Eine radikale Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik? Ja, aber wohin?

Jens Berger
Ein Artikel von:

Wenn man sich in dieser Woche einmal die Leitartikel einiger konservativer Blätter und die Statements großkopferter Funktionäre der Parteien, die ein „C“ in ihrem Namen tragen, anhört, könnte man glatt glauben, es herrsche Merkeldämmerung. Vor allem zwischen CDU und CSU scheint ein Wettkampf entbrannt zu sein, wie man das eigene Versagen bei der Flüchtlingspolitik am besten durch eine halsbrecherische Rhetorik kaschieren kann. Man fordert nun eine „radikale Kehrtwende“ bei der Flüchtlingspolitik. Aber was meint man damit eigentlich konkret? Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Angela Merkels Flüchtlingspolitik ist gescheitert. Zumindest in diesem Punkt sind sich alle Kritiker der Kanzlerin einig – egal ob sie nun von links oder rechts kommen oder aber Sigmar Gabriel heißen und kurz vor den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Berlin noch mal schnell auf den Zug der Wir-schaffen-das-Kritiker springen. Besonders geharnischt ist die politische Rhetorik innerhalb der Union, wo man so langsam die Konkurrenz der AfD fürchtet. Ab jetzt muss in der Flüchtlingspolitik eine radikale Kehrtwende erfolgen, so lautet es seitens der CSU und einiger Merkel-Kritiker innerhalb der CDU. Das ist erstaunlich.

Was konkret soll sich denn radikal ändern? Soll Deutschland dafür sorgen, dass das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei ausgesetzt wird? Soll Angela Merkel ihre Macht in Brüssel dafür verwenden, die Balkanroute wieder zu öffnen? Oder sollen die nordafrikanischen Staaten und der Balkan etwa wieder zu unsicheren Herkunfts- und Transitstaaten erklärt werden? Dann würde die Zahl der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge jedoch wieder massiv steigen. Kaum möglich, dass die Merkel-Kritiker innerhalb der Union das wirklich wollen, wenn sie von einer radikalen Kehrtwende sprechen.

Vielleicht ist die Kritik aber auch ernst gemeint. Es gibt schließlich gute Gründe, Merkels Flüchtlingspolitik zu kritisieren. So hat die „Flüchtlingskanzlerin“ beispielsweise nichts, aber auch gar nichts, getan, um die Fluchtursachen zu stoppen. Wer weiß … vielleicht meint radikale Kehrtwende ja, dass Angela Merkel sofort die Bundeswehr zurückrufen soll und ihren lieben Freunden aus Washington – natürlich auf Augenhöhe – die Nutzung ihrer auf deutschem Gebiet liegenden Stützpunkte im Rahmen kriegerischer Aktionen zu untersagen? Vielleicht wünschen die Unions-Granden ja, dass Angela Merkel Obama, Putin, Erdogan, Salman ibn Abd al-Aziz und natürlich Baschar al-Assad zu gemeinsamen Friedensgesprächen nach Berlin oder von mir aus nach München einladen soll? Vielleicht geht es aber auch um die zahllosen Wirtschaftsflüchtlinge und die Vertreter der selbsternannten christlichen Parteien fordern von Merkel, dass sie sich endlich dafür einsetzt, faire Bedingungen im Welthandel durchzusetzen und den Staaten der sogenannten Dritten Welt zu gestatten, sich durch protektionistische Maßnahmen vor der übermächtigen Konkurrenz aus den USA, der EU und Ostasien zu wehren? Das wäre eine wirklich radikale Kehrtwende.

Aber wer weiß, vielleicht hat sich die CSU ja auch nur daran erinnert, wofür das „S“ in ihrem Namen steht und dass eine bloße „Wir-schaffen-das-Rhetorik“ nicht ausreicht, um Hunderttausende Flüchtlinge erfolgreich zu integrieren. Sicher wünscht sich Horst Seehofer daher, dass die Bundesregierung ihre schwarze Null schnell vergisst und endlich den klammen Kommunen die Milliarden überweist, die diese dafür benötigen, um die Flüchtlinge sozial und sinnvoll unterzubringen. Sicher wünscht sich Andreas Scheuer eine radikale Kehrtwende bei der Integrationspolitik, sodass endlich jeder Flüchtling zeitnah Sprachkurse und Fortbildungsmaßnahmen bekommt. Und ganz sicher geht es Markus Söder vor allem darum, europäische Solidarität zu zeigen und Ländern wie Griechenland oder auch der Türkei, die von den Folgen der Flüchtlingskrise überproportional betroffen sind, finanzielle Hilfen in Aussicht zu stellen. Schließlich sprechen all diese Politiker ja von einer radikalen Kehrtwende, die nun nötig sei. Oder habe ich da etwas falsch verstanden?

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!