Ukraine, Russland, Merkel und Putin – die Strategien der Meinungsmache sind perfekt und pervers

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Im Folgenden Text wird – mit Bezug auf einen Beitrag vom Montag – die Strategie des Westens im Umgang mit der Ukraine-Krise analysiert, es wird weiter an Hand von kleinen Dokumentationen die Reaktion deutscher Medien auf Putins Interview, auf die Sendung von Jauch vom 16. November und auf Merkels Rede (Anlage 1 und 2) gezeigt, wie einseitig und konfliktfördernd viele Medien sind. Die hier abgebildete Karikatur steht symbolisch für den Zustand der öffentlichen Auseinandersetzung.

Putin der Bärenflüsterer

Auf den Foren unserer Medien tobt ein harter Kampf. Ein NachDenkSeiten-Leser aus München, Franz Piwonka, hat zu letzterem einen lesenswerten Erfahrungsbericht geschrieben. Von Albrecht Müller.

Bundeskanzlerin Merkel hat in ihrer Rede in Sidney alle Hemmungen fallen lassen. Alltagssprachlich würde man sagen: sie hat das Tischtuch zwischen sich und der russischen Führung zerschnitten. Dazu gibt es einen treffenden Offenen Brief von Karl-Jürgen Mueller aus Konstanz „Kommen Sie zur Wahrheit, Frau Merkel!“ [PDF]. Lesenswert.

Noch eine persönliche Anmerkung, bevor ich zur Skizze der westlichen Strategie komme:

Nachdem wir im Vorfeld von 1989 erleben konnten, dass es möglich ist, den Konflikt zwischen Ost und West zu beenden, erfüllt mich der jetzt erkennbare Wiederaufbau der Konfrontation mit Sorge. Die Strategie, durch Abbau der Konfrontation und durch Vertrauensbildung einen Wandel beim Gegenüber zu erzeugen, hatte sich als erfolgreich erwiesen. Es gibt keinen sachlichen Grund, jetzt den notwendigen Wandel Russlands hin zur Modernisierung, – in gängigen Schlagworten ausgedrückt – hin zu Demokratie und Menschenrechten mit Hilfe von Sanktionen und Strafmaßnahmen und der Verschärfung des Misstrauens erreichen zu wollen.

Putin und die russische Führung stehen – anders als hier bei uns suggeriert wird – mit dem Rücken zur Wand. Er steht vermutlich im Innern unter Druck. Die Eskalation des Konflikts wird vom Westen aber ohne Rücksicht auf diese Konstellation und die möglichen Folgen in Russland betrieben. Das Ende wird nicht bedacht, wie es auch bei der Intervention in Libyen, im Irak, in Afghanistan und an anderen Ecken der Welt nicht bedacht wurde. Tausende von Toten, zerstörte Städte und zerbombte Landschaften, die „Produktion“ von Rache und Terrorismus – auch das ist die Bilanz der westlichen Interventionen.

Im Falle des Konflikts mit Russland werden kriegerische Auseinandersetzungen uns direkt berühren. Dass dies (fast) 70 Jahre nach dem Schrecken des Zweiten Weltkriegs von Politikern und Medien nicht mehr einkalkuliert und gewogen wird, ist ein Zeichen von Vergesslichkeit oder (eher) von Ignoranz gegenüber den Erfahrungen des eigenen Volkes und unserer Nachbarn.

Und noch eine Bemerkung vorweg:
Wer sich Sorgen um diese gefährliche Entwicklung macht, wird schnell in die Ecke jener gestellt, die die Zustände in Russland beschönigen. Diese sind nicht zu bewundern. Putin und die russische Führung haben viele Fehler gemacht. Ein NachDenkSeiten-Leser hat mit Bezug auf meine Analyse des Putin-Interviews vom vergangenen Sonntag und der Sendung von Jauch gerade warnend geschrieben: „Wir Sympathisanten der Russen sollten nicht ihre Fans werden.“ Besser hätte ich es nicht formulieren können und möchte es aus aktuellem Anlass ergänzen: Die Gegenpropaganda, wie sie in Teilen der Arbeit von Russia Today (RT) sichtbar wird, ist auch nicht gerade das Gelbe vom Ei. Russland täte gut daran, seine Aufklärungsarbeit in Deutschland und Europa differenzierter und sachlich anzugehen.

