Das arme Griechenland und die Armseligkeit unserer Medien. Eine Dokumentation und einiges mehr zur totalen Meinungsmache.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

„Schon seit ihrer Wahl Ende Januar wurden die Exponenten der griechischen Regierung mit Polemiken und sachfremden Anfeindungen überzogen. Seit Alexis Tsipras in der Nacht zum Samstag nun angekündigt hat, ein Referendum abhalten zu wollen, gibt es kein Halten mehr. Offen feindselige und nicht selten persönlich beleidigende Tiraden scheinen jetzt unabdingbar zum guten Ton zu gehören“, so beschreibt Carsten Weikamp die Reaktion der wichtigsten Medien. Er hat für die NachDenkSeiten diese armselige Reaktion dokumentiert (Teil I). Wir verlinken außerdem in Teil II auf die Rede von Tsipras mit der Ankündigung des Referendums und das Dokument mit den Vorschlägen der „Institutionen“, die die Entscheidung für das Referendum ausgelöst haben. Außerdem haben einige Leserinnen und Leser der NachDenkSeiten auf den Beitrag zu den Methoden der Meinungsmache vom 26. Juni mit interessanten Analysen reagiert, die auch den Umgang mit Griechenland betreffen (Siehe Teil III). Danke vielmals allen Beteiligten. Albrecht Müller.

Teil I: Dokumentation der Reaktion einschlägiger Medien zum Vorschlag des griechischen Ministerpräsidenten für ein Referendum und zum Scheitern der Verhandlungen in Brüssel
Carsten Weikamp schildert seine Eindrücke bei der Recherche und Dokumentation des Medienechos:
Wer sich dem zu lange aussetzt, wird auch als Hartgesottener den Eindruck nicht mehr los, die “inkompetenten”, “überforderten”, “nervenden” “griechischen Superexperten” hätten mit ihrem “doppelzüngigen und boshaften Charakter” pünktlich zum Beginn der Sommerferien in Deutschland in ihrem “puren Zynismus” ein “kindisches Kasperltheater” “aus dem Hut gezaubert”, für das jeder andere “zurecht vom Hof gejagt würde”. Auf dem Weg zu einem “neuen Tiefpunkt auf der nach unten offenen Tsipras-Skala” habe man in “verantwortungsloser” Weise, “lächelnd” und in einem “Akt politischer Torheit” die “Demokratie verraten”, um dem Volk die “Verantwortung zuzuschieben, die man selbst tragen müsste”, wahlweise auch “die Pistole an den Kopf der europäischen Demokraten zu setzen” und weiterhin “die Schuld für das eigene Ungenügen bei anderen zu suchen”. Mit anderen Worten, es sei “Höchste Zeit, den Zirkus zu beenden.” – Alles Begriffe, die einem im Moment aus dem Netz entgegenspringen, und nicht einmal die wildesten.

Neben den üblichen Verdächtigen von Bild bis Seehofer tun sich dabei besonders die Kommentatoren der großen deutschen Printmedien hervor. Wir haben Ihnen hier [PDF – 156 KB] einige besonders markante Beispiele aus den Reaktionen der ersten 24 Stunden nach Ankündigung zusammengestellt. Man scheut sich angesichts des Niveaus der Vorwürfe, den Begriff “lesenswert” zu verwenden. Um die Massivität der Diffamierung innerhalb des kurzen Zeitraums zu begreifen, lohnt der Blick in die Dokumentation allerdings sehr.

Teil II: Rede des griechischen Ministerpräsidenten mit der Ankündigung und Begründung des Referendums (a.) und Vorschlagspapier der Institutionen (b.)

  1. Fernsehansprache Tsipras in der Nacht vom 26. auf den 27. Juni 2015 [PDF – 127 KB]
  2. Vorschläge/Liste von Europäischer Union, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank. Sie lösten den Schritt des griechischen Ministerpräsidenten zum Vorschlag eines Referendums aus:
    und dazu auch noch die dazugehörige Pressemeldung der Europäischen Kommission
    Leider beides nur auf Englisch.

