Bei Anne Will: „Die Privatvorsorge ist tot. Es lebe die Privatvorsorge“

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Die notwendigen Korrekturen bei der Altersvorsorge wären so einfach. Aber man will die einfache Lösung nicht. Das wurde bei Anne Will sichtbar. Wie letzte Woche sogar bei Monitor. Viele Medien beschäftigen sich wie auch die Politik mit der kritischen Situation bei der Altersvorsorge. Am Sonntag bei Anne Will redete man über allerlei Reformschritte, nur nicht über das Selbstverständliche: die Konzentration aller staatlichen Mittel und politischen Anstrengungen auf die Stärkung der Gesetzlichen Rente und damit die Wiederherstellung ihrer Leistungsfähigkeit. Die offensichtliche Weigerung, diese nahe liegende einfache Lösung anzupeilen, ist leicht zu erklären. Schon die letzte große „Reform“ von 2001, also der Einstieg in die staatlich subventionierte Privatvorsorge und die Absenkung des Leistungsniveaus der Gesetzlichen Rente war von den Interessen der Versicherungswirtschaft und der Banken und nicht von Sachverstand geprägt. Leider muss man beim jetzigen Versuch zur Reparatur der gescheiterten „Reform“ von 2001 wieder feststellen: Politik und Medien sind von Interessen gesteuert. Ein Tor, der das nicht sieht. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Vorweg: Auf gute Medienbeiträge, die Ausnahme, verweisen wir heute auf den Hinweisen.

Bei Anne Will zogen alle außer der eingeladenen Putzfrau in die falsche Richtung: Ausbau der Privatvorsorge

  • Der FAZ-Wirtschaftsressortleiter Rainer Hank verteidigte die Schröder-Reformen, also die Riester-Rente usw.
  • Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin und stellvertretende SPD-Vorsitzende Hannelore Kraft warb für das sogenannte Drei-Säulen-Modell von 2001. Sie tat so, als hätte man das Scheitern zum Beispiel der Riester-Rente nicht vorhersehen können; die Versicherungswirtschaft habe einen zu hohen Anteil der Riester-Prämienzahlungen für sich vereinnahmt, das war ihre Erklärung für das Scheitern der Riester-Rente. Eine wirklich armselige Analyse. Die betriebliche Altersvorsorge müsse ausgebaut werden. Sie tat auch so, als sei man von niedrigen Löhnen, die sich in niedrigen Renten niederschlagen, überrascht worden. Die seltsamen Reformen ihres Vorgängers in NRW und damaligen Parteifreundes Wolfgang Clement zur Einführung von Leiharbeit und Minijobs sind verdrängt. Insgesamt wurde an ihren Äußerungen sichtbar, dass die SPD-Führung noch nicht begriffen hat, was die Stunde geschlagen hat. Sie hält an falschen Reformen fest: das sind die Pflastersteine auf dem Weg zum politischen Untergang.
  • Auch der Vertreter der jungen Unternehmer und der Präsident des DIW Fratzscher warben für den Ausbau der subventionierten Privatvorsorge. Fratzscher, der immerhin ein paar deutliche Worte zur miserablen Einkommensverteilung sagte, warb für den Ausbau der Privatvorsorge, um die junge Generation nicht weiter zu belasten. Das ist abstrus. Denn der Einstieg in die Privatvorsorge ändert an der Relation von Arbeitsfähigen zu Alten und Kindern nichts. Offenbar hat Ökonom Fratzscher das sogenannte Mackenroth-Theorem nicht verstanden oder er bestreitet es, wie seine Kollegen von Rürup über Raffelhüschen bis Börsch-Supan. Das Mackenroth-Theorem besagt im Kern: Ganz egal, wie man die Altersvorsorge organisiert und finanziert, immer muss die arbeitsfähige Generation für die Generation der Alten und die Generation der Kinder und Jugendlichen sorgen.
  • Die Putzfrau war die Beste in der Fernsehrunde. Sie hatte offensichtlich die meiste Alltagserfahrung und ist sicher nicht abhängig von großen Interessen.

Was sonst noch bei dieser Sendung und den Äußerungen der Gesprächsteilnehmer auffiel:

  • Sie taten so, als hätte man 2001 bei der Installierung der Förderung der Privatvorsorge nicht gewusst, dass diese scheitern werde. Man wusste, auch damals, dass die Renditen der Kapitalanlage unsicher sind und sie sich ändern können; und man wusste, dass die Kosten zum Betrieb und Vertrieb der Privatvorsorge zu hoch sind.
  • Sie leugnen implizit, dass die staatliche Förderung der Privatvorsorge wesentlich auf den Druck der privaten Interessen der Versicherungswirtschaft und der Banken zurückzuführen ist und auch die jetzigen Überlegungen zur Reparatur unter dem Eindruck dieses Druckes stehen. Die engen Beziehungen damaliger Regierungsmitglieder zum Beispiel zum damaligen AWD-Chef und Profiteur der Förderung der Privatvorsorge Carsten Maschmeyer sind aus dem Gedächtnis gestrichen, offensichtlich auch dessen Jubelrufe kurz nach Einführung der geförderten Privatvorsorge; es sei, als säße man auf einer Ölquelle, hat er schon kurz nach Einführung der subventionierten Privatvorsorge verlautbart. Auch die Kampagnen der Versicherungswirtschaft und der Banken schon im Wahlkampf 1998 sind nicht präsent.

