Wer bedroht die Pressefreiheit in Deutschland?

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Am 29. April 2015 fand in der Landesvertretung Sachsen-Anhalt in Berlin ein Podium anlässlich des Tags der Pressefreiheit am 3. Mai statt. Die Veranstalter waren neben Reporter ohne Grenzen auch der Bund Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger sowie die Deutsche Journalistenunion in Ver.di (DJU) und der Deutsche Journalistenverband (DJV). Unter dem suggestiven Titel „Wieviel Medienschelte verträgt die Pressefreiheit?“ versammelten sich auf dem Podium Prof. Bernhard Pörksen (Medienwissenschaftler an der Universität Tübingen), Alice Bota (Redakteurin Die Zeit), Andrea Röpke (Politologin und Fachjournalistin) und der Medienjournalist Stefan Niggemeier unter der Ägide der Moderatorin Dagmar Engel, Chefredakteurin der Deutschen Welle. Ein Kommentar von Sabine Schiffer[*].

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Im Anschluss an das Kurzreferat von Prof. Pörksen hätte sich bereits eine Debatte angeboten, diese wurde jedoch erst mit allen Podiumsteilnehmern eröffnet. Pörksen diagnostizierte „Medienverdrossenheit“ beim Publikum, was vielleicht das Gegenteil von dem Engagement wäre, was wir beim Medienpublikum beobachten können. Schließlich deuten die Reaktionen des Publikums auf den Vertrauensverlust hin auf Engagement und Interesse und nicht auf Rückzug und Resignation. Aber genau dieses Engagement scheint die Medienvertreter zu stören, wobei während der Debatte ein Teilnehmer den Begriff „Medienkritik“ statt „-schelte“ vorschlug, wohinter sich schon wesentlich mehr Teilnehmer des Abends versammeln konnten.

Dass Social Media geteilte Öffentlichkeiten geschaffen hätte, wie Pörksen meint, ist eine relativ eigenwillige medienwissenschaftliche Position. Ist doch dieses Phänomen spätestens seit der Einführung des Dualen Rundfunk-Systems in Westdeutschland unter Bundeskanzler Helmut Kohl in den 1980er Jahren bekannt. Ob Absicht oder nicht, die Etablierung eines Medienmarktes mit privaten, kommerziellen Anbietern in Ergänzung zum öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem war eine wichtige politische Weichenstellung in Richtung Diversifizierung der Gesellschaft. Seither spricht man von „Fragmentierung“ oder gar „Atomisierung“ der Öffentlichkeit.

Die sog. Sozialen Medien ermöglichen jedoch andere Artikulationsmöglichkeiten des eben nicht verdrossenen Publikums, das gehört werden möchte. Und in der Tat ermöglicht das Netz die Verbreitung extremer Stimmen, die ob ihrer Polarisierung kein Gehör in den etablierten Medien finden. Darum dem Internet das Etikett „Fünfte Gewalt“ zu verleihen, wie es in den anglo-amerikanischen Medienwissenschaften üblich ist, bedarf jedoch einer kritischen Prüfung. Denn angesichts der Medienkonvergenz ist eine Grenzziehung zwischen „Medien“ und „Sozialen Medien“ gar nicht mehr möglich – wenn auch das Ringen der ehemals Etablierten um ihren Status spürbar ist.

Hier hätte es sich angeboten, den in Deutschland bereits eingeführten Begriff der Fünften Gewalt noch einmal auf seine andere Bedeutung hin zu überprüfen: Bedroht nicht der Einfluss von Lobbyarbeit und Public Relations (PR) die Vierte Gewalt, die teilweise zum Büttel vorgefertigter Agenden, Verdrehungen von Tatsachen und wohlfeiler Formulierungen wird – wie dies Thomas Leif und das Netzwerk Recherche regelmäßig anmahnen? Hier wären Themenfelder wie Kriegsmarketing, (Verhinderung der) Energiewende oder Sozialabbau anzusprechen gewesen, als echte Bedrohung von Presse- und Meinungsfreiheit sowie von demokratischer Meinungsbildung insgesamt. Derlei diskussionswürdige Punkte konnten im Podiumsgespräch nicht mehr aufgenommen werden, wo es eben um die Kritik gehen sollte, die an den Journalismus herantritt.

