Das Märchen vom Märchen von der wachsenden Ungleichheit

Jens Berger
Ein Artikel von:

Wussten Sie schon, dass wir in Deutschland gar keine zunehmende Ungleichheit haben? Das „beweist“ zumindest eine Auftragsstudie des Ifo-Instituts, wie die WELT fröhlich verkündet. Ist also alles halb so wild? Ist die Ungleichheit nicht mehr als ein Wahlkampfthema, wie Ifo und WELT zynisch behaupten? Vergessen Sie das Märchen vom Märchen von der wachsenden Ungleichheit. Es zeigt sich vielmehr, dass die Ifo-Forscher die Bordsteinschwalben der Wirtschaftswissenschaften sind und so ziemlich jede waghalsige Verdrehung mitmachen, solange der Preis stimmt. Von Jens Berger.

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Welche Formen der wirtschaftlichen Ungleichheit gibt es in Deutschland? Zum einen natürlich die Ungleichverteilung der Vermögen, die ich in meinem Buch „Wem gehört Deutschland?“ sehr ausführlich seziert habe und die hierzulande im internationalen Vergleich einen traurigen Spitzenrang einnimmt. Wenn Ifo und WELT von „wachsender Ungleichheit“ sprechen, ist diese Ungleichverteilung damit jedoch wohlweislich nicht gemeint! Bei der Kritik an der Kritik an der Ungleichverteilung geht es nämlich nicht um die Vermögen; denn hier sind die Zahlen so eindeutig und so dramatisch, dass noch nicht einmal der ruchloseste Wissenschaftssöldner es schafft, eine Auftragsstudie zu erstellen, die diesen Missstand verschleiern kann.

Nein, das Ifo-Institut hat sich stattdessen die Einkommen vorgenommen, die in Deutschland ja ebenfalls recht ungleich verteilt sind; wenn auch bei weitem nicht so ungleich wie die Vermögen. Beim Vergleich der Einkommen gibt es jedoch auch zahlreiche Möglichkeiten, wie man gewünschte oder ungewünschte Daten für eine derartige Analyse bekommen kann. Dabei geht es vor allem darum, Daten auszusieben, die nicht zum gewünschten Ergebnis beitragen. Dazu kann man …

  1. nicht alle Einkünfte (also z.B. nicht die Einkommen aus unternehmerischer Tätigkeit und die Kapitaleinkünfte), sondern nur das Einkommen aus sozialversicherungspflichtiger Arbeit heranziehen.
  2. nur Vollzeitkräfte mit in den Datenpool aufnehmen, da die besonders niedrigen Einkommen ja vor allem bei Teilzeit- und Minijobs bezahlt werden.

Wenn man a) und b) beherzigt, kriegt man natürlich eine Datenauswahl, die vergleichsweise gleich verteilt ist. Ohne Erwerbslose und Bezieher der Grundsicherung, Teilzeitkräfte und Minijobber auf der einen, sowie Unternehmer, Großanleger, Beamte und Freiberufler auf der anderen Seite, bekommt man natürlich eine „gleichere“ Verteilung der Einkommen. Wenn das immer noch nicht reicht, kann man noch …

  1. die obersten 15% der Einkommen aus der Datenauswahl herausnehmen, da diese (aufgrund der fragwürdigen Erhebungsmethoden) „in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze zensiert sind“ und man Daten haben will, die „robust gegen diese Zensur“ sind (beides O-Zitate aus der Ifo-Studie).

Vollkommen klar, wenn man nun also auch noch die Einkommen herauslässt, die über der Beitragsbemessungsgrenze für die Sozialversicherungen liegen, also alle sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer mit einem Einkommen von über 5.400 (Ost) bzw. 6.200 Euro (West) pro Monat, dann erhält man Daten, die relativ gleich verteilt sind. Aber was sagt das über unsere Gesellschaft aus? Das Ifo-Institut hat die Methoden a), b) und c) angewendet – was die Auswertung der Daten auch ziemlich sinnlos erscheinen lässt.

