„Wie man Politiker wieder das Fürchten lehrt“

Albrecht Müller
Ein Artikel von:
Dirk Koch - Der ambulante Schlachthof

So steht es im Titel des Buches „Der ambulante Schlachthof“ des früheren Spiegel-Journalisten Dirk Koch.

Die NachDenkSeiten haken in einem Interview mit dem Autor nach und wollen dabei noch etwas mehr – so von Koch versprochen – über die letzten Geheimnisse der Bundesrepublik erfahren. Auch über die Methoden der Spiegel-Journalisten. „Wir hatten auch in den engsten Kreisen um die jeweiligen Kanzler, unter deren auf strengste Verschwiegenheit verpflichteten Beratern und Mitarbeitern unsere Quellen,“ so Dirk Koch. Albrecht Müller.


Zum Verständnis des vertrauten Umgangs zwischen dem interviewten Dirk Koch und dem Interviewer und Herausgeber der NachDenkSeiten eine Vorbemerkung: Wir waren beide seit 1968 in Bonn tätig, wir sind uns beruflich und persönlich oft begegnet. Das „Du“ schließt selbstredend kritische Fragen nicht aus, so wie der SPIEGEL- Journalist und Leiter des SPIEGEL-Büros in Bonn, Koch, auch nicht unkritisch mit den Bundeskanzlern Brandt und Schmidt, den damaligen „Arbeitgebern“ von Albrecht Müller, umgegangen ist.

Dirk Koch (D.K.): Albrecht, Du hast keinen geringen Anteil daran, dass es das Buch gibt. Wir beide haben am Kaminfeuer in Irland gesessen und erzählt, Geschichten hinter den Geschichten.

Albrecht Müller (A.M.): Dabei habe ich einiges erfahren, was ich nicht wusste. Außerdem fand ich die beim SPIEGEL früher übliche Recherchemethode des kooperativen Journalismus interessant und nachahmenswert.

D.K.: Wahrheit ist vielschichtig. Hinter den veröffentlichten Stories im SPIEGEL verbergen sich oft interessante andere Geschichten. Darum ging´s. Zum Beispiel: Wie SPIEGEL-Chef Rudolf Augstein unbedingt, auch mittels Bestechungsversuchs – „Dirk, wie viel willst Du aus meiner Privatschatulle?“ – das Veröffentlichen der Enthüllungen über die illegalen Parteispenden verhindern wollte. Er hing voll mit drin, sein SPIEGEL hatte beim heißen Spiel mit den steuerverkürzenden Quittungen illegaler Parteispenden mitgemacht und mitkassiert.

A.M.: Also Steuern hinterzogen?

D.K.: Ich glaube, ja. Augstein wollte meine story selbst dann noch nicht veröffentlichen, als ich Ende 1981 auch dem geplanten Staatsstreich von oben auf die Spur gekommen war. Sämtliche Bundestagsparteien, die SPD/FDP-Koalition und die CDU/CSU-Opposition wollten trotz schwerster Verstöße gegen das Gesetz alle straffrei stellen, sich selbst als Nehmer illegaler Spenden in großer Millionenhöhe und die Geber, die millionenschweren Spender aus Wirtschaft und Industrie. Sogar am Grundgesetz wollten sie sich vergreifen und es zu ihren Gunsten ändern. Eine Allparteienkoalition wollte aus Habgier und Angst vor Strafe diesen Rechtsstaat, dieses Gemeinwesen ruinieren. Albrecht, auch Dein Parteichef Willy Brandt hat sich nicht quergelegt und der SPD-Kanzler Helmut Schmidt schon gar nicht.

A.M.: Was du da sagst, muss ich wohl glauben, überprüfen kann ich es nicht mehr. Vermutlich hast du recht, in jedem Fall ist spannend, was Du insgesamt erzählt hast. Ich habe Dir vorgeschlagen, daraus ein Buch zu machen.

D.K.: Du hattest die Idee und ich die Arbeit am Hals.

A.M.: Naja, so ist das eben. Wenn man sich als Autor verdingt, muss man in der Regel hart arbeiten.

