Heiner Flassbeck: Die wollen nur spielen – Banker verzocken Milliarden und rufen dann nach dem Staat als Retter

Ein Artikel von Heiner Flassbeck

Es ist schon toll: Banker, die vor ein paar Jahren noch im Brustton der Überzeugung davon sprachen, dass sie diejenigen sind, die Werte schaffen, rufen jetzt, nachdem sich ein Großteil dieser Werte in Luft aufgelöst hat, nach dem Staat als Retter in der Not. Was läuft so fundamental schief im Finanzsystem, dass alle paar Jahre das große Heulen und Zähneklappern ausbricht und die größten Marktwirtschaftler über Nacht gewissermaßen zu den größten Fans staatlicher Nothilfe mutieren?

Es ist gewiss keine Übertreibung, zu sagen, es läuft fast alles schief. Das beginnt schon damit, dass die Unsitte um sich gegriffen hat, das, was Banken ihren Kunden so anbieten, als „Produkte“ zu bezeichnen. Das klingt gut und seriös und vor allem klingt es so, als seien Banken ebenso innovativ wie Produktionsunternehmen und würden alle paar Wochen ein „neues Produkt“ auf den Markt werfen. Banken produzieren aber nichts und Banken sind auch nicht innovativ in ein einem ernsthaften Sinne. Banken machen immer das Gleiche: Sie leihen Geld über relativ kurze Fristen und verleihen es über längere Fristen. Dabei ist Geld zu verdienen, weil die Zinsen für lange Fristen höher sind als die für die kurzen. Dabei geht man aber auch ein Risiko ein, weil die pünktliche Rückzahlung von Krediten an die Banken über lange Fristen nie so sicher ist wie die kurzfristige Verpflichtung der Banken gegenüber den Einlegern. Insgesamt ist es ein Geschäft, aber sicher kein Bombengeschäft, bei dem sich systematisch und auf längere Zeit gewaltige Renditen von 25 Prozent, wie einst von einer großen deutschen Bank angekündigt, erzielen ließen.

Weil das so ist, kommen die Banker alle paar Jahre auf die grandiose Idee, sie könnten ja mit dem vielen Geld, das sie in Händen halten, ihren Gewinn mal so richtig in die Höhe jubeln. Bei der Frage, wie man das macht, sind sie allerdings überhaupt nicht innovativ, sondern sie machen es immer auf die gleiche Weise. Sie leihen sich nämlich zu dem Geld, das sie ohnehin schon haben, noch viel mehr Geld von anderen Banken und investieren es in Anlagen, die einen etwas höheren Zins erbringen, als der Zins, den man den anderen Banken zahlt. Das ist der große Hebel (lever in englisch), mit dem Banken, Hedge-Fonds oder die sog. Private-Equity Fonds die Rendite auf das Eigenkapital in ungeahnte Höhen treiben können, wenn sie nur genügend Kredit bekommen.

Würden alle Spekulanten mit dem geliehenen Geld lediglich ins Spielkasino gehen, wäre der Spuk schnell zu Ende, weil man innerhalb weniger Stunden feststellen würde, dass dort systematisch mit noch so viel Geld keine gewaltige Rendite zu erzielen ist. Die extrem einfallslose Methode die Renditen zu hebeln funktioniert für das gesamte globale Finanzsystem nur, wenn alle Spieler bestimmte Objekte finden, bei denen sie sich mit einer gewissen Plausibilität für eine Weile einreden können, sie würden hohe Renditen bei geringem Risiko bieten. So ein Objekt war z. B. der amerikanische Häusermarkt in den letzten zehn Jahren. In den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren das Aktien neu aufgekommener Konsumgüterhersteller, in den 90er Jahren waren es Aktien aus dem Bereich der Telekommunikation, sehr oft sind es Währungen, bei denen die Regierungen den Kurs stützen oder die Zinsen hochhalten. Auch Unternehmen mit hohem Eigenkapital zu kaufen, ist beliebt, weil man die Rendite allein dadurch hochjubeln kann, dass man Eigenkapital durch Schulden ersetzt. Sobald ein solches Objekt identifiziert ist, wird eine Art Kettenbrief-Mechanismus oder Schneeballsystem (im englischen nennt man es nach einem Betrüger der 20er Jahre Ponzi-game) in Gang gesetzt, bei dem jeder versucht, nicht der letzte in der Kette zu sein.

Auf diese Weise redete man sich ein, die Hauspreise in den USA würden für immer weiter steigen, so dass auch amerikanische Haushalte, die nicht mal ihren normalen Lebensunterhalt von ihrem Einkommen bestreiten konnten, in der Lage wären, wahnsinnig hohe Hypothekenzinsen zu zahlen. Da man dem in der herrschenden ökonomischen Theorie verbreiteten Irrglauben folgte, für jedes Risiko gäbe es irgendwo auf der Welt jemanden, der, ohne zu wissen, um was es in der Sache geht, dieses Risiko gern übernimmt, wenn er eine angemessene Rendite erhält, bündelte man die Hypotheken in verschiedene Risikoklassen und streute sie über den ganzen Globus. Unter dem vermeintlichen Zwang, mit ihrem gehebelten Geld hohe Renditen erzielen zu müssen, stürzten sich Heerscharen von Banken und Fonds auf diese Katze im Sack. Als die Hauspreise irgendwann nicht mehr weiter stiegen, war der Spuk zu Ende und die Pleite vieler Banken und Hedge-Fonds war eine ausgemachte Sache.

Nun kommt die Politik ins Spiel. Weil so viele dumme Kinder das dumme, gefährliche Spiel gespielt haben und nun im Brunnen liegen, kann sie schlecht sagen, es geht mich nichts an, bleibt im Brunnen bis ihr schwarz werdet. Also holt man Leitern und sorgt dafür, dass die dummen Kinder ärztlich versorgt werden. Das ist als kurzfristige Lösung in Ordnung, wenn entsprechende erzieherische Maßnahmen auf längere Sicht nicht nur ins Auge gefasst, sondern auch konsequent umgesetzt werden. Das heißt, dem System via Notenbanken Liquidität zur Verfügung zu stellen, um einen Anstieg der kurzfristigen Zinsen zu vermeiden, ist ebenso angemessen wie massive kurzfristige Zinssenkungen, wenn die finanzielle Krise auf die reale Wirtschaft übergreift. Sogar die direkte staatliche Stützung oder die Verstaatlichung großer Banken ist angemessen, wenn die Einlagen vieler nicht an der Spekulation beteiligter Bürger gefährdet sind und ein Sturm auf die Banken droht. Auch staatliche Programme zur Anregung der Konjunktur können sich rasch als notwendig erweisen. Die massiven Fehler der Weltwirtschaftskrise von 1929/30, als man das Gegenteil von all dem tat, lassen sich eigentlich recht einfach vermeiden.

Gelöst ist damit aber nicht die Systemfrage des Finanzsektors auf lange Sicht. Strikte Regulierung und ein radikales Umdenken in Sachen Freiheit und Förderung des Finanzsektors ist hier unvermeidlich. Nur ein Beispiel: Wenn sich in fünf Jahren wieder der Chef einer großen Bank hinstellt und sagt, er wolle systematisch 25 % Rendite erwirtschaften, dann wird sich hoffentlich ein kompetenter Finanzminister finden, der ihn auffordert, ins Kasino zu gehen und sein Glück zu versuchen, der aber der Öffentlichkeit klar macht, dass dieser Mann nichts in der realen Wirtschaft verloren hat und eine Gefahr für Stabilität und Wohlstand darstellt.

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