„Zerstörtes Vertrauen“

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„Zerstörtes Vertrauen“, das ist seit letzten Samstag das vom deutschen Finanzminister Schäuble ausgegebene Losungswort, das alle Hardliner in der Euro-Gruppe, aber auch alle deutschen Fernsehjournalisten nachplappern, von Sigmund Gottlieb und natürlich Rolf-Dieter Krause in der ARD bis Claus Kleber und Elmar Theveßen im ZDF. Es ist als habe man es in der Politik und in den Leitmedien fast nur noch mit Papageien zu tun.

Da wagt Alexis Tsipras den „Ritt auf der Rasierklinge“ und legt den „Partnern“ in Brüssel fristgemäß am letzten Donnerstagabend solche Vorschläge vor, die diese selbst am 26. Juni als letztes Angebot an Athen sogar öffentlich bekannt gegeben haben. Trotz des mit 62 Prozent überwältigenden Neins der Griechen erkämpft sich der griechische Ministerpräsident – dem Zwang der Realitäten unterliegend – eine breite Zustimmung für dieses Entgegenkommen (manche sprachen sogar von einer Kapitulation) gegenüber der Euro-Gruppe im Parlament – sogar gegen den energischen Widerstand innerhalb der Syriza, seiner eigenen Partei.

Das half ihm nichts, Schäuble und Merkel drehen das Würgeisen am Hals der Griechen nur fester zu. Von Wolfgang Lieb.

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Auf die neuen griechischen Vorschläge gab es am letzten Samstag wohlwollende Empfehlungen der „Institutionen“, also der EZB, dem IWF und der EU-Kommission an die Euro-Finanzminister. Niemand stellte bis dahin die „Vertrauensfrage“. Bis dann Schäuble vor dem ECOFIN-Treffen in einem dreimünitigen Pressestatement, das – ja man muss es so hart sagen – geradezu krankhafte Verbitterung dieses Politikers gegenüber der neuen griechischen Regierung ausdrückte, die Losung ausgab, dass die Vorschläge „bei weitem nicht ausreichend“ seien und dass das „Vertrauen“ in die griechische Regierung „durch die letzten Monate in einer unfasslichen Weise zerstört worden ist, bis in die letzten Tage und Stunden hinein“. (Dieses Statement wurde im heute-journal vom Samstagabend (11. Juli) als historisches Dokument in Gänze ausgestrahlt.)

Um seinen Drohungen zu unterstreichen streute der „Rächer“ der angeblich „enterbten Deutschen“ noch einen Plan, mit dem er einen Grexit-Plan androhte. Danach hätten die Griechen 50 Milliarden Staatsvermögen in einen von Luxemburg zu verwaltenden Treuhandfonds einzubringen oder aber sollten sie „vorübergehend“ aus dem Euro ausscheiden [PDF – 32,1 KB]. Die „Auszeit“ sollte die Leimrute sein, um die andern Euro-Länder für einen raschen Grexit zu gewinnen, den Schäuble spätestens seit der Wahl Tsipras systematisch anstrebt.

Wie Kavalleriepferde nach dem Hornsignal jagte nun z.B. der unter dem Druck der rechtspopulistischen „wahren Finnen“ stehende finnische Finanzminister Alexander Stubb Schäuble hinterher. Auch die von der EU hochgepäppelten baltischen Staaten und die Slowakei setzten nach. Selbstverständlich durfte Schäubles Pudel, der Vorsitzende der Euro-Gruppe Dijsselbloem nicht fehlen, den Griechen das „Vertrauen“ abzusprechen.

Urplötzlich war das Angebot der Euro-Grupp vom 26. Juni nicht mehr existent und die mühselig dem Parlament abgerungenen griechischen Vorschläge dementsprechend nichts mehr wert. Mit der Begründung des „zerstörten Vertrauens“ wurden die Würgeisen beim griechischen Ministerpräsidenten und seinem neuen Finanzminister plötzlich um viele Umdrehungen fester gezogen werden.

