Von wegen „billiger“ Atomstrom

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In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE [PDF – 72 KB] nach den volkswirtschaftlichen Kosten der Atomenergie gibt die Bundesregierung [PDF – 76 KB] an, dass die Quantifizierung, insbesondere externer Kosten, mit erheblichen Unsicherheiten verbunden sei. Dennoch zeigt die Auflistung der bisher aufgebrachten Kosten allein für den Bund (also ohne Länder), dass – jenseits der Stromkosten für die Verbraucher – Atomstrom für die Steuerzahler alles andere als eine billige Energie darstellt. In der Antwort der Bundesregierung werden bei weitem nicht alle Kosten der öffentlichen Hand aufgelistet, etwa die Aufwendungen der Länder oder die Forschungskosten an Hochschulen oder öffentlichen Forschungseinrichtungen oder die Sicherungskosten für die Atomtransporte. Überhaupt noch nicht kalkulierbar sind die Kostenrisiken für die künftige Stilllegung alter abgeschalteter Kraftwerke. Die künftigen Belastungen für die Steuerzahler dürften die bisher aufgelaufenen Beträge noch um ein Vielfaches übersteigen – es sind „Unendlichkeitslasten“. Wolfgang Lieb

Hier zunächst einige der in der Antwort aufgeführten Kostenblöcke aus dem Haushalt des Bundes (wie viel Geld die Länder eingesetzt haben, ist dabei natürlich nicht erfasst):