    Man tut so, als habe man damals sachliche Erwägungen angestellt und sei deshalb auf das Drei-Säulen-Modell gekommen. Das Drei-Säulen-Modell ist jedoch das Ergebnis von Lobbyarbeit und Propaganda und nicht das Ergebnis sachlicher Überlegungen.

  • Man tut so, als sei die Gesetzliche Rente wegen des demographischen Wandels in Schwierigkeiten geraten und weniger leistungsfähig. Das Standardargument: weniger Arbeitsfähige müssen für mehr Alte sorgen.
  • Dass die Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Rente bewusst und gezielt abgesenkt worden ist, wird nicht gesehen und schon gar nicht erwähnt, obwohl die mitwirkenden Wissenschaftler dies öffentlich bejubelt haben. Bestes Beispiel dafür sind die Äußerungen des Lobbyisten Bernd Raffelhüschen bei einer Versammlung von Versicherungsvertretern, die im Film Rentenangst wiedergegeben worden sind. Wir verweisen zum wiederholten Mal auf diese Dokumentation der ARD. Hier das Manuskript der Sendung als PDF. Auf Seite 14 finden Sie die einschlägige Äußerung von Professor Raffelhüschen. Und hier als Film.
    Der Film ist von 2008. Er klärt nahezu umfassend auf über das Problem. Und doch tun Politiker und Medienschaffende auch acht Jahre später noch so, als hätte man nicht wissen können, was mit der staatlich geförderten Privatvorsorge gespielt wird: das Musterbeispiel einer politischen Korruption und zugleich der Zerstörung einer wichtigen gesellschaftlichen Einrichtung.

Warum ist die verstärkte staatliche Förderung der betrieblichen Altersvorsorge fragwürdig?

Es fällt auf, mit welcher Vehemenz die stellvertretende Vorsitzende der SPD, Hannelore Kraft, wie auch die Arbeitsministerin Nahles für den Ausbau der betrieblichen Altersvorsorge werben. Man kann nur vermuten, dass sie einigen Gewerkschaftern einen Gefallen erweisen wollen. Das ist legitim und vielleicht auch hilfreich für die Gewerkschaftsarbeit und für die Arbeit der Betriebsräte. Ein sachlicher Beitrag für den Ausbau der Altersvorsorge ist es nicht: die dafür bereitgestellte sogenannte Entgeltumwandlung bedeutet, dass diese Entgelte nicht mehr zur Stärkung der Gesetzlichen Rente zur Verfügung stehen; die Beiträge zur betrieblichen Altersvorsorge werden sozialversicherungsfrei gestellt. Siehe dazu.

Weiter ist auf folgendes hinzuweisen: die Struktur der Betriebe ist so und ihre Veränderung ist so groß, dass betriebliche Altersvorsorgemodelle wegen des Wandels und wegen der mangelnden Größe der Betriebe kaum für die Mehrheit der Beschäftigten umsetzbar sind. Außerdem kosten diese Modelle wieder viel Geld. Die Versicherungswirtschaft hat entsprechend profitiert und übt vermutlich auch hier Druck aus, damit diese Art der Privatvorsorge fortgesetzt wird.

Was wäre die vergleichsweise einfache Lösung

Wir haben auf den NachDenkSeiten schon des Öfteren dargestellt, wie die Reparatur der sogenannten Reform von 2001 aussehen könnte und müsste: Konzentration aller Anstrengungen aller finanziellen Mittel auf die Gesetzliche Rente und ihre Leistungsfähigkeit. Ausgangspunkte dieser Überlegungen sind: Es gibt kein effizienteres Verfahren als das der gesetzlichen Rente zu Grunde liegende Umlageverfahren. Es kommt mit rund ein Prozent der eingenommenen Beiträge für die Verwaltung der Beiträge und der Renten aus. Bei der Privatvorsorge über die Riester-Rente zum Beispiel fallen Kosten von über 10 % an. Das sind Kosten für Werbung, für die Verwaltung der Versicherungswirtschaft, für Versicherungsagenturen und so weiter. Die Gesetzliche Rente ist auch dem Risiko der sinkenden Erträge der Kapitalanlage privater Vorsorge nicht ausgesetzt. Die Renten werden aus den laufenden Einkommen bezahlt.

