Die Vernetzung der Bildungspolitik mit privaten Interessen

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Auch im Bildungswesen vernetzen sich zunehmend Wirtschaftsverbände, wirtschaftsnahe Stiftungen und PR-Agenturen mit staatlichen Institutionen und liefern die „Reform“- Konzepte und mehr und mehr sogar Bildungsinhalte. Die Zielsetzung ist durchgängig darauf ausgerichtet, interessenbezogenen, wirtschaftsnahe Wertvorstellungen auf das Bildungswesen zu übertragen. Carsten Lenz und Christine Wicht gehen solchen Netzwerken zwischen Wirtschaft und Schule nach und beschäftigen sich mit den Bildungsinhalten, die dabei vermittelt werden sollen.

Von Christine Wicht und Carsten Lenz.

In unserem Bildungssystem liegt einiges im Argen, das ist bekannt und nicht von der Hand zu weisen. Die Ursachen dafür sind vielfältig, und über sie wurden schon ausführlich in den NachDenkSeiten diskutiert.

Wie in anderen Bereichen von bislang staatlich oder öffentlich verantworteten Aufgaben, beispielsweise auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge, versuchen Wirtschaftsverbände, sich Missstände zunutze zu machen, um ihr Vorhaben eines radikalen Umbaus der staatlicher Einrichtungen und deren „Reform“ durchzusetzen.
Dazu vernetzen sie sich seit geraumer Zeit zusehends mit staatlichen Institutionen und erarbeiten mit enormem Aufwand an Geld und an privat finanzierten „Think Tanks“ Konzepte mit dem Ziel, “Reformen” voranzutreiben und die Bildungspolitik und die Bildungsinhalte nach ihren eigenen Vorstellungen auszurichten.
Die Absicht ist durchgängig, neoliberales Gedankengut in das Bewusstsein der nächsten Generation zu pflanzen, kombiniert mit der Botschaft eines straffen Wettbewerbs- und Leistungsprinzips. Danach kann nur derjenige, der eine spezifische Leistungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit bereits während der Schulzeit bewiesen hat, auf späteres berufliches Weiterkommen hoffen.

Die Ziele und Motive für diese Form von bildungspolitischem “Engagement” sind vielfältig. Zum Teil stehen dahinter unmittelbare Wirtschaftsinteressen.
Zum Ersten gelten Bildungsdienstleistungen als solche als ein lukrativer Zukunftsmarkt: von Seminaren und Fortbildungsveranstaltungen über die Zertifizierung von Bildungsabschlüssen bis hin zu Angeboten eigener privater Bildungseinrichtungen. Die Wirtschaft ist immer auf der Suche nach neuen Märkten, und so werden neue “Produkte” im Bildungsbereich entwickelt. Um auf diesem Feld neue Märkte erschließen zu können, muss aber zuerst der Staat als Anbieter zurückgedrängt werden. Die Gründung von immer mehr privaten Hochschulen ist dafür ein Beispiel. Mit der Einführung von Studiengebühren für öffentliche Universitäten wird parallel ein wesentlicher “Wettbewerbsnachteil” der privaten Hochschulen beseitigt. Die Aktivitäten der Wirtschaft im Bildungsbereich können somit als eine besondere Form der Markterschließung und der Verkaufsförderung gesehen werden.

Doch das wirtschaftliche Interesse an der Bildung ist nicht nur strategischer Art. So profitieren zum Zweiten etwa Banken von den geplanten Studiengebühren, von Studienkrediten oder auch von sog. Bildungs-Sparmodellen. Studierwillige sollen ihr Studium künftig als privates Investment betrachten und durch Darlehen oder Ansparmodelle finanzieren. Somit hat gerade auch das Bankenwesen ein besonderes Geschäftsinteresse an der Privatisierung der Bildung. Zwischen Politik und Banken ist gegenwärtig lediglich noch umstritten, wer das Ausfallrisiko trägt, falls die Darlehensnehmer ihre Darlehen mangels Einkommen oder sonstigen Gründen nicht zurückzahlen können.

