Deutsche Waffen für die Welt

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Nachdem die Bundesregierung entschieden hat, Waffen an die kurdischen Peschmerga zu liefern und dies ausgerechnet am 1. September 2014 im Bundestag debattieren und mit einer Abstimmung unterstützen ließ, sind Rüstungsexporte und Rüstungsproduktion wieder in den Fokus der öffentlichen Debatte gerückt. Und dort gehören sie auch hin, denn nicht nur ist Deutschland ein zentraler Ort der Rüstungsproduktion und inzwischen drittgrößter Waffenexporteur der Welt; auch darf die Bundesregierung Rüstungsexporte bis zur abschließenden Genehmigung fortan geheim halten und verfolgt Bundeswirtschaftsminister Gabriel – entgegen den von ihm angekündigten Einschränkungen der Waffenverkäufe – letztlich eher eine Strategie zur weiteren Stärkung der Rüstungsindustrie. Jens Wernicke sprach hierzu mit Jan van Aken, Außenpolitikexperte der Linksfraktion im Deutschen Bundestag.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Herr van Aken, Sie sind Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Meiner Beobachtung nach militarisiert sich die deutsche Außenpolitik zusehends. Teilen Sie diese Einschätzung und woran machen Sie das fest?

Ja, das sehe ich genauso. Ich bin nun seit fünf Jahren im Bundestag und es ist tatsächlich so, dass bei praktisch jeder Krise irgendwo auf der Welt als erstes die Option einer deutschen Militär-Beteiligung in den Raum gestellt wird – ob nun mit Bundeswehrsoldaten oder per Waffenlieferung. Es ist erschreckend zu sehen, dass das außenpolitische Denken bei allen anderen Parteien offenbar fast nur noch militärisch ausgerichtet ist.

Und spiegelt sich diese Entwicklung auch bei den deutschen Rüstungs- und Waffenexporten wider? Sie hatten hier ja kürzlich die Kanzlerin als „Türöffnerin für unkontrollierbaren Waffenhandel“ und die geplanten Waffenlieferungen in den Irak als inszenierten Präzedenzfall, der vor allem dazu diene, moralisch vermeintlich einwandfrei ein Tabu zu überwinden, klassifiziert…

Ja, bei den deutschen Waffenexporten beobachten wir inzwischen eine Hemmungslosigkeit, die kaum noch zu toppen ist. Praktisch jede deutsche Waffe darf mittlerweile in fast jedes Land der Welt exportiert werden, und das ganz legal. Aktuell gehen bereits fast zwei Drittel aller Waffenexporte in Länder außerhalb von EU und NATO, ein neuer Rekord – der von Gabriel jetzt noch mal getoppt worden ist.

Können Sie das bitte ein wenig konkreter fassen? Die Situation hat sich also verschärft? …und das trotz aller Kontrollgremien, Exportbeschränkungen etc.? Wieso?

Es ist eine Legende, dass Waffenexporte in Deutschland besonders streng kontrolliert werden. Sie werden zwar ganz hervorragend verwaltet, aber eine Kontrolle findet kaum statt. Über 99 Prozent aller Anträge werden durchgewunken. Das liegt vor allem daran, dass es neben dem ökonomischen Druck aus der Rüstungslobby noch einen weiteren Grund für Waffenexporte gibt: Sie werden gern als Instrument der Außenpolitik eingesetzt, um die Beziehungen zu bestimmten Staaten zu pflegen. Anders ließe sich der Verkauf einer ganzen Waffenfabrik zum Beispiel an Saudi Arabien kaum erklären.


Rede von Bundesminister Gabriel über die Grundsätze deutscher Rüstungsexportpolitik am 08.10.2014


Und woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass die militärische Option im politischen Raum inzwischen zur oftmals ersten oder vermeintlich besten Option avanciert ist?

Also, da gibt es viele Gründe. Ein Militäreinsatz ist eben vermeintlich die einfache, die schnelle „Lösung“ und suggeriert Handlungsfähigkeit – als Politikersatz. Aber das Entscheidende zu dieser Frage haben Steinmeier, von der Leyen und Gauck Anfang des Jahres gesagt: Es geht ihnen darum, Deutschland auch mit Hilfe militärischer Mittel mehr Gewicht in der Welt zu verschaffen.

