Der „DFB-Skandal“ offenbart ein massives Glaubwürdigkeitsproblem der Medien

Jens Berger
Ein Artikel von:

Gerade in bildungsbürgerlichen Kreisen gilt es ja als schick, über „Fußball-Themen“ die Nase zu rümpfen. Das ist erstaunlich. Schließlich offenbart der aktuelle DFB-Skandal über die eigentlichen skandalösen Vorgänge hinaus doch auch ein massives Glaubwürdigkeitsproblem der Medien. Noch vor wenigen Tagen haben sich zwei Urgesteine der Branche wie ein Tiger für ihre guten Freunde beim DFB in den Ring gestürzt. Heute sehen Alfred Draxler von der BILD und Helmut Markwort vom Focus aus wie begossene Pudel. Die Glaubwürdigkeit, die sie in bestimmten Kreisen hatten, ist dahin. Fraglich ist jedoch, ob das Publikum aus diesem Vorfall lernt und die Glaubwürdigkeit der großen Medien generell in Frage stellt. Von Jens Berger.

So war es wirklich: Sommermärchen nicht gekauft!“ – unter dieser vielsagenden Überschrift verteidigte Sport-BILD-Chef Alfred Draxler noch am 22. Oktober seine guten Freunde aus dem Fußball-Business. Grundlage von Draxlers Einschätzung war dabei etwas, dass der „Journalist“, der auch bei BILD federführend kommentierend tätig ist, selbst als „Intensiv-Recherche“ bezeichnet:

Darum habe ich in den vergangenen Tagen eine Intensiv-Recherche angestellt, bei der mir zugute kam, dass ich handelnde Personen wie Franz Beckenbauer, Wolfgang Niersbach, Günter Netzer, Fedor Radmann seit Jahren gut kenne, teilweise sogar sehr gut kenne. Sie haben lange und intensiv mit mir gesprochen.

Das Ergebnis dieser seltsamen Art von Recherche fasste Draxler in einem denkwürdigen Satz in Großbuchstaben zusammen: „ICH BIN MIR BEWUSST, DASS ICH MIT DIESEM ARTIKEL MEINE REPUTATION ALS JOURNALIST UND REPORTER AUFS SPIEL SETZE.“ Ist die Reputation erst ruiniert, schreibt es sich ganz ungeniert. Im Laufe der Zeit musste Draxler notgedrungenerweise kräftig zurückrudern. In einem heute erschienen BILD-Kommentar schreibt er: „Ich hätte es mir nie vorstellen können. Ich habe immer daran geglaubt, dass wir die WM 2006 auf saubere Art bekommen haben […]Unterschrieben hat dieses Papier mein langjähriger Freund FRANZ BECKENBAUER!!“ Man mag schon fast Mitleid mit dem armen Herrn Draxler bekommen, der nun entdeckt, dass seine alten Kumpel ihm bei seiner „Intensiv-Recherche“ nicht die Wahrheit gesagt haben. Aber wie war das mit der Reputation? Wie kann ein Journalist Reputation für sich in Anspruch nehmen, der seiner ureigenen Arbeit nicht nachgeht und stets nur das nachplappert, was seine hochkarätigen Freunde ihm „unter vier Augen“ vorplappern?

Ein anderer Fall: Zwei Tage vor Draxlers journalistischen Offenbarungseid warf sich ein weiteres publizistisches Schwergewicht zur Verteidigung von Beckenbauer und Co. in den Ring. Focus-Gründer und Herausgeber Helmut Markwort ließ sich vom eigenen Blatt zu den Vorwürfen gegenüber dem DFB interviewen und kam dabei zu folgenden Einschätzungen: An der Story ist wenig dran, Beckenbauer und Niersbach hätten „gute Karten, aus dieser Bestechungsgeschichte unbeschadet herauszukommen“, der SPIEGEL müsse jedoch nun mit „Schadensersatz[forderungen] rechnen“. Heute ist Niersbach sein Amt los, Kaiser Franz steht kurz vor der endgültigen Entthronung und der DFB lies verkünden, dass er nicht (mehr) juristisch gegen den SPIEGEL vorgehen wolle. Eigentlich müsste ja nun der großkopferte Helmut Markwort ziemlich blamiert dastehen. Woher hatte Markwort eigentlich seine Informationen und warum nahm er derart ungeniert Partei für die korrupten Fußballfunktionäre ein? Dazu muss man wissen, dass Markwort bis vor kurzer Zeit im Aufsichtsrat des FC Bayern München saß und ebenfalls ein guter Spezi von Franz Beckenbauer ist. Markwort war und ist also selbst Bestandteil des „Old-Boys-Network“, das im deutschen Profifußball das Sagen hat.

Nicht nur die vermeintlichen Lichtgestalten des deutschen Funktionärsfußballs, sondern auch die selbsternannten Lichtgestalten des Sportjournalismus sind – soviel kann man heute schon sagen – bis über beide Ohren in einem Sumpf aus Korruption, persönlichen Netzwerken und absoluter Parteilichkeit versunken. Die Probleme des Sportjournalismus kristallisieren sich dabei nirgends so „schön“ wie in der Person Wolfgang Niersbach selbst.

Niersbach ist selbst ein „gelernter“ Sportjournalist und war über ein Jahrzehnt lang für die Nachrichtenagentur SID als Redakteur tätig. Kritisch gegenüber dem System war Niersbach freilich nie. Im Gegenteil. Er war stets so gefällig, dass der DFB ihn 1988 unter seine Fittiche nahm und später fürstlich entlohnte. Da der Job des DFB-Präsidenten eigentlich ein Ehrenamt ist, für das es eine jährliche Aufwandsentschädigung von rund 70.000 bis 80.000 Euro gibt, und dies für einen echten Fußballfunktionär offenbar zu wenig ist, stockte man kurzerhand Niersbachs Bezüge durch eine eigenwillige „Sofort-Betriebsrente“ auf. Durch diese „Rente“ sollten Niersbachs Einkommenseinbußen (er bezog zuvor als DFB-Generalsekretär Medienberichten zufolge rund 300.000 Euro pro Jahr) kompensiert werden. Die sechsstellige „Betriebsrente“ bekommt Niersbach übrigens auch nach seinem Rücktritt von der DFB-Spitze weiterbezahlt – ebenso wie seine „Aufwandsentschädigungen“ als Mitglied des Exekutivkomitees der UEFA und der FIFA. Denn diese Ämter, darüber berichten nur die wenigsten Medien, behält er natürlich weiterhin. Wer sich mit dem System arrangiert, hat offenbar finanziell ausgesorgt.

Selbst der treuherzigste Fußballfan sollte angesichts dieser erdrückenden Indizien gegen Teile des Sportjournalismus doch nun ein gesundes Misstrauen gegen die Glaubwürdigkeit der Medien entwickeln. Oder? Davon kann man leider nicht ausgehen, da die betroffenen Medien bereits (siehe Alfred Draxler) flugs auf Wendehals machen und sich an die Spitze der angeblichen Aufklärer stellen. Der Sportjournalismus ist ein geschlossenes System, in dem keine Krähe der anderen ein Auge aushakt. Korrupt ist demnach nicht das System, sondern – wenn überhaupt – nur einige seiner Rädchen. Ob diese „Haltet den Dieb!“-Strategie glückt ist ungewiss. Steter Tropfen höhlt jedoch bekanntlich den Stein und so bildet sich Mosaikteilchen für Mosaikteilchen ein größeres Bild, das auch dem arglosesten Leser an der Glaubwürdigkeit der Massenmedien zweifeln lässt. Gut so!