Die Elemente der Strategie des Westens in der Sache und in der Kommunikation

  1. Der Konflikt beginnt in der westlichen Version mit der Annexion der Krim durch Russland. Was vorher war – die NATO-Osterweiterung, die Destabilisierung und der Putsch in der Ukraine, die 5 Milliarden-$-Investition der USA in die angebliche Zivilgesellschaft der Ukraine, die PR-Tätigkeit der NATO in der Ukraine, die erkennbare Steuerung der politischen Entscheidungen in der Ukraine durch die USA, dokumentiert im Telefongespräch der im US-Statedepartment zuständigen Mrs. Nuland mit dem US-Botschafter in Kiew, und vieles mehr, was nach Einkreisung Russlands aussieht, wird bei öffentlichen Äußerungen verschwiegen, oder wie von der Bundesverteidigungsministerin von der Leyen in der Sendung mit Jauch praktiziert, als Vergangenes und Unwichtiges beiseite getan.
  2. Der Konflikt wird personalisiert. Putin ist der Schurke. Der Bär mit Krallen. Siehe die Karikatur oben. Damit knüpft diese Agitation an die Tradition der Nationalsozialisten an, die in den fünfziger Jahren in Deutschland von der CSU und CDU und dann später von der NPD genutzt wurde.
    An Putins Person wird auch die Wende im Ost-West-Konflikt aufgehängt. Er und damit auch Russland hätten sich von der Zusammenarbeit verabschiedet, er habe Russlands Position verändert und das sei das Problem.
  3. Um das Feindbild nicht stören zu lassen, wird auf wichtige Verlautbarungen wie zum Beispiel die Reden des russischen Präsidenten und des russischen Außenministers nicht eingegangen. Die konstruktiven Vorschläge, die deutlich erkennbaren Sorgen um die betroffenen Menschen im Ukraine-Konflikt werden ausgeblendet. Stattdessen werden Fehler auf russischer Seite groß herausgestellt. Das ist verständlich. Aber dahinter verschwinden die konstruktiven Ansätze.
  4. Meisterhaft wird die Methode „Haltet den Dieb“ angewandt: Den Russen wird z.B. das Denken in Einflusssphären unterstellt – perfektioniert von Angela Merkel in ihrer Rede in Sidney; den Russen wird die Zerstörung des Friedens und der Zusammenarbeit in Europa angehängt. – Wir im Westen sagen nicht die Wahrheit und lügen. Putin und die Russen schwindeln und lügen auch. Damit bieten sie unseren westlichen Agitatoren die Chance, ihnen das Lügen voll anzuhängen. So war es bei Guenther Jauch und in der Aufarbeitung des Interviews der ARD mit ihm in den deutschen Medien beispielhaft zu beobachten.
  5. Wir sind die Guten, im Osten sind die Bösen. Dieses Schema dient auch der eigenen Beweihräucherung und entlastet von der Rechtfertigung der Erfolglosigkeit in vielen Ländern und vielen Bereichen Europas und auch der USA. Vom eigenen Versagen im Inneren, also in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik kann mit dem äußeren Konflikt vorteilhaft abgelenkt werden. Ein alter Trick, neu aufgelegt. Wer über Kiew und die Krim redet, muss nicht über Athen reden. Wer die Russen als Aggressor darstellen kann, kann von der hohen Arbeitslosigkeit in Spanien, Portugal, Italien usw. ablenken. Das ist der klassische Fall der mentalen und oft auch konkreten Kriegführung gegen den äußeren Feind mit dem Ziel der Schließung der Reihen im Inneren.
  6. Es wird Usus, Russland aus Europa hinaus zu definieren. Europa das sind wir und die Polen und auch die Ukrainer, Georgier usw. Aber die Russen gehören nicht dazu. Achten Sie auf die benutzte Sprache.
  7. Russland ökonomisch fertig machen. Es gibt auf westlicher Seite zwei verschiedene Linien: zum einen die Vorstellung, man müsse und könne mithelfen, Russland und seine Volkswirtschaft zu modernisieren. Das sei auch im eigenen Interesse. Zum anderen die Vorstellung, man könne und müsse Russlands ökonomische Schwierigkeiten verstärken, um es auf diese Weise gefügig zu machen, ganz konkret: um auf diese Weise zum Beispiel den jetzigen Präsidenten unter Druck zu setzen bis hin zur Entfernung aus dem Amt. Diese Ideen haben im Übrigen als konkurrierende Überlegungen auch schon die Entspannungspolitik begleitet. Auch damals gab es im konservativen Bereich einschließlich des amerikanischen Präsidenten Reagan Menschen, die die Auflösung der Sowjetunion und den immerhin stattgefundenen inneren Wandel nicht der entspannungspolitischen Strategie „Wandel durch Annäherung“ zuschreiben, sondern der von ihnen vertretenen Strategie, die damalige Sowjetunion durch Rüstungslasten und anderen ökonomischen Druck nieder zu konkurrieren.

