Nizza: Der Gewaltakt eines Terroristen? Die Offiziellen hatten sofort diese Version parat. Und sie verleugnen sich als Quelle der Gewalt.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Sie können oder wollen sich nicht vorstellen, dass unsere von ihnen geprägte Gesellschaft krank machen kann. Oder sie brauchen den Terrorismus als Feind. Dass sie für diesen mitverantwortlich sind, leugnen sie. – Noch wissen wir nicht, ob der Täter von Nizza vom IS gesteuert ist. Aber der französische Präsident und seine Minister halten an dieser Version fest. Merkel und Premierministerin May haben die Version übernommen. Hollande rief zum Kampf gegen die Geißel des Terrorismus auf und meint damit auch Militäreinsätze. Also weiter so wie bisher. Albrecht Müller.

Bundespräsident Joachim Gauck sprach von “einem Angriff auf die gesamte freie Welt”. Der Anschlag gelte den Werten der französischen Revolution, “die auch unsere Werte sind”. Diese Aussage ist völliger Unsinn. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Darauf hat Heiner Flassbeck als einer der wenigen, der nicht sofort mit der Parole Terrorismus kam, schon am 15.7. hingewiesen:

Anders als der Bundespräsident selektiv wahrnimmt, ging es bei der französischen Revolution nicht nur um Freiheit, sondern auch um Gleichheit und Brüderlichkeit. Diese Werte werden von der sogenannten westlichen Wertegemeinschaft mit Füßen getreten. Die Vorstellung von der Gleichheit aller Menschen wird weit von sich gewiesen. Und die Kernvorstellung der neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, jeder sei seines Glückes Schmied, ist eine Kriegserklärung gegenüber dem Gebot der Brüderlichkeit und Solidarität

Die vergifteten Früchte ihrer Politik, gerade auch ihrer Gesellschafts- und Innenpolitik, sehen die heute verantwortlichen Politikerinnen und Politiker nicht

Die Zahl jener Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben, weil es ihnen wirtschaftlich und/oder psychisch schlecht geht, wächst rasant. In Zukunft werden wir als Folge der herrschenden Ideologie erleben müssen, dass die Zahl und die Brutalität solcher Gewaltakte wie in Nizza steigt. Das wollen die herrschenden Kreise nicht sehen. Oder sie sehen es und meinen, mithilfe einer inneren Aufrüstung mit dem von ihnen selbst angelegten Gewaltpotenzial fertig zu werden. Sie bauen Mauern um sich und ihre Anwesen und sie verstärken die Sicherheitsapparate. Und sie unterdrücken mithilfe der Mehrheit der Medien die Berichterstattung über den aufbrechenden Protest gegen ihre Politik der Entsolidarisierung. (Siehe dazu die NachDenkSeiten-Berichte zu Frankreich und zum fehlenden Niederschlag der Vorgänge in unseren Medien.)

Mit einer anderen Ideologie und Politik, mit der Rückbesinnung auf eine Gesellschaft der Brüderlichkeit und Gleichheit, wird man nicht vermeiden können, dass es Gewaltakte einzelner Menschen gibt. Aber man wird vermutlich die Zahl solcher Fälle vermindern können. Und man wird vermeiden können, dass so unglaublich viele Menschen physisch und seelisch krank werden. Schon das wäre es wert, sich zu besinnen.

Jene politischen Kräfte, die uns endlich eine Alternative zu Angela Merkel, zu Gauck und der gesamten verkorksten westlichen Ideologie bieten müssten, sollten an dieser grundlegenden Frage, nämlich der Wertorientierung unserer Gesellschaft ansetzen. Nach meinen Erfahrungen in Gesprächen wären viele Menschen darauf anzusprechen, übrigens auch solche, die ins Lager der AfD abgedriftet sind.

Die Reaktion auf den mörderischen Gewaltakt von Nizza hat gerade beim Versuch, darin die Tat eines islamischen Terroristen zu sehen, noch etwas Anderes gezeigt: Die politisch Verantwortlichen wollen nicht verstehen, dass sie den Terror mit zu verantworten haben.

Die neue britische Premierministerin May meinte auf Facebook, „wenn das… ein Terroranschlag war, dann müssen wir unsere Anstrengungen verdoppeln, um diese brutalen Mörder zu besiegen, die unsere Lebensweise zerstören wollen.“

Und Angela Merkel äußerte sich so: Solidarität ist in solchen Stunden das wertvollste, was wir haben: „die Solidarität über Grenzen hinweg all derjenigen, die an die Freiheit und die Mitmenschlichkeit glauben und die sich dem blinden Fanatismus entgegenstellen, der uns beides nehmen will.“

Da ist nichts an Einsicht zu spüren. Was der Westen in Afrika, im Nahen Osten und im mittleren Osten anstellt, hat mit Mitmenschlichkeit nichts zu tun. Und ob sich die Terroristen gegen die Lebensweise von Frau May wenden, kann man mit Fug und Recht bezweifeln.

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