Parteitag der Grünen: Alles geht – von der Fundamentalopposition bis zu Schwarz-Grün

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Nach dem Hamburger Parteitag haben Bündnis 90/Die Grünen ihren Gründungsmythos einer pazifistischen Umweltpartei endgültig aufgegeben und haben sich vollends zu einer Funktionspartei, also als Mehrheitsbeschaffer für alle nur denkbare Koalitionen gewandelt. Was sich in den unterschiedlichen Länderkoalitionen von Grün-Rot, über Rot-Grün, Schwarz-Grün bis Rot-Rot-Grün schon abzeichnete, wurde nun mehr auch programmatisch beschlossen, nämlich „ein konsequentes Sowohl-als-auch“ (taz). „Mehr Biss. Grün“ lautete die Parole auf der Rückwand, doch zahnlose Grüne mümmelten nur noch Einheitsbrei. Von Wolfgang Lieb.

Da übernimmt der Baden-Württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann kehllautig das Begriffspaar „Freiheit und Verantwortung“ aus der Bundessatzung der untergegangenen FDP und plappert das libertäre Pathos des Bundespräsidenten nach. Zu Recht stellt Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung infrage, ob die Gleichung „Gauck + FDP = Grüne“ aufgehen könne.

Man müsse den Menschen und der Wirtschaft „nicht immer sagen, was sie machen sollen“, denn das Thema Ökologie sei nämlich längst „in der Mitte der Wirtschaft angekommen“. Kein Wunder, dass der Regierungschef des Autobauerländles gegen den Titel „Lothar Späth mit Hybridantrieb“ inzwischen keine Einwände mehr hat und die Grünen als „klassische Wirtschaftspartei“ versteht. So liberal wird also künftig – wie es beschlossen – „Freiheit Grün gestaltet“.

Der Fraktionschef der Grünen in NRW, Reiner Priggen, bedauert – obwohl in einer rot-grünen Koalition mitregierend – ganz offen, „warum wir in Berlin nicht mit dieser Merkel-CDU eine schwarz-grüne Regierung hätten wagen sollen“. Eine Koalition mit dem rechten Hardliner in der CDU, Volker Bouffier sind die Grünen in „Waziristan“ (Jürgen Trittin) ja schon eingegangen.

Und in Thüringen soll es, wenn eine Koalitionsregierung von Rot-Rot-Grün zustande kommt, u.a. mehr Geld für freie Schulen geben. Wohl damit die wohlhabenderen grünen Eltern nicht mehr so viel Geld ausgeben müssen, wenn sie ihre Kinder auf private Schulen schicken wollen.

Für was die Grünen eigentlich stehen, wenn der Wähler ihnen seine Stimme gibt, bleibt nach diesem Parteitag völlig offen:

  • Da lehnt eine Mehrheit deutsche Waffenlieferungen an die Kurden ab, aber jeder Abgeordnete soll nach seinem Gewissen frei entscheiden dürfen. Und im Übrigen folgt man der Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt die für den Einsatz von deutschen Bodentruppen gegen den IS unter einem UN-Mandat eintritt.
  • Da klagte die Parteivorsitzende Simone Peter den Zynismus der Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik an und verlangt „Hilfe statt Abschottung“ und der Parteitag feierte Kretschmann für dessen Zustimmung im Bundesrat zu einer Asylrechtsreform, wonach Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsländer gelten und Flüchtlinge, die von von dort einreisen, wieder ohne Asylverfahren dorthin abgeschoben werden können.
  • Zur Lage in der Ukraine und zum Verhältnis mit Russland diskutierte man in Hamburg kontrovers, legte sich aber lieber nicht fest. Sowohl russland- als auch ukrainekritischen („Rechtsradikale in Kiew“) Anträge wurden abgelehnt oder nicht befasst. Und Grünen-Chef Özdemir trug provokativ die Ukraine-Flagge als Abzeichen am Revers.
  • Von mehr Steuergerechtigkeit wie im zurückliegenden Wahlkampf war nicht mehr die Rede, beschlossen wurde der hohle Satz: „”Freiheit erfordert Gerechtigkeit und eine sozial ausgleichende Politik, wenn sie nicht die Freiheit einiger weniger meinen soll.”
  • Bei der Energiepolitik gab es keine konkreten Forderungen, sondern nur allgemeine Zielerklärungen zur Emissionsminderung und zum Kohleausstieg. Das Wann und das Wie blieb offen.
  • Statt „Veggie Day“ gab es nun Kritik an der Landwirtschaftspolitik ganz allgemein. Die Ablehnung von Massentierhaltung und genverseuchtem Tierfutter und der Kampf gegen die Agrarlobby wurden zwar von allen Lagern laut beklatscht, es blieb aber bei der abstrakten Forderung nach einer „Agrarwende“.
    Auch die Handelsabkommen TTIP und Ceta werden vor allem deshalb abgelehnt, weil sie in der derzeitigen Form Lebensmittel- und Umweltstandards auszuhöhlen drohte. Wo war die Aufforderung zum aktiven Widerstand dagegen auch auf der Straße, wie man das von Grünen einmal kannte?

Zwar haben die Flügel der Partei auf dem Parteitag ein paar Mal kräftig geschlagen, aber hochgetragen wurden dabei die Grünen nicht. Vom „Grünen Gegenwind“ war nicht viel zu verspüren. Möglicherweise schwelen die Konflikte innerhalb der Partei weiter, doch wie die Antworten auf wichtige Fragen künftig ausfallen werden, bleibt nach Hamburg offen, wenn sie nicht gar beliebig sein werden. Auf diesem Parteitag blieb jedenfalls völlig offen, was man als Opposition im Bundestag der Großen Koalition entgegensetzen will – Harmonie nach allen Seiten war eben angesagt.

Die Kompromissformel, die Grünen müssten wachsen, „um unseren Veränderungsanspruch, unsere Inhalte besser durchzusetzen“, ist angesichts der Verwässerung der Programmatik geradezu paradox. Wofür wollen die Grünen wachsen? Welchen Veränderungsanspruch haben sie denn noch? Reicht es aus, dass man in vielleicht bald in acht Ländern egal mit welcher Partei auch immer in der Regierung sitzt? Doch woran erkennt man noch, dass die Grünen an der Regierung beteiligt sind?

Die Grünen als Mehrheitsbeschaffer egal für welche Koalition, sind in der Gefahr als reine Funktionspartei das gleiche Schicksal zu erfahren wie die FDP. Die SPD hat erlitten, was es bedeutet, wenn man den Markenkern einer Partei nicht mehr erkennen kann. Wie will eine Partei mehr Zustimmung erfahren, wenn der Wähler nicht mehr weiß, wofür er stimmt.

Von einem rot-grünen Projekt ist weder bei den Grünen noch bei der SPD etwas erkennbar.

Die SPD sollte dieser Parteitag der Grünen für 2017 beunruhigen, denn dann werden die Sozialdemokraten als Mehrheitsbeschaffer für die CDU mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr gebraucht. Nach diesem Parteitag haben die Grünen die Rolle des Steigbügelhalters für Frau Merkel übernommen. (Falls sie nochmals antreten sollte.)

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