Alice Bota schilderte eindrücklich ihren konstruktiven Umgang mit Kritik an ihrer Ukraineberichterstattung, wobei sie durchaus klar machte, dass sie genau wisse, dass die größere Schuld für den Konflikt auf der Seite Russlands liege. Hier hakte Stefan Niggemeier ein, der angesichts mangelnder Fachkenntnisse über die Region nur sein Unbehagen darüber zum Ausdruck bringen könne, dass die Berichterstattung in allen großen Medien so auffällig einhellig und wenig differenziert erscheint. Die scherzhaft gemeinte Einladung Pörksens, Niggemeier nun in die Mangel zu nehmen und zum Guten zu wenden, machte tatsächlich einen wunden Punkt der Debatte deutlich: Das Empfinden von Berechtigung oder Nichtberechtigung bestimmter kritischer Äußerungen. Dass er den vielen anwesenden Journalisten schließlich zu viel Pessimismus attestierte und eine Verhaltenstherapie verordnete, hatte schon etwas erfrischendes angesichts der Auslassung vieler weiterer relevanter Themen, wie etwa die immer schlechter werdende materielle Ausstattung von Journalismus – im Vergleich zu der besseren der PR.

Während man in anderen Ländern sein Leben riskiert, um berichten zu können, fehlt – wie Frau Röpke anmerkte – hier vielfach der Mut, dies wirklich unabhängig zu tun. Obwohl die Bedingungen insgesamt wesentlich besser sind, ist eine gewisse Tendenz zum Konformismus nicht zu übersehen. In der Sendung des Bayerischen Rundfunks über die Veranstaltung kommt Andrea Röpke allerdings nicht mehr vor. Der Mediendienst Meedia verschweigt jedoch nicht die von ihr geschilderte Bedrängnis des kritischen Journalismus durch staatliche Stellen.

Denn auch bei uns gibt es Probleme in Sachen Pressefreiheit, die weit über die eigene Schere im Kopf oder die Weisung einer Chefredaktion oder Intendanz hinausgehen. Etwa wenn die Polizei die kritische Berichterstattung über Rechtsextreme erschwert und Journalisten, die dies tun, behindert und damit teilweise ausliefert.

Vom Anerkennen des Verdienstes der seriösen Medienkritik, die jenseits von Verunglimpfungen à la „Lügenpresse“- oder gar „Judenpresse“-Rufern den konstruktiven Teil der Auseinandersetzung mit unseren Medien ausmacht, bleiben wir nicht nur an diesem Abend weit entfernt. So wie man den Medienkritikern abverlangen muss, nicht alle Medien über einen Kamm zu scheren und die einzelnen Beiträge sachlich zu bewerten, müssen auch die Medienverantwortlichen lernen, ihre Kritiker zu unterscheiden und die relevante Kritik ernst zu nehmen. Letzteres unterstreicht auch Pörksen.

Wenn es jedoch den etablierten Medienmachenden nicht gelingt, sich als Beauftragte des Publikums zu sehen und tatsächlich die Position einer Vierten Gewalt einzunehmen, die sich auch durch das Label „Verschwörungstheoretiker“ nicht davon abhalten lässt, zunächst einmal ihre eigenen Recherchen durchzuführen, dann wird diese Aufgabe im Zeitalter digitaler Medien immer mehr von anderen übernommen werden. Denn eine Demokratie ist auf eine funktionierende Vierte Gewalt angewiesen, die die Mächtigen beobachtet und kontrolliert und nicht zum Sprachrohr derselben wird.


[«*] Dr. phil. Sabine Schiffer hat zur Islamdarstellung in den Medien promoviert. 2005 gründete sie das Institut für Medienverantwortung, das sie seither leitet. Sie doziert und publiziert zu den Themen: „Vierte contra Fünfte Gewalt“, Kriegsmarketing, Stereotype im Mediendiskurs sowie Medienbildung.

Für die NDS hat sie mit einem Kollegen u.a. die manipulierte Mediendebatte um die Energiepreise aufgearbeitet.

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