Armut im Alter- Schicksal oder Politik.

Ein Artikel von Ursula Engelen-Kefer

Mit den Ergebnissen der neuen umfassenden Studie zur Altersvorsorge Deutschland 2005 (AVID 2005) hat die Diskussion über Altersarmut neue Brisanz bekommen. Zuletzt habe ich in einem Beitrag vom 31. August 2007 in den Nachdenkseiten auf die drohende Armut im Alter als Folge der Leistungsverschlechterungen in der gesetzlichen Rentenversicherung hingewiesen. Solche Warnungen kamen wenige Tage später auch in großer Eindringlichkeit vom Sozialverband Deutschland (siehe NachDenkSeiten vom 10.September 2007). Von Ursula Engelen-Kefer

Studie : „Altersvorsorge in Deutschland 2005“ (AVID): Wachsende Altersarmut

Von Dr. Ursula Engelen-Kefer

Die am 21. November 2007 von der Rentenversicherung Bund veröffentlichte Studie „AVID 2005“ hat unsere Befürchtungen noch übertroffen: „Armut im Alter“ ist nicht das Hirngespinst einiger weniger unverbesserlicher Sozialversicherungs-Romantiker, sondern für die mittlere und jüngere Generation drohende bittere Realität.

Vor allem die Generation der heute 46 bis 50 jährigen Männer muss sich auf deutlich niedrigere Renten einstellen – sie erreichen im Schnitt nur 88 Prozent der Netto-Alterseinkommen der älteren Arbeitnehmer. Sogar eine weitere Absenkung der Rentenleistungen ist infolge der anhaltend hohen Langzeitarbeitslosigkeit sowie der Zunahme unsteter und prekärer Erwerbsbiographien zu erwarten. Besonders stark davon betroffen sind die Männer in den neuen Bundesländern. Etwas besser dürften westdeutsche Frauen in Zukunft abschneiden, da mehr von ihnen heute berufstätig sind und in die Rentenversicherung einzahlen. Allerdings wirken sich auch hier die hohe Teilzeitbeschäftigung und insbesondere die geringfügigen 400-Euro-Jobs negativ aus und erhöhen die Gefahr der Armut im Alter.

Gesetzliche Altersrente muss armutsfest werden

Enttäuschend bis schockierend sind allerdings die Schlussfolgerungen, die bislang zu vernehmen sind. Allenthalben – von tatsächlichen und selbsternannten Rentenexperten – erklingt der Ruf nach einer Stärkung der zusätzlichen privaten Altersvorsorge.

Eine zusätzliche Altersvorsorge ist solange ein berechtigtes Anliegen, wie die Zusatzrente tatsächlich „zusätzlich“ zu einer gesetzlichen Altersrente, die vor Armut schützt, erfolgt und solange wie über tarifliche und betriebliche Vereinbarungen zu einer Zusatzrente dafür gesorgt wird, dass Arbeitnehmer nicht unvertretbar hohen Risiken bei der Kapitalanlage sowie übermäßig hohen Kosten ausgesetzt sind. Aber genau dies ist offensichtlich nicht mehr die Absicht. Der drastische Abfall der gesetzlichen Altersrente für die mittlere und jüngere Generation wird als unveränderbar hingenommen. Den Arbeitnehmern wird zusätzliches Sparen für das Alter als unabdingbar abverlangt. Gleichzeitig wird deutlich gemacht, dass ab einem Lebensalter von 45 Jahren schon heute der „Ofen“ praktisch „aus“ ist, eine Zusatzrente mit auskömmlichen Leistungen ansparen zu können. Eine wenig tröstliche Perspektive für viele Arbeitnehmer, die die Hauptlast der Beitragszahlungen zur gesetzlichen Altersrente, wie im Übrigen auch der anderen sozialen Sicherungssysteme leisten müssen. Warum sollen sie überhaupt Monat für Monat 19,9 Prozent Beiträge gemeinsam mit den Arbeitgebern aufbringen, wenn die zu erwartende Altersrente nicht einmal mehr vor Armut und Bedürftigkeit schützt.

Noch absurder wird es, wenn jetzt der Bundesinnenminister, Wolfgang Schäuble eine weitere Anhebung des gesetzlichen Rentenalters über 67 Jahre auf 70 Jahre fordert, UN-Ökonomen gar eine Rente mit 77 Jahren als zur Beitragssatz-Stabilisierung notwendige Maßnahme propagieren. Da kann man nur schockiert fragen: In welcher Welt leben diese Damen und Herren. Haben Sie jemals etwas mit den realen Arbeits- und Lebensbedingungen für die große Mehrheit unserer Bevölkerung zu tun gehabt? Ist ihnen entgangen, dass viele Arbeitnehmer gesundheitlich gar nicht in der Lage sind, überhaupt ein Rentenalter von 65 Jahren zu erreichen? Und das gilt nicht nur für den berühmten Dachdecker, sondern die Mehrzahl der Tätigkeiten in der Produktion und bei den privaten und öffentlichen Dienstleistungen.

