Arm – aber frei? Zur sozialen Situation von Künstlerinnen und Künstlern

Ein Artikel von Petra Frerichs & Joke Frerichs

Es bedarf immer mal wieder eines Anschubs wie zuletzt des Abschlussberichts der Enquete-Kommission „Kultur für Deutschland“ des Deutschen Bundestages vom Dezember 2007, damit die soziale Situation von Kulturschaffenden in die öffentliche Wahrnehmung rückt und eine Misere deutlich wird: Die hochqualifizierten, meist jüngeren Menschen in den Kulturberufen verdienen jämmerlich wenig und gehören auch von ihrer sozialen Absicherung her dem sog. modernen Prekariat an. Von Petra und Joke Frerichs.

Kulturberufe, ob in den Bereichen Musik, Literatur, bildende oder darstellende Kunst, Graphik und Design, Film/TV/Rundfunk oder neue Medien, gelten häufig als Inbegriff von Kreativität und Freiheit, zumal, wenn sie in selbständiger Form ausgeübt werden. So scheint die Attraktivität dieser Studiengänge und Berufe ungebrochen. Gerade junge Leute hegen offenbar in großer Zahl den Traum von einem glamourösen „Künstlerleben“ – dabei vergessend, dass nur die wenigsten es zu öffentlichem Ruhm oder auch nur einer festen Anstellung bringen. Viele sehen einer ungesicherten Erwerbsperspektive entgegen, obwohl sie über eine qualifizierte Ausbildung verfügen. Sie entscheiden sich für einen Weg, der ihren Neigungen entspricht und ihnen die Realisierung eines gewissen Maßes an Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit erlaubt. Dafür sind sie offenbar auch „bereit“, auf Dauer mit (sehr) wenig Geld auszukommen. Hier scheinen nicht nur Künstler qua Tätigkeit, sondern auch wahre Lebenskünstlerinnen und –künstler heranzuwachsen. Die Monatszeitschrift „Das Magazin“ (2/2008) stellte unter der Überschrift „Künstler zwischen Selbstausbeutung und Leidenschaft“ einige von ihnen beispielhaft vor. „Viele von den Künstlern (…) arbeiten nebenbei als Kellner, haben einen Nebenjob an der Uni, halten sich mit Stipendien über Wasser und leben ohnehin äußerst bescheiden“ (8).

Deutlich wird anhand der Beispiele, dass viele in das „Freiberuflerdasein gedrängt“ wurden, weil Unternehmen ihre Jobs „outgesourct“ haben, um sich ihrer sozialen Verpflichtungen zu entledigen. Durch die Auslagerung ehemals angestellter Tätigkeiten haben diese Unternehmen erhebliche Einsparungspotentiale erzielt. Ein Teil der „Freiberufler“ hofft aber auch darauf, „dem täglichen Einerlei einer Angestelltenkarriere“ zu entgehen und künftig einer „kreativen, coolen“ Tätigkeit nachzugehen. Ideologisch wird dies dann gern als „Zugewinn an persönlicher Freiheit“ und „Flexibilität“ verbrämt – in krasser Verkennung der materiellen Ausstattung dieser Tätigkeiten.

Heute sind fast 800.000 Menschen künstlerisch tätig. Wie die Enquete-Kommission in ihrem Schlussbericht (Drucksache 16/7000) feststellt, ist die Gesamtzahl der Erwerbstätigen in Kulturberufen von 1995 (596.000 Personen) um 33 Prozent auf 797.000 Personen angestiegen; das macht einen jährlichen Zuwachs von durchschnittlich 3,6 Prozent aus.

Sie verteilen sich auf folgenden Branchen:

Design und bildende Kunst: 213 000
Musik und darstellende Kunst: 202 000
Literatur und Publizistik: 175 000
Architekten: 113 000
Bibliothekare und Museumsfachleute: 66 000
Kulturspezifische Geisteswissenschaftler: 28 000

Die größten Wachstumsschübe erzielten die Designer und Graphiker (plus 93 Prozent), gefolgt von den Ton-/Bildingenieuren, Bühnen-/Filmausstattern (plus 73 Prozent), Schriftstellern und Übersetzern (plus 53 und 55 Prozent), und auch die klassischen Künstlerberufe verzeichneten im Vergleichszeitraum ein Wachstum von 20 bis 40 Prozent. Dem Bericht, der sich auf Daten des Mikrozensus, der Umsatzsteuerstatistik und der Statistik der Künstlersozialkasse stützt, ist auch zu entnehmen, dass die Zahl der „Selbständigen“ stetig steigt, während die der abhängig Beschäftigten ebenso stetig schrumpft.

