Clement hat schon immer gegen die SPD gearbeitet, es hat nur keiner wahrhaben wollen

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Wolfgang Clement hat die Wählerinnen und Wähler in Hessen mehr oder weniger deutlich aufgefordert, gegen die SPD und ihre Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti zu stimmen. Die Empörung in der SPD ist groß. Dabei beruhte Clements politische Karriere doch weitgehend darauf, gegen die Ziele der SPD anzukämpfen. Er wurde von den bürgerlichen Medien gehätschelt und gerade deshalb zum „Star“, weil er ständig seiner eigenen Partei vors Schienbein trat. Schröder holte ihn, damit er mit ihm gemeinsam die SPD auf einen Kurs zwingen konnte, der mit der Sozialdemokratie nur noch wenig zu tun hatte. Lange Zeit sind die Genossen ihm – sicher oft mit geballter Faust in der Tasche – gefolgt. Jetzt, wo ihn die Partei abserviert hat, zeigt er nur sein wahres Gesicht. Aber das hätte man schon lange erkennen können. Wolfgang Lieb

Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: Wolfgang Clement war 1987 über Nacht als Sprecher der SPD in Bonn zurückgetreten, weil im damaligen Bundestagswahlkampf angeblich das Wahlziel des Kandidaten der SPD, Johannes Rau, eine „eigene Mehrheit“ zu erringen, durch ein Interview von Willy Brandt in der ZEIT konterkariert worden sei. In dem Satz „auch 43 Prozent wären bei der Ausgangslage (1983: 38,2 Prozent) ein schöner Erfolg“ sah Clement damals einen Schuss aus dem „Hinterhalt“.
Heute schießt er ganz offen und ohne Vorwarnung auf die Kandidatin Andrea Ypsilanti.

Nach einem Umweg über den Boulevard-Journalismus wurde er von Johannes Rau, wohl aus Dankbarkeit für seine damalige Loyalität, wieder in die Politik geholt. Doch von Beginn seiner politischen Karriere an waren für Clement die SPD und ihr Anspruch, eine diskutierende Programmpartei zu sein, eher ein Hemmschuh, vor allem durch seinen erratischen und von meist konservativen Einflüsterern geprägten Politikstil. Die Partei war ihm eigentlich nur noch Mittel zur Macht. Er wusste ohnehin alles besser, die SPD hatte ihm zu folgen – und sie folgte ihm; häufig zähneknirschend zwar, aber sie folgte ihm, wie das halt disziplinierte Genossinnen und Genossen gegenüber ihren Parteioberen meist tun.

Wolfgang Clement tarnte sich mit dem Etikett des Modernisierers und Erneuerers. Das passt zu seinem Charakter und zu seinem Temperament, und es passte zu den Propagandisten der „neuen Mitte“ à la Schröder und Hombach. Wobei man „Modernisierung“ zwanglos als eine Politik übersetzen konnte, die sich darin gefiel (und dabei von der überwiegend bürgerlichen Presse applaudieren ließ), Errungenschaften und erkämpfte Rechte der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften in Frage zu stellen oder als „traditionalistisch“ zu bekämpfen. Clement war – und deshalb holte der Kanzler ihn nach Berlin – zusammen mit Schröder einer der wichtigsten Türöffner der neoliberalen Ideologie nicht nur für die Sozialdemokratie.

In seiner Erneuerungsmanie stellte sich bei Clement nicht mehr die Frage nach dem „warum“; seine politischen Vorschläge folgten einem beliebigen „warum nicht“. Der Weg war nicht mehr sein Ziel, ihm genügte der Aufbruch.

