Der arme Herr Glos. Wie leicht könnte er zurückschlagen. Wenn er wollte.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Der Kölner Stadt-Anzeiger offenbarte am 10.8. den Versuch des Bundeswirtschaftsministerium, eine günstige Berichterstattung von Regionalzeitungen zu kaufen. Unter der Überschrift “Regierungsgeld für Zeitungen“ wird berichtet, „das von Michael Glos (CSU) geführte Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) biete deutschen Regionalzeitungen über die Agentur Flaskamp öffentliche politische Veranstaltungen und Redaktionsbesuche durch den Staatssekretär an und biete ihnen dafür „Gegenfinanzierungen“ durch „Anzeigen“.
Auch andere Medien fallen über Michael Glos und sein Ministerium her, zum Beispiel die Tagesschau, und SpiegelOnline fragt „Hofberichterstattung gegen Anzeigen?“
Es ist natürlich nicht legitim, wenn eine Regierung versucht, gefällige Berichterstattung zu kaufen. Aber was jetzt glücklicherweise aufgedeckt wurde, ist kein Einzelfall. Eine solche Art von Publicrelations-Einflussnahme ist in Variationen gängige Methode. Einige markante Beispiele will ich nennen. Albrecht Müller.

Zunächst noch: Ich will den Vorgang bei Leibe nicht verharmlosen. Was der Kölner Stadtanzeiger schildert, ist die bittere Realität einer fortlaufenden Beschädigung der demokratischen Meinungsbildung. Es ist dringend notwendig, diese Bedrohung der Demokratie zu sehen und darauf aufmerksam zu machen.

Aber was hier offenbar wurde, ist erstens kein singulärer Fall und zweitens ist unter jenen, die den Bundeswirtschaftsminister und seine Agentur jetzt kritisieren, eine Menge Heuchelei.
Fangen wir damit an: SpiegelOnline zitierte den wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Wend, mit den Worten, das sei ein „unglaublicher Vorgang“ und weiter: „Man kann sich nicht Berichterstattung erkaufen durch Anzeigen. Dann ist die Bananenrepublik nicht mehr weit. Die Presse ist im übrigen nicht dazu da, Propaganda-Instrument der Bundesregierung zu sein.“ Rainer Wend war einmal im Aufsichtsrat der einflussreichen Publicrelations Agentur WMP, einer Agentur, die wie alle andern PR-Agenturen ihre Aufgabe darin sieht, mit Publicrelations und das heißt auch mit finanziellen Mitteln Einfluss auf Berichterstattung und Kommentierung durch die Medien zu nehmen.

Und der Spiegel war in den letzten Jahren häufig sogar eine Art von Leitmedium für Kampagnen zur Meinungsbeeinflussung, die von der interessierten Wirtschaft und auch von PR-Agenturen ausgedacht und umgesetzt worden sind.

Zwei beispielhafte Fälle von PR-Arbeit eines vielfach größeren Kalibers:

  1. Die Anzeigenkampagne der Versicherungswirtschaft während des Bundestagswahlkampfes 1998

    Während des Bundestagswahlkampfes von 1998 platzierte der Gesamtverband der Lebensversicherer eine große Zahl von ganzseitigen Anzeigen. Sie waren auffallend schwarz-grün und transportierten die immer wiederkehrende Botschaft, die wir bis heute kennen: die gesetzliche Rente wird immer unsicherer. Jetzt hilft nur noch Privatvorsorge.
    Diese Kampagne habe ich in im Rahmen einer Studie zum Bundestagswahlkampf auch beobachtet. Einen kurzen Textauszug finden Sie unten als Anhang.
    Diese massive und unverhältnismäßig teure Kampagne prägte das Meinungsbild der meisten Medien schon damals, sie hatte Einfluss auf die Politik und wirkt in den Medien bis heute nach. Die selbst vollzogene Gleichrichtung zum Thema Demographie und Altersvorsorge, die Wiederholung der Parole, die gesetzliche Rente bringe es wegen der demographischen Entwicklung nicht mehr, private Vorsorge aber sehr wohl, ist rational nicht zu begreifen. Nach meiner festen Überzeugung hat die damalige Propaganda und ihre massive Fortführung bis heute ganz wesentlich das Meinungsbild unserer Medien bestimmt.
    Ein gutes Beispiel für die freiwillige Gleichrichtung ist die Berichterstattung nahezu aller deutschen Medien über die Veröffentlichung einer so genannten Studie des so genannten Berlin Instituts Mitte März 2006. Die damals insinuierte Behauptung, Deutschland habe die niedrigste Geburtenrate in der Welt und die niedrigste seit 1945, wurde anstandslos gedruckt und gesendet, obwohl sie leicht nachweisbar falsch ist. Das ist ein einzelnes Beispiel aus einer Fülle ähnlicher Vorgänge. „Wir mieten eine Redaktion“ lautet die Überschrift über dem Kommentar zum Fall von Glos’ PR-Agentur. Übernehmen wir diesen Begriff und stellen fest: In Sachen Demographie und Altersvorsorge sind viele Redaktionen in Deutschland nachhaltig „angemietet“. Mit der Anzeigenkampagne zur Begleitung des Bundestagswahlkampfes 1998 könnte die Anmietung begonnen haben.

    Nebenbei: Vielleicht gibt es unter unseren Lesern Studentinnen/en oder Professoren, die ein interessantes empirisches Thema für eine Examensarbeit suchen. Die Dokumentation und Analyse der erwähnten Anzeigen im Bundestagswahlkampf 1998 wäre ein solches Projekt.