D.K.: Du hast mir den Westend Verlag empfohlen. Die wären rührig und würden sich kümmern. Tun sie auch.

A.M.: Herausgekommen ist keine Anekdotensammlung aus den alten Bonner Zeiten. Es sind Beispiele in 22 Kapiteln, wie Journalismus geht, auch heute noch. Und Du hältst der heutigen Journalistengeneration vor, es würde zu wenig und zu wenig gut recherchiert. Die Politiker müsse wieder das Fürchten vor der Presse gelehrt werden, wie es im Titel des Buches heißt. Es mangele an Recherchewillen und an Recherchefähigkeit. Warum sind Deinem Urteil nach die Kolleginnen und Kollegen heute schlechter?

D.K.: Ich weiß, es klingt nach „Früher war alles besser“ und „ Achtung, hier spricht der Oberlehrer“, wenn ich härteren, besseren Journalismus einfordere. Soll so klingen. Hört ja sonst keiner zu. Die digitalisierten Kollegen müssen zurückfinden aus der virtuellen in die wirkliche Welt. Auch wenn jetzt die Jüngeren die Augen rollen, weil ich als Älterer keine Ahnung hätte, wie hart es schon zugehe im Journalistengewerbe. Acht Stunden sitze man am Computer und schreibe sich, schlecht bezahlt, die Finger wund im gefräßigen online-Geschäft. Man habe wichtige neue Fähigkeiten entwickelt und verstehe sich darauf, gewaltige Datenmengen, die Hundertausende Aktenordner füllen würden, auf verräterische Hinweise durchzuflöhen, wer welche krummen Dinger drehe. Alles richtig, alles wichtig. Wenngleich die Stille unheimlich ist, die heute in den Redaktionen der gebeugten Rücken und des Tunnelblicks zum Bildschirm herrscht. Früher wurde in der Redaktion getratscht und gelacht. Und die Verlage müssen wissen, dass vor allem schnell hingekloppte Onlineware, die es mit den Fakten nicht so genau nimmt, Ruf und Geschäft der Mutterhäuser beschädigt.

A.M.: Wofür plädierst Du?

D.K.: Für die Urtugenden des Journalismus. Hingehen, Gucken, Fragen, Zuhören, Leute treffen. Lieber eine Stunde früher das Googeln einstellen, stattdessen mit Abgeordneten reden, deren Assistenten und Sekretärinnen. Mit Fahrern und Personenschützern bekannt sein. Sachbearbeiter der Parlamentsausschüsse, der Ministerien, der Sicherheitsbehörden zum Prosecco einladen. Jeden Tag mindestens ein neuer persönlicher Kontakt. Sollte die Norm sein, an sieben Tagen der Woche…

A.M.: … am Wochenende auch, da ging’s den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Ministern nicht besser.

D.K.: … richtig, an Samstagen und Sonntagen auch. Rein ins Leben, Vertrauen aufbauen, sich aus den sozialen Netzwerken lösen, lieber ein feinverästeltes Geflecht persönlicher Beziehungen aufbauen und pflegen, behutsam Bekannte zu Informanten werden lassen, bei strengstem Informantenschutz. Das persönliche Gespräch ist wichtiger denn je, in diesen Zeiten, in denen wegen grassierender Abhörerei und Datenabgreiferei die Leute sich nicht mehr trauen, am Telefon zu reden. Es gilt, Nähe zu suchen zu Beamten und Politikern beim Joggen und Jagen, im Ruderverein, im Tennisclub, beim Volleyball, beim Doppelkopf oder Kegeln. Man muss dem Zufall eine Chance geben, etwas Hochinteressantes zu erfahren. Wer einen dicken Fisch fangen will, muss sich zum Angeln schon an den Fluss bequemen. Und ganz wichtig: Fachwissen aneignen, …

A.M.: … in der Tat wichtig, das habe ich bei euch Journalisten oft vermisst …

D.K.: … sich mit dem Verkehrs-Experten über die LKW-Maut, mit dem Abteilungsleiter im Sozialministerium über die Feinheiten der Pflegeversicherung, mit dem NATO-Botschafter über die neueste Militärdoktrin des Kreml auf Augenhöhe austauschen können. Wer meint, im richtigen Journalismus gäbe es die 40-Stunden-Woche, hätte sich besser in der Stadtverwaltung (vielleicht beim Friedhofsamt?) verdingt.

