Mit der Ablehnung der „Juniorprofessur“ weist das Bundesverfassungsgericht den Weg zurück ins 19. Jahrhundert: Der „Muff unter den Roben“ hebt den „Muff unter den Talaren“ aus der Gruft.

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Mit seiner heutigen Entscheidung, die bundeseinheitliche Neugestaltung der Personalstruktur an den Hochschulen wegen Überschreitung der Rahmengesetzgebungskompetenz als insgesamt nichtig zu erklären, gibt das Bundesverfassungsgericht den konservativen Verteidigern der Ordinarienuniversität Recht.

Mit der fünften Novelle des Hochschulrahmengesetzes wollte die Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn wirklich einmal eine unabweisbare Reform: Nämlich eine aus dem 19. Jahrhundert überkommene Personalstruktur an unseren Hochschulen erneuern. Vor allem die Einführung der „Juniorprofessur“ sollte mehr hochqualifizierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in jüngerem Lebensalter ein Mehr an Selbständigkeit und Eigenständigkeit in der Forschung bringen. Die mangelnde Selbstständigkeit ist nach übereinstimmender Aussage fast aller jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einer der Hauptgründe, warum sie an angelsächsische Hochschulen „ausgewandert“ sind. Die „Juniorprofessur“ sollte umgekehrt auch für mehr ausländische Nachwuchswissenschaftler einen Anreiz schaffen, zu uns zu kommen, ohne die für sie fremde Habilitation anstreben zu müssen.

Die Habilitation als „das zweite dicke Buch nach der Promotion“ und die damit verbundene Abhängigkeit von einem Ordinarius bis ins Alter von durchschnittlich über 40 Jahren sollte als Qualifikationsvoraussetzung für eine Berufung zum Hochschullehrer zugunsten eines „Professors auf Bewährung“ entbehrlich werden. Künftig sollte die Eignung zur Professur nicht mehr von der abgebenden sondern – wie international üblich – in einem Berufungsverfahren durch die aufnehmende Hochschule bewertet werden. Wo, wenn nicht bei der berufenden Hochschule ist das Interesse an fachlicher Erneuerung und wissenschaftlicher Qualifikation am Größten?

In dieser „politischen Konzeptentscheidung“ (so die drei vom Urteil abweichenden Richterinnen und Richter) für einen neuen Qualifikationsweg zum Hochschullehrer, die vom Wissenschaftsrat und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft seit langem angemahnt wurde, sahen die konservativ regierten Länder Bayern, Sachsen und Thüringen eine Bevormundung des Bundes und klagten mit Unterstützung des Hochschulverbandes, der Standesvertretung der Ordinarien. Das Bundesverfassungsgericht gab ihnen Recht und erklärte die gesamte Reform der Personalstruktur für nichtig.

In Deutschland muss sich ja angeblich alles ändern, die ältesten Zöpfe jedoch, die müssen offenbar wieder eingeführt werden. Das Urteil der Mehrheit der Richter des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts wirft ein Schlaglicht darauf, dass in Deutschland der Blick nicht nach vorn, sondern nach rückwärts gerichtet ist. Das gilt für die Hochschulpolitik offenbar genauso, wie für die Sozialpolitik oder für die Arbeitnehmerrechte. Nicht Fortschritt sondern Rückschritt heißt die Devise.

Da rufen 31 europäische Bildungsminister 1999 in Bologna den „Europäischen Hochschulraum“ aus, da darf in keiner Forderung nach Reform unserer Hochschulen der Ruf nach „Internationalisierung“ fehlen und da wird allenthalben der „brain drain“ ins Ausland beklagt, und gleichzeitig wird dem Bundesgesetzgeber die Möglichkeit genommen, eine aus dem 19. Jahrhundert überkommene Personalstruktur zu erneuern. Einer Personalstruktur, deren Personalkategorien wie etwa der „Privatdozent“ oder der „apl. Professor“ in keine andere Sprache übersetzbar, geschweige denn, dass sie dort bekannt wären. Da sollen einzelne Bundesländer weiter an der „Habilitation“ festhalten können, einer Qualifikation, die im nicht deutschsprachlichen Ausland gänzlich unbekannt ist.

Das heutige Urteil nimmt dem Bund in einem für die Zukunft des Hochschulwesens elementaren Bereich, nämlich den Personal- und Rekrutierungsstrukturen, wie die vom Urteil abweichenden drei Richterinnen und Richter zu Recht meinen, „praktisch jede Möglichkeit zu neuer politischen Gestaltung“. Es bleibt dem Bund nur noch ein „Rahmen“ ohne Kompetenz.
Einheitliche Zugangsvoraussetzungen zum Amt des Professors in ganz Deutschland sind ein zentrales Element für die Funktions- und Leistungsfähigkeit der Hochschulen. Will man künftig nicht den Professor nordrhein-westfälischer oder baden-württembergischer Art – also die Kleinstaaterei bei der Qualifikation zum Professorenamt wieder einführen, bestimmt das rückständigste Land in ganz Deutschland die Eingangsvoraussetzungen zum Professor.
Wenn junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler künftig nicht von vorneherein vor haben, lieber gleich ins Ausland abzuwandern, bleibt ihnen in ihrem Heimatland zur Wahrung ihrer bundesweiten Berufungsfähigkeit zum Professor nach diesem Urteil nur die Möglichkeit sich an den Berufungsvoraussetzungen der hochschulpolitisch konservativsten Länder zu orientieren.

Das heißt: Die Karlsruher Richter haben nicht nur den „alten Zopf“ der Habilitation wieder eingeführt, sondern noch mehr: Der „Muff unter den Roben“ hat den „Muff unter den Talare“ wieder aus seiner Gruft gehoben.

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