Die Finanzminister befahlen als Vertrauensbeweis, dass die umstrittenen „Reformen“ der Mehrwertsteuer und des Rentensystems und andere Auflagen binnen zweier Tage, bis zum 15. Juli durchs Parlament gepaukt werden müssten. Bevor überhaupt weiterverhandelt werden könne, müssten wirtschafts- und finanzpolitische Anpassungsmaßnahmen verschärft und z.B. die durch Gerichtsurteil kassierte Rentenreform von 2012 finanziell ausgeglichen werden. Das Stromnetz soll sofort privatisiert werden. Bis hinein in die Sonntagsöffnung von Geschäften gehen die Befehle. Einmal mehr spielten sich die Finanzminister wie eine Besatzungsmacht auf, für die es offenbar nur noch die bedingungslose Kapitulation der Griechen gibt.

Da war urplötzlich ein Papier in die Öffentlichkeit gespielt, in dem von einem Finanzbedarf Griechenlands von bis zu 80 Milliarden die Rede war (Eintrag Rolf-Dieter Krause vom 11.07.2015 15:41 Uhr). Kein Mensch konnte diese Aufstellung überprüfen, aber die Liste macht deutlich, dass es im Wesentlichen – wie in den zurückliegenden fünf Jahren der „Hilfen“ – erneut nur um die weitere Rückzahlung von früheren Krediten und Zinsen oder um die Retten von Banken geht.

Auch diese horrende Summe wurde unhinterfragt in unseren Medien übernommen und im gestrigen ARD-Presseclub durfte der Bild-Mann Dirk Hoeren gleich vorrechnen wie viel Euro das die Deutschen kosten würde.

Man will also in der EU, angetrieben von der deutschen Seite, den irrsinnigen Kreislauf von Hilfsprogrammen zur Ablösung von Krediten und Zinsforderungen offenbar fortsetzen mit dem Ergebnis, das nach jeder neuen Milliardenhilfe den Griechen nur weitere „Sparmaßnahmen“ abverlangt werden, bis sie dann endlich noch ärmer sind als die – im EU-Jargon – angeblich so erfolgreichen Balten oder Slowaken. Pauperismus als Leitziel der Europäischen Union?

Merkel und Schäuble lehnen einen Schuldenschnitt strikt ab, weil sie offensichtlich Angst haben, dass auch andere Länder aus der Zwangsbewirtschaftung durch die Euro-Gruppe ausscheren könnten. Deshalb kommt für sie eine Umschuldung nur unter der Strafe des Ausscheidens aus dem Euro in Frage. (Wie in dem Grexit-Plan von Schäuble als Lockmittel vorgeschlagen.)

Man muss sich einmal klar machen, was dieser neue Kampfbegriff „zerstörtes Vertrauen“ bedeutet. „Vertrauen“ ist ein Wort das sich auf eine persönliche Beziehung, auf eine Einschätzung der Redlichkeit von Personen richtet. Schäuble und alle die in seinem Fahrwasser schwimmen, entziehen also der Person Tsipras und seinen Regierungsmitgliedern ihr Vertrauen.

Das heißt nichts anderes, als dass es nicht mehr um eine Lösung eines politischen oder finanziellen Problems geht, sondern nur noch darum dass man mit den handelnden Personen auf griechischer Seite nichts mehr zu tun haben will. Wenn Griechenland den Euro behalten will, dann heißt das für Schäuble nichts anderes, als dass die derzeitige Regierung weg muss.
Merkel und Schäuble wollen ein Exempel statuieren, dass eine Alternative zu ihrer Politik ohne Gnade verhindert wird.

Das ist das Signal, das an François Hollande oder an Matteo Renzi oder auch an die Podemos in Spanien ausgesandt werden soll.
Wenn sich Frankreich und Italien nicht wehren, dann werden sie demnächst wie die Griechen unter der Kuratel der von den Deutschen angeführten Nordeuropäer stehen.

p.s.: Die Rolle des Vizekanzlers und der SPD als Koalitionspartner an diesem für die Zukunft Europas so entscheidenden Wochenende ist nur noch peinlich.

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