A.M.: Das übliche Vorurteil gegenüber dem öffentlichen Dienst. Das habt Ihr doch gar nicht nötig. Früher hatten die Politiker Angst vor der Presse, speziell vor dem SPIEGEL, auch vor den Kollegen vom Stern. Warum?

D.K.: Altminister Norbert Blüm sagt zum Buch: „Koch berichtet von den wichtigsten Tugenden der Journalisten: Fleißig sein und mutig. Recherchieren. Und vor allem: Nicht vor der Macht kuschen“. Otto Graf Lambsdorff, der FDP-Wirtschaftsminister, der wegen illegaler Parteispenden zurücktreten musste, hat mich „zum Chef einer journalistischen Todesschwadron“ ernannt, der angeblich jede Woche die Zahl seiner „Abschüsse“ zufrieden ins Kerbholz ritze. Der österreichische Medienfachmann Gerd Bacher hat uns erzählt, wie er seinen Auftraggeber Helmut Kohl vor mir und meinem Kollegen Klaus Wirtgen gewarnt habe: „Sie, Herr Doktor Kohl, seienS´ vorsichtig. Der Koch und der Wirtgen, das ist ein ambulanter Schlachthof“. Daher der Titel des Buchs. Ich vermisse es, dass heute Politiker wegen journalistischer Enthüllungen ihren Hut nehmen müssen. Früher geschah das in schöner Regelmäßigkeit. Selbst Kohl haben wir noch erwischt, er musste den Ehrenvorsitz der CDU abgeben, nachdem der SPIEGEL seine illegale Spendenaffäre aufgedeckt hatte, und er sich weigerte, gegen Recht und Gesetz, die Name seiner Geldgeber zu nennen.

A.M.: Wie habt Ihr das beim SPIEGEL organisiert, was waren eure Methoden?

D.K.: Wir saßen fast überall unerkannt mit am Tisch: Im Bundeskabinett, in den Koalitionsrunden, in den Präsidien und Vorständen der Parteien, in den Fraktionsführungsgremien, in den Leitungsgesprächen der Ministerien, in vertraulich tagenden Bundestagsausschüssen. Wir hatten auch in den engsten Kreisen um die jeweiligen Kanzler, unter deren auf strengste Verschwiegenheit verpflichteten Beratern und Mitarbeitern unsere Quellen. Ich bin sicher, auch Angela Merkels Schweigemauer ist zu knacken. Sie hat es mit ihrem strengen Regiment geschafft, dass nun seit Jahren schon kaum noch interessante Indiskretionen aus dem Zentrum der Macht nach außen dringen. Das mag der Kanzlerin gut gefallen, gut für die Demokratie und ihr Transparenzgebot ist es nicht. Hier sind die Journalisten gefordert. Früher war es auch nicht einfach, in die inneren Zirkel der Machtinhaber einzudringen. Aber es ging und es geht heute auch, man muss es nur wollen – und können. Mit Googeln schafft man das nicht.

A.M.: Wie schafft man es denn?

D.K.: Durch gutes Planen. Das Recherchieren muss intensiv vorbereitet werden, am besten langfristig. Wer könnte aus welchen Gründen daran interessiert sein, uns etwas zu stecken, über den SPIEGEL Einfluss zu nehmen? Wer ist wessen Feind, also vielleicht unser Freund? Wie lässt sich eine Quelle aufschließen? Man braucht einen langen Atem, um ein Vertrauensverhältnis zu schaffen, das sich dann im aktuellen Recherchefall bewährt. Oder auch nicht. Passiert natürlich auch. Auch das Scheitern will gelernt sein. Man muss erkennen lernen, wann man bei der Recherche nur noch Zeit und Kraft verschwendet. Und man darf sich nicht entmutigen lassen, muss die nächste Story genauso hartnäckig und findig angehen. Der Journalist darf es sich nie bequem machen und erst recht niemals jenen, über die er berichten will, hat uns SPIEGEL-Gründer Rudolf Augstein beigebracht.

