Das Drei-Säulen-Modell in der Altersvorsorge funktioniert nicht

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Ingo Schäfer über die Illusion von der Lebensstandardsicherung durch zusätzliche private und betriebliche Altersvorsorge. Ingo Schäfer ist Referent bei der Arbeitnehmerkammer Bremen, er hat kürzlich eine Studie zum Thema veröffentlicht. Das Interview führte Patrick Schreiner.

Sie haben in der Schriftenreihe der Arbeitnehmerkammer Bremen eine Studie vorgelegt, in der Sie die Konsequenzen der Rentenpolitik der letzten Jahrzehnte untersuchen. Was ist denn das Neue an dieser Studie – Kritik an Riester-Rente und an der Absenkung des Niveaus der gesetzlichen Rente gibt es doch schon zuhauf?

Schäfer: Das ist sicherlich richtig. Neu an unserer Studie ist, dass wir versucht haben, die Rentenpolitik der Bundesregierung – wenn man so möchte – “abstrakt” durchzurechnen. Bisher war die Kritik ja vor allem, dass man einzelne private Vorsorgeprodukte sich angeschaut hat, um deren Schwächen – auch gegenüber der gesetzlichen Rente – festzustellen. Man hat darüber berichtet, was diese Produkte nicht können. Und man hat berichtet, dass zu wenig Menschen für das Alter vorsorgen. Das sind alles richtige Argumente. Wir haben uns nun aber gefragt: Funktioniert das Drei-Säulen-Modell, das die Rentenpolitik der letzten Jahrzehnte geprägt hat, denn überhaupt idealtypisch?

Was meint idealtypisch?

Schäfer: Das meint unter den Annahmen der Bundesregierung. Wir haben die finanzielle Situation im Alter für eine Person berechnet, die immer durchschnittlich verdient, nie arbeitslos wird, auf allen Vorsorgewegen spart – alles gemäß dem so genannten Drei-Säulen-Modell der Bundesregierung. Damit ist das Zusammenspiel gemeint aus gesetzlicher Rente, privater Rentenversicherung (in der Regel die so genannte “Riester-Rente”) sowie einer weiteren Rentenversicherung, entweder betrieblich oder nochmal privat. Dieses Modell ist die Grundlage der Rentenpolitik in Deutschland seit etwa den frühen 2000er Jahren. Die Bundesregierung sagt ja, wenn man auf den drei genannten Vorsorgewegen spart, dann sei eine Lebensstandard-Sicherung weiterhin möglich. Und wir wollten nun nachprüfen, ob das überhaupt funktioniert.

Und tut es das?

Schäfer: Nein, das Ergebnis ist, dass es nicht funktioniert, und zwar aus verschiedenen Gründen. Zum Ersten reichen die Beiträge, die die Bundesregierung vorgibt, die man zahlen bzw. sparen soll, nicht aus – also vier Prozent Riester und zwei bis drei Prozent in einem weiteren Vorsorgeprodukt. Das reicht bei Weitem nicht aus, um die Leistungskürzungen bei der gesetzlichen Rente zu kompensieren. Zum Zweiten ist in dem neuen Drei-Säulen-Modell keine Lebensstandard-Sicherung mehr vorgesehen. Weder die gesetzliche Rentenversicherung noch die privaten Zusatzversicherungen orientieren sich im Alter an der Lohnentwicklung. Rentnerinnen und Rentner werden also nicht mehr an der Lohnentwicklung beteiligt. In der gesetzlichen Rentenversicherung sinkt das Rentenniveau, damit sie billiger wird. Die privaten Vorsorgeprodukte steigen meist noch langsamer, oft sogar nur wenn Überschüsse anfallen. Bei der privaten Rente sind zudem noch recht hohe Verwaltungskosten zu berücksichtigen. Wir haben nun versucht herauszufinden, was nun vor allem auch während des Rentenbezugs geschieht. Die Bundesregierung hat immer berechnet, welche Situation beim Rentenzugang einer idealtypischen Person gegeben ist – also welches Niveau dieser Versicherte beim Eintritt in die Rente rechnerisch und idealtypisch erreicht. Wir haben gefragt, was passiert eigentlich, wenn die Versicherten daran anschließend 20 bis 25 Jahre Rente beziehen und die Rente eben nicht mehr den Löhnen folgt. Das tut sie im Drei-Säulen-Modell ja nicht mehr.

Und was war das Ergebnis?