  2. Die Verquickung von redaktioneller Arbeit der Bild-Zeitung mit der Kampagne der Allianz AG für die VolksRente

    Bild-T-online (und darüber auch die Bild-Zeitung) sind mit der Allianz eine Kooperation eingegangen, die der Werbung für das Riester-Rente-Produkt der Allianz AG, für die VolksRente, diente. In einer Broschüre der Allianz für ihre Vertreter vom August 2005 wurde ausdrücklich vermerkt, dass Bild auch im redaktionellen Teil für das Allianz-Produkt wirbt. So ist es dann auch mannigfach geschehen. Die wichtigsten Teile dieses Vorgangs sind in meinem Buch „Machtwahn“ wie auch in den NachDenkSeiten schon mehrfach beschrieben worden. Geben Sie in unserer Suchfunktion den Begriff „VolksRente“ ein und Sie werden gleich mehrerer einschlägige Artikel finden.

Diese beiden Beispiele sind in ihrer Dimension um vieles größer als der Vorgang, der jetzt zu kritischen Kommentaren führte. Mit dieser Einordnung, das sei noch einmal ausdrücklich gesagt, will ich die Aktionen der Agentur von Michael Glos nicht relativieren. Die Lage ist jedoch um vieles schlimmer. Und sie betrifft keinesfalls nur Publicrelations-Versuche der Regierung. Wenn im Interesse einer Branche wichtige gesellschaftliche Einrichtungen wie die gesetzliche Rente madig gemacht werden und dies mithilfe von „Wirtschaftsgeld für Zeitungen“ statt „Regierungsgeld für Zeitungen“ geschieht, dann ist das mindestens so bedenklich.

Auszug aus
Albrecht Müllers Studie zum Bundestagswahlkampf 1998 mit dem Titel „Von der Parteiendemokratie zu Mediendemokratie“ Januar 1999

Im Wahlkampf 1998 ging es in bezug auf die Alterssicherung der Menschen in Deutschland um sehr viel. Es ging erkennbar um die Frage:
Wird der Wahlkampf benutzt, um wieder Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung zu schaffen und innerhalb des bestehenden Systems Reformen voranzutreiben?
Oder:
Wird er benutzt, um weitere Zweifel in die Sicherheit und Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung zu säen und so neue Fakten zu schaffen zur Destabilisierung des alten Systems und zur Eröffnung von neuen Geschäftsmöglichkeiten für die Versicherungswirtschaft.

Angesichts dieser beiden Alternativen entschieden sich die meisten Medien – bewußt oder unbewußt – für die letztere, ohne allerdings zugleich die möglichen Konsequenzen für die Versicherten, für die Nicht-mehr-Versicherten und die Steuerzahler zu beschreiben.

Stereotyp und in unendlichen Variationen tauchte die Formulierung von der Unfinanzierbarkeit des bestehenden Rentensystems auf, wobei die Printmedien eher die ausführlichen Begründungen lieferten und die elektronischen Medien eher die Verdikte aussprachen und die Etiketten anklebten.

Interessant nebenbei: Der Gesamtverband der Lebensversicherer e.V. begleitete die heiße Phase des Wahlkampfes mit einer intensiven PR-Arbeit. So schaltete er zum Beispiel eine große Zahl von ganzseitigen Anzeigen in den Printmedien mit Headlines wie „Was haben Sie eigentlich gegen Schwarzsehen bei Ihrer Altersvorsorge? Eine Lebensversicherung.” und „Was haben Sie eigentlich gegen Überraschungen bei ihrer Altersvorsorge? Eine Lebensversicherung.“

Bemerkenswert an dem Gesamtvorgang ist folgendes:

  • Beachtenswert ist die Einheitlichkeit der Argumentation und Meinungsbildung, die auf dem Feld der „Reformen“ stattgefunden hat.
  • Bemerkenswert ist die Parallelität der Informationsarbeit der Medien und der Interessen der Lebensversicherungswirtschaft.
  • Bemerkenswert ist, daß die Parteimitglieder und -gliederungen bei diesen zentralen Fragen zukünftiger Steuergestaltung und zukünftiger sozialer Sicherheit keine Rolle gespielt haben. Es gab weder in der CDU/CSU, F.D.P. noch in der SPD handfeste Debatten auf den unteren und mittleren Ebenen der Parteien. Es gab keine Parteitagsbeschlüsse von Kreisverbänden, Unterbezirken, Bezirken und Landesverbänden, die in diese Debatte eingegangen wären.
  • Bemerkenswert ist der Einfluß der Debatte auf die Stärkeverhältnisse innerhalb der Parteien. So wurde zum Beispiel der sogenannte Blüm-Flügel bei der CDU und der sogenannte Dreßler-Flügel bei der SPD durch die Kampagne als hoffnungslos veraltet dargestellt und in die Defensive gedrängt. [1]

[«1] Die Themensetzung und Meinungsbildung zum Komplex “Reformen” im Wahlkampf ist ein lohnender Gegenstand für die Medien- und Politikforschung. Es könnte untersucht werden:

  • Welche Informationen wurden in diesem Wahlkampf von den Medien in die Wahlkampfdebatten und Sendungen eingegeben?
  • Wie gingen die Medien mit den äußerst komplexen Sachverhalten um?
  • Wie war das Zusammenspiel von Medien und Wissenschaft?
  • Was haben die Medien getan, um sicher zu gehen, daß sie nicht Opfer von manifesten Interessen werden?
  • Wie steht es um den Einfluß der Medien auf die innere Willensbildung der Parteien bei diesem Thema, insbesondere demonstriert am Beispiel der BündnisGrünen, der SPD und der CDU?