A.M.: Geht´s vielleicht konkreter? Das wäre interessant für unsere Leserinnen und Leser.

D.K.: Es ist ein heikles Thema, weil es um Informanten geht. Die sind immer und unter allen Umständen zu schützen. Reden mag ich gerne über unsere engste Zusammenarbeit in unserer Hauptstadt-Redaktion, über den „kooperativen Journalismus“, wie das etwas fad und sperrig heißt. Im SPIEGEL gab es lange Zeit keine Namenszeilen unter den Artikeln. Man arbeitete anonym. Dies ließ sich nutzen für beste Zusammenarbeit. Es gab keinen hinderlichen Autorenehrgeiz. Das war günstig für die Bereitschaft zum Geben und zum Nehmen beim Sammeln von Informationen, danach auch beim Schreiben im Team.

A.M.: Der fehlende Autorenname hat den meisten Lesern nicht gefehlt, eher schon dem Autor in seiner Eitelkeit.

D.K.: Stimmt. Im Team der Anonymen war jeder Kollege gehalten, in den von ihm betreuten Politikbereichen – Außen und Sicherheit, Militär, Inneres, Soziales, Währung, Finanzen, Geheimdienste – besser und früher als die Konkurrenz informiert zu sein, sein Zuträgernetz zu hegen, zu pflegen und stetig weiter zu knüpfen. Schwerpunkt des Kontaktaufbaus und der Kontaktpflege war die Begleitung von Politikern und ihrer engsten Mitarbeiter auf Reisen in nahe oder ferne Länder. Wenn dabei eine aktuelle Geschichte heraussprang, umso schöner.

A.M.: Das können sich heute die wenigsten Redaktionen leisten.

D.K.: Kluge Verleger würden hier nicht sparen. Der SPIEGEL hat sich nicht einladen lassen, hat stets selbst für die Reisen gezahlt. Auch wenn wir damals recht viel Geld zur Verfügung hatten, gut recherchieren kann man auch ohne das dicke Portemonnaie. Unser großer Vorteil war: Unser Verleger war Journalist. Dem ging es nicht nur ums Geldmachen. Der kämpfte mit und stand zu seinen Redakteuren. Augstein ging es zu allererst um Inhalte, und deswegen stimmten am Ende auch die Zahlen. Nochmals, gut recherchieren kann man auch per Fahrrad, es geht auch ohne Jet.

A.M.: Naja, vorhin klang das etwas skeptischer, was du über Rudolf Augstein sagtest. Wie auch immer, Ihr musstet liefern.

D.K.: Taten wir auch mit unserem Team. Niemand sah sich mit einem Problem allein gelassen. Rechercheansätze wurden ausführlich besprochen. Wer aus dem Team sollte mit wem wozu reden? Alle hereinkommenden Informationen gehörten allen. Oft kümmerten sich zwei, drei oder auch mehr Korrespondenten um dasselbe Thema. Eingesammelte Informationen aus den Gesprächen mit den Quellen waren schriftlich fixiert, mit den anderen in der Gruppe zu teilen und abzugleichen, Akten, oft vertrauliches oder geheimes Material, in Kopie weiterzugeben. Nach außen war die Redaktion verschlossen und stachelig beim Hüten ihrer Geheimnisse, im Innern tauschte man sich recht offen aus, auch über Informanten und deren Glaubwürdigkeit. Die Mitglieder eines Teams hatten so den gleichen Wissensstand, wichtig für neue, unerwartete Rechercheaufgaben. Wichtig auch für das gemeinsame sorgfältige Gliedern eines Artikels, der absatz-, sogar satzweise zwischen den Autoren beraten und in Kürzeln im Schreibkonzept festgehalten wurde. Das Schreiben der Geschichte fiel dann leicht. Jeder Beteiligte übernahm einen Teil der Gliederung. Das Zusammenfügen der einzelnen Teile gelang meistens ohne Naht.

