„Reporter ohne Grenzen“ sollte aufhören, die Lage der Medien im Westen zu beschönigen.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:
Albrecht Müller

Vor gut vier Wochen fand ich in meinem Briefkasten die Weltkarte von „Reporter ohne Grenzen“ mit der Rangliste der Pressefreiheit vor. Wenige Tage später wurde mir als Mitglied der früheren IG Medien, heute ver.di, die gleiche Weltkarte mit dem „Medienpolitischen ver.di- Magazin M“ noch einmal frei Haus geschickt. Das bunte, mindestens DINA2 große Plakat – mit einer Auflage von 63.000 – dient offenbar der Werbung von Mitgliedern und Förderern und der Information über den Zustand der Pressefreiheit in der Welt. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Das Plakat kennzeichnet mit fünf verschiedenen Farben von weiß bis schwarz den Zustand der Pressefreiheit in allen Ländern der Welt. Deutschland ist zusammen mit einigen wenigen mitteleuropäischen und nordischen Ländern weiß gefärbt und charakterisiert mit „Gute Lage“.

Frankreich rangiert zusammen mit Polen, Großbritannien, Niger, Chile, und den USA und Kanada in der Kategorie zwei = gelb: „Zufriedenstellende Lage“.

Russland, die Türkei, Algerien, Ägypten, Indien, der Irak, Venezuela und Mexiko sind rot eingefärbt. Diese 4. Kategorie heißt „Schwierige Lage“.

Zwischen Rot und Gelb gibt es noch ocker als dritte Kategorie mit der Kennzeichnung „Erkennbare Probleme“. Zu dieser Kategorie gehören nach Meinung von „Reporter ohne Grenzen“ Brasilien, Argentinien, Italien und auch die Ukraine und Ungarn.

Dann gibt es noch die fünfte, die schwarz eingefärbte Kategorie mit der Kennzeichnung: „Sehr ernste Lage“. Dazu gehören China, Iran, Saudi-Arabien, Syrien, Libyen und auch Kuba.

Wer die Weltkarte insgesamt betrachtet, weiß nach einem ersten Überblick, wo auch nach der Kategorie „Pressefreiheit“ die Guten und die Bösen in dieser Welt zu verorten sind.

„Reporter ohne Grenzen“ wendet offenbar ziemlich formale Kriterien an: Wenn der Staat die Medien und die Journalistinnen/en gängelt, dann rutscht das Land in Richtung schwarz, wenn Medienkonzerne die Journalistinnen und Journalisten gängeln, dann nennt sich das „Pressefreiheit“.

Nehmen wir unser Land, Deutschland:

  • Wir haben eine hohe Konzentration der Medien in wenigen Händen – bei Springer, bei Bertelsmann, bei Holtzbrinck, bei Burda, bei Schaub und dann noch bei einer Reihe von regionalen Monopolen bzw. Oligopolen.
  • Hierzulande setzen die Medieneigentümer ihre Macht in Gängelung der Journalisten um und sie lassen sich dabei von wirtschaftlichen und politischen Interessen leiten. Der Humanistische Pressedienst hat am 21. Juni gerade über einen solchen Fall berichtet. Unter der Überschrift „Pressefreiheit.

    Kritischer Redakteur beim Südkurier kaltgestellt“ wird dort von der Gängelung eines anerkannt guten Journalisten berichtet. Er hatte keine Rücksicht auf die politischen Interessen des Konstanzer Oberbürgermeisters und auf die wirtschaftlichen Interessen des Verlages genommen.

    Das ist die typische Standardsituation, die man in vielen Regionen Deutschlands findet: die Pressefreiheit wird tatsächlich mit Füßen getreten, während gleichzeitig das hohe Lied der formalen Pressefreiheit gesungen wird. In Anlage 1 finden Sie noch etwas mehr zu diesem Vorgang, einschließlich eines interessanten Leserkommentars eines Journalisten-Kollegen des Betroffenen.

