Terror der Todesengel

Emran Feroz
Ein Artikel von Emran Feroz

Abseits der Öffentlichkeit häufen sich in Afghanistan die Berichte über Drohnen-Angriffe. Das Land ist das am meisten von Drohnen bombardierte Land der Welt. Wer dabei getötet wird, ist oftmals unklar. Von Emran Feroz.

In einem seiner letzten Interviews holt der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen Zettel hervor, auf dem die Namen einiger afghanischer Soldaten stehen, die in den letzten Tagen getötet wurden. Er bittet darum, sie vorlesen zu dürfen, was er kurz darauf auch macht. Ghanis Liste ist jedoch unvollständig. In den letzten Tagen wurden nicht nur Soldaten der afghanischen Armee getötet, sondern auch andere Afghanen, die allerdings namenlos bleiben. Sie wurden Opfer von US-amerikanischen Drohnen, die seit über einem Jahrzehnt über den Himmel am Hindukusch schweben und über die niemand spricht.

Am 7. Oktober 2001 begann in Afghanistan die Geschichte des US-amerikanischen Drohnen-Krieges. An jenem Tag, kurz nach den Anschlägen des 11. Septembers, hatten US-Piloten im Combined Air Operations Center (CAOC) in Saudi-Arabien eine Menschenmenge im südafghanischen Kandahar, dem Machtzentrum der damaligen Taliban-Regierung, im Visier. Das Ziel der Operation war der Führer der Gruppierung, Mullah Mohammad Omar. Plötzlich drückte jemand auf den Knopf und eine Hellfire-Rakete schoss in die Menge. Menschen wurden zerfetzt, Körperteile flogen durch die Luft, wie viele starben, war unklar. Währenddessen konnte Omar fliehen und blieb lange verschwunden. Heute weiß man, dass er vor einiger Zeit einem natürlichen Tod erlag.

Seitdem gehören Drohnen-Angriffe zum Alltag des Krieges in Afghanistan. Laut dem „ The Bureau of Investigative Journalism“ (TBIJ), einer in London ansässigen Journalisten-Organisation, ist das Land am Hindukusch das am meisten von Drohnen bombardierte Land der Welt. Allein im Zeitraum 2001 bis 2013 fanden in Afghanistan mindestens 1.670 Drohnen-Angriffe statt – mehr als in jedem anderen Land.

Wie viele Menschen durch diese Angriffe bis jetzt getötet wurden, ist unklar. Vor Kurzem wurde bekannt, dass mindestens 6.000 Menschen Opfer des Drohnen-Krieges wurden. Dank Recherchen von Organisationen wie TBIJ oder Reprieve, einer in Großbritannien ansässigen Menschenrechtsorganisation, wusste man zuvor, dass rund 3.000 dieser Opfer aus Pakistan, dem Jemen und Somalia stammen. Demnach kann man davon ausgehen, dass die 3.000 weiteren Opfer hauptsächlich Afghanistan zuzuordnen sind. Genau sagen kann man das jedoch nicht. Daten aus Afghanistan sind praktisch kaum vorhanden. Es existieren so gut wie keine Zahlen und Namen. Des Weiteren fliegen die Drohnen seit Jahren auch über den Irak und werden seit einiger Zeit auch in Libyen und in Syrien eingesetzt.

Vor wenigen Monaten kam TBIJ zum Schluss, dass lediglich zwölf Prozent der bekannten Drohnen-Opfer tatsächlich militante Kämpfer waren. Nur vier Prozent aller Opfer konnten auf Al-Qaida zurückgeführt werden.

Über 500 Tote in neun Monaten

Berichte über Drohnen-Angriffe in Afghanistan häufen sich in letzter Zeit. Vor allem der Osten sowie der Süden des Landes werden von den „Todesengeln“, wie die dortigen Paschtunen die Drohnen nennen, heimgesucht. Allein im Juni sollen um die zwanzig Drohnen-Angriffe stattgefunden haben. Dabei wurden über einhundert Menschen getötet. Anfang Juni traf die Hellfire-Rakete einer Drohne eine Nomadengruppe in Khost im Osten Afghanistans. Die Nomaden hatten die Beerdigung eines Stammesältesten besucht und befanden sich auf dem Nachhauseweg. Berichten zufolge wurden über dreißig Menschen bei dem Angriff getötet. Im Juli wurden mindestens neunundvierzig weitere Menschen in der östlichen Provinz Nangarhar getötet. Ohne jeglichen Beweis wurden alle Todesopfer von den Medien zu „IS-Extremisten“ deklariert. Selbiges geschah in der gleichen Provinz im August ein weiteres Mal, als man von sechsundsechzig getöteten Terroristen sprach. Mindestens fünfhundert Menschen sollen seit Beginn des Jahres 2015 getötet worden sein.