A.M.: Das finde ich besonders interessant, dieses Modell der kollektiven Recherche, des kooperativen Journalismus, wie du es nennst. Was einer herausgefunden hatte, das wurde zwingend allen zugänglich gemacht, die am Ball waren. Nenne mal ein praktisches Beispiel.

D.K.: Die Parteispendenaffäre, die in die Flickaffäre mit der rundum gekauften Politik mündete und im Fall des SPD-Kanzlers Helmut Schmidt. Ich hatte nach einem anonymen Anruf in der Tiefgarage unter der Domplatte in Köln ein Aktenpaket zugesteckt bekommen, wahrscheinlich von einem in seiner Arbeit von oben behinderten Steuerfahnder oder Staatsanwalt, und wir mussten herausfinden, waren die Papiere echt oder gefälscht? Das Bonner Team legte los, die Fachkollegen redeten mit ihren Gewährsleuten in den Ministerien, bei der Staatsanwaltschaft, den Steuerbehörden. Binnen kurzem verfestigte sich das Urteil: Die Akten sind echt.

Der kooperative Journalismus muss sich nicht auf eine Redaktion beschränken. Korrespondenten, die heute als Einzelkämpfer im Einsatz sind, können sich mit Kollegen anderer Blätter, deren Verbreitungsgebiete sich nicht überschneiden, zu Teams zusammentun. Wenn dann jeder der Beteiligten unterschiedliche Schwerpunkte bei den Fachgebieten hat, umso besser. Aber funktionieren wird das Zusammenspiel nur, wenn bei allen wirklich die Bereitschaft zum Teilen da ist, dann klappt es mit dem Geben und Nehmen der Informationen.

A.M.: Weil du immer nur von männlichen Kollegen sprichst, muss ich jenseits der Sache unseres Interviews anmerken: In eurer Redaktion gab es damals eine Kollegin, Marion Schreiber, der ich mit besonderem Respekt und besonderer Bewunderung gedenke. Leider ist sie viel zu früh gestorben. – Aber weiter im Kontext: Wussten die Politiker und Beamten, bei denen Ihr recherchiert habt, von diesem gemeinsamen Spiel?

D.K.: Überwiegend wohl nicht. Wir waren ziemlich maulfaul, wenn es um innere Angelegenheiten der Redaktion ging. – Wir hatten stets einige Kolleginnen im Team, auch weil ich das wichtig fand für die Umgangsformen im Büro und weil manchmal eine Korrespondentin bei einem Informanten mehr ausrichten konnte als ein männlicher Kollege. Marion Schreiber war eine herausragende Journalistin.

A.M.: Was müsste geschehen, um solche Zusammenarbeit wieder möglich zu machen?

D.K.: Journalismus war stets auch Reden auf dem Flur. Man quatschte miteinander, nicht selten kamen gute Einfälle für Themen und Recherchen dabei heraus. Heute wirken Redakteure oft auf mich wie Autisten, wie Leute mit Wahrnehmungsstörungen und voller Hemmungen, mit anderen zu sprechen. Stöpsel in den Ohren, verkabelt, tauschen die sich hauptsächlich mit ihrem Smartphone aus, auf dem sie herumwischen, auf das sie gebannt stieren, und in der Redaktion kennen sie am besten ihren Computer. Aber es gibt Hoffnung. Es bilden sich vermehrt Recherchezusammenschlüsse unterschiedlicher Medien, auch auf internationaler Ebene. Die journalistische Recherchekultur ist nicht ganz verschüttet.