    Dass diese ökonomischen Faktoren eine Rolle gespielt haben, additiv sozusagen, will ich gar nicht bestreiten. Das gleiche Spiel jetzt wieder zu betreiben ist jedoch teuer und gefährlich. Dennoch wird vermutlich in den führenden Kreisen im Westen mit dieser Option gespielt, und entsprechend gehandelt. Die Sanktionen zielen auf die ökonomische Schwächung. Siehe dazu auch den unter NachDenkSeiten-Leserinnen und Lesern bekannten Artikel in der ZEIT („Die Superwaffe des Mr. Glaser“)

  8. Ein abgekartetes Spiel zwischen Deutschland und dem Rest der westlichen Welt. Angela Merkel spricht mit Putin, und immer wieder der deutsche Außenminister Steinmeier. Deutschland wird eine Sonderrolle zugewiesen und davor gewarnt. Ich halte das für ein abgekartetes Spiel. Selbiges ist nicht verboten. Man muss es nur wissen. Drei Indizien sprechen dafür: (1) Merkel hat in Australien lange mit Putin gesprochen. Dann hat sie unmittelbar danach ihre Konfrontationsrede gehalten. Ich glaube nicht, dass dies das Ergebnis des Gesprächs mit Putin war und sein konnte. Das lag vorher fest. Solche Grundsatzreden sind längerfristig angelegt. Angela Merkel hat durch ihre scheinbar zögerliche Haltung im Umgang mit Russland Glaubwürdigkeit angesammelt, um dann umso härter und nachhaltiger zuschlagen zu können. So etwas kann man planen und absprechen und meines Erachtens ist es so geschehen. Belegen kann ich das nicht, nur mit Indizien. (2) Der deutsche Außenminister ist mit seinen polnischen und französischen Kollegen im Februar 2014 nach Kiew gereist, um zwischen dem damaligen Präsidenten und den Protestanten des Maidan zu vermitteln. Die Vereinbarung kam zustande, aber dann verschwanden die Außenminister, als in der Nacht der Präsidentenpalast von der Opposition erobert wurde, und der Präsident verschwand oder floh, Wortwahl je nach Sicht der Dinge. Nach meiner Einschätzung auch dies ein abgekartetes Spiel. (3) Bis hinein in die Reihen der SPD wird die Personalisierung und die Version, Russland und Putin hätten sich von der gemeinsam erreichten Verständigung zwischen Ost und West verabschiedet (und nicht die USA und der Westen), weiterverbreitet. Siehe die öffentlichen Äußerungen von Gernot Erler und Karsten Voigt.

    Nachbemerkung: Selbstverständlich würde ich gerne daran glauben, dass der deutsche Außenminister mit großem Engagement versucht, den Konflikt friedlich und bei Wahrung der gegenseitigen Anerkennung von Westen und Russland zu lösen.

Anlage 1:

Eine kleine Dokumentation der Reaktion unserer Medien zum ARD-Interview mit Russlands Präsident Putin
(Basis: Google News vom 16. und 17.11.2014)

Putin pöbelt gegen den Westen: „Ist etwas ausgefallen in deren Gehirnen?“ vom 16.11.2014
Quelle: Hamburger Morgenpost

ARD verwandelt sich in Putins Kreml-TV vom 17.11.2014
Quelle: Die Welt

Wie Putin die Welt sieht vom 17.11.2014
„Russlands Präsident zeigt offen, dass er bereit ist, seine Interessen mit Gewalt durchzusetzen.“, so der erste Satz des „SZ“-Artikels.
Quelle: Süddeutsche.de

Berthold Kohler, Putins Propaganda vom 17.11.2014
Quelle: Frankfurter Allgemeine

Auftritt in der ARD: Wie Putin die Fakten verdreht vom 17.11.2014
Quelle: Spiegel Online

Wie Putin die ARD narrte vom 17.11.2014
Quelle: Bild

Passend dazu:

Merkel: Kampfansage an Putin
Kreml-Chef versucht im ARD-Interview Deutschland einzuwickeln – Kanzlerin warnt ihn vor Flächenbrand vom 17.11.2014
Quelle: Bild

ARD-Interview mit Wladimir Putin: Der Faktencheck vom 17.11.2014
Ein angeblicher „Faktencheck“ soll die Argumente des russischen Präsidenten Putin entkräften.
Quelle: Web.de

Kuschelkurs mit Putin: So verspielt die ARD jede Glaubwürdigkeit vom 17.11.2014
Quelle: Focus Online

Wladimir Putin interviewt sich selbst vom 17.11.2014
Quelle: Wirtschaftswoche

Plappern mit Putin vom 17.11.2014
Russlands Präsident Putn rede viel und sage nichts, so eine irritierende Zwischenüberschrift, die auch aus dem Kalten Krieg der 1970er Jahre hätte stammen können.
Quelle: stern

Wladimir Putins Demagogie verfallen, vom 17.11.2014
Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger

Wladimir Putin schlägt Haken, Hubert Seipel hakt nicht nach vom 17.11.2014
Quelle: Der Tagesspiegel

Passend dazu:

Was Wladimir Putin nicht sagt vom 17.11.2014
Quelle: Der Tagesspiegel

ARD: Der Nick-Seipel im Jauch-Gewitter vom 17.11.2014
Quelle: Tichys Einblick

Putins Reitkunst: Ein Kommentar zu dem Interview der ARD vom 18.11.2014
„Ein Teil der Werte einer Demokratie liegt darin, dass Meinungen zulässig sind, selbst wenn sie von irgendwelchen Despoten stammen.“, womit im Eingangssatz suggeriert wird, dass der russische Präsident ein Despot sei.
Quelle: The Huffington Post

Anlage 2:

Kleine Dokumentation der Reaktion auf Merkels Rede in Sidney
(Basis Google News vom 16. November)

Konflikt in der Koalition: SPD distanziert sich von Merkels’ Putin-Kritik
Wie scharf dürfen westliche Politiker den Kreml kritisieren? Kanzlerin Merkel hat in Australien deutliche Worte gefunden. Offenbar zu deutlich …
Quelle: Spiegel Online

Presseschau zu Merkels Rede: Einer enttäuschten Kanzlerin platzt …
Angela Merkel hat im australischen Sydney mit deutlichen Worten die Politik von Wladimir Putin in der Ukraine-Krise kritisiert. Die deutsche …
Quelle: FOCUS Online

Merkel rechnet mit Putin ab
Quelle: www.dw.de

Merkel und Putin: Die Zeit der Spielchen ist vorbei
Quelle: n-tv.de

Merkel: Kampfansage an Putin
Vier Stunden lang, bis tief in die Nacht hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (60,CDU) beim G20-Gipfel in Brisbane mit Russlands Präsident Wladimir Putin (62) …
Quelle: BILD

G20-Gipfel: Merkel äußert sich nicht zu Gespräch mit Putin
Quelle: tagesschau.de

Kommentar zur Russland-Rede: Merkel hat es satt
Es muss Merkel in der Bilanz des Treffens mit Putin wohl völlig klar geworden sein, dass mit ihm auf der Geschäftsgrundlage des geltenden ..
Quelle: tagesschau.de

Merkels klare Worte über Putin
Merkel, die sich in Australien zuvor zu einem persönlichen Gespräch mit Putin getroffen hatte, sagte, Putin setze auf das Recht des Stärkeren …
Quelle: tagesschau.de

“Merkel verliert die Geduld mit Putin”, Jauch ist schon längst …
Und was Staatsfrau und Staatsmann sich zu sagen wussten, blieb unbekannt, auch wenn der Welt-Reporter “Merkel mit Putin ringen” wähnte.
Quelle: Telepolis

Nach ARD-Interview – Kanzlerin Merkel rechnet hart mit Putin ab
Quelle: Express.de

Ukraine-Krise: Merkel kritisiert Putin ungewohnt scharf
Nach ihrem langen Vieraugengespräch mit Putin besteht offenbar immer … Bundeskanzlerin Angela Merkel hat überraschend deutlich vor …
Quelle: n-tv.de

Beim G-20-Gipfel verändert Merkel ihre Putin-Strategie
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre Strategie im Umgang mit Putin geändert. In Brisbane führte sie am Rande des G-20-Gipfels ein …
Quelle: DIE WELT

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!