreml finanziert“ sein. Ich warte ja immer noch auf einen Scheck von Putin und auf die Entdeckung des ersten deutschen Leserbriefschreibers, der vom „Kreml finanziert“ wurde. Auf geht´s liebe Kollegen bei WELT, BILD, SPIEGEL und Co. – wenn es denn wirklich „Heerscharen“ dieser beauftragten subversiven Querulanten gibt, dann dürfte es doch nicht so schwer sein, einen von ihnen aufzuspüren und darüber einen exklusiven Bericht zu schreiben. Oder?

Doch bei einfacher Publikumsbeschimpfung belässt es die WELT nicht. Der ARD-Programmbeirat sei – so Ulrich Clauß – „die Fünfte Medienkolonne“. Nun muss man wissen, was dieser Begriff eigentlich aussagt. Als „Fünfte Kolonne“ werden allgemein subversiv tätige Gruppen bezeichnet, deren Ziel der Umsturz einer bestehenden Ordnung im Interesse einer fremden aggressiven Macht ist. So, so, der Programmbeirat der ARD arbeitet also subversiv und hat das Interesse die Ordnung Deutschlands zu stören – sicher im Auftrag Putins. Wenn das die honorigen Damen und Herren wüssten, die ja immerhin von den ebenfalls honorigen Rundfunkräten der ARD-Landesfunkanstalten aus ihrer Mitte entsandt wurden. Sie würden Herrn Clauß wahrscheinlich eine stationäre Behandlung in einer Nervenklinik anraten. Oder um es – verzeihen Sie mir bitte die Ausdrucksweise – frank und frei zu sagen: Hat der Mann eigentlich noch alle Tassen im Schrank?

Doch noch nicht einmal an diesem Punkt macht das Springersche McCarthy-Double Clauß halt. Er versteift sich sogar auf die kühne Behauptung, das Protokoll des ARD-Programmbeirats erinnere ihn „passend zu Putins Restalinisierungspolitik“ an „sowjetische Geheimprozesse“ – an anderer Stelle schreibt er von „stalinistischen Geheimprozessen“. Damit hat Clauß wohl den unangefochtenen ersten Platz im nach unten offenen Niveau-Limbo-Wettbewerb sicher. Die Nazi-Keule, ein rhetorisches – oder eher rabulistisches – Stilmittel, das Andersdenkende in die Nähe der Nazi-Ideologie rückt, ist ja allgemein bekannt. Die Stalin-Keule ist jedoch neu. Ulrich Clauß ist somit ein Platz in der Geschichte der Trollbewegung sicher.

Aber was soll das Ganze? Meint man beim Springer-Verlag tatsächlich, man könne die verlorene Glaubwürdigkeit durch Publikumsbeschimpfung und krude Verschwörungstheorien wiedergewinnen? Wenn man dies glaubt, hat man sich jedoch ins eigene Knie geschossen. So blöd, wie man bei Springer annimmt, sind die Leser dann doch nicht. Der von vorne bis hinten abstruse Aufsatz von Ulrich Clauß führt vielmehr dazu, dass denkende Leser der WELT nun erst Recht kein Wort mehr glauben. Oder wie es Ulrich Clauß ausdrücken würde – der Artikel ist neue „Beutemunition erster Klasse für die PR-Schlacht von Putins-Propagandakolonnen“.

Abschließend möchte ich an dieser Stelle noch einmal auf Albrecht Müllers Forderung erinnern: Nutzen Sie die Kritik des Programmbeirats der ARD für Ihre Aufklärungsarbeit – wenn die Verantwortlichen bereits jetzt derart hysterisch hyperventilieren, scheint es so, als habe man das Dokument als Achillesferse der eigenen PR-Kampagne erkannt.