A.M.: Als Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt hatte ich die Möglichkeit, ja sogar die Pflicht, an Kabinettssitzungen teilzunehmen. Das Kabinett tagte meist am Mittwoch. Am Montag darauf konnte man dann im Spiegel oft nachlesen, was, wer, am Kabinettstisch gesagt hatte. Ich habe mir während dieser Sitzungen oft überlegt, welcher Minister, welcher vertretende Staatssekretär oder wer sonst von den Anwesenden euch das einschließlich wörtlicher Rede berichtet hat. Wie habt ihr das geschafft? Waren das feste Verbindungen? Habt ihr dafür etwas bezahlt? Was haben die Informanten bekommen? Wohlwollen? Waren die Informationen quasi Schutzgelder der Informanten? Sie wurden dafür dann von euch freundlich behandelt? Wie muss man sich den konkreten Ablauf vorstellen? Hattet ihr direkt nach der Kabinettssitzung telefonischen Kontakt? Kannst du Namen nennen? Wer waren die Informanten bei der Regierung Brandt, bei Kanzler Helmut Schmidt, bei Helmut Kohl? Ist das immer noch ein Geheimnis?

D.K.: Der Informantenschutz gilt uneingeschränkt, über Informanten redet man nicht, selbst vor Gericht nicht. Mich hat ein Untersuchungsausschuss des Düsseldorfer Landtags mit Beugehaft bedroht, weil ich in der Flick-Affäre keine Namen nennen wollte. Eines aber kann ich sagen: Wir haben nie einen Politiker oder Amtsträger mit Geld bestochen. Dass man sich bei uns mit guten Informationen aus vertraulichen Runden Wohlwollen erwerben konnte, wenn wir etwas über einen Informanten wussten, das wir hätten enthüllen können, aber nicht unbedingt mussten, das bleibe dahingestellt.

A.M.: Du willst wirklich keine Namen nennen? Mit wichtigen Informationen ins Grab. Eigentlich geht das nicht. Vielleicht kannst du wenigstens ein paar Tipps für heute geben?

D.K.: Ein paar Tipps gebe ich gerne. Sehen wir uns die jetzige Berliner Regierung an. Wo ansetzen? Da gibt es Haarrisse, sogar tiefe Sprünge im Gefüge der Koalition aus CDU, CSU und SPD. Auf dem weiten reichen Feld der Interessengegensätze, der Eitelkeiten, der Machtgier, der Rachegelüste, der Kränkungen stößt man ziemlich leicht auf Journalistengold. Oder: Wie wär´s mit einer Charme-Offensive bei den Leuten, die nicht ganz oben stehen und dennoch viel wissen? Es gibt eine Menge fähiger, bestens informierter Frauen und Männer in der Politik, die sich übergangen und verkannt sehen beim Besetzen von Spitzenpositionen. Und die dann wenigstens heimlich via Medien Macht ausüben wollen. Man mustere die Reihen der gut bezahlten, aber machtarmen Parlamentarischen Staatssekretäre in der zweiten Reihe der Ministerien und Kanzleramt. Der Bundespräsident ist durch Beobachter am Kabinettstisch vertreten. Geht es um vertrauliche Kabinettsvorlagen für Gesetze, ist der gute Draht zu Berliner Lobbyisten viel wert. Die Vierte Gewalt im Staat, die Medien als Kontrolleure der Staatsmacht, muss findig sein und fleißig, wenn sie vertrauliche Informationen aus Angelas Welt beschaffen will.

Was auch immer Merkels streng geheim tagendes Küchenkabinett der engsten Vertrauten beschließt, es muss ja umgesetzt werden in Mitteilungen an die Ministerien, an die deutsche EU-Vertretung in Brüssel, an Fachausschüsse des Bundestags. Hier bieten sich Möglichkeiten, man muss sie nutzen wollen. Es lohnt sich, die Eifersüchteleien, den ewigen Zank um Zuständigkeiten, ja Feindschaften zwischen den Bundesministerien mit ihren Beamtenheeren sorgfältig aufzuklären, da lässt sich oft fette Beute machen. Die vom Auswärtigen Amt mögen es gar nicht, wie die sich vom Kanzleramt in die Außenpolitik einmischen, und über die Schmalspurdiplomaten des Entwicklungshilfeministeriums lästert man gerne gemeinsam. Wirtschaftsminister und Sozialminister liegen im Dauerclinch, der Innen- und der Justizminister haben sich auch nicht lieb, im Finanzministerium lassen sich relativ leicht die dicksten Hunde der ausgabewütigen Landwirtschafts- und Verteidigungsministerien einsammeln.