„Es ist überhaupt nicht klar, wer bei diesen Angriffen getötet wird. Oft stellt sich erst im Nachhinein heraus, dass jene, die Regierungssprecher oder Medien als getötete Terroristen bezeichnet hatten, einfache Bauern, Jäger oder Nomaden waren“, meint etwa Waheed Mozhdah, ein in Kabul ansässiger politischer Analyst.

Dass die Drohnen-Berichterstattung gestiegen ist, bedeutet jedoch nicht, dass tatsächlich mehr Drohnen vor Ort sind. „Das mediale Interesse scheint gestiegen zu sein, seitdem es heißt, dass ein Ableger des IS-Kalifats in Afghanistan agiert“, meint etwa der britische Investigativjournalist Chris Woods, der vor Kurzem ein umfangreiches Buch zum Drohnen-Krieg veröffentlicht hat und auch für das TBIJ tätig ist. „Offiziellen Daten zufolge ist die Zahl der Luftangriffe im Vergleich zum vergangenen Jahr deutlich zurückgegangen. Besorgniserregend ist jedoch die Tatsache, dass sich die Transparenz stark verringert hat. Wir wissen nicht, wer die Ziele der Drohnen sind und wir wissen auch nicht, was für eine Rolle sie im Krieg in Afghanistan spielen. Aus Erfahrung wissen wir jedoch folgendes: Je weniger Transparenz, desto wahrscheinlicher sind zivile Opfer“, hebt Woods hervor.

Jeder ist ein Terrorist

Auch in Waziristan, einer pakistanischen Region, die an Afghanistan angrenzt, tobt der Drohnen-Krieg. In Medienberichten ist immer wieder von getöteten Terroristen die Rede. Mittlerweile sind in der Region allerdings nicht nur US-amerikanische Drohnen aktiv. Vor Kurzem meldete die pakistanische Regierung ihren ersten erfolgreichen Drohnen-Angriff in Waziristan. Mindestens drei Menschen wurden dabei getötet. Nicht nur von US-Drohnen, sondern auch vom pakistanischen Militär wird die Region im „Kampf gegen den Terror“ regelmäßig heimgesucht. In den letzten Monaten sind viele Menschen geflohen. Shahid Gul. lebt mit seiner Familie mittlerweile in einem Flüchtlingscamp in Kabul. Im Zelt der Familie fehlt es an allem, vor allem die hygienischen Zustände sind fürchterlich. „Meine Kinder konnten nachts nicht schlafen. Die Drohnen terrorisieren die Menschen und feuern ihre Raketen ohne Vorwarnung ab. Sie haben viele Menschen zu Märtyrern gemacht“, meint Gul.

Noor Behram, ein Journalist aus Waziristan kam vor wenigen Monaten nach Gesprächen mit Journalisten aus der Hauptstadt Islamabad zum Schluss, dass oftmals ein Bart, längere Haare oder etwa auch ein Turban oder ein Pakol – eine typisch paschtunische Kopfbedeckung – ausreichen, um als „Militanter“ oder „mutmaßlicher Terrorist“ identifiziert und nach einem Drohnen-Angriff auch als solcher angeführt zu werden. Das Problem ist jedoch die Tatsache, dass die genannten Äußerlichkeiten auf nahezu alle Männer in der Region zutreffen – auch in Afghanistan. Somit ist jeder ein Terrorist.

Auswirkungen

Was die Drohnen-Angriffe in den betroffenen Länder bewirken, wird in diesen Tagen deutlich. Im Jemen töteten Drohnen in diesem Jahr mehr Menschen als Al-Qaida. „Der Jemen war um das Zehnfache stabiler, bevor die USA dort vor fünf Jahren ihren Drohnen-Krieg begannen. Und Al-Qaida ist dort heute zehnmal stärker als zuvor“, meint etwa Chris Woods. Diese Ansicht teilen mittlerweile auch hochrangige US-Militärs wie Michael T. Flynn, ehemaliger General der US-Armee und vormaliger Direktor des militärischen Geheimdienstes DIA. „Der Drohnen-Krieg produziert mehr Terroristen als er tötet“, stellte dieser vor Kurzem fest.

Auch in Afghanistan ist diese Einschätzung zur Realität geworden. Vor allem wenn man den jüngsten Erfolg der Taliban – die Eroberung der Provinzhauptstadt des nordafghanischen Kunduz – in Betracht zieht. Nach vierzehn Jahren Besatzung ist der Status Quo in Afghanistan für die westlichen Staaten ein Armutszeugnis. Die Todesengel haben ihren Anteil dazu beigetragen, dass es so weit gekommen ist – und tun das auch weiterhin.

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