Das “Engagement” von Wirtschaftsunternehmen und ihren Verbänden im Bereich der Bildung zielt zum Dritten aber zunehmend auch auf die in staatlichen Bildungseinrichtungen vermittelten Inhalte der Bildung. Natürlich präsentieren sich die vielen “Projekte”, “Initiativen” und “Netzwerke” der Wirtschaft öffentlich als inhaltlich neutral und sie erwecken den Anschein, als sei dieses Engagement geradezu altruistisch. In den Hochglanzbroschüren und Selbstdarstellungen geht es stets um das langfristige Wohl der Allgemeinheit, um gute Ausbildung und Berufschancen für alle und natürlich geht es um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts auf dem Weltmarkt. Der Vorstandsvorsitzende der Altana AG, Dr. Nikolaus Schweikart formuliert das so:

Es kann uns als Unternehmern nicht egal sein, wie leistungsfähig unser Schulsystem ist, wie die PC-Ausstattung aussieht, ob Zugang zum Internet besteht. Die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit entscheidet sich auch hier. Ebenso wenig egal kann uns der Zustand unserer Universitäten sein; dass wir die ältesten Studenten und die jüngsten Rentner haben. Durch die Finanzierung von Stiftungslehrstühlen, durch die Unterstützung privater Hochschulen, durch die personale Beteiligung von erfahrenen Wirtschaftsführern in den Hochschulgremien kann das System von innen heraus reformiert und langfristig wieder fit gemacht werden.”


DIE ZEIT – Der getriebene Chef

Schweikhart ist auch als einer der sog. Botschafter der “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” (INSM) tätig, einer Lobbyorganisation der Metallarbeitgeber (siehe NachDenkSeiten). Er setzt sich auf vielen Feldern aktiv für die aus seiner Sicht notwendigen Bildungsreformen ein, unter anderem hat die Altana AG zu diesem Zweck eigens das “Forum für Bildung und Wissenschaft” ins Leben gerufen.

Wie die Vernetzung von Konzernen und Staat im Bildungsbereich mittlerweile funktioniert, zeigt ein anderes Projekt der Altana AG. In Kooperation mit der Dresdner Bank und der Linde AG sowie dem Hessischen Kultusministerium wurde die Internatsschule Schloss Hansenberg im Rahmen eines Private-Public-Partnership-Modells realisiert. Die hessische Landesregierung befürwortet generell diese Privatisierungspolitik und ein Zurückdrängen des Staates. Dafür läßt sich der hessische Ministerpräsident Roland Koch auch für Publikationen der INSM einspannen. Die hessische Landesregierung gibt mit der Gründung der Internatschule die Grundsätze für eine weltanschaulich unabhängige Schulbildung auf und hegt offenbar keine Bedenken, dass Wirtschaftsunternehmen direkt auf Bildungseinrichtungen einwirken. Deutlich formuliert die Dresdner Bank diesen Anspruch auf Einflussnahme: “sie möchte ihre Kompetenzen, Erfahrungen und spezifischen Möglichkeiten den Schülern nutzbar machen”.

Häufig beteuern die Wirtschaftsvertreter, mit ihren Projekten Schüler und Studenten besser auf das Berufsleben vorbereiten zu können, als die staatlichen Bildungseinrichtungen dies bisher leisten konnten. Das Zauberwort lautet dabei immer wieder “Praxisbezug”, der bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt ermöglichen soll. Immer offener wird dabei auch das Ziel der „Eliteförderung“ mitverfolgt. Ein Beispiel ist das Projekt “Eliten Fördern: Vision D” – auch dies eine Initiative der INSM, diesmal zusammen mit dem Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), das ebenfalls von Wirtschaftsverbänden und Unternehmen getragen wird.

Wenn die Unternehmen und ihre Verbände geradezu paradiesische Zustände im Bildungssystem durch Privatisierung, Liberalisierung und “mehr Eigenverantwortung” versprechen, stoßen sie damit immer mehr auf offene Ohren, weil (vor allem betuchtere) Eltern für ihre Kinder dadurch bessere Karrierechancen erhoffen und weil Kultusministerien aufgrund der klammen Kassen die finanziellen Zuwendungen dankbar annehmen. Da wundert es nicht, dass der u.a. von der Deutsche-Bank-Stiftung unterstützte Film über Schulen der Zukunft mit dem Titel “Treibhäuser der Zukunft” in den Medien, bei Eltern und sogar auch bei Lehrern auf große Resonanz gestoßen ist.

