Baden-Württemberg setzt auf Studierfähigkeitstest

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„Studieren im Land Baden-Württemberg ist gar nicht so einfach: 90 Prozent aller Studiengänge sind zulassungsbeschränkt. Wer zum Beispiel an der Fachhochschule Pforzheim das Fach Wirtschaftswissenschaften belegen möchte, dem reicht eine gute Schulnote nicht aus. Er muss einen Studierfähigkeitstest machen. Er soll die Eignung des Studierenden für das Fach überprüfen.“ So berichtet der DLF Statt Geld in die Hand zu nehmen und die Studienkapazitäten auszudehnen, setzt das Land auf Verknappung und Selektion. Das Abitur verliert seine Bedeutung als „allgemeine Hochschulreife“. Die Zeiten sind gekommen, wo wie in Japan oder in den USA Studierwillige nach der Schule ein oder gar zwei Jahre teure und private Paukkurse besuchen müssen, um an eine Hochschule gelangen zu können.

Wenn 90 Prozent aller Studiengänge zulassungsbeschränkt sind, bedeutet das, dass an baden-württembergischen Hochschulen ein immenser Überhang an Nachfragern nach Studienplätzen besteht.
Im OECD-Bericht „Bildung auf einen Blick“ heißt es: „Eine hoch entwickelte Dienstleistungsgesellschaft, deren Wachstum zunehmend von der
Ressource Wissen abhängt, ist auf einen wachsenden Anteil hoch qualifizierter Fachleute
angewiesen. Hohe Studienanfängerquoten und eine hohe Bildungsbeteiligung im
Tertiärbereich tragen dazu bei, die Entwicklung und den Erhalt einer hoch qualifizierten
(Erwerbs-)Bevölkerung sicherzustellen.“ Soweit die Sonntagsrede.

Die Studienanfängerquote an Universitäten und Fachhochschulen lag 2004 in Deutschland bei 37 %, OECD-Ländermittel bei 53 % und im EU-Ländermittel bei 52 %. Und der Abstand zu den Spitzenreitern Schweden (79 %) und Finnland (73 %) ist groß. Deutschland liegt unter 29 verglichenen Ländern ziemlich abgeschlagen auf den hinteren Plätzen. Niedrigere Studienanfängerquoten finden sich lediglich in Belgien, Griechenland, Mexiko und der Türkei.

Duales System als Ausrede hin oder her, Deutschland braucht, um mithalten zu können, einen höheren Studierendenanteil. In Deutschland soll aber offenbar die in aller Munde geführte „Wettbewerbsfähigkeit“ nicht mit Bildung, sondern mit Sozialabbau und Lohnkürzungen statt über Innovation und Produktivitätssteigerung hergestellt werden. Wir bewegen uns also auf den Weg zurück in Richtung Steinzeit.

Statt die Studienkapazitäten auszubauen, wird bei uns die Zulassung zum Studium beschränkt, und der baden-württembergische Wissenschaftsminister Frankenberg rühmt sich seiner Auswahlverfahren, um Studierwillige zu selektieren.

Das Abitur habe seine Aussagekraft verloren, wenn es „inzwischen Studiengänge gibt wie Medizin in Heidelberg, bei denen man unter den 1,0-Abiturienten über Tests Auswahl trifft“. Er tut also so, als ob man an deutschen Gymnasien ein Einser-Abitur nachgeworfen bekäme. Statt aber über die Aussagekraft und Vergleichbarkeit von Abiturnoten nachzudenken, sollen nun von der ITB Consulting GmbH entwickelte Auswahl-Tests eine größere Aussagekraft über die Studierfähigkeit bekommen als die Beurteilung von Lehrern über neun Jahre höhere Schule.

In Deutschland gab es ja schon einmal Medizinertests, deren Entwicklung viel Geld kostete und deren Durchführung weit über ein Jahrzehnt Millionen verschlang. Vor der Jahrhundertwende hat man sie abgeschafft, weil die Erfolgsprognose zwischen Abiturnote und Test um weniger als ein Prozent voneinander abwich.
Jetzt führt man solche Tests mit großem Brimborium wieder ein. Mit dem Unterschied allerdings, dass die Absolvierung eines Test heutzutage von den Studierenden bezahlt werden müssen:
50 Euro kostet zum Beispiel bei der ITB Consulting GmbH die Eignungsprüfung zum wirtschaftswissenschaftlichen Studium. Das verspricht ein gutes Geschäft.
Die Studierwilligen sollen – so die Begründung – deshalb bezahlen, damit sie sich nicht an allzu vielen Hochschulen bewerben und an einem Auswahlverfahren teilnehmen.
Wer also mehr Geld zur Verfügung hat, kann mehr Lose aus der Lostrommel ziehen.

Schon bei den früheren Medizinertests war es zu einem attraktiven Gewerbe geworden, Schulungsmaterial oder private Schulungskurse für optimales Testverhalten anzubieten. Ich sehe den Weg bereitet, dass auch in Deutschland wie in den USA, vor allem aber in Japan, junge Menschen nach dem Schulabschluss für teures Geld manchmal über mehr als ein Jahr an Paukkursen teilnehmen müssen, um bei den Eingangstestverfahren der Hochschulen erfolgreich abzuschneiden.

Bei der Einführung der Studiengebühren hat man behauptet, damit käme man zu einer nachfrageorientierten Steuerung des Studiums. Der „Kunde“ werde „König“.
Diese hohle Phrase hat man natürlich schon längst vergessen. Jetzt wählt der Anbieter Hochschule seine Nachfrager aus. Der König Anbieter wählt also die Kunden aus:
„Jede Universität bekommt so den für sie passenden Studenten“, heißt es in dem mal wieder absolut unkritischen und das sachliche Problem völlig ignorierenden Bericht der Sendung Campus & Karriere des Deutschlandfunks.

Am Ende des Berichts kommt der Chef des Testentwicklers ITB Consulting zu Wort: Studierfähigkeitstests stünden heute an der Spitze der Beliebtheitsskala der Studieninteressierten. Hätte man von einem offenbar in Baden-Württemberg eine Monopolstellung einnehmenden kommerziellen Anbieter solcher Tests eine andere Antwort erwarten dürfen, als dass er seine Produkte verkaufen möchte?

Fazit: Auch die Bildungs- und Hochschulpolitik lässt sich heute zunehmend nur noch verstehen, wenn man fragt, wer an dieser Ausrichtung der Politik verdient.

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