Kaum war ein Thema auf der politischen Agenda, da hatte sich Clement schon positioniert, schneller als die meisten und häufig so rechtzeitig, dass es gerade noch für ein Interview in den „Tagesthemen“ reichte. Als Journalist kannte er natürlich die medialen Gesetzmäßigkeiten: Am ehesten erreicht man eine hohe Veröffentlichungsquote, wenn man sich gegen die eigenen Leute stellte – sozusagen als Kronzeuge gegen die SPD. So lehnte er etwa vehement eine Kraft-Wärme-Kopplungsquote ab, stemmte sich gegen eine Verlängerung der Ökosteuer über das Jahr 2003 hinaus, hatte den phantastischen Vorschlag, die Kfz-, Mineral- und Ökosteuer komplett zugunsten einer Straßengebühr abzuschaffen, wollte gar alle Autobahnen privatisieren, wehrte sich gegen die Einführung des Dosenpfands, plädierte für die Präimplantations-Diagnostik und propagierte den Import von Stammzellen aus Israel, als Schröder diesen politischen Sprengsatz noch mit einer Expertenkommission zu entschärfen versuchte.

Man brauchte nur die Zeitungsarchive durchblättern, es gab kaum eine Woche, wo Clement nicht in den Schlagzeilen der überregionalen Medien auftauchte. Ob er eine strikte Trennung von Bundes- und Ländersteuern forderte und dem Bund Gesetzgebungskompetenzen absprach, ob er nach seiner „Abstrafung“ auf dem Nürnberger Parteitag der SPD rasch eine eigene Fraktion unter dem Namen „Nürnberger Mitte“ gründete, ob er nach dem Pisa-Schock mal eben die Einheitsschule bis zur achten Klasse, eine frühere Einschulung und kürzere Schulzeiten einführen, über Nacht einen neuen ZDF-Intendanten „von außen“ aus dem Hut zaubern, Berlusconi durch die Einführung einer Höchstquote für ausländische Anteilseigner vom deutschen Medienmarkt fernhalten wollte oder ob er schnell mal eine Bürgschaft für die durch die Kirch-Pleite in finanzielle Gefahr geratenen Fußballvereine anbot. Man könnte die Liste beliebig ergänzen und fortschreiben, für Schlagzeilen war und ist Clement immer gut.

Clement war für Studiengebühren, für die Aufweichung von Tarifverträgen, für die Lockerung des Kündigungsschutzes, für Lebensmittelkarten für Arbeitslose, für die Anhebung des Renteneintrittsalters. Clement beschimpfte Hartz IV-Empfänger als „Parasiten“. Clement stellte sich gegen Eichels Kontrollmitteilungen über Kapitalerträge, er war für längere Einkaufszeiten, für die Streichung von Feier- und Urlaubstagen. Er wollte unbedingt Elite-Unis, war für eine Lockerung des Kartellrechts für die Presse, betrieb eine Kampagne gegen die Ausbildungsplatzabgabe und war für die Abschaffung der „Ökosteuer“. Clement war schon für die Große Koalition, als diese noch gar nicht zur Debatte stand. Clement profilierte sich öffentlich immer mit der Methode Attacken gegen Grün und Provokationen gegen Rot-Grün.

Und vor allem war Clement für die Hartz-Gesetze. Dafür hat er fast seine gesamte Energie eingesetzt. Da er als Jurist von Wirtschaft wenig Ahnung hatte, glaubte er wohl, über eine effizientere Verwaltung der Arbeitslosigkeit die Arbeitslosigkeit abschaffen zu können.

Wie ein Zeitungsmacher hatte er allerdings meist am nächsten Tag schon wieder vergessen, was er gestern erst gefordert hatte, und er hoffte darauf, dass es seinen bloß die Schlagzeilen lesenden Bürgern genauso ging. Hauptsache, er war in den Medien. Und die freuten sich natürlich immer darüber, wenn ein Genosse seinen Genossen ans Bein pinkelte. Das machte ihn zum Liebling seiner alten (Bonner) Journalistenkumpel, und das machte ihn zum idealen Partner von Schröder, der ja meinte, man könne mit „Bild und Glotze“ die Republik regieren.

Clement war gänzlich außerstande, in wirtschaftlichen Kreisläufen zu denken, umso mehr leuchteten ihm die schlichten Rezepte seiner neoliberalen Einflüsterer ein. Wie viele Sozialdemokraten, die aus einfachen Verhältnissen aufgestiegen sind, empfand er geradezu Ehrfurcht vor den Bossen und war ihr willfähriges, politisches Vollzugsinstrument. Deren Lob war ihm deshalb stets gewiss. Was konnte es für die Wirtschaftslobbyisten auch schöneres geben als einen sozialdemokratischen Superminister, der ihnen aus der Hand fraß.