Daher haben es Interessengruppen und Initiativen wie die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) ziemlich leicht, Netzwerke zu bilden, um ihre Vorstellungen in Form von Fortbildungsveranstaltungen, Kongressen, Unterrichtsmaterialien etc. zu verbreiten. Ihre in Zusammenarbeit mit Eltern- und Lehrerverbänden ausgearbeiteten Bildungsangebote werden von Kultusministerien unterstützt und genehmigt und bekommen dadurch die staatliche Anerkennung.
Wenn Lehrkräfte das Material im Unterricht bereitwillig einsetzen, folgen sie häufig dem von den Verbänden und Initiativen suggerierten Ziel, Absolventen besser auf das Berufsleben vorbereiten und ihnen einen besseren Bezug zur Praxis vermitteln zu wollen. Dabei besteht allerdings die Gefahr, dass Schulen und Lehrer als Instrumente von wirtschaftlichen und politischen Interessen eingesetzt und missbraucht werden. Eine verbreitete Einstellung in der Gesellschaft, dass die Wirtschaft – was meist gleich gesetzt wird mit wirtschaftlichen Interessen – über alles gehe, kommt solchen Initiativen entgegen. Diese um sich greifende Stimmung macht es der Wirtschaft leicht, staatliche Bildung schlecht zu reden und sich als so genannte Reformer mit Patentrezepten als Alternative anzubieten.

Ein aufschlussreiches Beispiel für die Verflechtung zwischen Wirtschaftsverbänden untereinander, mit anderen gesellschaftlichen Gruppen und der Politik sind die Aktivitäten der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM). Mit Hilfe eines von der INSM aufgebauten Netzwerkes haben Wirtschaftsvertreter in Zusammenarbeit mit staatlichen Bildungsträgern einen Weg gefunden, Einfluss jedenfalls auf solche Unterrichtsinhalte zu nehmen, die ihre Interessen tangieren. Die mit der INSM kooperierenden Verbände sind ihrerseits mit weiteren Interessenvertretern verknüpft, was eine nahezu flächendeckende Indoktrination mit dem Gedankengut der INSM und der mit ihr vernetzten Verbände ermöglicht und eine Mitsprache in Lehrplänen und einseitig auf die wirtschaftspolitischen Interessen ausgerichtete Konzepte dieser PR-Agentur für künftige Bildungsprogramme zur Folge hat. Mit dieser Zielsetzung werden auch Lehrkräfte angesprochen und mit Material ausgestattet. Die INSM bot beispielsweise letztes Jahr in Kooperation mit der Deutschen Medienakademie Köln kostenlos Tagesseminare zur Arbeit mit dem Internet für Lehrer an.

Um Einfluss auf das Bildungssystem auszuüben, hat die INSM in fast allen Bundesländern ein Netzwerk verschiedener Verbände aufgebaut – in Bayern beispielsweise in Zusammenarbeit mit dem Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie (VBM), dem Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft (bbw), dem Verband der Bayerischen Wirtschaftsphilologen und dem Arbeitskreis SchuleWirtschaft. Ähnliche Netzwerke der INSM sind in der gesamten Bundesrepublik präsent.

Beim Wirtschafsphilologen Verband Bayern (wpv) handelt es sich um einen Zusammenschluss von Lehrerinnen und Lehrern für wirtschaftsbezogene Fächer an den bayerischen Gymnasien. Der Verband betreut z.B. Studenten des höheren Lehramts für Wirtschaftswissenschaften und sieht sich als Interessenvertretung gegenüber der Öffentlichkeit, der Schulverwaltung und der Politik. Auf seiner Homepage veröffentlicht er Informationen zu aktuellen wirtschaftswissenschaftlichen Themen. Durch die Einbindung derartiger Vereine, die nicht unmittelbar erkennbare Wirtschaftsinteressen verfolgen, können die INSM und die Wirtschaftsverbände ihren Aktivitäten den Anschein der Unabhängigkeit und Überparteilichkeit geben.

Ein weiterer Partner der INSM ist der Arbeitskreis SchuleWirtschaft Bayern, der in rund 100 Orten und Landkreisen Bayerns ein Projekt Wirtschaft und Schule betreut. Lehrkräfte aller Schularten sowie Führungskräfte verschiedenster Wirtschaftszweige engagieren sich in diesen Arbeitskreisen. Ähnliche Vernetzungen gibt es im gesamten Bundesgebiet. “Die Landesarbeitsgemeinschaften SCHULEWIRTSCHAFT arbeiten im jeweiligen Bundesland mit den Kultusbehörden zusammen, sei es bei gemeinsamen Publikationen, Veranstaltungen oder Projekten.”

Der Dachverband der Arbeitskreise SchuleWirtschaft in Bayern ist wiederum beim Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft (bbw) angesiedelt, einem Verein, der über eine Unternehmensgruppe Bildungsdienstleistungen anbietet. Im Mittelpunkt der Arbeit steht der Brückenschlag zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem mit dem Ziel, Wirtschaft als Lernort anzubieten und als Lerninhalt lebendig zu gestalten.