Teil III: Zwei Mails von NachDenkSeiten-Leserinnen und Lesern mit Analysen zu den Methoden der Meinungsmache, dargestellt am Beispiel des Umgangs mit Griechenland

  1. Mail von Iris Pape vom 28.6.2015
    …erneut finden sich Äußerungen, die nahelegen, die Geldgeber seien berechtigt, allein einen “Kompromiss” auszuhandeln. Von der Beteiligung des anderen Verhandlungspartners ist keine Rede. Auf der Wetterseite von “heute.de” findet sich am Sonntag, 28.06.2015 für 11.12 Uhr unter folgender Kopfzeile die nachfolgend zitierte Nachricht:
    11:12Steinmeier fassungslos über Athen

    “Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat sich “fassungslos” über das Krisenmanagement des griechischen Regierungschefs Alexis Tsipras geäußert. Der ‘Welt am Sonntag” sagte er, die Geldgeber hätten ‘mit viel gutem Willen’ einen Kompromiss für einen Ausweg aus der Krise gefunden.’ Ich verstehe nicht, wie eine gewählte griechische Regierung seinem Volk empfiehlt, den europäischen Vorschlag abzulehnen”, so Steinmeier. Ministerpräsident Tsipras hatte seinen Bürgern für das geplante Referendum geraten, “ein großes Nein zum Ultimatum” der Gläubiger zu sagen.” (Hervorhebungen I.P.)

    Im letzten Satz wird korrekterweise der Begriff “Ultimatum” verwendet, jedoch nur, um Tsipras zu zitieren. Dass diese beiden Begriffe – das Ultimatum und der Kompromiss – eben nicht gleichrangig zu verstehen sind, sondern grundverschiedene Konzepte darstellen, scheint nicht weiter zu stören.
    Im Gegenteil wird jetzt eine zweite – von Ihnen beschriebene – Methode der Meinungsmache praktiziert, nämlich die Wiederholungshäufigkeit. Jetzt wird so lange auf den geneigten Nachrichtenleser und -Hörer eingeredet, bis er die Mär vom Kompromiss am Ende glaubt und genauso “fassungslos” ist wie Steinmeier.
    Nur gut, dass Mario Draghi einen kühlen Kopf behält. (A.M.: mal abwarten)

  2. Mail von J.K. vom 28.6.2015:

    …was wir gerade hinsichtlich der gescheiterten Verhandlungen mit Griechenland und dem von Tsipras anberaumten Referendum erleben, ist doch ein Paradebeispiel der Meinungsmache. Allein die Äußerungen von Djisselbloem (die wirtschaftliche Lage in Griechenland wird sich nun rasch verschlechtern, aber daran könne man nun nichts mehr ändern) und Schulz sind an Perfidie nicht zu überbieten. Wobei das, was Schulz (SPD) gesagt hat, nur noch widerwärtig ist: “Die weitgehenden Angebote, die insbesondere (EU-Kommissionschef) Jean-Claude Juncker durchgesetzt hat, als Erniedrigung zu bezeichnen, ist rational nicht mehr nachvollziehbar und höchstens erklärbar als blanke Ideologie”. …

    Das Narrativ – die Erzählung, die Botschaft – der “Qualitätsmedien” ist gesetzt: Allein Tsipras und die Syriza sind an dem Fiasko schuld. Sie haben Griechenland innerhalb von sechs Monaten an die Wand gefahren. Als ob unter den korrupten Regierungen der PASOK und der ND alles in bester Ordnung gewesen wäre – der Unterschied: diese haben die Auflagen der Troika skrupellos gegen die eigene Bevölkerung durchgesetzt. Dass die absurde neoliberale Austeritätspolitik, die die Troika und Deutschland Griechenland oktroyiert haben, am Anfang des ganzen stand, wird komplett verschwiegen. Explizit auch die Verantwortung Deutschlands mit seiner beggar-thy-neighbour-Politik.