Schäfer: Das Rentenniveau sinkt während des Rentenbezugs von etwa 70 Prozent auf etwa 63 Prozent. Das entspricht einem Rückgang um gut sieben Prozentpunkte, was faktisch ein Verlust von gut zehn Prozent bedeutet. Die Gründe dafür sind, dass die gesetzliche Rente langsamer steigt als die Löhne, das ist die politische Vorgabe, und dass auch die Bezüge aus privaten Rentenversicherungen zumeist langsamer steigen als die Löhne. Wobei die Bundesregierung eine jährliche Steigerung der gesetzlichen und privaten Renten um zwei Prozent pro Jahr annimmt – das erreichen die privaten Renten in der Realität gar nicht. Damit bleibt die Rente über 20 Jahre jedes Jahr hinter der Lohnentwicklung zurück.

Sie schreiben nun, dass es zu einer höheren Beitragsbelastung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern komme – die Leistungen werden also nicht nur schlechter, sondern auch teurer?

Schäfer: Genau. Anfangs der 2000er Jahre gab es Berechnungen, dass der Beitragssatz der gesetzlichen Rentenversicherung ohne Reformen auf 24 bis 26 Prozent ansteigen dürfte. Manche Forscher, vor allem eher wirtschaftsnahe, gingen von 28 bis 29 Prozent aus. Wenn man jetzt das Modell der Bundesregierung nimmt, also vier Prozent Riester und zwei bis drei Prozent zusätzlicher Vorsorge und 22 Prozent Beitragssatz zur gesetzlichen Rente, dann macht das 28 bis 29 Prozent in der Summe aus. Wir bewegen uns also beim Gesamtbeitrag am oberen Rand dessen, was einst vorhergesagt wurde, und das bei deutlich schlechteren Leistungen. Dabei sollte man noch einen gedanklichen Schritt zurück machen. Ich habe ja bislang nur über die Alterssicherung gesprochen. Die Altersrente geht zurück, und zwar selbst im idealtypischen Drei-Säulen-Modell der Bundesregierung. Die gesetzliche Rente sichert aber auch bei Erwerbsminderung und im Todesfall (hier die Hinterbliebenen) ab. Diese beiden Risiken sind bei den Privatversicherungen in aller Regel nicht mit abgesichert, und in den Modellrechnungen der Bundesregierung auch nicht. Die Bundesregierung rechnet die gesamten Beiträge von vier Prozent Riester und zwei bis drei Prozent zusätzlicher Vorsorge alleine dafür ein, das Altersrisiko abzudecken. Wenn man also alle drei Risiken abdecken möchte, müsste man die Beiträge nochmal deutlich erhöhen.

Bei der Frage, welche Konsequenzen zu ziehen sind, haben sie sich eher zurückgehalten. Sie fordern ehrlichere Modellrechnungen der Bundesregierung, und sie schreiben, dass das Drei-Säulen-Modell überdacht werden müsse. Geht das konkreter?

Schäfer: Klar geht das konkreter. Es ist offensichtlich, dass private Vorsorge die Alterssicherung nicht besser machen kann. Es ist auch offensichtlich, dass wir mit dem Drei-Säulen-Modell die Alterssicherung nicht billiger machen können. Wir sollten daher rentenpolitisch besser wieder alleine auf die gesetzliche Rentenversicherung setzen. Dort haben wir viele Vorteile: Es ist eine Versicherung für alle, die auf dem Solidarprinzip beruht. Die zunehmende Ungleichheit, die aus der privaten Rentenversicherung resultieren wird, wo sich schon geringste Renditeunterschiede am Lebensende deutlich in den Bezügen niederschlagen, kennt die gesetzliche Rentenversicherung nicht. Letztere ist zudem gesetzlich kontrolliert und demokratisch legitimiert, auch durch die Selbstverwaltung in der Rentenversicherung. Bei den privaten Versicherungen hingegen entscheiden irgendwelche Versicherungsmathematiker und Vorstände über Leistungen und die Verteilung von Risiken, die bei Privaten zudem in der Regel die Versicherten tragen. Da die private Rentenversicherungen nun aber dennoch weder billiger noch leistungsfähiger sind, stellt sich die Frage, weshalb man überhaupt noch auf die setzen sollte. Wir sagen: Noch gibt es das Drei-Säulen-Modell nicht allzu lange, lasst uns zurückgehen zu einer gesetzlichen Rentenversicherung mit Lebensstandard-Sicherung – unter Inkaufnahme steigender Beitragssätze zur Rentenversicherung, natürlich ohne Riester und Co und daher bei insgesamt geringerem Gesamtbeitrag. Das “Preis-Leistungs-Verhältnis” ist bei der gesetzlichen Rente schlicht und einfach besser.

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