US-Präsidentenwahl, Brexit und die Elbphilharmonie – die Prognostiker haben ein Prognose-Problem

Ein Artikel von Thomas Trares

Bei der Präsidentschaftswahl in den USA hat die Zunft der Prognostiker und Zahlendeuter geradezu ein doppeltes Desaster erlebt. Beim Ausgang der Wahl wie auch bei den anschließenden Reaktionen der Börsen ist genau das Gegenteil dessen eingetreten, was die professionellen Beobachter vorausgesagt hatten. Nicht die Demokratin Hillary Clinton, sondern der Republikaner Donald Trump hat die Wahl gewonnen. Und an den Finanzmärkten ist aus dem angekündigten Crash eine Börsenrally geworden. Von Thomas Trares[*].

Dabei hatte sich Trump vor der Wahl mit kruden wirtschaftspolitischen Thesen regelrecht zum Schreckgespenst der Ökonomen gemausert. Unisono sagten sie Turbulenzen an den Finanzmärkten voraus, sollte er die Wahl gewinnen. „Trump-Angst drückt die Kurse“, „Ökonomen halten Trump für einen Konjunkturkiller“, „Hoffnung auf Clintons Wahlsieg befeuert Märkte weltweit“, titelten die Finanzgazetten. Trumps protektionistische Handelspolitik? Besorgniserregend. Unsicherheit, wo man nur hinschaut.

Doch der Einbruch nach Trumps Wahlsieg dauerte nur wenige Stunden, dann starteten die Börsen durch. Der US-Leitindex Dow Jones erreichte ein neues Rekordhoch, der Dax ging mit einem Plus von fast vier Prozent aus der Wahlwoche. „Anleger decken sich mit Aktien ein – Spekulationen auf Trumps Konjunkturprogramm“, „Börsen im Trump-Fieber“, schrieben die Gazetten nun. Plötzlich war alles genau andersrum. Nun soll Trumps Konjunkturprogramm die Phantasien beflügeln. Ja, was denn nun?

Die US-Präsidentenwahl war keineswegs die erste kolossale Fehlprognose, die sich vor den Augen einer Weltöffentlichkeit abgespielt hat. Schon 2008 fragte die Queen bei einem Besuch der London School of Economics, wie es passieren konnte, dass niemand diese Finanzkrise hat kommen sehen. Die versammelte Ökonomen-Gemeinde musste schließlich etwas verschwurbelt „ein Versagen der kollektiven Vorstellungskraft vieler kluger Menschen“ eingestehen. In diesem Sommer hatten sich die Prognostiker auf der Insel erneut blamiert. Der „Brexit“, der eigentlich nicht stattfinden sollte, fand eben doch statt. Und in Deutschland, genauer in Hamburg, hat vor wenigen Wochen die Elbphilharmonie ihre Tore geöffnet, gekostet hat das schicke Opernhaus schlappe 800 Millionen Euro. Die ursprüngliche Prognose: Inbetriebnahme im Jahr 2010, Kosten 77 Millionen Euro.

Zum Symbol für die Verwirrung unter den Prognostikern ist nun aber der amerikanische Statistik-Guru Nate Silver geworden. 2012 hatte dieser das Ergebnis der US-Präsidentenwahl in allen Bundesstaaten korrekt vorausgesagt, 2008 lag er in 49 von 50 Staaten richtig, nur in Indiana daneben. Silver galt fortan als der „Primus inter Pares“ in der Statistik-Zunft. Sein Buch „Die Berechnung der Zukunft – Warum die meisten Prognosen falsch sind und manche trotzdem zutreffen“ wurde ein Bestseller. Bei der US-Wahl hatte Silver jedoch einen Sieg Clintons prognostiziert und lag damit grandios daneben. Dies wirft die Frage auf: Waren Silvers bisherigen Erfolge Können oder doch nur Zufall?

