Satire ist nur ein Affe im Hirn

Jens Berger
Ein Artikel von:
Henning Venskes

Satiriker haben, wie die Geschichte zeigt, immer schon gefährlich gelebt: Weil der römische »Soldatenkaiser« Caracalla vermutete, dass die Bewohner von Alexandria Witze über ihn machten, veranstaltete er ein Gemetzel unter der Bevölkerung: Tausende wurden abgeschlachtet. Und als Caracalla glaubte, die Zuschauer im Zirkus in Rom würden sich über ihn lustig machen, befahl er auch dort ein Massaker. Von Henning Venske.

Dieser Text ist ein Auszug aus Henning Venskes neuem Buch Satire ist nur ein Affe im Hirn, das der Frage nachgeht: Was darf Satire eigentlich?

Heinz Greul schreibt in seiner Kulturgeschichte des Kabaretts »Bretter, die die Zeit bedeuten« (Köln 1967): »Für einen kurzen, genussreichen Augenblick sind die Machtverhältnisse verkehrt: Der Unterlegene triumphiert im Witze, die Lust des Lachens hat die Unlust des Erlittenen befreiend aufgelöst. Dem Spott der Herrschenden eignet keine Macht; wohl dem Beherrschten. Der Witz ist die Waffe des Unterlegenen. So argwöhnen jene, diese könnten die im Spott beschlossene Energie in politische Aktion wenden.«

Und dann sind die Herrschenden zu allem fähig: Die Zeiten, in denen schon ein Flüsterwitz, auch in Deutschland, das Leben kosten konnte, liegen noch nicht sehr weit zurück.

Den Kabarettisten Werner Finck observierte ständig die Gestapo, und 1935 warfen die Nazis ihn wegen seiner Haltung und seiner daraus resultierenden Formulierungen ins KZ Esterwegen.

Den Schriftsteller Salman Rushdie zwang 1988 die bornierte Engstirnigkeit islamischer Geistlicher zu einem Leben im Untergrund: Die Herrschaften hatten ihm seine große Koran-Satire »Die satanischen Verse« übelgenommen und Muslime in aller Welt aufgefordert, den Ketzer umzubringen. Wegen eines satirischen Textes zum Tode verurteilt zu werden – weiter kann man es als Autor nicht bringen.

Dann die dänischen Mohammed-Karikaturen: 2006 taten eines sonnigen Januarmorgens Millionen Muslime das, was sie jeden Tag tun – sie setzten sich an den Frühstückstisch und lasen die dänische Tagespresse von vor vier Monaten. Da blieb ihnen vor Schreck der Schweinebraten im Hals stecken: Da hatten doch Karikaturisten tatsächlich Zeichnungen veröffentlicht, die nahelegten, dass der Islam eine gewalttätige Religion sei und dass der Prophet eine Bombe auf seinem Turban transportiere. Das war der Frevel: Man hatte den Propheten Mohammed gezeichnet. Niemand wusste, wie der Prophet Mohammed aussah, aber in den Karikaturen wurde er sofort wiedererkannt. Die Auseinandersetzungen um diese Karikaturen dauerten monatelang und kosteten über hundert Menschen das Leben.

Den vorläufigen Höhepunkt in der modernen Verfolgung von Satirikern brachte der Januar 2015. In Paris verübten Islamisten einen Anschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo und auf einen jüdischen Supermarkt. So viel kollektives Entsetzen und demonstrative Solidarität war selten in Europa. Millionen Menschen, die das Satireblatt Charlie Hebdo noch nie in den Fingern und auch noch nie eine Ahnung von Satire hatten, riefen laut »Je suis Charlie!« und erklärten sich so auf einen Schlag zu Satirikern. Millionen französische Satiriker gab es plötzlich in Deutschland, es war eine unglaubliche Satiriker-Schwemme, und es fehlte nur noch, dass Überraschungsgast Joseph Ratzinger bei der Bambi-Verleihung den Überlebenden von Charlie Hebdo einen Ehrenbambi für ihr Lebenswerk überreichte.