    Zum Gebaren der sogenannten Qualitätsmedien nur zwei Beispiele von diesem Wochenende:
    Einmal ein Hinweis auf einen Kommentar des bekannten PR-Journalisten Roland Nelles auf Spiegel Online und dann ein Kommentar von Kornelius in der Süddeutschen Zeitung.
    Nelles Erguss ist nicht besonders elaboriert, aber liefert die Hetzparolen gegen Griechenland in geballter Form.
    Kornelius’ Beitrag ist perfide. Semantisch keine plumpe Hetze, aber der Tenor fordert klar einen Austritt Griechenlands aus dem Euro, zum Wohle der Europäischen Gemeinschaft und der Europäischen Idee und zum Wohle Griechenlands, und natürlich trägt nur Griechenland die Verantwortung, da es sich im Gegensatz zu Spanien, Portugal und Irland  als “reformunfähig” erwiesen hat. Indirekt bestätigt Kornelius damit Naomi Kleins „Schock-Strategie“. Die Euro-Krise ist das entscheidende Vehikel zur Durchsetzung der neoliberalen Agenda.

    Zu nächst zu Nelles:

    Referendum in Griechenland: Die verwirrte Nation
    Ein Kommentar von Roland Nelles

    “… sie nerven, die Griechen”

    “… das Pleite-Land”

    “… wie sehr die griechische Sturheit den Rest Europas quält?”

    ” …. den verrotteten Staatsapparat”

    “…. ein Referendum ….. Die Ankündigung ist eine weitere Zumutung”

    “Premier Tsipras drückt sich, Verantwortung für sein Volk zu übernehmen ….. zu rationaler Politik ist er offenbar nicht fähig.”

    “… betrügt Tsipras sein Volk.”

    “Griechenland verdient bessere Politiker”

    “Griechenland ist eine verwirrte Nation”

    Das Folgende ist allerdings in höchstem Maße manipulativ. Eine klare Verdrehung der Tatsachen. Man versucht zu helfen und die Griechen lassen sich nicht helfen und halten sich an keine Regeln:

    “Wendet sich Griechenland in einem Referendum mit großem Getöse von Europa ab, wäre dies ein Schlag ins Gesicht all jener, die seit Jahren mühsam versuchen, Griechenland zu helfen. Die Griechen würden damit endgültig dokumentieren, dass sie nicht bereit sind, sich an die Regeln der Gemeinschaft zu halten.”

    Und hier zu Kornelius:

    Griechenland braucht seine eigene Währung
    Kommentar von Stefan Kornelius

    „Griechenlands Schicksal ist ein Lehrstück über die Geschichte der Europäischen Union. An kaum einem anderen Land lässt sich so messerscharf ablesen, welche Kräfte auf die Mitglieder der Gemeinschaft wirken – und was die Menschen aushalten. Deswegen ist die Union auch an keinem Land so sehr verzweifelt wie an Griechenland.

    In der Krise hat sich die Union deshalb auf eine andere disziplinierende Kraft geeinigt, der sich viele Staaten gebeugt haben: Irland, Portugal, Spanien haben die strukturellen Defizite ihrer Volkswirtschaften erkannt und reformiert. Sie haben sich einer Reformlogik gebeugt, die viele zwar als hart und fremdbestimmt empfanden, die aber den volkswirtschaftlichen Auslöser der Krise behob: die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und das Missverhältnis zwischen Ausgaben und Einnahmen in ihren Staatskassen.

    Griechenland ist in all den Jahren diese Reform nicht gelungen.“

    Zum Abschluss noch der Link auf einen Text, der zeigt, wie anders, wie demokratisch, wie aufklärend Journalismus sein könnte.

    Es geht um einen Artikel von Frank Schirrmacher.
    Den Tipp verdanken wir Oskar Lafontaine:

    Der griechische Weg
    Demokratie ist Ramsch
    Wer das Volk fragt, wird zur Bedrohung Europas. Das ist die Botschaft der Märkte und seit vierundzwanzig Stunden auch der Politik. Wir erleben den Kurssturz des Republikanischen.
    01.11.2011, von FRANK SCHIRRMACHER
    Quelle: faz

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