Die mit der INSM in Bayern zusammenarbeitenden Verbände VBM und bbw haben außerdem mit der “Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V.” (VBW) und dem “Bayerischen Unternehmensverband Metall und Elektro e.V.” (BayME) eine so genannte Offensive “Vorsprung durch Bildung” ins Leben gerufen, die beispielsweise eine Reihe von Initiativen sogar schon für Vorschulen und Kindergärten unterstützt.

Die Vernetzung dieser Verbände mit der INSM kommt auch darin zum Ausdruck, dass Randolf Rodenstock sowohl Präsident der VBW, des Verbandes der Bayerischen Metall- und Elektro-Industrie (VBM) sowie des BayME als auch Unterstützer der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ist.

Die VBW hat – unterstützt von VBM – zusammen mit der Prognos AG und Prof. Dieter Lenzen eine dreibändige Studie unter dem Titel “Bildung neu denken!” herausgegeben, in der unter anderem die Einschulung ab 4 Jahren, eine “Deregulierung des Bildungswesens”, z.B. die Abschaffung von Staatsprüfungen, die Zulassung privater Akkreditierungsunternehmen sowie einen Rückzug des Staates aus der Finanzierung von individueller Ausbildung gefordert werden. ( Zur Quelle )

Der Mitherausgeber Dieter Lenzen dieser Studie ist nicht nur Präsident der Freien Universität Berlin und somit auch Mitglied in der Hochschulrektorenkonferenz, sondern gleichzeitig auch Botschafter und einer der Mitgründer der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“. Er referiert landauf landab und versucht, seine Vorstellungen von Bildung unter die Bevölkerung zu bringen. In einem Interview auf die Tatsache, angesprochen, dass der neu gegründete und von ihm geleitete “Aktionsrat Bildung” vom Verband der bayerischen Wirtschaft (VBM) finanziert wird, antwortet Lenzen:

Wenn ihn die Politik finanzierte, wären wir ja nicht mehr unabhängig. Irgend jemand muss unsere kleine Geschäftsstelle nun mal bezahlen – es gibt aber nicht die Spur einer Beeinflussung durch den Verband der bayerischen Wirtschaft.”


Süddeutsche Zeitung vom 02.01.2006, S. 8

Entweder führt der Professor die Leser absichtlich hinters Licht oder er glaubt tatsächlich, dass die bayerischen Unternehmen ihr Geld für eine Initiative verschwenden, auf deren Arbeit sie keinen Einfluss ausüben können.

Tatsächlich müssen sich die Unternehmen keine Sorgen machen, dass Professor Lenzen wirtschaftskritische Forderungen erhebt. So vertritt er zum Beispiel die Ansicht, dass unsere Gesellschaft überaltert ist und wir deshalb bis 70 arbeiten müssten. Er propagiert einen Unterrichtsbetrieb mit professionellen Spezialisten, deren Leistungsfähigkeit der eines Jetpiloten entsprechen müsse. Kinder sollten an Schulen vergebens nach Ersatzvätern bzw. in der Grundschule nach Ersatzmüttern suchen, sie sollten nicht „betüttelt“ werden, sondern lernen. Das Leistungsprinzip steht demzufolge an oberster Stelle. Wer nicht leistungsfähig ist, hat eben schlechte Chancen. Das auch in der Lissabon-Strategie der EU festgeschriebene Konzept des lebenslangen Lernens, erfordert seiner Meinung nach eine Einschulungsmöglichkeit mit vier Jahren, ein Ende der Schulpflicht mit 14 Jahren und ein Abitur mit 17 Jahren. Dem liegt das Bestreben zugrunde, dass Absolventen von Allgemeinbildungseinrichtungen der Wirtschaft möglichst früh zur Verfügung stehen sollten. Dieter Lenzen fordert mehr Selbstverantwortung des Einzelnen. Es stellt sich für ihn nicht die Frage, aus welchen Bereichen sich der Staat zurückziehen darf, sondern aus welchen Bereichen er sich zurückziehen muss, weil er nicht mehr über die nötigen finanziellen Mittel verfügt. Seiner Ansicht nach ist staatliche Verantwortlichkeit im Bildungsbereich ein deutsches Unikum, weil diese hierzulande fälschlicherweise immer noch als ordnungspolitisch richtig angesehen werde. Seiner Meinung nach müsse nicht der Staat sondern vor allem die privaten Haushalte und private Investoren stärker in die Bildung investieren. Dem Staat solle allenfalls noch die sogenannte Primärausbildung überlassen bleiben, für eine weitere Qualifizierung verfüge er nicht mehr über die nötigen finanziellen Mittel. Nach seiner Meinung entstünde dadurch zugleich mehr Individualität, Freiheit und Gerechtigkeit. Die Einsicht, dass bei der Bildung der Markt versagt und dass Bildung etwas mit dem Gemeinwohl zu tun hat und ein gemeinnütziges Gut ist oder sein sollte, das alle Bürger über ihre Steuern finanzieren, lehnt er offensichtlich ab, weil dieses Prinzip kein Ausdruck von Marktfreiheit sei. Diese „Freiheit“ lässt sich nach Lenzens Ansicht aber nur durch eine Bildungsrevolution verwirklichen.