Aber Solidarität mit Satirikern, also auch mit den von diesen Textern und Zeichnern vertretenen Inhalten? Gegen exzessive Religionsausübung? Gegen Sozialabbau? Gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus? Gegen staatlichen Machtmissbrauch? Da stimmte doch was nicht.

Schön, wenn alle diese »solidarischen« Menschen sich gegen eine Einschränkung der Pressefreiheit und für den Erhalt der Meinungsvielfalt aussprechen. Aber dass sich die Mehrheit dieser Bürgerinnen und Bürger seit dem Attentat entschlossen gegen neoliberale Einflussnahme stemmt, ist nicht zu erkennen: Viele dieser so heftig mit Charlie Hebdo solidarischen Menschen sprechen auch weiterhin bedenkenlos von Wirtschaftsflüchtlingen und Sozialschmarotzern, obwohl es Konsens unserer reichen Gesellschaft sein müsste, den Preis für das Grundrecht auf Menschenwürde zu bezahlen. Bei den mit Charlie Hebdo solidarischen Gewerkschaftern gibt es viele, die sich gegen Beschränkungen bei Rüstungsexporten aussprechen und staatliche Hilfsprogramme für die Wehrindustrie wünschen, und die meisten der angeblich mit Charlie Hebdo solidarischen Deutschen waren empört über Karikaturen, die den deutschen Finanzminister Schäuble in Nazi-Uniform und Bundeskanzlerin Merkel mit Hitler-Rotzbremse zeigten. Die Darstellungen waren ja auch falsch: Bei einem Großteil des deutschen Polit-Establishments handelt es sich nicht um Nazis, sondern eher um Steigbügelhalter schon wieder stärker werdender rechtsradikaler Kräfte. Wer will, könnte die Kanzlerin und ihr Kabinett als Hindenburg, Brüning oder Franz von Papen darstellen, deren Politik dem Nationalsozialismus in der Spätphase der Weimarer Republik den Boden bereitete. Insofern hatte die Bild-Zeitung – vermutlich, ohne dass ihr das bewusst war – nicht ganz unrecht, als sie der Kanzlerin auf Seite 1 die berüchtigte Pickelhaube aufsetzte. Die von griechischen Karikaturen entsetzten Deutschen sollten aber bedenken: Der eigentliche Skandal sind nicht die Karikaturen, sondern es ist die Zumutung, dass sich die Griechen aufgrund der deutschen Austeritätspolitik wie Untertanen einer deutschen Kolonie behandelt sehen müssen. Und es wäre nur allzu verständlich, wenn in allen griechischen Kneipen Dartscheiben mit dem Konterfei von Wolfgang Schäuble aufgehängt und vor allen griechischen Hauseingängen Merkel-Fußabtreter liegen würden.

Besondere Aufmerksamkeit ist geboten, wenn plötzlich neoliberale Politiker und ihre Gefolgschaft Satirefreiheit verlangen und dafür sogar auf der Straße demonstrieren. Solche Publicity-Maßnahmen sollten nicht nur beim Satiriker, sondern bei allen denkenden Menschen Alarm auslösen, denn Satire und Satirefreiheit werden allzu oft missbraucht für völlig andere Interessen.

Solidarität mit Satirikern ist nicht viel wert, wenn man die Satire goutiert, ohne sich über die Hintergründe aufzuregen. Und es muss einem doch zu denken geben, wenn eine satirische Fernsehsendung wie »Die Anstalt«, die sich mit Missständen unserer Zeit befasst, bei einem Flugzeugabsturz aus Pietätsgründen erstmal aus dem Programm genommen wird, während Börsenberichte und Aktienkurse unangetastet bleiben … Kein Wunder, dass der frühere Charlie Hebdo-Zeichner Renald Luzier, der das Attentat knapp überlebte, völlig genervt feststellte: »Man hat’s nicht leicht, wenn man von solchen Idioten unterstützt wird wie Angela Merkel« (so zitierte ihn in der FAZ der frühere Titanic-Chefredakteur Oliver Maria Schmitt).