Was jetzt konkret zu tun wäre:

Die bisherigen Wege der Privatvorsorge werden beendet. Die bestehenden Verträge bleiben erhalten. Es werden aber keine weiteren Riesterverträge und Verträge nach Rürup abgeschlossen. Auch die Förderung der betrieblichen Altersvorsorge durch die Entgeltumwandlung wird beendet.

Alle staatlichen Mittel, die bisher in die Förderung der Privatvorsorge flossen und im Wesentlichen von der Versicherungswirtschaft abgegriffen wurden, werden auf die Stärkung der Gesetzlichen Rente konzentriert.

Das Rentenniveau wird nicht weiter abgesenkt, sondern wieder auf über 50 % erhöht. Wenn dazu eine Beitragserhöhung nötig ist, ist das immer noch besser und billiger zu haben als zum Beispiel über Prämien von 4 % des Einkommens für die Riester-Rente.

Für Menschen, die in prekäre Arbeitsverhältnisse verwiesen worden sind und mit Minilöhnen zurechtkommen mussten und müssen, sollten zusätzliche Leistungssteigerungen vorgesehen werden. Das ist möglich und fair. (Wir werden in einem gesonderten Beitrag darauf eingehen.)

Selbstverständlich ist weiter zu empfehlen, dass möglichst viele privat vorsorgen, sparen, sich eine Wohnung kaufen, wenn sie das können. Die Ablehnung gilt nicht der Privatvorsorge als solcher sondern der staatlichen Förderung, also der Subvention der Privatvorsorge.

Und selbstverständlich ist jede betriebliche Altersvorsorge zu begrüßen, auf die sich ein Unternehmen mit den Beschäftigten bzw. den Gewerkschaften und Betriebsräten verständigt. Das negative Urteil gilt nur der staatlichen Förderung solcher Altersvorsorgesysteme und der damit verbundenen Schwächung der Gesetzlichen Rente durch die Entgeltumwandlung.

Erwerbstätigenrente, d.h. Einbeziehung auch der Selbständigen, der Beamten, der berufsständischen Versorgungssysteme (Anwälte, Ärzte, Apotheker, Journalisten,…), der PolitikerInnen und anderer Gruppen

Monitor vom 14. April war etwas erträglicher als die Talkshow bei Anne Will. Aber auch dort konzentrierte man sich nicht auf das Naheliegende. Stattdessen wurde der Wunsch nach einer Erwerbstätigenversicherung propagiert. Ehrenwert, aber mit dieser Absicht ist das aktuelle Problem nicht zu lösen.

Nicht nur Monitor, auch andere, den NachDenkSeiten nahestehende Personen wie etwa Volker Pispers, sehen die Lösung des Problems dann kommen, wenn die genannten Gruppen einbezogen werden. Sie verweisen auf die Schweiz. Die Zielvorstellung ist berechtigt.

Es ist jedoch erstens zu bestreiten, dass diese Veränderung in einem kurzen Zeitraum möglich sein wird. Wir haben aber sehr wenig Zeit, um das Problem der Altersarmut anzugehen, das aus der willentlichen Absenkung der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente folgt. Der Ausstieg aus der Riester-Rente, der Rürup-Rente und der Entgeltumwandlung muss jetzt erfolgen. Der Wiederaufbau der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente über 50 % des Einkommens hinaus muss jetzt erfolgen. Das Vertrauen in die Gesetzliche Rentenversicherung muss jetzt wiederhergestellt werden.

Es ist außerdem fraglich, ob die Hereinnahme weiterer Gruppen in die gesetzliche Altersvorsorge der Stabilisierung dieses Systems und der Vermeidung der Altersarmut dienen kann. Bei der Rentenversicherung gilt, wenn auch mit kleinen Abstrichen, das Prinzip, dass sich die Höhe der Renten an der Höhe der gezahlten Beiträge orientiert. Dieses Prinzip kann man aufgeben. Dabei sollte man aber beachten, dass man damit auch das Ansehen der gesetzlichen Rente kräftig beschädigt. Deshalb ist aus meiner Sicht davon abzuraten.

Ökonomieprofessor und Mitglied des Sachverständigenrates Peter Bofinger hat in einem Kommentar für den Spiegel gerade darauf hingewiesen, dass es in der Einstiegsphase so sein könnte, dass die neuen Beitragszahler aus dem Kreis der Selbstständigen, Beamten, Politiker etc. vorübergehend finanziell der gesetzlichen Rente helfen. Sie sind beim Einstieg noch nicht rentenberechtigt. Ob das wirklich so funktioniert, müsste man genauer prüfen.

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