Nicht nur die INSM mit ihren Verbänden ist auf bildungspolitischer Ebene aktiv. So ist die „Gemeinschaftsinitiative Soziale Marktwirtschaft“ zusammen mit neun deutschen Bundesländern Trägerin des Projektes Ökonomische Bildung online (ÖBO), dessen Ziel es ist, im Internet Instrumente zur ökonomischen Aus-, Fort- und Weiterbildung bereitzustellen. Hinter der „Gemeinschaftsinitiative Soziale Marktwirtschaft“ verbergen sich die Bertelsmann Stiftung, die Heinz Nixdorf Stiftung und die Ludwig-Erhard-Stiftung. Diese finanzieren zusammen mit dem Energiekonzern EWE AG, Oldenburg, der Stiftung der Deutschen Wirtschaft, dem Ministerium für Wissenschaft und Kultur des Landes Niedersachsen sowie dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg das Projekt ÖBO. Dies ist ein weiteres Beispiel für die Vernetzung zwischen Unternehmen, Unternehmensstiftungen und Lobbyorganisationen mit Staat und Politik im Bildungsbereich. Ziel des online-Projektes ist nicht nur die Aus- und Weiterbildung von Wirtschaftslehrern für weiterbildende Schulen in Deutschland, auch in Russland und demnächst in Polen sollen auf der Grundlage der Materialien von ÖBO Lehrer qualifiziert werden. Dass sich die zahlenden Unternehmen ideologisch hierbei nicht auf Experimente einlassen, zeigt ein kurzer Blick in eine Demonstrationsversion des angebotenen Online-Seminars.

Exkurs: Als bedeutende Ökonomen werden außer den Vertretern der Sozialen Marktwirtschaft Walter Eucken, Wilhelm Röpcke, Alfred Müller-Armack und Ludwig Erhard und genau zwei weitere Ökonomen behandelt: Adam Smith und der radikalliberale Friedrich August von Hayek (www.oekonomische-bildung-online.de). Die neun das Projekt tragenden Bundesländer Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Thüringen führen bereits jetzt die Fort- und Weiterbildung auf der Grundlage von Materialien von ÖBO durch.

Das Projekt bietet seinen Teilnehmern auch einen kostenfreien Zugang zur Datenbank des WiGy e.V. Dieser als regionale Initiative Wirtschaft und Gymnasium gegründete Verein setzt sich die Verbreitung ökonomischer Grundkenntnisse in der Schule zum Ziel. In ihm engagieren sich nach eigenen Angaben 400 Unternehmen und Schulen. Kooperationspartner sind, neben der bereits genannten Bertelsmann Stiftung, die Heinz Nixdorf Stiftung und die Ludwig-Erhard-Stiftung, die Deutsche Bank Stiftung, die Handelskammer Hamburg und die Verlagsgruppe Handelsblatt. Die ebenfalls schon erwähnte EWE AG hat übrigens auf der Internetseite von WiGy eine Anzeige geschaltet und zählt neben diversen Arbeitgeber- und Industrieverbänden aus Niedersachsen gleichfalls zu den Förderern des Projektes. Die Datenbank von WiGy e.V. enthält über 500 Unterrichtsmaterialien und andere Informationen aus dem Bereich ökonomische Bildung (vgl. www.wigy.de). Eines der Ziele von WiGy ist die Aufnahme aller Fachberater an Haupt- und Realschulen in Niedersachsen in den WiGy-Club e.V., also den Verein der Nutzer von WiGy-Materialien. Dieses Ziel unterstützt der Verein n-21, der die Nutzung von Internet und Multimedia in niedersächsischen Schulen fördert. Mitglieder sind neben dem Land Niedersachen zahlreiche Wirtschaftsunternehmen (z.B. Microsoft, Siemens, apple, Telekom), die auch den Vorstand und das Kuratorium von n-21 dominieren.