Mehr noch: Da anhand der Filter a), b) und c) „dummerweise“ kein positiver Trend abbildbar ist, also selbst die Einkommen der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer in Vollzeit, die unter der Beitragsbemessungsgrenze liegen, sich in den letzten Jahren nicht angeglichen haben, mussten die Ifo-Zahlenverdreher separat einen weiteren Kunstgriff anwenden. Man …

  1. nahm nun auch die Erwerbslosen (nicht aber die Unternehmer, Selbstständigen, Beamten usw.) mit in den Datenpool; jedoch nicht mit ihrem Gesamteinkommen, also inkl. der Sozial-/Transferleistungen, sondern ausschließlich mit ihren Arbeitseinkünften.

Doch welche Arbeitseinkünfte hat ein Erwerbsloser? Wenn man mehrere Millionen Datensätze mit einem Gesamteinkommen von Null Euro in den Datenpool aufnimmt, wird die Ungleichverteilung (also der Gini-Koeffizient) natürlich dann sinken, wenn die Zahl dieser Datensätze sinkt. Dies ist aber wissenschaftlich nicht zielführend, da es überhaupt nichts über die Gleich-/Ungleichverteilung aussagt. Dazu ein kleines Beispiel: Wenn man die Daten nur für Vollzeitbeschäftigte und für Erwerbslose erhebt, fliegt ein ehemaliger Hartz-IV-Empfänger, der nun in Teilzeit arbeitet, aus dem Datenpool heraus. Der Gini-Koeffizient sinkt, die rechnerische Verteilung ist gleicher; auch dann, wenn er keinen einzigen Cent mehr verdient, die faktische Verteilung der Einkommen sich also gar nicht geändert hat. Wenn man alternativ sämtliche Erwerbsformen in die Auswertung mit einbezieht, geschieht nach der Methodik des Ifo-Instituts interessanterweise das Gleiche. Da nur Arbeitseinkommen abgebildet werden, hat der Teilzeitler nun (rein rechnerisch) natürlich ein viel höheres Einkommen, was in der Gesamtverteilung dazu führt, dass die Einkommen rechnerisch gleicher verteilt sind. Da unser Teilzeitler aber u.U. keinen Cent mehr in der Tasche hat, ist dies ein statistischer Taschenspielertrick, wie es zahlreiche im Repertoire des Ifo-Instituts gibt.

Wie kommt das Ifo-Institut eigentlich dazu, eine derart unseriöse Studie zu erstellen, deren Ergebnis mit allen zur Verfügung stehenden Tricks manipuliert wurde? Die Studie hat das Ifo-Institut natürlich nicht aus eigenem Antrieb gemacht. Die Auftragsstudie „Entwicklung der Einkommensungleichheit“ ist vielmehr genau das – eine Auftragsstudie, für die die Stiftung Familienunternehmen bezahlt hat. Und wer die Kapelle bezahlt, bestimmt freilich auch, welche Musik gespielt wird. Dass man ausgerechnet das Ifo-Institut beauftragt hat, ist natürlich kein Zufall – schließlich nimmt das Münchner Institut unter den neoliberalen Überzeugungstätern eine Schlüsselrolle ein und es mit der wissenschaftlichen Akkuratesse ohnehin nie sonderlich genau. Damit ist das Institut natürlich der geborene Partner für die Stiftung Familienunternehmen, einer Lobbyorganisation, die sich allen voran niedrigere Spitzensteuersätze, niedrigere Lohnnebenkosten und niedrigere Unternehmenssteuern wünscht.

Zynisch muss man den Lobbyisten und wissenschaftlichen Bordsteinschwalben jedoch Applaus zollen. Wer weiß denn schon, dass hier Daten kosmetisch solange geschönt wurden, bis das Ergebnis passte? Künftig wird es zum Thema „Ungleichheit“ stets heißen: „Da ist sich die Ökonomenzunft aber uneins“ oder „Es gibt Studien, die das genaue Gegenteil belegen“. Damit haben die Lobbyisten ihr Ziel erreicht. Chapeau!