A.M.: Könnte es sein, dass du die Journalisten in der Vergangenheit zu rosig siehst? Ich kann dafür ein Beispiel nennen, das auch in deinem Buch vorkommt: von Willy Brandt behauptest du auf Seite 38, er habe nach der vom Spiegel freundlich begleiteten Ostpolitik innenpolitisch abgewirtschaftet gehabt. Man kann gut nachweisen – in meinem Buch „Brandt aktuell“ habe ich das minutiös belegt -, dass das nicht stimmt und dennoch wird es von vielen Journalisten damals und bis heute nachgeplappert. Welche Belege hast du denn dafür, dass die Behauptung für damals stimmt?

D.K.: Mag sein, dass Du recht hast und wir in unserem Urteil über Brandts innenpolitisches Tief etwas neben den tatsächlichen Gegebenheiten lagen, trotz der massiven Widerstände von Gewerkschaftsseite gegen die Innenpolitik des SPD-Kanzlers. Aber so ganz daneben können wir nicht gelegen haben. In meinem Buch schreibe ich dazu, auch mit Blick auf Brandts Rücktritt: Wer im journalistischen Gewerbe glaubt, er könne willkürlich Politiker kippen, die fest im Sattel sitzen, wird sich verheben. Kippen lässt sich ein Politiker nur, wenn er schon auf die schiefe Ebene geraten ist, durch Korruption und Gier und Lüge, durch Unfähigkeit und vertrauensselige Dummheit. Dann können Medien den Sturz beschleunigen.

A.M.: Keines traf auf Willy Brandt zu. Ich behaupte, der Spiegel hat damals versucht, seine Unabhängigkeit von der Person Willy Brandts und seiner Regierung zu demonstrieren und hat mit Unterstützung der innerparteilichen und außerparteilichen Gegner Willy Brandts und zusammen mit der Springer-Presse solche Parolen unters Volk gebracht. Was ihr damals behauptet habt und – mit Fakten belegt – nicht stimmt, ist in die Geschichtsschreibung eingegangen.

D.K.: Dass wir, nicht nur beim SPIEGEL, etwas rauer zugelangt haben, als das in der braven Journalistengeneration heute üblich ist, räume ich ein. Kampfpresse hat man uns genannt. Was ein Vorwurf sein sollte, mich aber nicht sehr gestört hat. Wir haben klare Kante gezeigt, hatten Kompass und Kurs. Nur mit strammer Haltung, ohne gute Argumente und Rechercheergebnisse aber kam man auch damals nicht weit.

A.M.: Deine Kritik an den Medien heute trifft. Man kann viel von dir lernen. Aber konsequent bist du nicht. Du meinst, die Behauptung, einige Journalisten seien käuflich, sei Teil einer Verschwörungstheorie. Weißt du nichts von käuflichen Journalistinnen und Journalisten?

D.K.: Hier musst Du etwas überlesen haben. Ich schreibe doch: Sicherlich ist richtig, Journalisten sind käuflich. Aber das ist nichts Neues. Das ist so von alters her. Seit Reichskanzlers Otto v. Bismarcks Zeiten, der seinen Reptilienfonds zum Schmieren der Presseleute zwecks preußenfreundlicher Berichterstattung nutzte. Das war bei CDU-Kanzler Konrad Adenauer und seinem millionenschweren, nur von ihm verwalteten Haushaltstitel 300 nicht groß anders. Mit dem Steuergeld kaufte er sich gefällige Geschichten aus der Bundeshauptstadt. Und das ist auch heute noch so – nur dass Gefälligkeitsjournalismus vielleicht ein wenig geschickter honoriert wird. Aber ich schreibe auch: Journalisten sind käuflich? Längst nicht alle, auch in den Chefetagen der großen Medienhäuser nicht.

A.M.: In deinem Buch distanziert du dich von dem Begriff Lügenpresse. Das ist verständlich. Das ist kein glücklicher, weil viel zu pauschaler Begriff. Aber so pauschal, wie du diesen Begriff zurückweist, weist du zugleich auch die Feststellung zurück, Medien würden die Unwahrheit sagen, schreiben und senden, sie würden manipulieren. Stört diese Beschönigung der Lage der Medien die sonst kritische Linie nicht?