  • Oft schließen die regionalen Monopole und Oligopole mehrere Medienkategorien ein: die normalen Printmedien, die regionalen bzw. lokalen Hörfunkstationen und die Anzeigenblätter. Das hat zur Folge, dass die Kommunalpolitiker in weiten Regionen Deutschlands von einem einzigen Medieneigentümer begleitet werden.
  • Die Rolle und Macht der Public Relations-Agenturen wird vermutlich nicht ausreichend oder gar nicht in die Bewertungs- und Einordnungskategorien einbezogen.
  • Dass in unseren Medien Kampagnen geplant und gefahren werden, mit denen die politischen Entscheidungen ganz wesentlich bestimmt werden und dass damit auch die Pressefreiheit im realen, wirklichen Sinne ausgehebelt wird, findet in der Weltkarte bei der Einordnung Deutschlands – und anderer westlicher Länder – keinen Niederschlag.
  • Der Einfluss der politischen Spitze auf die öffentlich-rechtlichen Sender, die systematisch betriebene Personalpolitik der CDU/CSU zum Beispiel, kommt in der Bewertung nicht zur Geltung.
  • Die transatlantischen Netzwerke, die nachweisbar wesentlichen Einfluss auf die Berichterstattung und Meinungsbildung in unseren Medien haben, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gewichtet und berücksichtigt.
  • Dass der Kampf um die Einschaltquoten zwischen kommerziellem Rundfunk und öffentlich-rechtlichem Rundfunk und unter den verschiedenen Sendern nicht zu mehr Vielfalt, sondern zu mehr Einfalt und zu einer Art von tatsächlicher Gleichschaltung geführt hat, wird vermutlich von den Zeichnern, Malern und Verteilern der Weltkarte nicht berücksichtigt.

Das Wirken der Medienkonzerne und der Medienmogule in anderen Ländern der formalen Pressefreiheit wird offensichtlich nicht sonderlich beachtet

  • In Brasilien wurde die gewählte Präsidentin entmachtet. Dass dabei die Medienkonzerne eine wesentliche Rolle gespielt haben, ist bekannt. Schlägt sich das in der Einfärbung der Weltkarte und der Platzierung Brasiliens auf einem mittleren Platz nieder?
  • In den Vereinigten Staaten von Amerika, in Großbritannien und Australien haben Medienmogule wie Murdoch einen großen Einfluss auf die Medien und nutzen diesen Einfluss auch für die Durchsetzung ihrer Interessen. Aber das ist offensichtlich kein Hinderungsgrund, diese Länder gelb einzufärben und die Lage der Pressefreiheit als „zufriedenstellend“ zu kennzeichen.
  • Kuba wird schwarz eingefärbt, ähnlich wie China. Ich will mir nach zwei Besuchen in Kuba noch kein Urteil über die wirkliche Lage der Journalistinnen und Journalisten anmaßen. Den Grad an Meinungsfreiheit kann ich aber einigermaßen gut ermessen; die ist besser, als landläufig bei uns und gerade auch von deutschen Medien behauptet wird. Den Grad der Pressefreiheit kann ich noch nicht beurteilen. Dass aber Kuba in der fünften und schlechtesten Kategorie – = schwarz – und die USA in der zweitbesten Kategorie = gelb und mit dem Kommentar „Zufriedenstellende Lage“ geführt werden, zeigt zumindest die Oberflächlichkeit der Einordnung durch „Reporter ohne Grenzen“. Vermutlich ist es einfach Propaganda.

Die Weltkarte hat einen propagandistischen Zweck. Das ist schade. Denn „Reporter ohne Grenzen“ leistet jenseits der Darstellung der Pressefreiheit in einer zweifelhaften Weltkarte auch sehr gute praktische Arbeit bei der Hilfe für Journalistinnen und Journalisten in aller Welt. Die Weltkarte so breit zu streuen ist problematisch, weil die Organisation mit solchen PR Aktionen und mit der skizzierten Aufteilung in Gut und Böse den eigenen Ruf beschädigen könnte.

Anlage 1:

Vorbemerkung: Fälle wie den folgenden schildern NachDenkSeiten-Leserinnen und Leser immer wieder in ihren Mails.

Pressefreiheit

Kritischer Redakteur beim Südkurier kaltgestellt

KONSTANZ. (hpd) Nach rund neun Jahren ist Michael Lünstroths Zeit als Redakteur beim Südkurier wohl endgültig abgelaufen. Er bekam eine Abmahnung und darf nur noch Schreibtischdienst verrichten. Kaum vorstellbar, dass sich daran noch was ändert. Es sieht so aus, als unterwerfe sich sein Arbeitgeber auch wirtschaftlichen Interessen und ist bereit, dafür einen verdienten Mitarbeiter über die Klinge springen zu lassen.