Im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen WiGy, dem Institut für ökonomische Bildung der Universität Oldenburg (IÖB) und dem Handelsblattprojekt “Handelsblatt macht Schule” sind drei Unterrichtseinheiten zu den Themen Wirtschaftsordnung, Globalisierung und Finanzielle Allgemeinbildung entstanden.

Sponsoren und Partner des Projekts sind Microsoft, HP und die Deutsche Bank. Bereits 10.000 Lehrkräfte haben nach Angaben des Handelsblatts dieses Material bestellt. Das Projekt “Handelsblatt macht Schule” wurde im Jahr 2005 erweitert um die Aktion “Mitarbeiter machen Schule”: Vertreter aus der Wirtschaft diskutieren mit Schülern und stellen nach eigenen Angaben so einen Bezug zur Praxis her.

Wissenschaftlich betreut wird das Projekt WiGy ebenso wie Ökonomische Bildung Online vom Institut für Ökonomische Bildung der Universität Oldenburg, das Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Kaminski leitet. Er ist Mitunterzeichner des von der INSM durch eine Anzeigenkampagne unterstützen Hamburger Appells von 2005, in dem 250 Wirtschaftprofessoren marktradikale Reformen und Einschnitte in die Sozialsysteme fordern.

Aufgrund der zahllosen unterschiedlichen Verbindungen konnten hier nur einige Beispiele aufgezeigt werden. Die Verflechtung zwischen Wirtschaft, anderen Interessengruppen und Politik im Bildungsbereich ist vielfältig und sehr weit vorangeschritten. Auch die neue Bundesbildungsministerin und ehemalige Vorsitzende der Kultusministerkonferenz Annette Schavan hat sich in der Vergangenheit im Unterrichtsmaterial der INSM mit dem Titel “Mehr Wettbewerb in die Bildung!” zum Thema Lernen und Leistung dieser PR-Agentur für Arbeitgeberinteressen zur Verfügung gestellt.

Versicherungen, Banken, Wirtschaftsverbände und Stiftungen springen mit edlen, sich fast altruistischen anhörenden Absichten auf den Zug der “Bildungsreform” auf. Gerade „Stiftungen“ haben in der Öffentlichkeit häufig das Image, sich als überparteiliche und unabhängige Institutionen für soziale und moralisch hoch stehende Belange einzusetzen, ohne damit eigene Interessen offen zu legen. Die weit reichende Vernetzung von Interessenvertreter der Wirtschaft und ihr zunehmender Einfluss auf die im Unterricht eingesetzten Materialien und die vermittelten Inhalte birgt jedoch das Risiko, dass Allgemeinbildung zunehmend zu einer Bildung mit interessengeleiteter und weltanschaulich einseitiger Ausrichtung wird.

Man stelle sich doch nur einmal vor, welcher Aufschrei durch die Wirtschaft oder durch die Medien ginge, wenn etwa die Gewerkschaften oder ihre Stiftungen oder die Stiftung Mitbestimmung in der Lage wären, ein ähnliches Netzwerk aufzubauen. Würde da nicht sofort der Vorwurf erhoben, die Gewerkschaften würden unsere Schulen unterwandern und daraus „Kaderschmieden“ machen wollen? Würde da nicht sofort der Verdacht „einseitiger“ oder „ideologischer“ Indoktrination geäußert?
Wenn aber die Wirtschaft, ihre Verbände, ihre Stiftungen oder von ihr finanzierte PR-Agenturen ihre „Angebote“ machen, so nimmt daran kaum jemand Anstand, es gibt keine öffentliche Diskussion darüber, im Gegenteil: die Bildungsministerien, viele Lehrer- und Elternverbände kooperieren anstandslos mit solchen Initiativen und unterstützen diese Vorhaben nicht nur ideell sondern unter dem Tarnwort „Public, Private Partnership“ (ppp) auch finanziell aus allgemeinen Steuermitteln. Es ist ja nicht viel dagegen einzuwenden, wenn sich „die Wirtschaft“ auch für die Bildung engagiert, ein weltanschaulich unabhängiger, demokratischer Staat und zumal seine weltanschaulich neutralen Bildungseinrichtungen dürfen sich aber weder in eine finanzielle, geschweige denn in eine einseitige ideologische Abhängigkeit von Interessengruppen begeben. Die Schule der Demokratie, wäre sonst bald keine demokratische Schule mehr.

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