Ist die US-Justiz eigentlich neuerdings für die gesamte Welt zuständig?

Jens Berger
Ein Artikel von:

Manchmal muss man sich bei der Lektüre der neuesten Meldungen staunend an den Kopf fassen. Habe ich das jetzt wirklich gelesen, oder bilde ich mir das ein? Die Meldung, dass das US-Justizministerium „wegen mutmaßlich systematischen Dopings gegen den russischen Sport ermittelt“ gehört zweifelsohne dazu. Aber auch das Kleingedruckte in einem FAZ-Artikel zur geplanten Monsanto-Übernahme durch den Bayer-Konzern lässt einen erschaudern: Dort steht in einem Nebensatz nämlich, dass das sogenannte Komitee für Auslandsinvestitionen in den Vereinigten Staaten offenbar plant, einem chinesischen Chemiekonzern zu untersagen, einen Konkurrenten aus der Schweiz zu übernehmen – aus Gründen der nationalen Sicherheit der USA. Die Frage „Was soll das?“ stellen die deutschen Journalisten, die derartige Meldungen schreiben, dabei gar nicht mehr. Das imperiale Gebaren der USA wird offenbar als selbstverständlich hingenommen. Von Jens Berger

Keine Frage: Man muss es kritisieren, dass es im russischen Sport offenbar systematisches Doping gibt und die Dopingregeln der Internationalen Anti-Doping-Agentur WADA offenbar genauso systematisch umgangen werden. Für solche Betrugsfälle haben die zuständigen internationalen Sportverbände, die internationale Anti-Doping-Agentur und das IOC auch ihre eigenen Regeln. Und sollten diese Verbände entscheiden, dass Russland von den kommenden Olympischen Spielen in Rio ausgeschlossen wird, dann sei dem so. Aber wer hat die US-Justiz mit dieser Sache betraut? Warum maßt sich die US-Justiz an, in einem Fall tätig zu werden, der nicht auf amerikanischem Boden begangen wurde und für den das US-amerikanische Recht überhaupt nicht zuständig ist? Ähnlich grenzüberschreitend ermittelte die US-Justiz ja bereits gegen die Fifa und den russischen Fußballverband, der angeblich die Weltmeisterschaft 2018 mit unlauteren Mitteln bekommen haben soll. Auch hier stellt sich die Frage, mit oder besser nach welchem Recht die US-Behörden ermitteln. Wenn ein zypriotischer Funktionär über einen in der Schweiz ansässigen internationalen Sportverband von einem russischen Funktionär bestochen worden sein soll, ist dafür doch nicht die US-Justiz zuständig.

Ähnliches Kopfschütteln bringt der Fall ChemChina/Syngenta hervor. Man muss es nicht gut finden, dass ein chinesisches Staatsunternehmen einen Schweizer Agrarchemiemulti übernimmt. Man kann auch auf nationaler Ebene Kartellverfahren einleiten und Sanktionen aussprechen, wenn diese Kartellverfahren Anlass zu einer Sanktionierung geben. Dies ist im konkreten Fall aber offenbar nicht gegeben. So wie über den Fall berichtet wird, haben die Amerikaner lediglich Sorgen, dass ein starkes ChemChina-Syngenta-Konglomerat dem US-Konzern Monsanto auf dem asiatischen(!) Markt Konkurrenz machen könnte. Das mag für die USA zwar ein Grund zur Sorge sein – ein Grund, diese Übernahme juristisch zu verhindern, ist dies jedoch ganz sicher nicht. Das sehen die USA freilich anders. Das „Komitee für Auslandsinvestitionen in den Vereinigten Staaten“ sieht aufgrund der Konkurrenzsituation eine Gefährdung für die nationale Sicherheit. Hätte sich dies ein Drehbuchautor ausgedacht, man hätte den Film als unrealistisch betrachtet. Die Realität ist aber noch schlimmer als es jede Phantasie je sein könnte.

Rein rechtlich gesehen kann die USA natürlich ChemChina nichts verbieten. Wenn sie dem Chemiemulti jedoch drohen, nicht mehr auf dem US-Markt tätig sein zu dürfen, wenn dieser sich nicht an der nationalen Sicherheit der USA orientiert, ist dies in einem globalen Wettbewerb eine Art Todesstoß. Ähnlich verhielten sich die USA übrigens in der Vergangenheit schon häufiger – vor allem im Finanzsektor, wenn es darum ging, Sanktionen gegen den Iran durchzudrücken. So wurde aus den US-Sanktionen gegen den Iran mittelbar internationale Sanktionen, da sich (fast) keine Bank der Welt mehr getraut hat, Auslandsgeschäfte mit dem Iran zu finanzieren.

Es sind nicht immer „nur“ die großen Manipulationen, mit denen wir auf Kurs gebracht werden sollen. Zahlreiche Unmöglichkeiten verstecken sich heutzutage in Nebensätzen. Die eigentliche Schande ist jedoch, dass die lieben Kollegen und Kolleginnen bei den Qualitätszeitungen diese Ungereimtheiten anscheinend gar nicht mehr wahrnehmen und sie in Nebensätze packen, so als seien sie das Selbstverständlichste auf der Welt. Und uns bleibt nur das Kopfschütteln.

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