Griechenland und der Euro – Was Merkel und Schäuble der Öffentlichkeit verschweigen

Jens Berger
Ein Artikel von:

Glaubt man einer offenbar von Regierungskreisen gezielt im SPIEGEL lancierten Information, halten Angela Merkel und Wolfgang Schäuble einen Austritt Griechenlands aus dem Euro mittlerweile für „verkraftbar“. Die Ansteckungsgefahr für andere Länder sei „begrenzt“, der ESM „schlagkräftig“ – also alles kein großes Problem. Diese Aussagen sind jedoch bei näherer Betrachtung abenteuerlich und stellen das Nonplusultra einer marktkonformen Demokratie dar. Was Merkel und Schäuble verschweigen: Dank ihrer Politik haftet mittlerweile der europäische Steuerzahler für kommende Ausfälle bei der Rückzahlung der griechischen Staatsschulden. Ein Austritt aus dem Euro wäre sicher für die Märkte verkraftbar – für den Steuerzahler wäre er ein unglaublich teures Desaster. Einmal mehr zeigt sich, dass die Loyalität der Bundesregierung nicht den Menschen, sondern den Finanzmärkten gilt. Von Jens Berger.

Viel hat sich seit Beginn der Eurokrise in Griechenland getan, darunter ist jedoch nichts zu finden, das in welcher Form auch immer Hoffnung auf eine bessere Zukunft macht. Die Wirtschaft ist seit 2009 um mehr als ein Viertel geschrumpft, die Reallöhne sind im Schnitt um mehr als 10 Prozent gesunken, jeder vierte Grieche ist arbeitslos, bei den jungen Griechen hat sogar mehr als die Hälfte keinen Job. Das ist es wohl, was sich die Bundesregierung unter „den Gürtel enger schnallen“ versteht, das den Kern der sogenannten „Sparpolitik“ begründet. Dass diese „Sparpolitik“ nicht funktionieren kann, haben wir auf den NachDenkSeiten bereits unzählige Male dargelegt (u.a. hier, hier, hier und hier) – und dabei geht es freilich nicht ums „Recht haben“, gerne lägen wir daneben. Die Zahlen sprechen jedoch eine glasklare Sprache: Am Vorabend der Krise war Griechenland mit insgesamt 297 Mrd. Euro verschuldet, dies entsprach damals 129% des Bruttoinlandsprodukts. Nach einem „großen“ Schuldenschnitt und vier Jahren „Sparpolitik“ sieht die Situation heute folgendermaßen aus: Griechenland ist mit 322 Mrd. Euro verschuldet, was mehr als 170% des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Nicht nur dem griechischen Volk ist nicht mehr zu vermitteln, wofür es dieses ganze Leid auf sich nimmt, wenn keine Perspektive besteht, dass die Lage sich irgendwann einmal verbessern könnte, sich de facto vielmehr von Jahr zu Jahr verschlechtert.

Es spielt gar nicht einmal eine so große Rolle, wer am 19. Januar die Wahlen in Griechenland gewinnt – zu glauben, dass Griechenland seine Staatschulden mittel- bis langfristig brav bedient, beleidigt die Intelligenz all jener, die zumindest die Grundzüge der Mathematik beherrschen. Die einzige offene Frage ist, wann die Griechen aus ihrer Duldungsstarre ausbrechen und ihrem Leiden ein Ende machen. Sollte die griechische Linkspartei Syriza die kommenden Wahlen gewinnen und eine Regierungsmehrheit auf die Beine stellen können, besteht zumindest eine Chance, dass sich diese Entwicklung forciert. Wahrscheinlich wird in einem solchen Falle die neue griechische Regierung mit der Troika neue Verhandlungen aufnehmen, bei denen von griechischer Seite eine teilweiser Schuldenerlass (Umschuldung/Schuldenschnitt) und/oder eine Stundung der ausstehenden Zahlungsverpflichtungen angestrebt wird. Allem Theaterdonner aus Berlin zum Trotz ist es auch wahrscheinlich, dass Griechenland sich mit diesen Forderungen im Kern durchsetzt. Denn es gibt einen fundamentalen Unterschied im Vergleich zum Vorkrisenjahr.
Noch im März 2010 war Griechenland ausschließlich bei privaten Gläubigern (Banken, Versicherungen, Fonds, Privatpersonen) verschuldet. Heute ist Griechenland nahezu ausschließlich bei öffentlichen Gläubigern (die Staaten der Eurozone, der Rettungsmechanismus ESM, der IWF und die EZB) verschuldet. 2013 standen lediglich Papiere im Nennwert von fünf Milliarden Euro in den Forderungsbüchern privater Anleger, die nicht auf welche Art auch immer direkt oder indirekt vom öffentlichen Sektor abgesichert sind. Diese Papiere sind jedoch „Exoten“, die nach englischem Recht ausgegeben wurden und daher de facto an einem kommenden Schuldenschnitt nicht teilnehmen werden. Ähnliches gilt für die Kredite des IWF, die vertragsgemäß als „super senior“ eingestuft sind und daher bei einem Schuldenschnitt nachrangig behandelt werden. Dank der „Rettungspolitik“ der Troika, die ganz maßgeblich von Berlin diktiert wurde, haben also private Gläubiger bei einem kommenden Schuldenschnitt nichts zu befürchten, während die Haushalte der Eurostaaten – und hier ist Deutschland mit 25% dabei – die alleinigen Geschädigten sein werden.