In Deutschland sind Klagen gegen Satiriker selten geworden, und Beleidigungen des politischen Personals bergen kaum ein Risiko. In der »Heute-Show« vom ZDF kann ein hysterisch brüllender Gnom ohne nähere Begründung Politiker als »Arschlöcher« beschimpfen – das gilt dann als Beweis für Meinungsfreiheit und als guter quotenträchtiger Witz. Konsequenzen sind nur insofern zu befürchten, als der brüllende Gnom auch in allen folgenden Sendungen auftritt, dann aber »Riesenarschlöcher« brüllt oder »Quadratarschlöcher«.

Die Kehrseite: Wenn ein Satiriker in einer Fernseh- oder Rundfunksendung die Werbung lächerlich macht und beispielsweise sagt, dieses »Seitenbacher Bio-Basis-Öl, das kann man sich nicht mal in die Haare schmieren, da löst sich ja die Kopfhaut ab, Seitenbacher Bio-Basis-Öl, würg & kotz!«, oder er lästert: »Dieses Laxoberal oder wie der Stuhlweichmacher heißt, egal, dieses Mittel gegen Verstopfung ist doch total beschissen, das wirkt ja schlimmer als ein Kind im Ohr«, dann war das für lange Zeit sein letzter Auftritt in einer Sendeanstalt.
Das heißt, man kann heute vor Kamera und Mikrofon so ziemlich alles sagen, man kann Politiker veralbern und beschimpfen, kitschig rumschleimen, Zoten verbreiten oder blanken Unsinn reden –Hauptsache, die Einschaltquote ist so hoch, dass die Sponsoren zufrieden sind.

Nur eins ist nicht ratsam: Die Systemverflechtungen von Politik, Wirtschaft, Werbung und Meinungsmanipulation offenzulegen und anzuprangern. Dann ist man ganz schnell beschäftigungslos. Es sei denn, die betroffene Firma gibt ihren Segen, weil wider Erwarten die Einschaltquote und der Umsatz wegen dieser Negativwerbung gestiegen sind. Wenn ein Kabarettist erklärt, »auch schwule Terroristen trinken warmen Bommerlunder «, und dadurch wird eine Million Flaschen mehr verkauft, ist alles gut. So viel Charakterstärke darf sein. Zu verdanken ist dieser Umstand dem Schutzbedürfnis der »marktkonformen Demokratie«: Was klingt wie eine satirische Wortschöpfung, ist eine sehr präzise Definition für das, was die deutsche Bundeskanzlerin anstrebt: Ein Grundgesetz mit dem Artikel 1: »Der Profit des Unternehmers ist unantastbar«.
Die alles beherrschende Allianz von Wirtschaft, Werbung, Politik und Medien wurde hauptsächlich geschmiedet in den 16 Jahren christdemokratischer Kohl-Herrschaft, als man das Privatfernsehen stark machte, weil man davon überzeugt war, Privatfernsehen sei ein solides geistiges Fundament für eine geistig- moralische Wende. Die ist dann ja auch gelungen.
Heute sind die Medien – egal, ob öffentlich-rechtlich oder in Privatbesitz – die Transporteure der herrschenden Ideologie. Sie predigen den Segen des Konsums, sie versenden Heilsversprechen der Warenwelt, sie preisen die himmlische Gabe möglichen Reichtums für jeden, sie singen das Hohelied der Anpassung und der Akzeptanz, und die Gemeinde der Zuschauer merkt nicht, dass sie einer Uniformierung und permanenten Gehirnwäsche unterworfen wird. Dies allerdings wird nicht thematisiert – das hieße ja die Systemfrage zu stellen. Und das wäre auch in satirischen Zeitungsartikeln oder kabarettistischen Fernsehsendungen nicht wirklich ratsam, will man in diesem Medium weiterhin tätig sein. Trotzdem trifft man gelegentlich Leute, die der Ansicht sind, heute herrsche in den Sendeanstalten eine größere Meinungsfreiheit als früher. »Ihr hattet doch damals die Schere im Kopf«, heißt es dann. Kommt drauf an, was man unter Meinungsfreiheit versteht. Um die Schere im Kopf zu betätigen – dafür braucht man erst mal einen Kopf. Der ist heute vermutlich eher hinderlich.

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