Die Frage ist schwer zu beantworten. In jedem Fall aber erinnert der Fall Silver stark an die Geschichte von dem Schimpansen, der einen Bestseller schreibt. Das Gedankenexperiment geht folgendermaßen: Lässt man Millionen Affen Millionen Jahre auf Schreibmaschinen herumtippen, so stehen die Chancen gut, dass einer der Affen irgendwann einen Roman verfasst – sagen wir, es ist Tolstois „Krieg und Frieden“. Stellen Sie sich nun vor, Sie sind ein Verleger. Würden Sie nun jenem begnadeten Affen einen Vorschuss dafür zahlen, dass er Ihnen als Nächstes „Die Blechtrommel“ von Günter Grass schreibt? Die Anekdote verdeutlich Folgendes: Wenn jedes Jahr Tausende Experten versuchen, Wahlergebnisse, Börsenkurse, Konjunkturverläufe oder Ölpreise zu prognostizieren, so liegt es nahe, dass allein durch Zufall einer mal komplett richtig liegt, ohne dass dies ein Beweis für dessen Fähigkeiten sein muss.

Ähnliche Experimente wie jenes mit dem Affen hat man tatsächlich auch schon durchgeführt. Die US-Tageszeitung „Chicago Sun Times“ ließ über mehrere Jahre hinweg einen Affen mit dem Namen Adam Monk fünf Aktien zu einem Portfolio zusammenstellen. Monk saß mit einem Bleistift vor dem Börsenteil des Wall Street Journal; die Aktien, die er markierte, wurden gekauft. Das Ergebnis: Monk schnitt die meisten Jahre besser ab als der Dow-Jones-Index und damit besser als der Durchschnitt aller Experten. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam man vor ein paar Jahren auch in Südkorea, wo das Papageienweibchen Ddalgi in einem Börsenspiel gegen zehn Profianleger antrat und Platz drei belegte.

Diese Experimente legen den Schluss nahe, dass all die Analysten, Finanzberater, Fondsmanager, Charttechniker und Mathematiker, die in den Bankentürmen sitzen und ihre Rechner mit Unmengen an Daten füttern, im Grunde einer gutbezahlten, aber dennoch nutzlosen Arbeit nachgehen, da es eben doch nicht möglich ist, durch systematisches Analysieren der Zukunft dauerhaft eine Überrendite zu erzielen.

Wissenschaftlich unterfüttert wird solcherlei Expertenskepsis von dem amerikanischen Psychologen Philip Tetlock, der über 20 Jahre hinweg 28.000 Prognosen von fast 300 Experten aus Politik, Wirtschaft und Militär auswertete und dabei zu dem Ergebnis kam, dass Spezialisten keine besseren Voraussagen treffen als gutinformierte Laien. Es spielte dabei auch keine Rolle, ob ein Experte einen Doktortitel hatte oder nur das Vordiplom. Und schlimmer noch: Die Experten schätzten ihre Prognosen auch noch besser ein, als sie tatsächlich waren.

Der Finanzanalyst und Philosoph Nassim Nicholas Taleb geht sogar noch einen Schritt weiter und unterscheidet zwischen Disziplinen, in denen Experten halbwegs verlässliche Ergebnisse produzieren und jene, in denen sie mehr Schaden als Nutzen anrichten können. In die erste Kategorie fallen Gutachter für Vieh oder Boden, Schachmeister, Testpiloten, Ärzte, Mathematiker (wenn sie sich nicht mit empirischen Problemen beschäftigen), Getreidekontrolleure und Bildauswerter. Zur zweiten Kategorie gehören Börsenmakler, klinische Psychologen, Psychiater, Personalbeschaffer, Ökonomen, Finanzprognostiker, Politologen, Richter, Berater und Risikoexperten. All die letztgenannten Berufe haben laut Taleb ein „Expertenproblem“, d.h. sie befassen sich mit der Zukunft, gründen ihre Urteile aber auf eine nichtwiederholbare Vergangenheit.


[«*] Thomas Trares ist Diplom-Volkswirt. Studiert hat er an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Danach war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur vwd. Seit über zehn Jahren arbeitet er als freier Wirtschaftsjournalist in Berlin.

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!