Dazu: Jens Berger: Merkels Milliardenhypothek – das falsche Spiel mit Griechenlands Schulden

Auch wenn ein Austritt Griechenlands aus dem Euro gemäß den Vertragswerken der Europäischen Union und der Eurozone eigentlich gar nicht möglich ist, gehört dennoch nicht viel Phantasie dazu, sich ein Szenario auszumalen, bei dem Griechenland gar keine andere Wahl hat. Dazu würde es schon genügen, das Land vom Zahlungsverkehr des EZB-Systems abzuschneiden und Griechenland zwingen, die Eurozone zu verlassen. Jede neue Währung würde jedoch – da besteht kein Zweifel – gegenüber dem Euro massiv abwerten, die Außenverschuldung würde also relativ zur Wirtschaftskraft mit einem Schlag massiv steigen. Schon bei einer Schuldenquote von 170% ist es illusorisch an eine Bedienung der Staatsschulden zu glauben – bei noch höheren Werten, die dann auch noch in einer Auslandswährung notiert wären, ist es äußerst unwahrscheinlich, dass Griechenland auch nur einen nennenswerten Teil dieser Schulden wird bedienen können. Ein größerer Schuldenschnitt wird kommen und wie bereits ausgeführt wird dieser Schuldenschnitt einzig und allein zu Lasten der öffentlichen Haushalte der übriggebliebenen Eurostaaten gehen. Alleine der deutsche Staat müsste dabei bis zu 70 Mrd. Euro abschreiben. Und das soll nach Ansicht von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble „verkraftbar“ sein? Aber nicht doch.

Entweder blufft die deutsche Regierung und will mit diesem Schachzug „nur“ Einfluss auf die Wahlergebnisse in Griechenland nehmen oder sie hat die Marktkonformität bereits so verinnerlicht, dass es ihr ausschließlich um die Finanzmärkte aber nicht mehr um das Wohl des Volkes geht. Sicher – für die Finanzmärkte hätte ein griechischer Euroausstieg samt Staatsbankrott kein sonderliches Schreckenspotenzial. Das hat natürlich nichts mit den „Fortschritten“ in der Eurozone oder dem „schlagkräftigen Rettungsmechanismus“ zu tun, die die deutsche Regierung ins Spiel bringt. Dies sind PR-Phrasen, an die selbst in Berlin niemand glaubt. Die Ansteckungsgefahr wurde vielmehr durch die klare Aussage des EZB-Chefs Draghi gebannt, im Notfall ohne Limits Staatsanleihen zu kaufen.

Dabei gebe es zahlreiche Lösungen für das „griechische Problem“. Selbstverständlich könnte man Verhandlungen über einen Schuldenschnitt führen. Dies ist ohnehin mittel- bis langfristig unausweichlich. Sowohl die griechische als auch die deutsche Regierung scheinen jedoch bis jetzt die Strategie zu verfolgen, die Augen vor dieser sicher nicht sonderlich populären Lösung zu verschließen und das Problem an ihre Nachfolger weiterreichen zu wollen. Dadurch wird das Problem jedoch nicht kleiner. Es geht beim Thema Schuldenschnitt nicht um das „ob“, sondern nur um das „wann“ und mehr noch um das „wie“. Der Eurozone stehen nämlich alle Mittel zur Verfügung, die nicht tragfähigen griechischen Staatsschulden zu entschärfen, ohne dass andere Eurozonenstaaten direkt zur Kasse gebeten werden.

Dafür müssten die Schulden jedoch einmal mehr wandern – und zwar von den öffentlichen Haushalten hin zur EZB. Würde die EZB den Eurostaaten ihre Forderungen an Griechenland abkaufen, hätte sie die volle Gestaltungsmacht. Sie könnte – was rechtlich jedoch problematisch sein dürfte – einen Schuldenschnitt anregen und die Verluste übernehmen, ohne dass dafür die Eurostaaten eine Rechnung gestellt bekommen. Sie könnte die ausstehenden Schulden jedoch auch per einseitigem Moratorium in langfristige aber dafür zinsfreie Forderungen umwandeln, die den griechischen Staatshaushalt nicht mehr belasten aber dafür zumindest auf dem Papier fortbestehen bleiben.

Zu alternativen Konzepten wie „Evergreen Bonds“ oder „Nullkuponanleihen“, die eine wichtige Alternative zum Schuldenschnitt darstellen, von Merkel und Co. aber kategorisch ausgeschlossen werden, siehe: Wenn marktkonformer Zynismus ein Land vor die Hunde gehen lässt

Möglichkeiten gibt es also viele, die Lage ist keinesfalls alternativlos und es besteht auch nicht der geringste Grund, Griechenland marktkonform aus der Eurozone zu werfen oder vor die Hunde gehen zu lassen. Man muss jedoch leider auch feststellen, dass der politische Wille, diese Dauerkrise im Sinne der Menschen zu lösen, nicht vorhanden ist. Daher ist es nicht auszuschließen, dass die deutsche Regierung die nächste Eselei begeht und nun nicht nur Griechenland über die Klinge springen lässt, sondern zudem den eigenen Bürgern eine weitere Milliardenhypothek aufbürdet. Und nicht, dass es hier zu Missverständnissen kommt – diese Milliardenhypothek wurde nicht aufgenommen, um „die Griechen“ vor was auch immer zu retten, sondern einzig und allein, um die Banken und Finanzinstitute vor den notwendigen Abschreibungen zu retten. Sie waren es, die Griechenland Geld geliehen haben, das deutlich besser verzinst wurde als bei sichereren Anlagen, wie beispielsweise deutschen Staatsanleihen. Die Banken haben die Rendite für ein Risiko kassiert, dass sie nicht tragen, sondern dank Angela Merkel und Wolfgang Schäuble an den deutschen Steuerzahler abgegeben haben. Nun ist es für sie kein Problem mehr, wenn diese Papiere sich als wertlos herausstellen. Wenn das nicht marktkonform ist, was ist dann überhaupt marktkonform?

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