Nachtrag zu Koalitionsausschuss: Merkel führt die SPD vor

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Mehrere Leser haben mich darauf aufmerksam gemacht, dass ich in meiner Bewertung der Ergebnisse des Koalitionsausschusses den Kinderzuschlag zu unkritisch dargestellt hätte. Deshalb möchte ich diese Ausführungen ergänzen.
Zum anderen ging gerade eine Meldung durch die Nachrichten, wonach die Bundesagentur für Arbeit (BA) angesichts der geplanten Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung auf 3,3% für das kommende Jahr 2008 wieder mit einem operativen Defizit von weit über 5 Milliarden Euro rechnet. Die Konsequenzen lassen sich leicht ausrechnen: Entweder müssen die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der BA noch weiter als schon geschehen zurückgefahren werden oder die Kosten für das Alg I müssen gesenkt werden, durch Kürzung oder durch kürzere Auszahlungsfristen. Wolfgang Lieb

Ich hatte geschrieben, dass die Erhöhung des Kinderzuschlages um bis zu 200 Millionen Euro deshalb erfreulich sei, weil er „Eltern mit geringem Einkommen, die in ihrem Haushalt unverheiratete Kinder unter 25 Jahre versorgen müssen, das Existenzminimum sichern, ohne sich dem finanziellen Striptease bei einer Hartz-IV-Aufstockung unterziehen zu müssen.“ Das ist falsch.

Auch beim Kinderzuschlag werden, wie bei den Hartz-IV-Antragsstellern das Einkommen und das Vermögen nach dem gleichen Prinzip angerechnet. Es entfallen, weil die Eltern ja eine geringfügig entlohnte Beschäftigung haben, die Eingliederungsvereinbarungen und die Verpflichtung zur Annahme von sog. Arbeitsgelegenheiten (1-Euro-Jobs).
In der Informationsbroschüre „A bis Z zum Kinderzuschlag“ [PDF – 224 KB] des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend heißt es:

Der Kinderzuschlag richtet sich an gering verdienende Eltern, die mit ihren Einkünften zwar ihren eigenen Unterhalt finanzieren können, nicht aber den Unterhalt ihrer Kinder. Ohne Kinderzuschlag wären diese Eltern zusätzlich auf Arbeitslosenhilfe bzw. ab 01.01.2005 auf Arbeitslosengeld I/II angewiesen.

Eltern die einen Antrag auf Kinderzuschlag stellen, müssen sich einer mit Hartz-IV-Empfängern vergleichbaren Überprüfung ihres Einkommens und des Vermögens (von Eltern und Kindern) unterziehen. D.h. „Der Kinderzuschlag wird gezahlt, wenn das elterliche Einkommen oder Vermögen einem Betrag in Höhe des ohne Kinder jeweils maßgeblichen Arbeitslosengeldes II oder Sozialgeldes entspricht (Mindesteinkommensgrenze).“
Durch den Kinderzuschlag soll also nur die „Hilfebedürftigkeit“ vermieden werden, d.h. eine Aufstockung nach Hartz-IV umgangen werden.

Wie die Aufstockung von „Löhnen“ unter dem Existenzminimum nach Hartz-IV ist auch der Kinderzuschlag somit letztlich eine Art Kombilohn und eine weitere indirekte Subvention der Arbeitgeber. Der Unterschied ist allenfalls, dass der Kinderzuschlag als besondere familienpolitische Leistung dargestellt werden kann.

Es ist schon bemerkenswert, dass die Bundesagentur für Arbeit sich erst nach dem Beschluss zur Absenkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge auf 3,3 Prozent zu Wort meldet und für das kommende Jahr auf Grund dieser Kürzung ein operatives Defizit von 5,398 Mrd. Euro anmeldet. Warum hat die BA sich nicht vorher gemeldet oder warum haben die Großkoalitionäre nicht vor ihrem Beschluss einmal nachgefragt?

Der Bundestag wird über die Senkung des Arbeitslosenbeitrages auf 3,3 Prozent schon am Freitag, dem 16. November 2007 entscheiden.

Im Entschließungsantrag des Ausschuss für Arbeit und Soziales heißt es:

Vorgesehen ist, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung zum 1. Januar 2008 von 4,2 auf 3,3 Prozent zu verringern. Falls dieser Beitragssatz bis 2011 nicht ausreicht, solle die Bundesagentur für Arbeit (BA) keinen Bundeszuschuss als Ausgleich bekommen.

Man kann sich leicht vorstellen was das bedeutet:
Die BA muss das Defizit von über 5 Milliarden Euro selbst ausgleichen. Sie muss also entweder ihre ohnehin schon drastisch eingeschränkten arbeitspolitischen Maßnahmen noch weiter zurückfahren oder sie muss das Geld beim Arbeitslosengeld I, das aus ihrem Haushalt finanziert wird, einsparen. Das wäre nur über eine Senkung der Auszahlungsbeträge oder ggf. durch Maßnahmen möglich, die eine Verkürzung des Bezugs des Arbeitslosengeldes ermöglichten (z.B. späterer Auszahlungsbeginn, Wartefristen, Ausnahmeregelungen etc.).

Außerdem wird natürlich der Druck auf die Arbeitsagentur erhöht, die Arbeitslosengeld I-Empfänger, also die (relativen) Kurzzeitarbeitslosen noch schneller zu vermitteln um Geld zu sparen. Wäre das noch positiv zu bewerten, so führt das dazu dass die Alg II-Empfänger (aus dem Bundeshaushalt finanziert) noch mehr als schon bisher vernachlässigt werden und sich ihre Vermittlungschancen noch mehr verringern.

Interessant ist auch der Beitrag „Was die Beitragssenkung dem einzelnen bringt“ in Spiegel Online. Hier finden Sie nicht nur die Tabelle der Entlastungen. Der Spiegel weißt auch zu Recht darauf hin, dass die geplante Erhöhung des Pflegeversicherungsbeitrags, der nach der aktuellen Gesetzesvorlage Mitte 2008 um 0,25 Prozentpunkte auf 1,95 Prozent erhöht werden soll, einen Teil des gewonnenen Geldes wieder auffrisst.

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