D.K.: Nein, finde ich nicht. Wie man mit dem Begriff der Lügenpresse die Leute aufhetzt, ohne Rücksicht darauf, ob der Anwurf auch nur im Geringsten zutrifft, das lässt sich trefflich bei Adolf Nazi nachlesen, die kritische Neuauflage von „Mein Kampf“ liegt ja vor. Es geht darum, das Vertrauen der Bürger in die Presse als wichtige Garantin einer Demokratie zu zerstören. Dass bei den Medien es heute mit der Wahrheit oft nicht so genau genommen wird, insbesondere im online-Geschäft zu oft Schnelligkeit vor Korrektheit geht, das beklage auch ich. Aber zur pauschalen Unterstellung, es würde in den Medien bewusst die Wahrheit manipuliert und unterdrückt, kann ich nur sagen: Das ist rattenfalscher Quatsch.

A.M.: Offensichtlich leugnest du, dass die deutschen Medien – und nicht nur der online Bereich – seit Jahren Kampagnen zugunsten privater Interessen betreiben und die Menschen in vielfältiger Weise manipuliert haben; bestes Beispiel: die Werbung für die Riester-Rente und die Dramatisierung des demographischen Wandels. Der Spiegel an vorderer Front, zusammen mit der Bild-Zeitung. Dies nur dazu.

Weiter: Du bewunderst den Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung und lobst auch den Partner dieses Verbundes, das internationale Konsortium für Investigativen Journalismus (ICIJ). Sind dir da keine Zweifel gekommen? Immerhin schreibt die Süddeutsche Zeitung selbst: „Einer der größten Unterstützer ist seit Jahren die Open-Society-Stiftung des Multimilliardärs George Soros. Sie gibt dem ICIJ gut ein Drittel des Gesamtbudgets.“ Und George Soros ist höchst umstritten. Da gibt es doch offensichtlich eine interessante Rechercheaufgabe. Hast du keine Lust, auf deine alten Tage noch einmal richtig auf Recherchearbeit zu gehen und zu untersuchen, was das Netzwerk treibt und antreibt?

D.K.: Gute Idee, lohnt sich bestimmt. Sollen aber die Jüngeren ran. Zur finanziellen Unterstützung des Soros für den ICIJ, in dem immerhin rund 180 Journalisten aus über 60 Ländern einander helfen, antworte ich mit einem Willy Brandt-Klassiker: „First things first“. Wenn das Geld des Soros der Wahrheitsfindung und der Demokratie dient – so what? Ob aber Soros Einfluss nimmt auf Recherchen und Berichterstattung, Zensur ausüben lässt, da muss nachgesehen werden. Kolleginnen und Kollegen, es gibt viel zu tun in unserem Gewerbe.

A.M.: Wie man das Wirken des Soros so herunter spielen kann, bewundernswert. – Auf dem Cover des Buches steht als abschließende Zeile: „Die letzten Geheimnisse der Bundesrepublik.“ Beim Lesen hatte ich den Eindruck, dass du nicht alle Geheimnisse gelüftet hast, die du lüften könntest. Zum Beispiel?

D.K.: Der erwähnte Putschversuch sämtlicher Bundestagparteien, um sich und ihre Geldgeber mittels Amnestie vor Strafe in der Parteispenden- und Flick-Affäre zu schützen, war damals bis heute die schwerste Krise der deutschen Nachkriegsdemokratie. Das Grundgesetz sollte manipuliert, der Rechtsstaat vergewaltigt werden. Als der Staatsstreich dann gescheitert war, weil der SPIEGEL die geheimen Umtriebe ans Licht gezogen hat, haben die Beteiligten viel dafür getan, den geplanten Angriff auf die Verfassung zu verschleiern, zu vertuschen, möglichst viel unter den Teppich zu kehren. Unter diesem Teppich nachzugucken, lohnt sich.

A.M.: Das versuchen die NachDenkSeiten täglich. Danke für das Interview.

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