Schröder und Clement haben für die SPD eine Wahl nach der anderen verloren und ließen ihren Durchhaltewillen von der konservativen Presse feiern. Schröder und Clement haben eine Mitgliederflucht aus der SPD ausgelöst. Das hat beide einen feuchten Kehricht geschert. Motto: Was kümmert uns die Partei. Hauptsache, wir sind an der Macht.

Clement wurde schon vor der Neuwahlankündigung von Schröder beiseite geschoben. Als die Große Koalition entstand, beachtete ihn niemand mehr. Clement ist nicht nur politisch einsam geworden. Selbst wenn er am Bahnsteig steht, kommt kein Bürger auf ihn zu.
Das macht bitter. Clement – anders als Schröder, dem es um sein Geschichtsbild geht – hat nur noch ein Interesse, nämlich seine Politik blindlings zu verteidigen, und er speit Gift und Galle, wenn – wie z.B bei der Verlängerung des Arbeitslosengeldes für Ältere – daran auch nur ein Jota korrigiert werden soll.

Nachdem man Clement auf dem Feld der Politik den Stuhl vor die Tür gestellt hatte, suchte er Zuflucht bei den Seinen. Immerhin, seine Freunde aus der Wirtschaft haben sich bei ihm bedankt:

Die M. DuMont Schauberg GmbH & Co. KG, Köln (u.a. Kölner Stadtanzeiger, Frankfurter Rundschau, Express et. al.) bedankte sich für Clements Einsatz bei der Lockerung des Kartellrechts für die Presse mit einem Vorstandsposten.

Er wurde als Aufsichtsrat in die Dussmann AG & Co. KGaA, Berlin, dem Branchenprimus bei den Gebäudereinigern, geholt, in den Aufsichtsrat der Landau Media AG, Berlin, einem Anbieter von Medienbeobachtung und Resonanz-Analysen, in die Beiräte der Wolters Kluwer Germany, Köln-München (Deutscher Wirtschaftsdienst), und der Citigroup Global Markets Deutschland AG & Co. KGaA, Frankfurt. Er wurde „Mister Zeitarbeit“ (stern) genannt und zum Chairman eines Adecco-Instituts (Adecco ist der Welt größter Leiharbeitsvermittler) in London, er wurde Vorsitzender des Beirats der DIS Deutscher Industrie Service AG (Personaldienstleister). Letzthin war er sich sogar nicht zu schade, den Titel eines „Senior Advisors“ des Beratungsbüros „Deekeling Arndt Advisors (DAA) anzunehmen.
Politisch erneut aktiv wurde er im konservativen „BürgerKonvent“ von Roman Herzog.

Es wundert nicht, dass Clement sich für kein einziges Amt interessierte, bei dem er in irgendeiner Weise etwas für Arbeitnehmer oder gar für soziale Zwecke hätte tun können.

Clement war immer für die Kernenergie, und er führte schon als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen gegen die Grünen einen gnadenlosen Kampf für das Braunkohleabbaugebiet Garzweiler II und für mehr Braunkohlekraftwerke. Das hat ihm RWE nachträglich mit einem Aufsichtsratsposten bei der RWE Power AG gedankt.

Diesem Dank zeigte er sich nun in der Welt am Sonntag erkenntlich. Wen sollte das erstaunen?

Seine Loyalität galt schon immer gesellschaftlichen Interessengruppen, denen sozialdemokratische Ziele ein Dorn im Auge waren. Von daher ist sein Wahlaufruf gegen die SPD in Hessen nur konsequent. Dass er schon immer gegen die Interessen der SPD und vor allem ihrer Wähler gearbeitet hat, wollte man in den Führungsebenen der SPD nie wahrnehmen. Wenn sich jetzt viele in der Spitze der SPD über Clement aufregen und ihm parteischädigendes Verhalten vorwerfen, so kommt diese Einsicht reichlich spät – zu spät.

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