Trendumkehr in Rentenpolitik

Es ist endlich an der Zeit, eine Trendumkehr in der Rentenpolitik einzuleiten, die sich an der Wirklichkeit der Menschen orientiert und nicht Finanzdienstleistern aus dem In- und Ausland zusätzliche Einnahmequellen verschafft. Wenn nicht zuletzt die AVID-Untersuchung die Verschärfung der Armut im Alter bei der gesetzlichen Rentenversicherung für jedermann erkennbar deutlich macht, müssen auch die so genannten Rentenreformen der vergangenen Jahre, die zum Abfall des Leistungsniveaus der gesetzlichen Rentenversicherung beitragen, auf den Prüfstand. Dabei darf weder die Verschlechterung der Rentenformel durch die Riesterrente noch die Absenkung der Rentenniveaus durch Nachhaltigkeits- und Nachholfaktor ein „Tabu’“ sein. Ebenso muss die pauschale Heraufsetzung des Rentenalters spätestens 2010 auf ihre arbeitsmarktliche Realisierbarkeit hin überprüft werden – wie im Übrigen sogar gesetzlich vorgesehen.

Derzeit sind wenig mehr als ein Drittel der über 60-Jährigen beschäftigt – bei Frauen im Westen etwa ein Fünftel und im Osten nur 16 Prozent. Es müsste schon ein Wunder geschehen, wenn die Beschäftigungschancen für die über 60-Jährigen in wenigen Jahren erheblich gesteigert werden könnten.

Stopp für Generationenkonflikt

Warum werden seit Jahren ausgerechnet die Rentner zu „Opferschweinen der Nation“ gemacht. Was bleibt für sie von der angeblich so guten Wirtschaftsentwicklung? Ob Rentenreformen – à la Schwarz-Gelb, Rot-Grün oder gar Große Koalition, ob Riester- oder Rüruprente, Nachhaltigkeitsfaktor oder Rente mit 67 – es geht nach dem Motto: Runter mit Niveau und Leistungen der gesetzlichen Altersrente.

Gleichzeitig werden gerade die Rentner zusätzlich belastet: mit höheren Beiträgen für die Pflege- und Krankenversicherung, Praxisgebühren, erhöhte Zuzahlungen für Medikamente und Krankenhausaufenthalt. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer gleich um drei Prozent seit Anfang 2007 trifft auch besonders die Rentnerhaushalte – ohne dass sie von der Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung etwas hätten.

Ein weiterer Aderlass bei der gesetzlichen Rente kommt von der Agenda 2010 und Hartz IV: Ältere Arbeitslose werden erheblich früher zu ALGII-Empfängern und müssen aus Hartz IV in die Rente – inzwischen bereits mehr als 1,2 Millionen Menschen – Tendenz steigend.

Geht es den Rentnern in unserem Land zu gut? Sind die Neider so mächtig? Oder wollen die Privat-Versicherer ein größeres Stück vom Alterssicherungs-Kuchen? Müssen die Rentner ordentlich gerupft werden – als Symbol für die Modernisierer unseres Sozialstaats? Soll die „lästige“ Solidarität gerade beim Generationenvertrag zwischen Jung und Alt geschliffen werden? Soll es Zukunftsperspektive sein, wenn jüngere Menschen, Familien und Kinder gegen Ältere und Rentner ausgespielt werden? Haben wir in der Bundesrepublik nicht genug Geld, um menschenwürdige Lebensbedingungen für Familien, Kinder und Ältere zu ermöglichen? Was ist denn das Wirtschaftswachstum und die Euphorie über die Erfüllung der Maastricht-Kriterien und schuldenfreie Bundes-Haushalte wert, wenn nicht einmal dieser Grund-Konsens des menschlichen Anstands und Zusammenlebens in Würde mehr gilt? Haben inzwischen die privaten Kapitalanleger mehr und mehr die Hoheit über die Zukunft unserer Gesellschaft erlangt?

Wäre es nicht an der Zeit, die besseren wirtschaftlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für menschenwürdige Renten in Zukunft zu nutzen? Der kleine Silberstreif am Horizont – nach jahrelangen „Nullrunden“ soll es 2008 erstmals wieder eine Mini-Rentenerhöhung geben – reicht nicht aus. Politiker streiten sich noch, ob dies unter oder über einem Prozent liegen wird. Viel wichtiger wäre nicht nur der „Stopp“, sondern die Umkehr der Rentenspirale nach unten.