Mittlerweile ist hinreichend belegt: Lünstroths Berichterstattung über die bevorstehende Schließung des Scala-Kinos und seine Kritik über die zunehmende Verramschung der Konstanzer Innenstadt wurde ihm zum Verhängnis. Mehrfach hatte der Redakteur über Wochen hinweg die Verwaltungsoberen für ihre Untätigkeit und kulturpolitische Ignoranz gegeißelt. Seiner Meinung hätte sich vor allem CDU-Oberbürgermeister Uli Burchardt intensiver für das beliebte Kultkino einsetzen sollen. Da dem nachweislich nicht so war, attestierte Lünstroth dem Rathauschef mangelndes Gespür für die Bedürfnisse eines großen Teils der Bevölkerung. Der Fall Scala zeige, so der Journalist sinngemäß in einem seiner letzten Texte, wie weit sich Burchardt mittlerweile von der Realität entfernt habe.

Wirtschaftliche Interessen im Hintergrund

Längst hat sich herumgesprochen, dass die Stadt Konstanz beabsichtigt, ein eigenes Amtsblatt herauszugeben, das jeden Haushalt erreichen soll. Die Diskussion darüber blieb auch dem Südkurier nicht verborgen, der bisher für den Abdruck öffentlicher Bekanntmachungen der Stadt jährlich rund 70.000 Euro in Rechnung stellen durfte. Mit einem Amtsblatt fiele dieses lukrative Zusatzgeschäft weitgehend weg. Damit sich der drohende Verlust in Grenzen hält, hofft der Südkurier, das zukünftige Amtsblatt dann zumindest drucken und auch verteilen zu können. Das Projekt wird ausgeschrieben und der Konstanzer Gemeinderat entscheidet über die Auftragsvergabe. Doch der Standortvorteil der örtlichen Tageszeitung dürfe, so mehrere Kommunalpolitiker, nicht unterschätzt werden und müsse bei der Entscheidungsfindung eine Rolle spielen.

Um den angedachten Deal nicht schon im Vorfeld zu gefährden, machte es sich natürlich gar nicht gut, dass Redakteur Lünstroth mit seiner Verwaltungsschelte in Sachen Scala sozusagen zur Unzeit der städtischen Verwaltungsspitze an den Karren gefahren war und somit dazu beigetragen hat, die Stimmung zwischen Rathaus und Südkurier-Management zumindest kurzfristig in den Keller sacken zu lassen.

Michael Lünstroth erschwerte mit seiner journalistischen Berufsauffassung, zu der auch Kritik und kontroverse Debatten gehören, ein sich anbahnendes Geschäftsmodell und soll nun, um den Burgfrieden zwischen den Hauptakteuren wieder herzustellen, im Gegenzug als eine Art Bauernopfer zum finalen Abschuss freigegeben werden.

Quelle: Humanistischer Pressedienst vom 21.6.2016

Ein Kommentar dazu bei hpd:

Jürgen Wellisch am 23. Juni 2016 – 22:59

Als langjähriger Ex-Südkurier-Redakteur in Führungsfunktion kann ich bestätigen, dass der Kuschel-Journalismus aus wirtschaftlichen Gründen im Medienhaus Südkurier seit Jahren schon in Teilen Programm ist.

Mir wurde selber eine korrekt ausrecherierte und fertig geschriebene Geschichte über den Konflikt zwischen zwei Möbelhäusern in Bad Säckingen abgelehnt mit dem dezenten Hinweis, beide seien gute Anzeigenkunden (Beck und Dick). Ich kenne den Kollegen Lünstroths von früher als sehr engagierten und fähigen jungen Kollegen. Die Denke des Medienhauses – und das betrifft bei Gott nicht nur den Südkurier – hat bei den Regionalzeitungen zu einem Verlust des wichtigsten Kapitals geführt: der Glaubwürdigkeit, die auf dem Altar des verzweifelten Versuchs geopfert wird, angesichts sinkender Abo-Zahlen und Anzeigenumsätze die Kohle zu retten. Ich würde nie das Wort Lügenpresse unterstützen und lehne es ab. Aber die Menschen/Leser spüren einfach, dass die Darstellungen der Regionalzeitungen häufig geschönt sind, um des Umsatzes willen. Bitte nur nirgends anecken. Auch heute wieder schönes Wetter. Da ich eine freie und vor allem kritische Presse nach wie vor für eine der tragenden Säulen unserer Freiheitlichdemokratischen Grundordnung halte, stelle ich mir die Frage: Wie wirkt sich das Beispiel Michael Lünstroths auf die anderen Kollegen beim Südkurier aus? Ihren Mut wird es nicht stärken angesichts einer feigen Chefredaktion – die ihrerseite verlagsintern eigentlich unabhängig zu sein hat. Und einen Journalisten wie Michael Lünstroths am Schreibtisch festnageln? Das ist der Umgang mit seinem Arbeitsvertrag nach Gutsherrenart.

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