Aber bei der Situation im Irak, Herr van Aken: Wie sonst sollte da geholfen und interveniert werden können, wenn nicht mittels Waffen und gegebenenfalls auch Blauhelmeinsätzen? Unter den „normalen Menschen“ wird derlei, will mir scheinen, jedenfalls mehr und mehr als alternativlos diskutiert…

Ja, und nicht nur bei uns wird das so diskutiert, sondern natürlich erst Recht bei den kurdischen Kämpferinnen und Kämpfern, die ich Ende September vor Ort sprechen konnte.
Fast alle haben nach Waffen verlangt, nach panzerbrechender Munition, nach schwerer Artillerie, um die Terrormiliz des so genannten „Islamischen Staates“ zu bekämpfen. Ein Wunsch, der aus Sicht der Menschen an der Front, 15 Kilometer vor Mosul, oder im Herzen von Kobane, völlig verständlich ist.

Trotzdem halte ich die Waffenlieferungen für falsch. Der Ruf nach Waffen für die Kurdinnen und Kurden ist jetzt doch nur so laut, weil die USA ihre damaligen Verbündeten, die irakische Armee mit Panzerfahrzeugen und schweren Waffen ausgerüstet hatten. Diese Waffen hat IS jetzt von der irakischen Armee erobert. Und deshalb sollen die Kurdinnen und Kurden jetzt mit noch moderneren Waffen ausgerüstet werden. Was aber wird morgen sein? Müssen wir dann noch mehr Waffen liefern, weil der IS sich noch weiter hochrüsten konnte? Eben diese Spirale gilt es zu durchbrechen und nicht zu befeuern. Es muss stattdessen alles dafür getan werden, dass der Waffen- und Munitionsnachschub an IS gestoppt wird.

Neulich las ich, Deutschland betreibe auch Proliferation bei von zumindest chemischen Waffen. Ist das korrekt?

Nein, da muss man genauer sein. Deutschland stellt keine chemischen Waffen her, und betreibt da auch keine Proliferation. Allerdings ist Deutschland als eine führende Technologie-Nation ganz groß im Geschäft mit so genannten Dual-Use-Gütern – also mit Waren, die sowohl zivil als auch militärisch eingesetzt genutzt werden können. Nur gibt es dabei ein Problem: Es ist doch völlig richtig, dass solche Waren auch exportiert werden, deren Handel wollen wir auch gar nicht verbieten, denn sonst wären viele andere Länder von einer weiteren Entwicklung ausgeschlossen, könnten bestimmte Industriezweige gar nicht selbst erst entwickeln. Es ist also in Ordnung, wenn beispielsweise Mozambique eigene Zahnpasta herstellt und dafür aus Deutschland Fluoride zugeliefert bekommt. Nur sollten diese Fluoride auf gar keinen Fall in Länder geliefert werden, die das Chemiewaffenverbot nicht unterzeichnet haben – denn man kann daraus eben auch das Nervengas Sarin herstellen.


Jan van Aken (2011): »Lehnen Sie endlich Rüstungsexporte ab!«


Aktuell soll ja offenbar der Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen ausgehebelt werden. Ist das was dran?

Ja, die Bundesregierung will die Aushebelung des Parlamentsvorbehaltes vorantreiben. Sie will mindestens den Parlamentsvorbehalt für EU- und NATO-Militäroperationen abschaffen. Der Vorwand lautet, man müsse ein verlässlicher Partner in der EU und der NATO sein, da störe der Parlamentsvorbehalt nur. Zu diesem Zweck wurde eine parlamentarische Kommission eingerichtet. DIE LINKE beteiligt sich natürlich nicht an diesem Schmierentheater, dem geplanten Ausstieg aus dem Prinzip der Parlamentsarmee per Kommission ein demokratisches Mäntelchen überzustülpen.

Und wie bewerten Sie diese Entwicklungen?

Nun, das ist natürlich eine Katastrophe. Je weniger parlamentarische Kontrolle, und damit verbunden auch weniger öffentliche Debatten, desto mehr Auslandseinsätze der Bundeswehr wird es geben.

Sie werden mir als prominenter Linken-Abgeordneter natürlich wenig über die internen Streitigkeiten, Inkonsistenzen und gegebenenfalls auch „Sollbruchstellen“ gerade in Bezug auf das Militärische ausplaudern. Aber lassen Sie mich so fragen: In der aktuellen gesellschaftlichen Situation, woran mangelt es der politischen und gesellschaftlichen Linken Ihrer Meinung nach da gerade am meisten? Was täte am dringendsten not?

Komische Frage, was soll man dazu sagen. Meiner Ansicht nach sollten bestimmte Debatten nicht fortgesetzt werden, so beispielsweise die Frage einer linken Regierungsbeteiligung in 2017. Dann wären viele der aktuell zu beobachtenden Verrenkungen überflüssig und wir könnten uns ein wenig entspannter den wirklichen Problemen dieser Welt widmen.

Ich bedanke mich für das Gespräch.


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