C´est la guerre – Willkommen im Krieg

Jens Berger
Ein Artikel von:

Deutschland ist geschockt. Bei einem Selbstmordanschlag in Istanbul kamen gestern zehn Menschen, darunter acht Deutsche, ums Leben. Der Täter gehört offenbar dem IS an, der sich sowohl mit der Türkei als auch mit Deutschland im Krieg befindet. Auch wenn viele Schreibtischgeneräle dies nicht gerne hören wollen: Im 21. Jahrhundert wird der Krieg nicht nur nach militärischen Regeln von regulären Verbänden geführt. Selbstmordanschläge und Terrorismus gehören – ob wir das nun wollen oder nicht – zum Krieg dazu. Und wenn wir völkerrechtswidrige Kriege auf der ganzen Welt führen wollen, dann müssen wir leider auch dafür Opfer bringen. Diese bittere Wahrheit muss endlich verstanden werden. Nur dann kann man die richtigen Schlüsse ziehen. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Es ist schon seltsam. Die Bundesrepublik Deutschland nimmt zum zweiten Mal in ihrer jungen Geschichte an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg teil und kaum ein Deutscher ist sich wirklich darüber im Klaren. Natürlich, der IS ist nicht unbedingt dafür verdächtig, einen Sympathiepreis einzuheimsen und so mancher unserer Mitbürger mag sich denken „In Syrien herrscht doch eh das komplette Durcheinander, jeder gegen jeden, da stört es doch auch nicht, wenn deutsche Tornados sich auch noch beteiligen“. Das mag vom deutschen Sofa aus ja durchaus „logisch“ klingen. Der IS und die Angehörigen ziviler Opfer der von Deutschland mitverantworteten Luftschläge werden dies jedoch ein wenig anders sehen. Machen wir uns doch bitte nichts vor: Unser Land führt Krieg und da wir als erwachsene Bürger die volle Verantwortung für unser Handeln tragen, müssen wir auch die Risiken und Nebenwirkungen, die Kriege im Gemeinen mit sich bringen, akzeptieren.

Die Alternative wäre es, keine Kriege zu führen. Da die Deutschen aber an der Wahlurne ihre Stimmen stets mit übergroßer Mehrheit den „Kriegsparteien“ geben und auch Wähler erwachsene Menschen sind, die die volle Verantwortung für ihre Handlungen tragen, kann man auch postulieren, dass die Kriegsführung unseres Landes demokratisch legitmiert ist. Auch ich wäre froh, wenn ich dies nicht so schreiben müsste.

Was denken sich unsere Politiker und Mitbürger, die den Krieg gutheißen, eigentlich? Denkt man, dass Krieg im 21. Jahrhundert ein klinisch reines Computerspiel sei? Klar, unsere Väter, Großväter und Urgroßväter haben in den Schützengräben und Ruinen von Stalingrad einen „echten“ Krieg geführt; einen „bösen“ Krieg, bei dem man seinem Feind Aug´ in Aug´ gegenübersteht und die Folgen kriegerischen Tötens sieht, riecht und schmeckt. Wenn heute deutsche Torndaos digitale Aufklärungsdaten an Kampfbomber anderer Nationen weitergeben, ist dies ein moderner Krieg; ein Krieg, bei dem das eigene Handeln seltsam alltäglich erscheint und die Opfer weit, weit weg sind. Doch Mord ist Mord, Töten ist Töten; egal, ob man seinem Gegner mit dem Bajonett ins Auge sticht oder ihn mit einer Cruise Missile vom Erdboden tilgt.

Wenn die Kriegsgegner westlicher Staaten sich zur Wehr setzen, so wird dies von der Politik und den Medien meist als „feiges Handeln“ bezeichnet. Oh ja, es ist überhaupt nicht ritterlich, sich auf einem stark besuchten Platz selbst in die Luft zu sprengen. So etwas hätte Sir Lancelot nie getan. Wirklich? Niemand weiß, was die Sagenfigur Sir Lancelot getan hätte, hätte er einem militärisch hoffnungslos überlegenem Gegner gegenübergestanden. Das Ideal vom „ritterlichen Krieg“, den es so natürlich nie gegeben hat, starb bereits 1346, als tausende englische Bogenschützen das noble französische Ritterheer in der Schlacht von Crécy niedermachten. Spätestens seit den Napoleonischen Kriegen auf der iberischen Halbinsel ist zudem die asymetrische Kriegsführung auch bei den europäischen Großmächten angekommen. Damals kämpften irreguläre spanische Truppen, die sogenannten Guerilla, hinter den Linien auch mit Anschlägen gegen zivile Ziele gegen das übermächtige französische Besatzungsheer. Die Spanier sahen sich als Freiheitskämpfer, für die Franzosen waren sie Terroristen. An dieser Systematik hat sich bis heute nichts geändert und auch die Deutschen waren in Form der „Organisation Werwolf“ im Jahre 1944, als es gegen die militärisch hoch überlegenen Alliierten ging, schon einmal Terroristen – zumindest nach Ansicht der Siegermächte.

Doch so etwas vergisst man bekanntlich schnell. Heute gehören „wir“, also vor allem die Koaltion rund um die militärisch haushoch überlegenen USA, zu der Kriegspartei, die auf dem Felde unschlagbar ist, dafür aber ihre Achillesferse in der asymetrischen Kriegsführung hat. Aus ritterlicher Sicht sind Anschläge auf Zivilpersonen natürlich immer feige; im 21. Jahrhundert hilft uns diese Erkentnis jedoch auch nicht weiter. Der Anschlag auf das Herz des wirtschaftlich so wichtigen Tourismus schadet der Türkei mehr, als es jeder abgeschossene Panzer oder Kampfhubschrauber je könnte. Und auch Deutschland rückt durch seine Beteilgung am Krieg in Syrien immer stärker ins Visier des IS.

Wir werden uns daher an Opfer gewöhnen müssen. C´est la guerre und wir befinden uns im Krieg. Natürlich merken wir das nicht, da unser Gegner im klassischen militärischen Kräftevergleich hoffnungslos unterlegen ist und daher weder in Berlin, noch in Frankfurt oder Mannheim die Sirenen heulen und niemand von uns in die Luftschutzbunker muss. Das heißt jedoch nicht, dass wir immer und überall zu 100% sicher sind, kein Opfer dieses Krieges zu werden. So zynisch sich dies anhört: Daran müssen wir uns gewöhnen, wenn unsere Regierung auch künftig weltweit Kriege führen will.

Und wer – was absolut verständlich und begrüßenswert ist – diese Opfer nicht bringen will, der hat dazu ein sehr einfach verständliches Instrument: Er muss Parteien, die Kriege nach Clausewitz als Fortführung der Politik ansehen, die rote Karte zeigen.

Zu diesem Thema hat sich auch Oskar Lafontaine sehr gute Gedanken gemacht:

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