  • Von 1974 bis 2007 hat die Bundesregierung die kerntechnische Forschung an den Helmholtz-Zentren (Forschungszentren Jülich und Karlsruhe, GKSS Forschungszentrum Geesthacht, Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie und Helmholtz-Zentrum München) mit insgesamt 4,44 Mrd. Euro institutionell gefördert. Im selben Zeitraum hat die Bundesregierung 1,81 Mrd. Euro für die Förderung von Projekten zur Sicherheitsforschung für kerntechnische Anlagen bereitgestellt.
  • Die Kosten der öffentlichen Hand für Rückbau- und Endlagerung für die Versuchswiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe, für das Prozess- und Lagergebäude sowie die Verglasung ergeben sich wie folgt: Bis zum 31. Dezember 2007 beliefen sich die Kosten auf 571,22 Mio. Euro. Der Mittelansatz für dieses Jahr liegt bei 59,43 Mio. Euro. Für zukünftige Kosten werden nach derzeitigem Stand 920 Mio. Euro veranschlagt.
  • Die Kosten der öffentlichen Hand für Bau, Betrieb und Rückbau des Kernkraftwerks Niederaichbach (KKN), das bis 1995 vollständig zur „grünen Wiese“ zurückgebaut wurde, sowie für die Entsorgung beliefen sich auf 134,5 Mio. Euro.
  • Die Kosten der öffentlichen Hand für den Bau und die Abwicklung des Schnellen Brüters in Kalkar (SNR-300) beliefen sich auf 2,177 Mrd. Euro.
  • Die Kosten der öffentlichen Hand für das Kernkraftwerk Hamm-Uentrop (Thorium-Hochtemperaturreaktor THTR) beliefen sich bis zum 31. Dezember 2007 auf 1,776 Mrd. Euro. Der Mittelansatz für dieses Jahr liegt bei 5,778 Mio. Euro, für 2009 bei 6 Mio. Euro. Die Kosten für die Zukunft sind noch nicht bekannt und die Kostenübernahme ist noch nicht verhandelt.
  • Bis zum 31. Dezember 2007 wurden im Rahmen dieser Finanzierungszusage rd. 2,5 Mrd. Euro den Energiewerken Nord GmbH (ehemals DDR) für die Erfüllung seiner atomrechtlichen Verpflichtungen zur Verfügung gestellt. Im Jahre 2008 sind 111 Mio. Euro Zuwendungen für diese Zwecke bewilligt. Für den Zeitraum ab 2009 werden nach derzeitiger Einschätzung noch Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt in der Größenordnung von rd. 600 Mio. Euro benötigt.
  • Die Kosten der öffentlichen Hand für das Forschungsbergwerk ASSE II beliefen sich bis 31. Dezember 2007 auf 257 Mio. Euro. Der Mittelansatz für dieses Jahr liegt bei 57 Mio. Euro, die zukünftigen Kosten werden auf 536 Mio. Euro geschätzt.
  • Die Kosten, die für das Endlager Morsleben bis zum 31. Dezember 2007 entstanden sind, belaufen sich auf ca. 648 Mio. Euro. Im laufenden Haushaltsjahr 2008 sind 61,7 Mio. Euro für das Projekt Morsleben veranschlagt. Die Gesamtprojektkosten werden auf ca. 2,2 Mrd. Euro geschätzt
  • Für das Projekt Gorleben sind von 1977 bis Ende 2007 Kosten in Höhe von rd. 1,51Mrd. Euro entstanden. Im laufenden Haushaltsjahr 2008 sind 27,6 Mio. Euro für das Projekt Gorleben veranschlagt. Die zukünftigen Kosten hängen insbesondere von einer politischen Grundsatzentscheidung zum weiteren Vorgehen bei der Endlagerung hochaktiver, wärmeentwickelnder Abfälle ab.
  • Von 1979 bis 1992 hat der Bund freiwillig – ohne Anerkennung einer Rechtspflicht – als Ausgleich für mit den Entsorgungsanlagen (Endlagerprojekte Gorleben, Schacht KONRAD und die Aufgabe der WAA Wackersdorf) verbundene Lasten des Landes Niedersachsen insgesamt 410 Mio. DM pauschal an das Land Niedersachsen gezahlt.
  • Seit 1990 sind bis Ende 2007 für die Sanierungsmaßnahmen der Wismut GmbH (Altlasten durch den Uranbergbau der Wismut GmbH) insgesamt ca. 4,9 Mrd. Euro aus dem Bundeshaushalt ausgegeben worden. Für 2008 sind 170 Mio. Euro vorgesehen. Für die noch ausstehenden Sanierungsarbeiten und die sich anschließenden Langzeitaufgaben sind nach heutigem Kenntnisstand weitere ca. 1,3 Mrd. Euro erforderlich.
  • Die Finanzierung der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) erfolgt nicht über individuelle Beiträge der Mitgliedsstaaten, sondern über den allgemeinen Haushalt der EU. Seit 1990 wurden Euratom über Rahmenprogramme (RP) die nachfolgend aufgelisteten Mittel zur Verfügung gestellt:
    3. RP (1990 bis 1994): 657 Mio. ECU
    4. RP (1994 bis 1998): 1,33 Mrd. ECU
    5. RP (1998 bis 2002): 1,26 Mrd. ECU
    6. RP (2002 bis 2006): 1,78 Mrd EURO
    Die im derzeit laufenden 7. RP (2007-2011) zur Verfügung gestellten Mittel belaufen sich auf insgesamt 2,75 Mrd. Euro.
  • Die Summe der von der Bundesrepublik Deutschland im Zeitraum von 1957 bis Ende 2007 an die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) geleisteten Beiträge beträgt rund 636,7 Mio. Euro.
  • Allein für das atomare Endlagerprojekt Gorleben (Niedersachsen) sind von 1977 bis Ende 2007 Kosten in Höhe von 1,51 Milliarden Euro entstanden.