Die allermeisten Künstlerinnen und Künstler verfügen über einen Hochschulabschluss sowie spezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten, wozu auch ein „hohes Maß an Risikobereitschaft“ sowie „Zusatzkompetenzen wie Selbstvermarktungs- und Selbstorganisationsfähigkeiten“ gehören. Bei der Entwicklung der Selbständigkeit fällt neben der Akademisierung eine zunehmende Feminisierung auf. „Insbesondere der wachsende Zustrom hochqualifizierter Künstlerinnen hat (…) zu den Wachstumsraten von freiberuflichen bzw. selbstständig arbeitenden Künstlern beigetragen.“ (S. 290) Daraus ist zu schließen, dass in den öffentlich finanzierten Kulturbetrieben kaum noch Einstellungen von Frauen vorgenommen werden. „Das entspräche dem typischen Muster der Geschlechterverhältnisse in den Künsten und stützte die Annahme, dass Frauen insbesondere dort erwerbstätig seien, wo flexible Arbeits- und Lebensformen potenziell besser aufeinander abgestimmt werden können.“ (ebd.)

Von den annähernd 800.000 Erwerbstätigen in Kulturberufen waren laut Mikrozensus von 2004 rund ein Drittel oder 337.000 als Selbständige tätig. In der Künstlersozialversicherung sind davon noch einmal weniger als die Hälfte, nämlich rund 153.000 Personen registriert. Seit Inkrafttreten des Künstlersozialversicherungsgesetzes (Januar 1983) und zweimaliger Novellierung sind zwar die freischaffenden und selbständig tätigen Künstler/Künstlerinnen und Publizistinnen/Publizisten im Rahmen des gesetzlichen Sozialversicherungssystems kranken-, renten- und pflegeversichert – das ist immerhin ein beachtlicher Fortschritt gegenüber ihrer sozialen Lage vorher – ; gleichwohl ist der Zugang zur Künstlersozialkasse nicht ohne Hürden, u.a. weil die Zugangsvoraussetzungen häufig den realen Existenzbedingungen und Erwerbsformen widersprechen und bisweilen realitätsfremd formuliert sind. Hier ist zu bedenken, dass die Charakterisierung der künstlerischen Tätigkeiten als „selbständig/unselbständig“ angesichts der realen Einkommensverhältnisse eher irreführend ist. In vielen Fällen dürfte es sich um nichts anderes als um Formen der „Scheinselbständigkeit“ handeln, wenn z.B. Mitglieder von Orchestern von deren Aufträgen leben – gleichwohl aber den Status von „Selbständigen“ haben. Auf die Notwendigkeit einer rechtlichen Klärung derartiger Statusfragen wird denn auch in dem Enquete-Bericht selbst hingewiesen.

Ist somit die soziale Absicherung der Kulturschaffenden schon prekär genug, so sind die Daten über ihre Einkommensverhältnisse nun wirklich erschreckend. Hierzu sagt der Enquete-Bericht: „Die Einkommen der Mehrzahl der in der Künstlersozialkasse Versicherten sind sehr gering. Zum 1. Januar 2007 konnte aufgrund der Vorausschätzungen der Versicherten ein Durchschnittseinkommen von 11.094 Euro im Jahr errechnet werden. Das Einkommen der Künstlerinnen lag mit 9.483 Euro im Jahr noch unter dem der Künstler (Jahresdurchschnittseinkommen 12.452 Euro).
Ein solches Jahreseinkommen ist kaum geeignet, davon den Lebensunterhalt zu bestreiten.“ (S. 301)

Nach dem Bericht verfügt die Gruppe der bildenden und darstellenden Künstlerinnen und Künstler sowie der Musikerinnen und Musiker über ein durchschnittliches Monatseinkommen von 800 bis knapp 900 Euro. Es gehört schon eine Menge Idealismus dazu, unter solchen finanziellen Bedingungen leben und arbeiten zu müssen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in die statistischen Durchschnittswerte auch die Einkommen der gut Verdienenden eingehen, so dass die tatsächlich erzielten Einkommen häufig noch unter den in der Statistik angegebenen liegen.

Die Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission an den Deutschen Bundestag erstrecken sich auf ein breit angelegtes Förderprogramm zur sozialen, rechtlichen und wirtschaftlichen Absicherung der Kulturschaffenden. Der Wert des Berichts liegt unseres Erachtens vor allem in der statistischen Aufarbeitung und Veröffentlichung der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Künstler und Künstlerinnen in ihrer ganzen Problematik.

Bedenkt man, über welche herausragenden Qualifikationen, Kompetenzen, Fähigkeiten und Fertigkeiten diese Berufsgruppen verfügen und welchen Beitrag die meisten von ihnen in einer von der Dominanz ökonomischer Imperative geprägten Gesellschaft für die geistige und kulturelle Reproduktion der Menschen leistet, dann ist es ein Skandal, mit anzusehen, unter welchen materiellen Bedingungen viele von ihnen ihr Dasein fristen. Denn immerhin erreicht die Anzahl der Kulturschaffenden in etwa die Größenordnung der in der Landwirtschaft tätigen Landwirte (Das Magazin 02/2008, 8). Um deren Subventionen kümmern sich aber gleich ganze Heerscharen von Lobbyisten und Politikern. Ein Bruchteil dieser Gelder würde reichen, damit diejenigen, die uns mit ihren kulturell-künstlerischen Leistungen das Leben verschönern, unter würdigeren Existenzbedingungen ihrer für die Gemeinschaft unverzichtbaren Tätigkeit nachgehen könnten. Dass dies nicht der Fall ist, ist für eine so reiche Gesellschaft wie der unseren eine Schande.

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