Ein kleines Hoffnungszeichen ist, dass die Arbeitslosengeldleistungen für ältere Arbeitslose wieder verlängert werden: ab 50 Jahren 15 Monate, ab 55 Jahren 18 Monate und ab 58 Jahren 24 Monate. Gerade Ältere haben nach vielen Jahren harter Arbeit und hoher Beitragszahlungen einen Anspruch darauf, nicht bereits nach 12 bzw. 18 Monaten in ALGII abzurutschen. Erkauft wurde diese äußerst moderate Verlängerung durch längere Zeiten einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Voraussetzung für die Arbeitslosengeld I – Leistungen sowie mit einer noch größeren Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung als ursprünglich vorgesehen: die jetzt beschlossene Absenkung der Beiträge von 3,9 auf 3,3 Prozent. Dies erhöht die Gefahr erneuter Defizite bei der Bundesagentur bei zückläufiger Konjunktur.

Es bleiben weiterhin erheblich Schwachstellen, die korrigiert werden müssen:

  • Auch in Zukunft wird es viele Arbeitnehmer geben, die infolge übermäßiger gesundheitlicher Belastung ihre Arbeit gar nicht bis 65 geschweige denn 67 Jahre durchhalten können. Für sie müssen Zugang und Höhe der Erwerbsminderungsrente verbessert werden.
  • Für viele Menschen in höherem Lebensalter kann ein flexibler Übergang in die Altersrente hilfreich sein. Für Arbeitnehmer ab 60 Jahre sollte Altersteilzeit mit einer Teilrente ermöglicht werden. Dazu müssen die gesetzlichen Regelungen für die Teilrente erheblich flexibler gestaltet und die Hinzuverdienstgrenzen angehoben werden. Die Arbeitgeber müssen sich an dem finanziellen Ausgleich während der Altersteilzeit beteiligen. Die öffentliche Förderung der zusätzlichen Arbeitgeberleistungen über Zuschüsse der Bundesagentur für Arbeit sollte auf die Übernahme junger Menschen nach der Ausbildung sowie der über 55-jährigen Älteren beschränkt werden. Nachdem die Sozialversicherungs- und Steuerfreiheit der zusätzlichen Arbeitgeberbeiträge für die Altersteilzeit aufrechterhalten werden sollen, müssten der gesetzlichen Rentenversicherung die Einnahmeausfälle von etwa 2 Mrd. Euro im Jahr zumindest über Steuern ausgeglichen werden. Sonst werden nur neue Löcher in die Finanzen der gesetzlichen Rentenversicherung sowie die späteren Rentenleistungen für die betroffenen Arbeitnehmer in Altersteilzeit gerissen.
  • Entscheidend ist die Korrektur der gesetzlich geförderten „Prekarisierung“ des Arbeitsmarktes. Sowohl die Ausuferung der geringfügigen Teilzeitarbeit sowie auch der Leiharbeit müssen gesetzlich wieder begrenzt und diese Formen der Beschäftigung auf ein vertretbares Maß zurückgeführt werden.
  • Stichworte für weitere dringende Maßnahmen sind: Verhinderung der „Zwangsrente“ mit hohen Abschlägen in die frühestmögliche Rente, wenn die sog.“58er Regelung“ ab 2008 ausläuft, Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes nicht unter 7,50 Euro; höhere Freibeträge beim Vermögen für die Alterssicherung beim ALGII; Anhebung der Beiträge für ALGII -Empfänger zur gesetzlichen Rentenversicherung; Ausweitung der Solidaritätsbasis der gesetzlichen Rentenversicherung auf alle Erwerbstätigen; Wiedereinführung eines finanziellen Ausgleichs der Unternehmen zur gesetzlichen Arbeitslosen- und Rentenversicherung, die ohne Not ältere Arbeitnehmer entlassen; Angebot sozialversicherungspflichtiger existenzsichernder öffentlicher Beschäftigung für schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose; altersgerechte Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten und Weiterbildungsmaßnahmen in den Unternehmen.

Fazit

Armut im Alter ist kein Schicksal, sondern die Folge einer Politik des Abbaus von Rentenniveau und Rentenleistungen, einer verfehlten Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik und der „Prekarisierung“ der Arbeitsverhältnisse seit Anfang der 1990er Jahre. Natürlich muss sich auch die gesetzliche Rentenversicherung an die Veränderungen von Wirtschaft und Demographie anpassen, es geht immer um die Balance von Beiträgen einerseits und Rentenleistungen andererseits. Diese Balance ist aber völllig aus dem Lot geraten – vor allem zu Lasten der zukünftigen Rentnergenerationen -, sie muss wieder hergestellt werden. Die Große Koalition hat hierbei derzeit nicht nur gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen, sondern auch die notwendige politische Mehrheit. Die Wähler werden sie daran messen, ob sie Bereitschaft aufbringt, diesen wesentlichen Pfeiler unseres solidarischen Sozialstaates wieder herzustellen – und das heißt, die Rente wieder armutsfest zu machen.

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