(Alle Angaben aus Antwort der Bundesregierung Drucksache 16/10077 [PDF – 76 KB] und Deutscher Bundestag)

Mit den Kosten für den sicheren Einschluss und den Rückbau des – gemessen an den Großkernkraftwerken – mit einer elektrische Nettoleistung von 13 Megawatt winzigen Versuchsreaktors in der Kernforschungsanlage Jülich war ich schon vor 10 Jahren beruflich als stellvertretender Verwaltungsratsvorsitzender der KfA persönlich befasst.
Der Reaktor hatte schon 1988 ausgedient und wurde stillgelegt. Doch nach wie vor war die Betriebsbesatzung mit dem stillgelegten beschäftigt, denn nur sie hatte das Know-how, auch mit dem abgeschalteten Reaktor umzugehen. Der Reaktor „rostete“ jedoch vor sich hin und wurde zu einer Gefahr vor allem für das Grundwasser. Zunächst wurde ein „sicherer Einschluss“ entschieden. Die geschätzten Kosten beliefen sich im Jahre 2003 auf weit über 200 Millionen Euro. Für den Rückbau (Herstellung einer grünen Wiese) wurden damals weitere 300 Millionen Euro angenommen. Die „Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor Jülich“ (AVR), eine Betreibergesellschaft von 15 kommunalen Elektrizitätsversorgungsunternehmen, war natürlich nicht in der Lage für diese Kosten gerade zu stehen, sie hatte schon Mühe die Kosten für den stillgelegten Reaktor aufzubringen.
Hätten die Gesellschafter der Kernforschungsanlage Bund (90 %) und NRW (10%) die AVR in Anspruch genommen, so wäre sie sofort insolvent gewesen, und die öffentliche Hand hätte auch noch das Betriebspersonal übernehmen müssen. Noch mehr, bei einer Pleite der AVR hätte der Reaktor keinen Betreiber mehr gehabt und wäre im ordnungsrechtlichen Sinne als „störendes Objekt“ voll und ganz in die Verantwortung der Öffentlichen Hand übergegangen.
Wie viele Jahre der Rückbau in Anspruch nehmen würde, wie langwierig die verschiedenen Genehmigungsverfahren dauern würden, war völlig unkalkulierbar. Man rechnet heute bis 2013.
Wie und wo die kontaminierten Bauteile endgelagert werden können ist völlig offen.

Ähnlich stellte sich die Sachlage auch nach der Stilllegung des Thorium-Hochtemperator-Reaktors in Hamm-Uentrop. Die Betreibergesellschaft wäre bei einer Inanspruchnahme für die Stilllegungskosten sofort insolvent gewesen und konnte für die Kosten nicht herangezogen werden. Der Vertrag war so ausgestaltet, dass auch kein Rückgriff auf die Energiekonzerne möglich war. Die Kosten wurden anfänglich auf eine halbe Milliarde Euro geschätzt und liegen derzeit bei 1,776 Mrd. Euro – die gleichfalls beim Steuerzahler hängen blieben. Der Rückbau wird noch mindestens 20 Jahre beanspruchen. Wie hoch der Rückbau schließlich den Steuerzahler noch belasten wird, ist nicht absehbar.

In Deutschland werden derzeit 17 KKW betrieben. Sie alle müssen irgendwann stillgelegt und (hoffentlich) zurückgebaut werden. Ob die Rückstellungen der Energiekonzerne ausreichen, um den sicheren Einschluss oder den Rückbau finanziell abzudecken, muss man nach den bisherigen Erfahrungen bezweifeln. Ich kenne natürlich die vertraglichen Ausgestaltungen der Haftung die Kraftwerke nicht. Die Genehmigungen sind jedoch alle erteilt worden, als ein kernenergieförderliches Klima herrschte, und das heißt die Politik und die zuständigen Genehmigungsbehörden waren mit Sicherheit ähnlich großzügig wie beim AVR und beim THTR. Es dürfte mit Sicherheit Haftungsbegrenzungen geben, so dass auch für diese privat betriebenen Anlagen letztlich die öffentliche Hand haftet und für deren Sicherheit zu sorgen haben wird.
Beim Kohlebergbau spricht man von den „Ewigkeitskosten“ für die Altlasten. Bei den Atomkraftwerken sollte man genauer von „Unendlichkeitskosten“ sprechen, die über eine nach menschlichem Ermessen unüberschaubaren Zeitraum anfallen.
Darüber reden diejenigen, die heute vom „billigen“ Atomstrom schwadronieren, natürlich nicht.

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